Kultursensitive Frühpädagogik

Jörn Borke, Heidi Keller: Kultursensitive Frühpädagogik. Stuttgart: W. Kohlhammer, 2., überarbeitete Auflage 2020, 153 Seiten, EUR 32,00 – direkt bestellen durch Anklicken

Das wissenschaftlich fundierte Lehrbuch „Kultursensitive Frühpädagogik“ wurde verfasst von Jörn Borke, Professor für Entwicklungspsychologie der Kindheit an der Hochschule Magdeburg-Stendal, und Heidi Keller, Professorin i.R. an der Universität Osnabrück und renommierte Forscherin auf dem Gebiet der Entwicklung von Kindern in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Schon diese Namen sprechen für ein hohes Niveau des 2014 in erster Auflage erschienenen und nun in zweiter, überarbeiteter Auflage vorliegenden Fachbuchs.

Im ersten Teil des Lehrbuchs wird zunächst der Begriff „Kultur“ erörtert. Dann werden die Prototypen der „psychologischen Autonomie“ und der „hierarchischen Verbundenheit“ als Organisatoren kindlicher Entwicklung sowie verschiedene Mischformen vorgestellt. Daraus resultieren unterschiedliche Erwartungen von Familien an die Kindertagesbetreuung, die von frühpädagogischen Fachkräften möglichst frühzeitig erfasst werden sollten: „Ist den Eltern eher wichtig, dass die Kinder ihren eigenen Wünschen folgen und sich selbst verwirklichen können (was auf eine Autonomieorientierung hinweisen würde), oder dass sie in einem strukturierten Umfeld unter Anleitung lernen (was auf einen eher verbundenheitsorientierten Hintergrund hinweisen würde)? Oder ist den Eltern beides wichtig, so dass sie Mischmodellen zuzuordnen sind? ... Durch eine sensible und kenntnisreiche Wahrnehmung kann das Verständnis für die Familie und ihre Kultur vertieft werden. Die Berücksichtigung der Familienkultur und deren Integration in den Alltag von Kindertageseinrichtungen erleichtert den Kindern die Teilhabe an Bildungsprozessen und fördert somit die politisch gewünschte gesellschaftliche Teilhabe aller Kinder am Bildungsgeschehen“ (S. 30).

Im zweiten Teil des Lehrbuchs werden zunächst sechs pädagogische Ansätze (von Fröbel, Montessori, Pikler usw.) skizziert, ihr Bezug zu autonomie- bzw. verbundenheitsorientierten Modellen herausgearbeitet und Kritikpunkte erörtert. Dann werden aktuelle frühpädagogische Bildungsbegriffe vorgestellt, wobei auch die Kontroverse zwischen Vertretern der Selbstbildung und der ko-konstruktiven Bildung angesprochen und gefragt wird, „inwieweit diese beiden eher autonomieorientierten Bildungskonzepte eine kultursensitive Bildungskonzeption ermöglichen“ (S. 67). Danach werden fachpolitische Vorgaben wie die Bildungspläne der Bundesländer und der Rahmenplan der Jugendminister- und Kultusministerkonferenz sowie der Inklusionsansatz hinsichtlich des Umgangs mit kultureller Vielfalt untersucht. Schließlich werden spezielle pädagogische Ansätze, wie z.B. die „Interkulturelle Pädagogik“, die „Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung“, die „Migrationspädagogik“ und die „Pädagogik der Vielfalt“ vorgestellt.

Im dritten Teil des Lehrbuchs wird das Konzept der kultursensitiven Frühpädagogik als Teil einer Differentiellen Pädagogik erläutert, was anhand der Dimensionen „Kenntnis“, „Haltung“ und „Können“ erfolgt. Dann wird beschrieben, wie dieser Ansatz beim Kontakt mit Eltern bzw. Familien, in Spielsituationen, bei der Gestaltung von Übergängen, im Umgang mit physiologischen Bedürfnissen, bei der Sprachförderung und bei der Raumgestaltung umgesetzt werden kann. Wird er befolgt, kann sensitiv und systematisch auf die verschiedenen kulturellen Hintergründe der Kinder und ihrer Familien eingegangen werden.

Trotz des anspruchsvollen Stils ist das Lehrbuch gut lesbar. Das Layout entspricht einem wissenschaftlichen Werk. So richtet sich das Buch in erster Linie an Studierende der Früh- bzw. Kindheitspädagogik an Hochschulen; für Studierende an Fachschulen für Sozialpädagogik ist es weniger geeignet.

Martin R. Textor

 

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