Gerald Hüther: Etwas mehr Hirn, bitte. Eine Einladung zur Wiederentdeckung der Freude am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 187 Seiten, EUR 20,00 - direkt bestellen durch Anklicken
Lieber Herr Hüther,
Gratulation zu diesem gelungenen Buch! Fängt man zu lesen an, dann legt man es nicht mehr aus der Hand. Es ist schon lange überfällig, dass die "Berufspädagogen" aufgerüttelt werden, über die Potentiale nachzudenken, die in der Klientel stecken, mit der sie sich tagtäglich beschäftigen. Sie sprechen von der Wiederentdeckung der Freude am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten. Oft erscheint es mir, als wäre das eigene Denken - gerade bei vielen Pädagog/innen - ziemlich abhanden gekommen. Erzieher/innen und Lehrer/innen wollen Rezepte, also Verhaltensvorgaben, die sie sofort erfolgreich umsetzen können. So erstaunt es auch nicht, dass der Verkauf pädagogischer "Rezeptbücher" boomt. Solche Rezepte sind ja auch sehr bequem und verlangen kein eigenes Nachdenken, keine (Selbst-) Reflexion, keine Kreativität, keinen Gestaltungswillen. Prozessorientierung gerät zur Anstrengung ebenso wie das Aufspüren von Ressourcen - der eigenen wie auch derjenigen der Menschen, mit denen wir pädagogisch arbeiten.
Jetzt werden Sie meine Begeisterung für Ihr Buch verstehen. Der Titel provoziert und macht neugierig. Und Ihre Einführung ist quasi ein "Appetizer", macht Hunger auf mehr Wissen zum Thema. Es gelingt Ihnen, die Leser ganz persönlich "abzuholen" und sie zu inspirieren. Wenn Sie z.B. auf Seite 41 schreiben, dass die Aneignung von neuem Wissen umso besser gelingt, je stärker der Lernprozess mit einem positiven Gefühl einhergeht, so gilt das auch für die Leser/innen dieses Buches. Man wird angesprochen, findet zur Reflexion, verändert den eigenen Blickwinkel und schon gelangt man zu neuem kreativem Denken. Immer wieder machen Sie deutlich, dass die Kenntnis über den "Bauplan" eines Lebewesens nicht automatisch dazu führt, dass man weiß, was daraus wird. Lebewesen sind keine Maschinen; sie sind Individuen, die so manche Irritation auch aus eigener Kraft regulieren können. Derartige Leistungen vollbringen unsere Kinder tagtäglich und entwickeln sich dabei immer weiter.
Ich zitiere Sie :"Nicht unter Druck, sondern im unbekümmerten freien Zusammenspiel erfindet sich das Leben immer wieder neu, bilden die sich entwickelnden Lebensformen zunehmend komplexere innere Strukturen und Interaktionsmuster aus und gehen immer engere und komplexere Wechselbeziehungen mit anderen Lebensformen ein. Vorreiter dieser Entwicklungen sind dabei nicht so sehr die Alten, bereits Erwachsenen, sondern die Jungen und Jüngsten, die noch viel offener und beziehungsfähiger sind" (S. 69). Sie ermutigen die Leser und fordern sie auf, besser zu beobachten. Ja, wir sollten Kinder und ihr Verhalten bzw. ihre Aktionsweisen besser beobachten. Die Lösungswege der Kinder sind wahrhaft andere als sich ein Erwachsener je ausdenken könnte.
In dieser Rezension will ich Ihr Buch nicht in Kurzfassung vorstellen. Vielmehr will ich an der kindlichen Entwicklung Interessierte neugierig machen - hungrig darauf, das Buch selbst zu lesen. Und da ist der Titel "Etwas mehr Hirn, bitte" eine echte Herausforderung. Potentiale müssen sich neu entfalten. Dazu brauchen wir Netzwerke. Deshalb sollten Leser/innen die Inhalte der Publikation mit anderen diskutieren und somit den Prozess der eigenen Entwicklung im Fluss halten. "All jene Menschen, die sich mit anderen zu einer Potentialentfaltungsgemeinschaft verbunden haben, müssten künftig an diesem Strahlen in ihren Augen zu erkennen sein. Dann wäre die grundlegende Transformation unseres bisherigen Zusammenlebens nicht mehr aufzuhalten" (S. 186).
Ihr Buch ist Grundsatzliteratur für Pädagog/innen in allen Bildungsbereichen, von Erzieher/innen bis zu Erwachsenenbildnern. Hoffentlich findet es viele Leser/innen! Ihnen ein herzliches Dankeschön!