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Zitiervorschlag

Wohin mit meinem Kind? Formen und Auswirkungen der Fremdbetreuung

Martin R. Textor

 

"Fremdbetreuung" ist ein emotional ambivalent besetztes Thema. Die Betreuung von Kindern unter zwei oder drei Jahren außerhalb der Familie ist weiterhin umstritten. Für ältere Kinder gilt der Kindergartenbesuch inzwischen als sinnvoll und notwendig, sofern es sich nicht gerade um eine Ganztagsbetreuung handelt. Tagespflege, Elterninitiativen, Krabbelstuben oder Betreuungsangebote von Mütter- und Familienzentren spielen eher eine Nebenrolle und werden oftmals ignoriert.

In diesem Artikel geht es nun um drei Themen: (1) die Auswirkungen einer Fremdbetreuung auf Kleinkinder, (2) die verschiedenen Formen der Tagesbetreuung und (3) um die Merkmale einer qualitativ guten Kinderbetreuung. Dementsprechend gliedert sich der Beitrag in drei Teile. Im ersten und im dritten Teil werde ich vor allem Forschungsergebnisse aus Nordamerika und Skandinavien referieren, die von Professor Clarke-Stewart (in Vorb.) für ein von mir mitherausgegebenes Buch zusammengefasst wurden. In diesem Sammelband werden dann die Quellenangaben zu finden sein.

I. Auswirkungen der Fremdbetreuung auf Kleinkinder

Für die meisten Kinder ist Fremdbetreuung heute ein Teil ihres Lebens: Mehr und mehr Kinder verbringen immer mehr Zeit in irgendeiner Kindertageseinrichtung. So ist es nicht überraschend, dass sich sowohl Wissenschaftler als auch Eltern Sorgen über die Auswirkungen von Fremdbetreuung auf Kinder machen. Deshalb wurde seit den frühen 70er Jahren - vor allem in den USA und in Skandinavien - eine große Anzahl von Untersuchungen durchgeführt, um die Folgen einer außerfamilialen Betreuung zu erfassen.

In manchen Bereichen wie der emotionalen oder Persönlichkeitsentwicklung oder den Beziehungen zu den Eltern konnten bisher keine größeren Unterschiede zwischen fremdbetreuten und zu Hause erzogenen Kleinkindern ermittelt werden. Ansonsten sind die Forschungsergebnisse am deutlichsten hinsichtlich der kognitiven Entwicklung von Kindern. Hier gibt es eine namhafte Zahl von Studien, nach denen Fremdbetreuung Kinder nicht schädigt und sogar deren Entwicklung zu fördern vermag (Clarke-Stewart in Vorb.). Unter den rund zwei Dutzend Untersuchungen waren nur ein oder zwei, nach denen sich fremdbetreute Kinder intellektuell schlechter entwickelten als solche, die zu Hause erzogen wurden. Alle anderen Studien ergaben, dass die fremdbetreuten Kinder genauso gute oder sogar bessere Ergebnisse bei Tests über ihre kognitive Entwicklung erbrachten als Kinder, die nie fremdbetreut wurden. Sie besaßen mehr Kenntnisse, waren kreativer im Umgang mit Materialien, verfügten über mehr arithmetische Fertigkeiten (wie Zählen, Messen usw.), konnten Informationen besser behalten und akkurater wiedergeben und verwendeten einen komplexeren Sprachstil. Beispielsweise waren laut einer amerikanischen Untersuchung über zwei- bis vierjährige Kinder die fremdbetreuten Kleinkinder in ihrer Entwicklung im Durchschnitt um sechs bis neun Monate weiter als Kinder, die zu Hause betreut wurden (Clarke-Stewart 1984, 1987). Allerdings handelt es sich hier nur um eine zeitweilige Zunahme kognitiver Fähigkeiten. Nach den Forschungsergebnissen bleibt der Vorsprung nur so lange bestehen, wie die Kinder die Tageseinrichtung besuchen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die erste Schulklasse beenden, werden sie in der Regel von den Kindern eingeholt, die nicht fremdbetreut wurden (Clarke-Stewart in Vorb.).

