Rosemary Sutcliff: Die Laternenträger. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2020, 310 Seiten, EUR 33,00 – direkt bestellen durch Anklicken
Die englische Schriftstellerin Rosemary Sutcliff (1920-1992) hat mehr als 40 Romane für Jugendliche und Erwachsene verfasst, die hohe Auflagen erzielten, in viele Sprachen übersetzt wurden und zum Teil Vorlagen für Spielfilme waren. In ihren Romanen werden historische Persönlichkeiten und Ereignisse mit großer Sachkenntnis und in einer lebendigen Sprache geschildert. Auch für heutige Leser/innen bieten sie eine interessante und vor allem spannende Lektüre.
Das gilt beispielsweise für das Jugendbuch „Die Laternenträger“, das erstmals 1959 publiziert und nun vom Verlag Freies Geistesleben als limitierte bibliophile Neuausgabe zum 100. Geburtstag der Autorin wieder aufgelegt wurde. Rosemary Sutcliff wendet sich hier dem sogenannten „Dunklen Zeitalter“ Britanniens zu, über das es nur wenige historische Quellen gibt. Es handelt sich um die Epoche vor der weitgehenden Eroberung des Landes durch die Angeln und Sachsen (6. Jahrhundert), die dann Britannien in „Angelland“ umtauften.
Im „Dunklen Zeitalter“ lebten in Britannien Kelten und Römer. Das Römische Reich befand sich im Zerfall (z.B. wurde im Jahr 410 Rom von den Westgoten und im Jahr 455 von den Vandalen erobert). Das hatte zur Folge, dass die in Britannien lebenden Römer an Einfluss verloren, verarmten und weitgehend schutzlos waren. In Küstennähe litten die Menschen unter den Raubzügen der Sachsen und Skoten, die jedes Jahr im Sommer von Jütland bzw. Irland kamen, und im Norden unter den Überfällen durch Pikten und Skoten.
Das Buch von Rosemary Sutcliff beginnt mit dem Abzug der letzten römischen Hilfstruppen aus Britannien (vermutlich im Jahr 410) und endet mit der Schlacht bei Sorviodunum (um das Jahr 500 herum), als die im Südwesten Britanniens lebenden Kelten und Römer gegen ein Heer von Sachsen, die zu diesem Zeitpunkt bereits Regionen im Südosten besiedelten, und von Kelten aus dem Norden kämpften.
Aquila ist ein junger Zenturio der Rheinischen Hilfskavallerie – den letzten römischen Truppen in Britannien. Er hat Urlaub bekommen und besucht gerade seinen blinden Vater Flavian, dem ein etwas heruntergekommenes römisches Landgut gehört, und seine Schwester Flavia, als ihn ein Bote zu seiner Einheit zurückruft. Dort erfährt er von dem Kommandeur, dass alle Soldaten in drei Tagen das Land verlassen werden und damit Britannien seinem Schicksal überlassen wird. Am Tag der Einschiffung entscheidet sich Aquila für sein Heimatland, desertiert und kehrt zum väterlichen Landgut zurück. Dieses wird kurz darauf von Sachsen überfallen, die seinen Vater und die anderen Bewohner/innen töten, Flavia rauben und Aquila an einen Baum binden, damit er von Wölfen gefressen werde. Eine andere Gruppe von Sachsen befreit ihn aber, und er muss sie nach ihrem Beutezug zurück nach Jütland begleiten, wo er drei Jahre lang als Sklave lebt. Er wird zu einem verbitterten Mann, den immer wieder Alpträume vom Überfall auf das Landgut und von dem Raub seiner Schwester Flavia quälen.
Nach einer Missernte und einem sehr kalten und langen Winter beschließen die Einwohner des sächsischen Dorfes, nach Tanatus umzusiedeln – einer Insel nahe dem heutigen Kent, das Sachsen unter ihrem Anführer Hengest von Vortigern, König von Britannien, als Lehen erhalten haben. Aquila wird von Thormod, seinem Besitzer, mitgenommen. Da dieser fürchtet, dass er so nahe seiner Heimat fliehen könnte, wird ihm ein Sklavenring um den Hals geschmiedet. Ferner wird er mit einer Kette angebunden, wenn ihn sein Herr alleine lässt. Dennoch entschließt sich Aquila zur Flucht. Als er Thormods Dolch reparieren lassen soll, trifft er durch Zufall Flavia wieder, die inzwischen ein Kind bekommen hat. Sie hilft ihm bei seiner Flucht, begleitet ihn aber nicht, da sie sich an Mann und Kind gebunden fühlt.
Aquila schlägt sich bis nach Dynas Ffaraon im Nordwesten Britanniens durch, wo Ambrosius, der Sohn des entweder im Auftrag von Pikten oder von Vortigern getöteten Königs Constantinus, in Sicherheit gebracht worden war und nun ein kleines Heer aufbaut. Hier trainiert Aquila im Sommer junge Männer und reitet im Winter Pferde zu. Aufgrund seiner Verschlossenheit und seiner Verbitterung bleibt er ein Mann ohne Freunde, erwirbt sich aber große Achtung als Kämpfer.
