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Zitiervorschlag

Aus: Klaus Schüttler-Janikulla (Hrsg.): Handbuch für ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. Neuausgabe. München: mvg-verlag 1996, 20. Lieferung (mit freundlicher Genehmigung des mvg-verlages

Konzeptionsentwicklung in Kindertageseinrichtungen

Martin R. Textor


1. Vorbemerkung

Die Entwicklung einer Konzeption ist ein mühevolles und zeitaufwendiges Unterfangen - das sich aber immer lohnt! Wie bei der Arbeit mit Kindern ist auch hier der Prozess oftmals wichtiger als das Ergebnis: Die sozialpädagogischen Fachkräfte geraten in einen intensiven Gedanken- und Erfahrungsaustausch, der zu einer Klärung von frühpädagogischen Ansätzen, Erziehungszielen, Werten und Einstellungen, Vorstellungen vom Kind und seinen Bedürfnissen, gesellschaftlichen Entwicklungen, Glaubensfragen u.a. führt. Dabei lernen sie sich besser kennen, wächst das Team zusammen. Ferner reflektieren die Mitarbeiterinnen ihre praktische Arbeit und überprüfen sie anhand ihrer Ziele. Dies kann zu positiven Veränderungen in der Erziehungspraxis führen, z.B. zu einer besseren Orientierung an den Bedürfnissen von Kindern und Eltern. Zugleich werden sich die Fachkräfte der Vielfalt und Qualität ihrer Arbeit bewusst, können dies Dritten gegenüber besser verdeutlichen, entwickeln Stolz auf ihre Leistung und werden dadurch selbstbewusster. Somit bringt die Konzeptionserstellung, insbesondere die Auseinandersetzung mit Grundfragen der Pädagogik, oftmals einen "Professionalisierungsschub" mit sich.

Natürlich ist auch das Ergebnis, die Konzeption, von Bedeutung: In dieser Schrift wird die Grundvorstellung von der pädagogischen Arbeit einer bestimmten Kindertageseinrichtung formuliert. Dies bedeutet, dass ein Konzept immer einzigartig ist - es kann nicht von einem anderen Kindergarten übernommen oder aus Büchern abgeschrieben werden. Zugleich handelt es sich um einen Entwurf: Das heißt, eine Konzeption ist nie endgültig, sondern muss immer wieder an neue Situationen angepasst werden. Sie muss in mehr oder minder regelmäßigen Abständen fortgeschrieben werden.

2. Ziele der Konzeptentwicklung

Mit der Konzeptentwicklung sollen verschiedene Ziele erreicht werden, z.B.

  • Gewinnung einer Gesamtschau des frühkindlichen Erziehungsfeldes,
  • Reflexion der gegenwärtigen Arbeit der Einrichtung (Standortbestimmung),
  • Entwicklung eines ganzheitlichen pädagogischen Ansatzes, der von allen Teammitgliedern weitgehend mitgetragen wird,
  • Strukturierung des pädagogischen Alltags durch klare Zielsetzungen und Leitlinien (Konzept als Orientierungshilfe),
  • Information der Eltern über die pädagogische Arbeit der Einrichtung (auch als Entscheidungsgrundlage, ob sie ihr Kind in der jeweiligen Kindertagesstätte anmelden wollen - oder lieber in einer anderen),
  • Information des Trägers und der weiteren Öffentlichkeit über die Einrichtung und ihr besonderes Profil,
  • Orientierungshilfe für Bewerberinnen bzw. neue Mitarbeiterinnen sowie
  • Darstellung der eigenen Professionalität.

Vor dem Erstellen einer Konzeption sollte im Team diskutiert werden, was mit dieser Schrift bezweckt wird und was jeder einzelne voraussichtlich davon haben wird. Hier kann deutlich werden, dass die Außendarstellung der Kindertageseinrichtung durch die geplante Konzeption weniger wichtig ist als der Abklärungsbedarf zwischen den sozialpädagogischen Fachkräften. Auch kann offensichtlich werden, dass die eigentliche Motivation aus der Unzufriedenheit mit bestimmten Teilbereichen resultiert und es deshalb sinnvoller ist, sich innerhalb des Teams nur mit diesen Fragen zu beschäftigen.