Unterschiede zeigen sich manchmal auch im Sozialverhalten der Kinder (a.a.O.). Kinder aus Tageseinrichtungen sind oft sozial kompetenter, selbstbewusster, durchsetzungskräftiger und offener. Sie fühlen sich in neuen Situationen sicherer, verhalten sich weniger zaghaft und ängstlich, sind hilfsbereiter und kooperativer als Kinder, die zu Hause betreut werden. Es gibt aber noch eine andere Seite: Nach denselben Untersuchungen sind diese Kinder aber auch unhöflicher, weniger verträglich, ungehorsamer, ungestümer, gereizter und aggressiver. Dies lässt sich nach Clarke-Stewart (in Vorb.) damit erklären, dass fremdbetreute Kinder selbständiger und fest entschlossen sind, ihren eigenen Weg zu gehen - ohne jedoch schon über die sozialen Fertigkeiten zu verfügen, mit denen sie dies problemlos erreichen könnten. Deswegen sind sie weniger gehorsam gegenüber ihren Eltern und ihren Erzieherinnen.

Die bisher skizzierten Forschungsergebnisse beziehen sich überwiegend auf Kinder zwischen zwei und sechs Jahren. Jedoch wird - insbesondere von einigen Kinderärzten - vor allem eine Fremdbetreuung in den ersten beiden Lebensjahren für schädlich gehalten. Es werden hier überwiegend Forschungsergebnisse referiert, die sich auf die Bindungstheorie Bowlbys beziehen. Clarke-Stewart (1989) fasste vor einigen Jahren die Resultate vieler Untersuchungen (über insgesamt 1.247 Kleinstkinder) zusammen und ermittelte, dass 36 % der fremdbetreuten Säuglinge eine unsichere Bindung an ihre Mutter ausbildeten - im Gegensatz zu 29 % der Kleinstkinder, die zu Hause von den Eltern versorgt wurden. Diese Kinder würden später überdurchschnittlich oft "schwierig", ungehorsam, verhaltensauffällig oder aggressiv werden. Allerdings wurde bei allen diesen Studien nur eine einzige und immer dieselbe Untersuchungsmethode eingesetzt: Mutter und Kind werden in einen ihnen unbekannten Raum gebeten, wo letzteres mit den Spielsachen eines anderen Kindes in Anwesenheit einer fremden Frau spielen darf. Die Mutter verlässt dann den Raum, und die fremde Frau spielt mit dem Kind, tröstet es usw. Nach kurzer Zeit kommt die Mutter zurück. Aus den Reaktionen des Kleinstkindes während der Abwesenheit und bei Rückkehr der Mutter wird dann auf die Qualität der Mutter-Kind-Bindung geschlossen.

Diese Untersuchungsmethode ist nun auf Kritik gestoßen (a.a.O.): So mag die beschriebene Situation für fremdbetreute Kleinstkinder eher normal sein als für nur von der Mutter versorgte Kinder. Dieses könnte erklären, wieso erstere ihre Mütter nach der Rückkehr oft nicht so überschwänglich "begrüßen" wie letztere. Hinzu kommt, dass auch die Unterschiede zwischen beiden Gruppen von Kindern - 36 % versus 29 % - nicht besonders groß sind und letztlich niemand genau weiß, wie sich dies auf die kindliche Entwicklung auswirkt. Ferner gibt es inzwischen Forschungsergebnisse, die mit anderen Untersuchungsmethoden gewonnen wurden, nach denen sich fremdbetreute Kleinstkinder weder hinsichtlich ihrer Ängstlichkeit, ihres Selbstvertrauens noch ihrer emotionalen Angepasstheit von anderen Kindern unterscheiden. Schließlich können Ursachen für die unsichere Mutter-Kind-Bindung nicht in der Fremdbetreuung, sondern in der Familiensituation der Kinder liegen. So gibt es z.B. Anzeichen dafür, dass ihre Mütter sich weniger mit der Mutterrolle identifizieren, weniger sensibel und weniger zufrieden mit ihrer Ehe sind.

