Natascha Berger/Anna Taube: Astronautenkinder: Ein Buch über Einzigartigkeit. München: Verlag ars Edition 2022, 48 Seiten, EUR 16,00 – direkt bestellen durch Anklicken
Astronautenkinder? Bereits der Titel wirft Fragen auf. Astronauten kennt man: meistens Männer, selten Frauen … aber Kinder? Nie gehört!
Schnell also ein Blick auf die Rückseite des Buches. Die Erklärung hier: „… ein außergewöhnliches Buch über Neurodiversität.“ Ein Begriff, der noch nicht in den selbstverständlichen Sprachgebrauch hineingewandert ist.
Dass damit Unterschiede in der neurologischen Ausstattung und sensiblen Nutzung des Nervensystems gemeint sind, erschließt sich in der Recherche (obgleich dies zu Teilen kritisch betrachtet wird). Zu fragen ist, ob dieses Phänomen nicht für alle Menschen zutrifft. Welches Kind (welcher Mensch) fühlt sich nicht ab und zu „anders als die Anderen“, manchmal besonders, oder absonderlich, je nachdem, wer da wem ein Etikett umhängen will.
Dennoch macht es neugierig auf den Buchinhalt.
Die menschliche Natur neigt dazu, Anderen Eigenschaften und Eigenarten zuzuschreiben. Nicht immer treffen sie zu. Nicht immer sind sie freundschaftlich und freiheitlich mit dem betreffenden Menschen besprochen. Selbstbild und Fremdbild decken sich nie. Wie viel Freiheit habe ich, mein Selbstbild eigenmächtig zu bestimmen? Brauche ich dazu Erlaubnis? Oder steht mir dies im Sinne der Menschenwürde immer selbstverständlich zu? Wer fragt mich achtungsvoll, was und wie ich denke, erlebe und fühle?
Hermann Hesse fällt mir ein, der das Wort Eigen-Sinn oft und gerne mit Bindestrich schrieb, was dem Ausdruck einen veränderten Charakter gibt. Das eigensinnige Kind ist eins, das potentiell als unangepasst, unangenehm und lästig angesehen wurde (und wird!). Hesse hatte sehr mit dieser Zuschreibung zu kämpfen, die ihn wie einen Panzer umgab und ihn fast sein eigenbestimmtes Leben gekostet hätte.
Schaut man nach diesen Vorgedanken in das großformatige Bilderbuch hinein, so fallen gleich die ungeheuer phantasiereichen Bilder von Anna Taube auf. Sie zeigen ein Weltallleben mit Kindern, in ausdrucksstarken Bildern, herrlichen Farbkompositionen und anregenden Details. Sie anzuschauen ist alleine schon ein Genuss! Ihr Textzusammenhang ist gekonnt, bis hinein in die emotionalen Kindermimiken.
Liest man dann die Geschichte, so fallen nach der ersten Seite die doppeldeutig zu entschlüsselnden Botschaften auf. Hier geht es nicht nur um eine Reise durch das Weltall, um Entdeckung fremder Welten. Hier geht es um die Entdeckung der Gefühlswelt, die uns Menschen auch öfter einmal vorkommen kann wie ein ganzer Kosmos!
Es geht um Angst und Freude, um Alleinsein und Zugang zu Anderen, um Traurigkeit und Wut, um Grenzen der sprachlichen und nonverbalen Verständigung, um Sicherheit gebende Ordnung und Sensibilität der Wahrnehmung, um Abwehrmechanismen und Unterstützung, die man sich einholen kann. Mira, Tim, Zara, Aron, Lia und Robin stehen als Protagonisten für die unterschiedlichen Formen, mit Wahrnehmungseindrücken umzugehen, wenn sie auf die ihnen eigenen sensiblen Wahrnehmungen treffen.
Zum Ende der Geschichte hin werden sie als Gruppe, die sich gegenseitig „erkennt“ zusammengeführt. Solidarität soll der Schlüssel sein, um mit der schwierigen Welt zurechtzukommen. Am Anfang und Schluss der Geschichte ist ein Mädchen zu sehen, das nicht namentlich benannt ist. Ist es die Autorin?
Die Doppeldeutigkeiten der Texte brauchen ein hohes Maß an Einfühlung in die Geschichte. Vermutlich verstehen Kinder ab Grundschulalter diese Aspekte eher, als jüngere Kinder. Da ist viel Reflexion angefragt. Sie wird aber auch an diversen Stellen angebahnt.
In seiner Komplexität ein Bilderbuch, dass anspruchsvoll ist. Wie hilfreich es ist … nun, das können wir die Kinder fragen!