Als Vortigern seine Frau verstößt, um die Tochter von Hengest zu heiraten, verlassen ihn seine drei Söhne Vortimer, Catigern und Pascent und schließen sich mit ihren Männern und anderen Stammesführern Ambrosius an. Das Bündnis wird gleich getestet, als drei Schiffe voller Skoten auf einem ihrer Raubzüge an der Küste landen, und durch verwandtschaftliche Bande verstärkt. So muss Aquila Ness heiraten, die Tochter eines Stammesführers namens Cradoc. Da Aquila ihr nichts von seinem Vorleben, seinen Gefühlen und Gedanken erzählt, bleibt es eine erzwungene Ehe ohne Zuneigung und Liebe.
Dank der neuen Verbündeten ist das Heer nun stark genug, um gegen Vortigern und seine Mannen zu kämpfen. Es erobert Südwestengland, und Ambrosius kehrt nach Venta zurück, dem heruntergekommenen Herrschersitz seines Vaters. Aquila wird zurückgeschickt, um die Frauen und Kinder nachzuholen. Er ist überrascht, dass Ness inzwischen einen Sohn geboren hat, und nennt ihn Flavian. Aquila nimmt auch Artos mit nach Venta, einen Jungen, der nun alt genug ist, um im Umgang mit Pferden und Waffen ausgebildet zu werden (Es wird nur angedeutet, dass es sich um den späteren König Artus handelt).
Nachdem Catigern in der Schlacht gefallen und Vortimer vergiftet worden war, verlassen die meisten ihrer Anhänger Ambrosius und schließen sich wieder Vortigern und Hengest an. Ness entscheidet sich, nicht mit ihrem Vater und Stammesangehörigen fortzuziehen, sondern mit ihrem Sohn bei Aquila zu bleiben. Es ist aber keine Entscheidung aus Liebe, sondern aus Pflichtgefühl (ähnlich wie bei Flavia, als sie nicht mit Aquila flüchten wollte).
In den kommenden Jahren kommt es immer wieder zu Scharmützeln zwischen den verfeindeten Stämmen. Aquila ist inzwischen einer von Ambrosius‘ Kommandanten geworden und führt ein Kavallerieschwadron. Artos, der ein anerkannter und allseits geliebter Anführer geworden ist, hat Ambrosius überzeugt, dass er nicht länger der Strategie der Römer folgen solle, die vor allem auf das Fußvolk setzten. Stattdessen bekommt nun die Kavallerie eine größere Bedeutung und wird verstärkt.
Eine große Schlacht zwischen Britanniern und Sachsen bleibt unentschieden. So wird ein Friedensvertrag abgeschlossen, bei dem eine klare Grenze zwischen den beiden Reichen gezogen wird. Sie wird befestigt und mehrere Jahre lang respektiert. Dann kommt es zu einer Entscheidungsschlacht, an der auch der nun fast 15 Jahre alte Flavian teilnimmt. Hier sieht Aquila einen jungen Sachsen, der seiner Schwester Flavia stark ähnelt. Dank der von Aquila und von Artos geführten Kavallerieeinheiten gewinnt Ambrosius‘ Heer die Schlacht; Guitolinus stirbt und Hengest kann mit nur wenigen Getreuen flüchten. Aquila findet in einem Waldstück den schwer verletzten Sohn seiner Schwester Flavia und bringt ihn bei einem Mönch in Sicherheit. Einige Wochen später erfährt er, dass der junge Mann sich wieder zu den Sachsen durchgeschlagen hat.
Nachdem Ambrosius zum Hochkönig gekrönt worden ist, berichtet Aquila ihm bei der anschließenden großen Feier vor allen Anwesenden von seinem Verrat und wartet auf die Verurteilung. Flavian tritt neben ihn und ist bereit, das Schicksal seines Vaters zu teilen. Ambrosius zeigt aber Verständnis für den Vorrang der Familienbande, und so können Aquila und Flavian mitfeiern. Genauso wie sich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn etwas verbessert hat, ist auch in die Beziehung von Aquila und Ness mehr Verständnis und Zuneigung gekommen. Aquila hat die im jungen Erwachsenenalter erlittenen Schicksalsschläge endlich verarbeitet...
Es geht in dem spannenden Buch von Rosemary Sutcliff also nicht nur um die Konflikte und Kämpfe zwischen Kelten, Römern und Sachsen, sondern auch um die Persönlichkeitsentwicklung von Aquila und seine Beziehungen zu anderen Personen. Ferner bekommen die Leser/innen einen umfassenden Eindruck vom einfachen und gefährlichen Leben der Menschen im „Dunklen Zeitalter“. Suttcliffs Schreibstil ist vielfältig und detailliert, z.B. wenn sie Landschaften, Gebäude oder Naturphänomene beschreibt. Sie verzichtet weitestgehend auf die Darstellung blutiger Kampfszenen.
Der abenteuerliche Historienroman wird (männlichen) Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, gut gefallen!