Mit dem letzten Satz wurde bereits angedeutet, dass man die "Wirkungen" der Fremdbetreuung nicht unabhängig von den "Wirkungen" der Familie betrachten darf. Es ist vielmehr von einer Wechselwirkung auszugehen: Positive und negative Einflüsse der Kindertageseinrichtung oder Tagespflege auf der einen und der Familie auf der anderen Seite können einander verstärken, schwächen oder ausgleichen und somit zu unterschiedlichen Entwicklungsverläufen bei den Kindern führen. Beispielsweise kann eine unsichere Mutter-Kind-Bindung durch eine positive Tagesmutter-Kind-Beziehung kompensiert werden. Generell gilt für Kleinkinder, dass die Familie eine stärkere Wirkung auf die kognitive und die Fremdbetreuung auf die soziale Entwicklung hat. Auch liegen die Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten eher in der Familie.

Überhaupt lässt sich aus den inzwischen vorliegenden Forschungsergebnissen schließen, dass der Einfluss der Familie auf die kindliche Entwicklung nicht nur größer als derjenige der Fremdbetreuung ist, sondern auch größer als der Einfluss der Schule. Aus vielen verschiedenen Untersuchungen kann geschlossen werden, dass sogar die Schulleistungen eines Kindes bis zu zwei Dritteln (der Varianz) durch Familienfaktoren und nur zu einem Drittel durch Bedingungen in der Schule erklärt werden können (Krumm 1995). In diesem Zusammenhang sei nur an die Bedeutung der Hausaufgabenbetreuung durch die Eltern erinnert. Auch erwirbt das Kind in der Familie Dispositionen, die das Lernen begünstigen oder nicht - z.B. Anspruchsniveau, Leistungsmotivation, Selbstkontrolle oder Kooperationsfähigkeit. Hinzu kommt der Einfluss der Familie auf Sprachfertigkeiten, Interessen, Einstellungen, Wissenserwerb, Selbstbild, motorische Fertigkeiten usw.

Der starke Einfluss der Familie erklärt nicht nur die großen Unterschiede zwischen Schulanfängern, sondern auch, weshalb es Lehrern in der Regel nicht gelingt, diese Unterschiede zu verringern - vielmehr wird die "Leistungsschere" zwischen guten und schlechten Schülern immer größer. Professor Krumm (1995) fasst zusammen: "Während der Schulzeit bleibt der Einfluss der Eltern bestehen. Sie erziehen als 'Lehrer' sowie indirekt durch das, was sie dem Kind vorleben. Ihr Einfluss ist größer als der der Lehrer, da sie viel mehr 'Lehrzeit' zur Verfügung haben. Das Gewicht des informellen Lernens ist größer als das des formellen, weil außerhalb der Schule im Durchschnitt intensiver (z.B. während des Spielens) gelernt wird, sowie mehr und vielfältigere Interaktionen mit Personen und (Lern-)Situationen wahrscheinlich sind" (S. 6).