2.1 Erarbeitung von Teilkonzepten

Dann werden interne, nicht zur "Veröffentlichung" bestimmte "Teilkonzepte" erarbeitet, also z.B. ein

  • Raumkonzept: Wie können die Innen- und Außenräume so umgestaltet werden, dass den Bedürfnissen der Kinder besser entsprochen wird? Was kann an der Ausstattung verändert werden? (z.B. Einbeziehung von Nebenräumen und Fluren als Spielflächen, auch in Verbindung mit einer Öffnung der Gruppe, Entfernen von Möbeln zur Schaffung von mehr Bewegungsraum, Erproben des "spielzeugfreien Kindergartens", Einrichtung einer "Bewegungsbaustelle", Anlegen von Gartenbeeten oder eines Biotops)
  • pädagogisches Konzept: Nach welchem frühpädagogischen Ansatz wollen die Teammitglieder arbeiten? Was für Erziehungsziele setzen sie sich? Wollen sie die Kinder in bestimmten Entwicklungsbereichen (z.B. kognitive, soziale, motorische Entwicklung, Kreativität, Religion) besonders fördern?
  • Organisationskonzept: Wie könnten die Aufgaben zwischen den Teammitgliedern besser verteilt werden, so dass z.B. die Kindergartenleiterin entlastet wird oder die besonderen Stärken der einzelnen Fachkräfte besser genutzt werden? Wie kann der Dienstplan so umgestaltet werden (z.B. durch Zusammenlegen von Gruppen am späteren Nachmittag, falls nur noch wenig Kinder anwesend sind), so dass mehr Zeit für Elterngespräche oder Vorbereitungen zur Verfügung steht? Können bestimmte Arbeiten an Eltern, Ehrenamtliche oder die Pfarrsekretärin delegiert werden?
  • Konzept für die Elternarbeit: Welche Ziele sollen in diesem Bereich verfolgt werden? Welche Formen der Elternarbeit bieten sich bei der jeweiligen Elternschaft an? Wie viel Wert soll auf Einzelgespräche mit Eltern gelegt werden?
  • Ferner kann es im Einzelfall sinnvoll sein, nur ein Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit, für die Öffnung nach außen (z.B. für die Zusammenarbeit mit Pfarrei, Museen, Geschäften, Firmen, Vereinen, Verbänden und Schulen) oder für die Vernetzung mit Jugendhilfeeinrichtungen (z.B. mit Frühförderstellen, Jugendamt, Erziehungsberatungseinrichtungen) zu erstellen.

Verweigern sich Kolleginnen der Mitarbeit an der Konzeptionsentwicklung, kann im Sonderfall auch eine einzelne Gruppe für sich alleine ein Konzept für ihre pädagogische Arbeit erstellen. Und wenn in einer größeren Einrichtung eine oder mehrere Gruppen nach einem ganz anderen pädagogischen Ansatz arbeiten als die übrigen (z.B. wenn es in einem mehrgruppigen Kindergarten eine einzelne Montessorigruppe gibt), können auch zwei Konzeptionen erarbeitet werden (bzw. eine Schrift mit einer entsprechenden Differenzierung). Im folgenden soll aber nur auf die Entwicklung einer "Gesamtkonzeption" für die Kindertageseinrichtung eingegangen werden.

