Kurt Gerwig: Neues für die Welt der Kinder. Innovationen aus der Elementarpädagogik, Vol. 2. Kaufungen: AV1 Film 2011, DVD mit 14-seitigem Booklet, 49 Min., EUR 26,00 (zuzüglich Versandkosten). Nur erhältlich bei AV1 Film + Multimedia, Pfalzstraße 10, 34260 Kaufungen, Fax: 05605/70219, Email: pf@AV1.de
Diese DVD enthält drei Filme, die in keinem Zusammenhang zueinander stehen und sich an drei ganz verschiedene Zielgruppen richten: Lehrer/innen, Unternehmer/innen und Erzieher/innen.
Obwohl die DVD den Untertitel "Innovationen aus der Elementarpädagogik" trägt, nimmt der erste Film - "Eine Schule der Zukunft" - mehr als die Hälfte der Spieldauer in Anspruch (26 Min.). Hier geht es nicht um Kleinkinder, noch nicht einmal um Grundschulkinder, sondern um Schüler/innen der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, die mit der 7. Jahrgangsstufe beginnt. Die Privatschule startete 2007; erst im Schuljahr 2011/12 wird die Sekundarstufe II aufgebaut. Initiator und Träger der Gemeinschaftsschule ist eine Elterninitiative.
In dem Film werden die Besonderheiten dieser Reformschule gezeigt, z.B. die jahrgangsgemischten Klassen, die täglich stattfindenden Lernbüros zu unterschiedlichen Fächern (zwischen denen jeder Schüler frei wählen kann und in denen er eigenverantwortlich seinen Lernstoff aussucht, alleine oder in einem kleinen Team arbeitet und selbst entscheidet, wann er einen Test macht), die Logbücher (in die die Schüler am Ende einer Stunde die eigenen Arbeitsergebnisse eintragen und bewerten, die den Lehrern als Grundlage für ihre Rückmeldung dienen und die für Bilanz- und Zielgespräche mit Eltern und Kindern genutzt werden), die einmal pro Woche erfolgenden Tutorengespräche, die tägliche gemeinsame Zeit im Klassenverband (mit Gesprächen und Mittagessen), das einmal pro Woche stattfindende Projekt Verantwortung (ehrenamtliche Arbeit der Schüler in Altenheimen, Kindergärten, Grundschulen...) und die dreimal pro Woche erfolgenden fächerübergreifenden Projekte. Ferner werden die wöchentlichen Versammlungen der gesamten Schulgemeinde (bei denen jeder jeden loben kann), das Projekt Herausforderung (die Schüler unternehmen drei Wochen lang etwas gemeinsam und weitgehend selbst finanziert, z.B. eine Fahrradtour entlang der Küste) und die Fortbildung interessierter Schulleiter und Lehrer über das Konzept der Evangelischen Schule durch deren Schüler. In zwei Interviews, die sich vollständig als Bonusmaterial auf der DVD befinden, betonen die Schulleiterin Margret Rasfeld und der Hirmforscher Gerald Hüther das Besondere an dieser Schule: die Eigenverantwortung der Schüler, das individuelle Lernen, die Projektarbeit, das Lernen aus Begeisterung und Freude, der Fokus auf den Stärken der Kinder (anstatt der üblichen Defizitorientierung), die Betonung des sozialen Lernens usw. - längst bekannte pädagogische Prinzipien, die abgesehen von "Orchideen" wie z.B. den Schulen der Reformpädagogen, der Laborschule oder eben der Evangelischen Schule Berlin Zentrum noch immer nicht den Weg in die Regelschulen gefunden haben...
Im zweiten Film (15 Min.) wird die betriebliche Kinderbetreuung am Beispiel des Kinderhauses WiKi (Kassel) des Unternehmens Wintershall/Wingas vorgestellt. In kurzen Interviews mit Beschäftigten wird deutlich, dass durch die an die Arbeitszeiten angepassten Öffnungszeiten der Kita (insgesamt 10 Stunden pro Tag) und die fehlenden Schließtage (keine Ferien) die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert wird - wenn man Überstunden machen würde, könnte man seine Kinder auch später abholen. Manager zeigen auf, dass die betriebliche Kinderbetreuung auch Vorteile für das Unternehmen habe, wie z.B. bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter oder durch die Verkürzung von Elternzeiten (geringere Wiedereingliederungskosten). Da Kinderbetreuung aber nicht zu den Kernbereichen eines Unternehmens gehöre, müsse diese Dienstleistung eingekauft werden - im Fall von Wintershall/Wingas bei der Gesellschaft für Kinderbetreuung und Schule (GFKS). Deren Geschäftsführer, Alfons Scheitz, erklärt im Interview (vollständig als Bonusmaterial auf der DVD enthalten), was seine Firma leistet (tolle Eigenwerbung!) und dass betriebliche Kindertageseinrichtungen zumeist bessere Rahmenbedingungen als andere hätten - allerdings auch hohe Kosten verursachen würden (z.B. 16.000 bis 20.000 Euro pro Krippenplatz bei zehnstündiger Öffnungszeit). Ob eine lange Betreuung durch im Schichtbetrieb arbeitende Fachkräfte aber den (Bindungs-) Bedürfnissen von Babys entspricht, interessiert nicht...
Im dritten Film (8 Min.) geht es um das Arbeiten mit Tonerde im Kinderhaus Panama (Heidelberg). Hier wird eine klassische "Beschäftigung" - die allerdings etwas in Vergessenheit geraten ist - hochstilisiert zu einem täglichen Angebot mit "wunderbaren" Effekten: Beim Tonen könnten Kleinkinder ihre Gefühle und Gedanken ausdrücken (auch Krippen- und Migrantenkinder, die noch nicht [richtig] sprechen könnten) und Affekte abreagieren. Allerdings müssten die Kinder ohne Vorgaben prozessorientiert arbeiten können; Aufgaben der Fachkräfte wären das Beobachten und Kommentieren des Handelns der Kinder.
Alles in allem enttäuscht die neue DVD von Kurt Gerwig. Keiner der drei Zielgruppen kann ihr Kauf empfohlen werden, da zwei der drei Filme für die jeweiligen Adressaten irrelevant sind. Zudem bringen die beiden letzten Filme nichts Neues. Das Booklet enthält keine weiteren relevanten Informationen; den meisten Platz nehmen Fotos, Kurzvorstellungen der Interviewpartner und Werbung für andere DVDs ein.