II. Formen der Tagesbetreuung

Kehren wir nach diesem Exkurs zum Thema "Fremdbetreuung" zurück. Bisher haben wir die Wirkungen der außerfamilialen Erziehung auf die kindliche Entwicklung allgemein behandelt. Es ist aber offensichtlich, dass auch die jeweilige Form der Tagesbetreuung von Bedeutung ist. Tabelle 1 ermöglicht den Vergleich von Krippe, Kindergarten, Hort, "Netz für Kinder" und Tagespflege unter eher formalen Kriterien. Da es in jedem Bundesland andere Gesetze, Verordnungen und Richtlinien über Fremdbetreuung gibt, dient hier der Freistaat Bayern als Beispiel [Kinderkrippe und Kinderhort wurden in der Tabelle in einer Spalte zusammengefaßt, da es für sie in Bayern mit den Heimrichtlinien dieselbe zentrale Rechtsgrundlage gibt. Das "Netz für Kinder" ist ein 1993 angelaufenes Förderprogramm des bayerischen Sozialministeriums, detaillierte Informationen finden sich bei Becker-Textor (1995)]. Die Tabelle soll verdeutlichen, dass sich diese Betreuungsangebote schon hinsichtlich der Räumlichkeiten, des Personals, der Gruppenstärke und der Mitwirkung von Eltern unterscheiden.

Tabelle 1: Betreuungsangebote im Vergleich

  Kindergarten Kinderkrippe/
Kinderhort
Netz für Kinder
Rechts-
grundlage
KJHG, Kinder-
gartengesetz
KJHG, Heimrichtlinien Richtlinien "Netz für Kinder"
Träger freigemeinnützige, kommunale, sonstige Träger freigemeinnützige, kommunale, sonstige Träger sonstige, freigemeinnützige, kommunale Träger
Anerkennung/
Betriebs-
erlaubnis
durch zuständige Behörde, staatliche Aufsicht durch zuständige Behörde, staatliche Aufsicht durch zuständige Behörde, staatliche Aufsicht
förderfähige Baukosten 1/3 Land, 1/3 Kommune, 1/3 Träger durch Kommune und Träger; bei Hort 25 % Land nur in bereits vorhandenen Räumen (Miete: 40 % Land, 40 % Kommune)
förderfähige Personal-
kosten
40 % Land, 40 % Kommune, 20 % Träger/Eltern 40 % Land nur bei freien Trägern und "Hort an der Schule"; Kommune, Eltern, Träger 40 % Land (für Eltern bis 5 DM pro Stunde), mindestens 40 % Kommune, Rest Träger/Eltern
Personal 1 Fach- und 1 Hilfskraft 1 Fach- und 1 Hilfskraft; bei Hort mindestens 1 Hilfskraft auf 2 Grp. 1 Fachkraft und 1-2 Mütter/Väter
Gruppen-
stärke
15-25 Kinder von 3 Jahren bis Schuleintritt maximal 8 Säuglinge, 12 Kleinst- oder 25 Hortkinder 12-15 Kinder von 2 bis 12 Jahren
Raum Gruppenraum mit ab 2 qm pro Kind; ab 2 Grp. ein Nebenraum ab 16 qm, ab 3 Grp. ein Mehrzweckraum ab 60 qm in Krippe Gruppenraum ab 3-3,5 qm, in Hort ab 2 qm pro Kind; in Krippe ein Ruhe-, in Hort ein Hausaufgabenraum (ab 2 bzw. 1,5 qm) ab 3,5 qm pro Kind; als Berechnungs-
grundlage dienen alle bespielbaren Flächen
Elternver-
tretung
Kindergarten-
beirat mit beratender Funktion
nicht geregelt, oft analog zum Kindergarten durch das Grundkonzept geregelt; Mitarbeit von Eltern verlangt

Während es für drei- bis sechsjährige Kinder mit dem Kindergarten und für sechs- bis zwölfjährige Kinder mit dem Hort ein "Standardangebot" gibt, lassen sich für Kleinstkinder zwei höchst verschiedene Betreuungsformen unterscheiden: Kinderkrippe und Tagespflege, wobei in letzterer auch vereinzelt Klein- und Schulkinder anzutreffen sind. Allerdings werden - mitbedingt durch familienpolitische Leistungen wie Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld - die weitaus meisten Kinder im Alter von unter drei Jahren von ihren Eltern oder Verwandten versorgt. Tabelle 2 ermöglicht den Vergleich zwischen der Familien- und den beiden Formen der Fremdbetreuung. Es ist offensichtlich, dass Kleinstkinder in jeder der drei Betreuungsformen verschiedene Erfahrungen machen, sich dementsprechend unterschiedlich verhalten und (etwas) anders entwickeln.