Alle Teammitglieder sollten hinter dem Vorhaben "Konzeptionsentwicklung" stehen und zu dem unvermeidbaren zusätzlichen Arbeits- und Zeitaufwand bereit sein. Oft müssen einzelne Mitarbeiterinnen hierzu noch motiviert werden, indem z.B. die oben angeführten Ziele und die zu erwartenden positiven Folgen verdeutlicht werden. Ferner sollte geklärt werden, ob noch Dritte - Elternbeirat bzw. interessierte Eltern und/oder der Träger - einbezogen werden sollen. Dies ist prinzipiell empfehlenswert und sinnvoll, da nicht nur deren Wünsche, Erwartungen und Vorstellungen von Anfang an berücksichtigt werden können, sondern auch dadurch gewährleistet ist, dass das Konzept von vielen Personen mitgetragen wird und sich diese für seine Verwirklichung einsetzen werden. Unter Umständen kann außerdem die Fachberatung in die Konzeptentwicklung einbezogen werden. Ferner sollte festgelegt werden, wann die Arbeit beginnen soll. Die Wahl eines etwas späteren Termins ermöglicht es, zwischenzeitlich z.B. relevante Gedanken und Materialien zu sammeln und in einem Ordner - für alle zugänglich - abzulegen. Oftmals ist es auch sinnvoll, einen bestimmten Zeitraum für die Konzeptionsentwicklung vorzusehen und dabei zumindest ein Wochenende bzw. ein oder zwei Schließungstage einzuplanen. Im letztgenannten Fall kann eine Notgruppe gebildet oder die Betreuung der Kinder durch Eltern organisiert werden.

2.2 Situations- und Bedarfsanalyse

Vor der Konzeptionserstellung sollte zunächst eine Situationsanalyse durchgeführt werden. Sie umfasst die Untersuchung der Lebenslagen von Kindern in der Kindertageseinrichtung, in der Familie und in der Wohnumgebung, der Familienverhältnisse, der pädagogischen Arbeit in der Einrichtung, der Personal- und Raumsituation, der Zusammenarbeit im Team und mit anderen Personen (Eltern, Träger, Erziehungsberater usw.) sowie der Rahmenbedingungen. Hierzu geeignete Methoden sind z.B. Beobachtung (der Kinder in der Gruppe, der Eltern-Kind-Beziehung usw.), Elterngespräche und Erhebungsbögen (erweiterte Anmeldebögen). Daran kann sich eine Bedarfsanalyse anschließen, bei der vor allem die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder, der Eltern, der Fach- und Hilfskräfte und des Trägers ermittelt werden. Im Anhang zu diesem Artikel befindet sich ein Raster, dass der Situations- und der Bedarfsanalyse zugrundegelegt werden kann.

Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Konzeptionserstellung im engeren Sinne, also die Besprechung des pädagogischen Ansatzes, der Erziehungsziele und -methoden, der Elternarbeit, von besonderen Schwerpunkten usw. In diesem Zusammenhang kommt es oft zur Auseinandersetzung mit anderen frühpädagogischen Richtungen, wird relevante Fachliteratur durchgeschaut, werden andere Tageseinrichtungen mit einer unterschiedlichen Arbeitsweise oder einem andersartigen Raumkonzept besucht. Die Besprechungsergebnisse werden dann schriftlich in der Konzeption der Kindertageseinrichtung niedergelegt.

Damit ist die Arbeit aber noch nicht abgeschlossen: So sollte in den folgenden Monaten eine Überprüfung der Konzeption erfolgen. Aus einer gewissen Distanz heraus wird dann besprochen, ob sich die Schrift bewährt hat, ob wirklich nach ihr gearbeitet wird und ob die Ziele des Teams erreicht werden. Hinzu kommt, dass sich im Verlauf von ein, zwei Jahren die Zusammensetzung der Kindergruppe, der Elternschaft und eventuell auch des Teams wandelt, dass vielleicht neue Bedürfnisse und Problemlagen deutlich werden oder dass die Rahmenbedingungen verändert werden. So sollten von Zeit zu Zeit sowohl eine Situations- als auch eine Bedarfsanalyse erneut durchgeführt werden. Diese beanspruchen dann natürlich viel weniger Zeit als beim ersten Mal - nicht nur, weil das Team bereits Erfahrungen hiermit gesammelt hat, sondern auch, weil es überwiegend nur um die Erfassung eingetretener Veränderungen gegenüber der Situation von vor ein oder zwei Jahren geht.

