Christine Fourcaud, Matthias Springer: Frühkindlicher Fremdsprachenerwerb in den „Elysée-Kitas“. Schnupperstunde Französisch in den Münchner städtischen Kindertageseinrichtungen. Tübingen: Narr Verlag Attempto 2021, 269 Seiten, Euro 29,90 – direkt bestellen durch Anklicken
Die vorliegende Querschnittsstudie über die „Schnupperstunde Französisch“ ist ein schönes Beispiel für die gelungene Zusammenarbeit von akademischer Forschung und praktischer Arbeit resp. der Umsetzung von Forschungserkenntnissen im Bereich des frühkindlichen Spracherwerbs im Kindergarten. Die zentralen Antworten auf, die seit Jahren immer wieder gestellten Fragen bezüglich der vorschulischen Mehrsprachigkeit und ihrer mehr oder weniger gezielten Förderung lassen sich gut nachvollziehen und v.a. empirisch belegt beurteilen. Sie beziehen sich auf die sozialen, politischen, entwicklungspsychologischen und linguistischen Auswirkungen und die gewonnen Erkenntnisse aus einem immersiv angebotenen Programm des städtischen Netzwerkes der „Elysée -Kindergärten“ in städtischen Einrichtungen in München
Die AutorInnen schaffen dabei den Spagat zwischen wissenschaftlicher Forschung und verständlicher Darbietung der Ergebnisse für eine Leserschaft auch außerhalb des akademischen Bereiches. Im Rahmen einer Feldstudie – deren Struktur und Zielsetzung mit einer Fülle von Material in deutscher und französischer Sprache verdeutlicht wird, werden zentrale Fragestellungen der kindlichen Mehrsprachigkeit und deren Chancen und Möglichkeiten für Kinder und Eltern erörtert.
Die Perspektiven des Personals, der Eltern und natürlich – über Sprachstandserhebungen – auch der Kinder werden wechselseitig aufeinander bezogen und miteinander verknüpft. Dabei wird deutlich, dass viele der gängigen Vorbehalte – gerade gegenüber der Rolle der französischen Sprache im deutschen Bildungssystem – eben keine empirische Grundlage haben. Weder ist eine Überforderung durch Förderung einer weiteren Sprache (neben der meist mitgebrachten Familiensprache der Kinder) und der deutschen Zielsprache im Kiga erkennbar – noch sind andere negative Effekte („doppelte Halbsprachigkeit“) nachweisbar.
Dagegen sind deutlich positive Effekte gerade bei Kindern mit anderer Familiensprache sehr wohl nachweisbar. Anhand sehr klar und stringent formulierter Fragstellungen (die notwendig sind um eine wissenschaftlich fundierte Grundlage gegenüber häufig gehörten Meinungen und Vorurteilen bezüglich des Themas zu erhalten) wird eine empirisch-theoretische Grundlage zur Klärung der Fragestellungen geboten, die sich seit Jahren bezüglich der gezielten Förderung von Fremdsprachenerwerb im Vorschulbereich stellen.
- Werden durch bilinguale Projekte und Einrichtungen auch soziale und politische Beiträge im Sinne der Partizipation und der sozialen Teilhabe gefördert – oder nicht eben das Gegenteil?
- Gibt es entwicklungspsychologische Aspekte, die für eine gezielte und gesteuerte Förderung der Mehrsprachigkeit im Kindergarten sprechen?
- Sind klare sprachtheoretische Erkenntnisse nachweisbar, an welchen die Entwicklungsfortschritte der Kinder sich festmachen lassen?
Auf diese – sehr komplexen und miteinander verbundenen – Fragestellungen bietet das Buch ebenso differenzierte und weiterführende Antworten. Dabei betonen die AutorInnen sehr richtig die Probleme, die sich aus den Schwierigkeiten ergeben die gefundenen Erkenntnisse unter den momentan in den Einrichtungen gegebenen Umständen umzusetzen. Natürlich sind Personalmangel, Ausbildungsniveau der ErzieherInnen und die Einbindung der Vorschulerziehung in die Bildungspolitik der Länder und Kommunen faktische Gegebenheiten, auf die zu Recht verwiesen wird.
Dennoch ist gerade die Einbindung der Schlussfolgerungen aus der Studie dazu geeignet sowohl Personal als auch Eltern – und natürlich auch der Forschung – eine Fülle von gut aufbereitetem Material zur Verfügung zu stellen, welches zur Anregung weiterer Diskussionen sehr gut geeignet erscheint. Dabei ist keineswegs die komplette Durchdringung aller Verästelungen und der methodischen Schritte zur Gewinnung der Daten notwendig, um die Tiefendimension der Studie zu erkennen. Die Bezugnahme auf gängige Teile der Ausbildung des Personals in Kindergärten (Sozialpsychologische Modelle/ Beobachtungsbögen für Kinder mit nicht – deutscher Familiensprache, medientheoretische Erkenntnisse) ermöglicht den Leserinnen und Lesern einen guten Anschluss an den jeweiligen Stand des Interesses und des zeitlichen Aufwandes beim Lesen der Publikation.
Dabei gehen die Analysen der Studie weit über die Orientierung am Französischen hinaus – selbst wer sich nicht primär am Französischen orientieren möchte und kann, erhält eine Fülle von Anregungen und v.a. empirische Belege für eine Auseinandersetzung mit der Thematik der gezielten Förderung des Fremdsprachengebrauchs in den Kindergärten. Aus dem Buch können nicht nur Handlungsanleitungen für Personal (und den Verantwortlichen für dessen Ausbildung) abgeleitet werden, sondern weitere Anschlussforderungen für die Theorie und Praxis der Förderung von Mehrsprachigkeit im Vorschulbereich können nun begründet und wissenschaftlich belegt formuliert werden.