Tabelle 2: Formen der Kleinstkindbetreuung

Familie Tagespflege Kinderkrippe
verschiedene Familienformen vollständige Familie Institution
(nicht) erwerbstätige Mutter Frau als Hausfrau und Mutter Erzieherin als Berufstätige
auf Liebe basierende Eltern-Kind-Beziehung zwischen professioneller und Mutterrolle professionelle Rolle
zentrale Rolle des Kindes weniger wichtige Position des Kindes weniger wichtige Position des Kindes
große Freiräume, viel Selbstbestimmung, mehr Machtkämpfe klare Autorität, mehr Regeln, mehr Strukturierung des Tages, mehr Disziplin klare Autorität, mehr Regeln, mehr Strukturierung des Tages, mehr Disziplin
leibliches Kind fremdes Kind (neben leiblichen) ein fremdes Kind neben anderen
oft Einzelkind ein Kind neben anderen jährlicher Wechsel
in der Regel jüngste Person wechselnde Altersposition wenig Unterschied in Alterspositionen
wenig soziale Kontakte zu anderen Kleinstkindern Kontakt zu mehreren Kindern unterschiedlichen Alters Kontakt zu mehreren Kindern ähnlichen Alters
wenig Förderung sozialer Fertigkeiten soziales Lernen gefördert soziales Lernen gefördert
oft Zeitknappheit der Mutter/Eltern intensive Betreuung durch Tagesmutter aufgrund größerer Kinderzahl weniger intensive Einzelbetreuung
wenig Spielmaterial mehr Spielmaterial noch mehr Spiele/Materialien
eher Spiel für sich Spiel für sich und mit anderen Spiel für sich und mit anderen
wenig Beschäfti-
gungsangebote
mehr Spiel- und Beschäftigungsangebote mehr Spiel- und Beschäftigungsangebote
Fernsehen als "Babysitter" mehr bewußtes Lehren: Zählen, Singen, Malen, Erkundungsgänge mehr bewußtes Lehren: Zählen, Singen, Malen

Stärken der Tagespflege gegenüber der Kinderkrippe liegen z.B. in der größeren Flexibilität der Betreuungszeiten, der kleineren Gruppe, der intensiveren Zuwendung der Betreuungsperson, der familialen Umgebung und dem geringen Infektionsrisiko. Schwächen sind hingegen die Instabilität dieser Betreuungsform, die kleinere Zahl der Spielkameraden, die schlechtere Ausstattung mit Spielsachen, die fehlende pädagogische Aus- und Fortbildung der Tagesmütter und die mangelnde Überwachung durch den Staat. So ist Tagespflege laut § 44 KJHG nicht erlaubnispflichtig, sofern nicht mehr als drei Kinder betreut werden. Tagesmütter und Eltern haben allerdings Anspruch auf Beratung durch das Jugendamt (§ 23 KJHG). Die Kosten einer Tagespflege sind in der Regel niedriger als die Kosten für eine Krippe; sie können - in beiden Fällen - unter bestimmten Umständen vom Jugendamt übernommen werden.

Sofern am Ort unterschiedliche Betreuungsangebote wie Kinderkrippe, Tagespflege, Kindergarten, Hort, Elterninitiative, Netz für Kinder, Mütterzentrum oder Mutter-Kind-Gruppe vorhanden sind, stellt sich die Frage nach der Auswahl der für den Einzelfall am besten geeigneten Form. Hier können z.B. Kriterien wie Vereinbarkeit mit der Berufstätigkeit der Eltern, Betreuungszeiten, Kosten, Gruppengröße, Stabilität des Arrangements, Elternrechte, Ausbildung der Betreuungspersonen und Qualität der Betreuung ausschlaggebend sein. Jedoch ist vielerorts das Angebot an Betreuungsplätzen außerhalb des Kindergartenbereichs sehr gering, so dass keine Auswahlmöglichkeiten bestehen.