Die Überprüfung der "alten" Konzeption und die Ergebnisse der aktuellen Situations- und Bedarfsanalyse können dann zur Konzeptionsfortschreibung führen. Deshalb bietet es sich an, die Konzeption möglichst auf dem Computer zu erstellen (oder von Eltern, der Pfarrsekretärin oder einer anderen Person auf einem solchen schreiben zu lassen) bzw. - zumindest das interne Exemplar - als Loseblattsammlung anzulegen. Offensichtlich ist, dass auch die "neue" Konzeption überprüft und irgendwann anhand einer weiteren Situations- und Bedarfsanalyse aktualisiert werden muss. Die Konzeptionserstellung ist also im Grunde ein fortwährender, nie abgeschlossener Kreislauf.

3. Inhalte der Konzeption

Nach der Situations- und Bedarfsanalyse werden in der Regel die Inhalte der Konzeption festgelegt (s.u.). Dabei geht es auch um die Frage, was den Teammitgliedern wichtig ist. Das Ergebnis d1r Besprechung ist dann eine vorläufige Gliederung. Schritt für Schritt wird später ein Gliederungspunkt nach dem anderen bearbeitet. Jedes Teammitglied und alle anderen Beteiligten bringen ihre Gedanken, Vorstellungen, Erziehungsziele, Werte usw. ein, was zu einer sehr lebhaften und oftmals kontroversen Diskussion führen kann. Sie können dies auch in schriftlicher Form tun, so dass dann bereits verschiedene bzw. alternative Formulierungsvorschläge zur Abstimmung vorliegen. Es erleichtert die Arbeit sehr, wenn jeweils nach dem Brainstorming, der Diskussion und der Zusammenstellung benötigter Materialien (Ergebnisse der Situations- und Bedarfsanalyse, Artikel, relevante Auszüge aus Fachbüchern usw.) eine Kollegin nach der anderen das Ausformulieren des Textes übernimmt (zu Hause bzw. während der Verfügungszeit). Dieser wird dann bei einem anderen Treffen von dem gesamten Team und den anderen Beteiligten verabschiedet. Es muss aber nicht alles, was im Team diskutiert und vereinbart wurde, schriftlich niedergelegt und damit der "Öffentlichkeit" zugänglich gemacht werden. Ansonsten sollten die Texte möglichst kurz sein - bei einer zu langen Konzeption besteht die Gefahr, dass sie z.B. von vielen Eltern nicht mehr gelesen wird. Auch sollten sie weder zu allgemein (und damit unverbindlich) noch zu konkret (und damit die Kreativität und den Handlungsspielraum der Erzieherinnen einschränkend) abgefasst werden. Schließlich kann die Konzeption mit Fotos, Kinderzeichnungen, Plänen und anderen Abbildungen ansprechend ausgestaltet werden.

Mögliche Inhalte einer Konzeption

Da jedes Konzept einzigartig ist, verbietet es sich, ihm eine Gliederung vorzugeben. Es kann aber folgende Inhalte umfassen - wobei hier alle denkbaren angegeben werden (im Regelfall wird also nur eine Auswahl der genannten Themen bearbeitet):

1. Vorwort

  • Gründe für die Konzepterstellung
  • Adressaten der Konzeption

2. Geschichte der Einrichtung

3. Umfeld der Einrichtung: Einzugsbereich, Bevölkerungsstruktur, Charakteristika des Ortsteils, naturbelassene Flächen usw.

4. Lebenssituation der Kinder in Familie und Wohnumgebung: Familienformen, Berufstätigkeit der Eltern, Einkommenssituation, Anteil von Ausländern, häufige Belastungen der Familien, Bedürfnisse der Kinder usw.

5. Vorstellung der Einrichtung: Träger, Gebäude, Räume, Außenanlagen, Zahl der Gruppen, Gruppengröße, Personal, Öffnungszeiten, Urlaubszeiten, Aufnahmeverfahren (Warteliste), Elternbeiträge, Spielgeld usw.

6. (früh-) pädagogischer Ansatz

  • Bedeutung der Erziehung in der Kindertageseinrichtung (insbesondere des Spiel
  • Menschenbild, Bild vom Kind
  • Werte und Erziehungsziele
  • vertretener Ansatz (Situationsansatz, Montessori-Ansatz, integrativer Ansatz)
  • Rolle der Erzieherin
  • Erziehungsstil, -verhalten, -mittel
  • Gestaltung der Beziehung zwischen Erzieherin und Kindern (Konfliktlösung, Rechte der Kinder, Mitbestimmung, z.B. durch Kinderkonferenzen)
  • Zusammenarbeit zwischen Gruppen (z.B. Öffnung, gemeinsame Aktivitäten)
  • Zeitplanung/Ablauf eines Tages
  • Didaktik (gezielte und freie Angebote, Beschäftigungen, Projekte usw.)
  • Methodik (Spiel, Stuhlkreis, Kleingruppenarbeit, Einzelförderung, Gespräch usw.)
  • besondere Erziehungsbereiche
  • Sozialerziehung (Bedeutung der Gruppe für das einzelne Kind)
  • Vorbereitung auf die Schule
  • Hausaufgabenbetreuung
  • Zusammenarbeit mit Lehrern der Schulkinder
  • Spracherziehung
  • religiöse Erziehung
  • Bewegungserziehung
  • Gesundheitserziehung
  • ästhetische Erziehung
  • musikalische Früherziehung
  • Medienerziehung
  • Umwelterziehung
  • interkulturelle Erziehung
  • kompensatorische Maßnahmen (Ausgleich von Defiziten, die aus der familialen Lebenssituation oder der Wohnlage resultieren)
  • Integration von Ausländer-, Aussiedler-, behinderten und anderen Kindern mit besonderen Bedürfnissen
  • Ernährung und Hygiene
  • Raumgestaltung und -ausstattung, Gestaltung der Außenspielflächen

7. Regeln in der Kindertageseinrichtung (für Kinder und Eltern)

8. Elternarbeit: Bedeutung der Erziehungspartnerschaft, Ziele, Formen, Informationsfluss, Mitbestimmungs- und Mitarbeitsmöglichkeiten, Rolle des Elternbeirats usw.

9. Team: Zuständigkeiten, pädagogische Planung, Mitarbeiterbesprechungen, Dienstplan, Verfügungszeiten, Fortbildungen, Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen, Einbeziehung von Köchin, Putzfrau und Hausmeister etc.

10. Kooperation mit dem Träger: Rolle des Trägers, Ziele und Vorgaben des Trägers, Informationsaustausch, Absprachen über Entscheidungsbefugnisse, Rechte und Pflichten etc.

11. Gemeinwesenorientierung/Öffnung nach außen: Zusammenarbeit mit Schulen, Pfarrei, Beratungsstellen, psychosozialen Diensten, Frühförderstellen, Alten- und Behindertenheimen, Betrieben, kulturellen Einrichtungen, Vereinen, Jugendamt usw.

12. Öffentlichkeitsarbeit

Während dieses langwierigen Prozesses der Konzeptionsentwicklung kommt der Leiterin der Kindertagesstätte eine besondere Bedeutung zu. Beispielsweise muss sie sich bemühen, die Motivation ihrer Mitarbeiterinnen aufrechtzuerhalten. Besonders wichtig ist, dass sie die Teamsitzungen gut strukturiert, alle Kolleginnen in die Gespräche einbezieht, ausufernde Diskussionen abbricht und bei Konflikten schlichtet. Auf abweichende Meinungen zu Werten, pädagogischen Ansätzen, Erziehungszielen usw. sollte im Team mit Toleranz reagiert werden, sofern diese fachlich akzeptabel sind. Anfallende Arbeiten sollten möglichst gerecht verteilt werden.