III. Qualitativ "gute" Kinderbetreuung

Im letzten Teil meines Artikels möchte ich noch der Frage nachgehen, woran man eine qualitativ hochwertige Kindertagesstätte erkennt - schließlich gibt es "gute" und "schlechte" Einrichtungen. Beginnen wir mit den Räumlichkeiten: Nach verschiedenen Forschungsergebnissen (siehe Clarke-Stewart in Vorb.) spielt die Größe des Raumes oder die bloße Menge an Spielsachen keine Rolle, sofern die Einrichtung nicht total überfüllt ist (was natürlich negative Auswirkungen hat). Viel wichtiger sind die Raumgestaltung und die Qualität der vorhandenen Spielmaterialien. Kinder entwickeln sich besser in Einrichtungen, die geschmackvoll, sauber und ordentlich wirken, den kindlichen Interessen entsprechende Spielecken haben und über viele Arten von Spielsachen und Materialien verfügen. Gibt es z.B. eine gut ausgestattete Verkleidungskiste, werden komplexere und längere Rollenspiele beobachtet.

Ferner lässt sich aus Forschungsergebnissen (a.a.O.) folgern, dass Kinder in ihrer Entwicklung eher beeinträchtigt werden, wenn sehr viele Kinder in der Gruppe sind (bei Drei- bis Vierjährigen mehr als 20) bzw. das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern sehr groß ist (größer als 1 : 10). Es dürfte also sinnvoll sein, z.B. wie beim "Netz für Kinder" die Gruppengröße eher klein zu halten und dafür auf eine zweite Fachkraft zu verzichten.

Von Bedeutung ist auch das Verhalten der Fachkräfte: "Gute" Erzieherinnen (oder Tagesmütter) sind in der Regel berufserfahren. Sie identifizieren sich mit ihrer Arbeit, sind hochmotiviert und bilden sich weiter. Ferner gehen sie respektvoll mit Kindern um, erniedrigen sie nicht, sind sensibel für ihre Wünsche, Bedürfnisse und Probleme, zeigen Verständnis, lassen ihnen Freiräume und Wahlmöglichkeiten, ermutigen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Sie fördern die Zusammenarbeit zwischen Kindern sowie nichtaggressive Formen der Konfliktlösung. Auch macht es einen Unterschied, wie viel sie mit dem einzelnen Kind interagieren und von welcher Qualität die Gespräche sind.

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Gestaltung des Tagesablaufs: Hier hat sich eine gewisse Strukturierung mit einem ausgewogenen Verhältnis von Freispiel und Beschäftigungen bewährt. Auf der einen Seite können die Kinder dann ihre Bedürfnisse und Interessen ausleben, haben genügend Gelegenheit, etwas selbst zu erforschen, für sich zu spielen und zu lernen. Sie können mit anderen Kindern interagieren, die als Verhaltensmodelle wirken sowie zum Messen und damit zur Entwicklung der Kräfte reizen. Auf der anderen Seite nehmen die Kinder an bildenden Aktivitäten teil, da zuviel Spiel und Interaktion mit anderen Kindern auf Dauer nicht förderlich sind. Diese Aktivitäten werden von der Fachkraft kindgemäß angeboten und umfassen alle Entwicklungsbereiche. So gibt es angeleitete Beschäftigungen, die der kognitiven Stimulierung, dem Wissenserwerb und der Schulvorbereitung dienen, die (fein-)motorische Kompetenzen und kreative Fähigkeiten fördern, die Malen und Musizieren umfassen. Auch der interkulturellen Erziehung wird Bedeutung beigemessen.