Liegt die Konzeption schließlich in ihrer Rohfassung vor, ist zu prüfen, ob Ziele, Inhalte und Methoden in einem sinnvollen Zusammenhang stehen - ob die Konzeption also eine "runde Sache" ist. Ferner sollte geklärt werden, ob sie von allen Teammitgliedern - zumindest weitgehend - mitgetragen wird. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte sie auch dem Träger zur Genehmigung (und dem Elternbeirat) vorgelegt werden, falls dieser an der Erstellung nicht beteiligt war. Generell gilt: Je größer die Zustimmung zur Konzeption ist, um so wahrscheinlicher ist ihre Umsetzung in die Praxis, um so mehr Unterstützung durch Dritte erfährt das Team. Und nur wenn sie angewendet wird, Orientierung bietet, Perspektiven aufzeigt, nutzt sie den Fachkräften.

Manchmal ist es auch sinnvoll, Standards zu entwickeln, an denen der Grad der Umsetzung der Konzeption gemessen werden kann. Bei späteren Teamsitzungen kann dann besprochen werden, inwieweit die jeweiligen Ziele erreicht wurden. Dies setzt voraus, dass die Ziele in der Konzeption klar, eindeutig und konkret formuliert wurden. Gelegentlich kann es auch in größeren Einrichtungen hilfreich sein, wenn die Erzieherinnen reihum in den Gruppen ihrer Kolleginnen hospitieren und dann Rückmeldung geben, ob deren pädagogische Praxis der Konzeption entspricht. Hierdurch entstehen viele Möglichkeiten für eine kollegiale Beratung und wechselseitige Unterstützung. Vereinzelt kann es auch vorkommen, dass Eltern oder Träger auf Unterschiede zwischen Konzeption und praktischer Arbeit der Erzieherinnen hinweisen und damit einen Reflexionsprozess auslösen. Erst wenn der pädagogische Alltag und die Konzeption übereinstimmen, darf diese als "Spiegelbild" der Praxis bezeichnet werden.

4. Literaturhinweise

Becker-Textor, I.: Kindergarten 2010. Traum - Vision - Realität. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1994

Bundesarbeitskreis Sozialpädagogik: Konzepterstellung - Mode oder Notwendigkeit. Gesichtspunkte zur Erarbeitung eines Konzepts für Kindertagesstätten. Treffpunkt Kindergarten/Forum Sozialpädagogik 1994, 13 (6), S. 7-8

Erath, P.: Ein Modell zur Konzeptionsentwicklung in Kindertageseinrichtungen. KinderTageseinrichtungen aktuell, KiTa BY 1994, 6, S. 61-65

Evangelischer Landesverband - Tageseinrichtungen für Kinder - in Württemberg e.V./Verein Evangelischer Ausbildungsstätten für Sozialpädagogik e.V. (Hg.): Konzeptionelle Überlegungen für die Arbeit in Tageseinrichtungen für Kinder. Stuttgart: Selbstverlag 1994

Irskens, B.: Der rote Faden. Ein pädagogisches Konzept für die Einrichtung. Welt des Kindes 1992, 70 (6), S. 40-44

Krenz, A.: Erarbeitung einer Konzeption für Kindergärten und Tagesstätten - ein mühevoller Weg, der sich immer lohnt. In: Schüttler-Janikulla, K. (Hg.): Handbuch für Erzieher in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. München, Landsberg am Lech: mvg - Moderne Verlagsgesellschaft, 14. Nachlieferung 1987

Lehner, I.: Pädagogische Konzepte für die Arbeit im Kindergarten. Notwendiges Übel oder sinnvolle Basis? KinderTageseinrichtungen aktuell, KiTa BY 1993, 5, S. 152-153

Textor, M.R.: Kind, Familie, Kindergarten. München: Don Bosco 1992

Wolters-Erauw, R./Kiesel, P.: Kindergartenkonzeption: Erfahrungen von Kindergartenfachberatern. KinderTageseinrichtungen aktuell, KiTa BY 1994, 6, S. 132-134

5. Anhang

Nachstehendes Raster zeigt, welche Faktoren bei der Situations- und Bedarfsanalyse berücksichtigt werden sollten (in Anlehnung an Textor 1992, S. 48-49):

A. Situationsanalyse

  1. Weiteres Umfeld: verstädteter Raum, Industriegebiete, landwirtschaftlich genutztes Gebiet, Wälder, Berge, Seen
  2. Näheres Umfeld: Stadtviertel, Kleinstadt, Dorf, Streusiedlung, Parks, Spielplätze, Bäche, Baustellen, Freiflächen, Verkehrsgefährdung, Möglichkeiten zur Naturerfahrung
  3. Infrastruktur: Unternehmen, Geschäfte, Handwerksbetriebe, Kirchen, Museen, Theater, Bauernhöfe, Beratungsstellen, Begegnungsräume
  4. Bevölkerungsstruktur und Entwicklung nach Alter und Nationalität
  5. Wohnungen (Größe, mit/ohne Garten), Bespielbarkeit des Wohnumfelds
  6. Äußere Familienstruktur nach Familienstand, Familienform (Stieffamilien, nichteheliche Lebensgemeinschaften usw.), Kinderzahl, Zusammenleben von drei Generationen, Netzwerk/soziale Einbindung der Familien
  7. Innere Familienstruktur nach (Geschlechts-)Rollendefinition, Arbeitsteilung, Hierarchie, Interaktionsmustern
  8. Art der Berufstätigkeit der Eltern (Vereinbarkeit von Familie und Beruf), Arbeitszeiten, Umfang der Erwerbsbeteiligung der Mütter (Prozentsatz der Hausfrauen)
  9. Einkommenssituation, soziale Schichtung
  10. Erziehungsziele, -einstellungen, -stile, -fehler der Eltern, geschlechtsspezifische Sozialisation, Medien-, Umwelt- und religiöse Erziehung durch Eltern, Überforderung
  11. Freizeitverhalten, Nutzung entsprechender Angebote; Art des Urlaubs
  12. Häufigkeit bestimmter Problemlagen wie Familienkonflikte, Scheidung, Arbeitslosigkeit, Armut, Alkoholmissbrauch, häusliche Pflege von Behinderten oder Langzeitkranken, Gewalt gegenüber Kindern usw.; Vorhandensein und Nutzung von Hilfsangeboten sozialer Dienste
  13. Kindertageseinrichtung: Größe, Zahl der Kinder in den Gruppen, Innen- und Außenräume, Öffnungszeiten, finanzielle Situation
  14. Betreuen, Erziehen und Bilden in der Tageseinrichtung: Erziehungsziele und -stile, vertretene pädagogische Ansätze und Auffassungen, pädagogische Schwerpunkte, Tagesablauf, Zahl "schwieriger" Kinder; Elternarbeit
  15. Team: Zusammensetzung, Ausbildung und Berufserfahrung der Mitarbeiterinnen, Selbstverständnis als Erzieherin, Arbeitszeiten, Zusammenhalt, Teamkonflikte, Übereinstimmung von Werten und Erziehungszielen, besondere Qualifikationen und Talente
  16. Träger: Auftrag, Werte, Ziele; evtl. Vereinssatzung; Entschließungen des jeweiligen Trägerverbandes

B. Bedarfsanalyse

  1. Bedürfnisse der Kinder: kognitive, soziale, emotionale, religiöse, ästhetische u.a.; was die Kinder jetzt und in naher Zukunft brauchen
  2. Defizite in der Lebenssituation der Kinder (z.B. mangelnde Sozialerfahrungen, zu geringe Entfaltungsmöglichkeiten, wenig Gelegenheit zur Selbsttätigkeit und zum Spiel in der freien Natur, unkontrollierter Medienkonsum, keine religiöse Erziehung, kaum Kontakt zu alten Menschen, viele überlastete Mütter, Zahl der Familien mit besonderen Belastungen); notwendige Erfahrungsmöglichkeiten und Unterstützung
  3. Kinder mit besonderen Bedürfnissen (behinderte, verhaltensauffällige, entwicklungsverzögerte, sprachgestörte, Ausländer-, Aussiedlerkinder)
  4. Bedürfnisse der Familien (Kontaktwünsche, Informationsbedarf, Beratungsbedürftigkeit)
  5. Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse der Teammitglieder
  6. Werte und Wünsche des Trägers

6. Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de