Schließlich ist eine qualitativ hochwertige Fremdbetreuung durch eine gute Kooperation zwischen Fachkraft bzw. Tagesmutter auf der einen und den Eltern auf der anderen Seite gekennzeichnet (Textor 1995). Bedenkt man, wie groß der Einfluss der Familie auf das Kind ist, kann auf eine wechselseitige Öffnung, einen intensiven Informationsaustausch, die Abstimmung des Erziehungsverhaltens und eine enge Zusammenarbeit nicht verzichtet werden. Eine intensive, vielfältige Elternarbeit und Elternmitarbeit kennzeichnen eine gute Tagesstätte.

Abschließend ist festzuhalten, dass die Qualität der Fremdbetreuung wichtiger als die jeweilige Art der Fremdbetreuung ist. Auch ist die Qualität wichtiger als die Quantität: "Mehr" - sei es mehr Ausbildung, mehr Berufserfahrung, mehr Räume, Spielsachen, Beschäftigungen, Elternangebote usw. - bedeutet nicht notwendigerweise "besser". Dies gilt übrigens ebenfalls für die Eltern-Kind-Beziehung: Mehr Zeit für das eigene Kind bedeutet nicht automatisch eine bessere Förderung der kindlichen Entwicklung. Auch hier ist die Qualität gemeinsamer Gespräche und Beschäftigungen ausschlaggebend.

Informationen über die Standards einer qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung sind in unserer Gesellschaft noch nicht weit verbreitet. Hier können Eltern neben Fachkräften, Verbänden und Wissenschaftlern als Multiplikatoren wirken. Das Ziel sollte sein, "schlechte" Betreuungsangebote auszumerzen. Die Geburtenrate lässt erwarten, dass es in wenigen Jahren zumindest im Kindergartenbereich zu einem Überangebot an Plätzen kommen wird. Dann haben Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder in solchen Einrichtungen anzumelden, die qualitativ gute Arbeit leisten und den Bedürfnissen von Familien und Kindern entgegenkommen. Wenn sich die Fachkräfte in den anderen Kindergärten nicht umstellen, müssen sie dann mit der Schließung ihrer Einrichtung mangels Kinder rechnen.

Literatur

Becker-Textor, I. (Hrsg.): Netz für Kinder. Wie Eltern Kindergruppen auf die Beine stellen können - Erfahrungen, Anregungen, Leitlinien. Freiburg 1995

Clarke-Stewart, K.A.: Day care: A new context for research and development. In: Perlmutter, M. (Hrsg.): The Minnesota Symposium on Child Psychology, Band 17. Hillsdale 1984, S. 61-100

Clarke-Stewart, K.A.: Predicting child development from child care forms and features: The Chicago Study. In: Phillips, D.A. (Hrsg.): Quality in child care: What does research tell us? Washington 1987, S. 21-42

Clarke-Stewart, K.A.: Infant day care - maligned or malignant? American Psychologist 1989, 44, S. 266-273

Clarke-Stewart, K.A.: Qualität der Kinderbetreuung in den Vereinigten Staaten von Amerika. In: Fthenakis, W.E./Textor, M.R. (Hrsg.): Qualität von Kinderbetreuung: Konzepte, Forschungsergebnisse, internationaler Vergleich. Weinheim: Beltz, in Vorb. (erschienen 1998, S. 148-160)

Griffore, R.J./Bubolz, M.: Limits and possibilities of family and school as educators. In: Griffore, R.J./Boger, R.P. (Hrsg.): Child rearing in the home and school. New York, London 1986, S. 61-104

Krumm, V.: Über die Vernachlässigung der Eltern durch Lehrer und Erziehungswissenschaft. Plädoyer für eine veränderte Rolle der Lehrer bei der Erziehung der Kinder. Manuskript. Salzburg: Universität Salzburg 1995 (später erschienen in: Zeitschrift für Pädagogik 1996, Sonderheft 34, S. 119-140)

Textor, M.R. (Hrsg.): Elternarbeit mit neuen Akzenten. Reflexion und Praxis. Freiburg, 2. Aufl. 1995

Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de