Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige zwischen Ausbau und Bildungsauftrag

Maria-Theresia Münch, Martin R. Textor (Hrsg.): Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige zwischen Ausbau und Bildungsauftrag. Berlin: Eigenverlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 2009, 226 Seiten, EUR 18,20 - direkt bestellen durch Anklicken

 

In den letzten Jahren hat die Kindertagesbetreuung sowohl einen enormen quantitativen Ausbau als auch eine qualitative "bildungspolitische Aufladung" erfahren. Dieser Sammelband bietet eine sachorientierte, kritische Bestandaufnahme dieser Entwicklungen, ihrer rechtlichen Grundlagen und ihrer Ausgestaltung vor Ort.

In quantitativer Hinsicht betrifft dies vor allem den Ausbau verschiedener Formen der Kindertagesbetreuung, die Finanzierung und die Inanspruchnahme der Angebote. In qualitativer Hinsicht stehen Konzepte für die frühkindliche Bildung, die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte und die Ausgestaltung der örtlichen Rahmenbedingungen im Mittelpunkt.

Im ersten Teil des Sammelbandes "wird die aktuelle Situation der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) von Kindern unter drei Jahren in den Fokus gerückt. Zunächst stellt Textor dar, inwieweit Bildung und Erziehung der Kinder unter drei Jahren einer zunehmenden Politisierung und Ökonomisierung unterworfen sind. Der Ausbau der Kindertagesbetreuung wird - so Textor - durch frauen-, wirtschafts-, bildungs-, sozial- und bevölkerungspolitische Zielsetzungen und Anforderungen bestimmt, die jedoch nicht immer in die gleiche Richtung zielen, sondern zu einer nicht zu unterschätzenden Zerreißprobe zwischen Anspruch und Wirklichkeit führen, die sich unmittelbar auf die Kinder, die sie betreuenden Fachkräfte bzw. auf die Qualität und Quantität der Angebote insgesamt auswirkt.

Schilling und Fuchs-Rechlin greifen in ihrem Beitrag eine weitere grundlegende Seite der Entwicklungen im Feld der Kindertagesbetreuung auf. Sie bieten einen aktuellen, umfassenden empirischen Überblick über den quantitativen Ausbau der Angebote in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Dabei richten sie ihren Fokus nicht nur auf die Platzzahlen, sondern nehmen weitere Kenngrößen - wie Betreuungszeiten, Gruppengröße und Personalseinsatz - in den Blick. Die dargestellten Daten belegen die ungeheure Dynamik und verdeutlichen die Veränderungsprozesse, die in diesem Feld in den letzten Jahren stattgefunden haben und weiterhin stattfinden werden. Die Begleitung und Steuerung dieser Prozesse erfordern - so Schilling und Fuchs-Rechlin - ein kontinuierliches empirisches Monitoring, um rechtzeitig auf politische und fachliche Handlungsbedarfe aufmerksam machen zu können.

Die folgenden vier Aufsätze nehmen die Akteure in den Blick, die maßgeblich für die Gestaltung der Rahmenbedingungen verantwortlich sind und somit entscheidend zum Gelingen des quantitativen und qualitativen Ausbaus beitragen - der Bund, die Länder, die Kommunen und die Träger der Wohlfahrtsverbände. Wiesner zeichnet das Handeln auf Bundesebene nach, welches in einer Wechselwirkung mit den vorgenannten gesellschaftspolitischen Veränderungsprozessen steht. Dabei geht er erstens der Frage nach, wie der Bund in gesetzgeberischer Hinsicht diese Entwicklungen aufgreift und Neujustierungen vornimmt. Zweitens beleuchtet er das Zusammenwirken zwischen Bund, Ländern und Kommunen und weist auf neuralgische Punkte in dieser Konstellation hin, die sich durch die Föderalismusreform und die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise verschärfen. Drittens nimmt er die daraus resultierenden Folgen für die Umsetzung der gesetzten Ziele hinsichtlich des quantitativen und qualitativen Ausbaus in den Blick.

Zu den entscheidenden Protagonisten im Ausbau der Kindertagesbetreuung gehören die Länder. Neben ihrer Finanzierungsverantwortung sind sie für die landesgesetzliche Ausgestaltung zuständig. Sell beschreibt deshalb die Situation, wie sie sich in den Ländern darstellt, und weist anhand verschiedener Faktoren auf erhebliche Defizite hin, die unter anderem durch die Föderalismusreform und das Konnexitätsprinzip bedingt sind. Es wird, so der Autor, entscheidend darauf ankommen, ob und wieweit es die Länder schaffen, neben der notwendigen Quantität nicht die Qualität der Angebote zu vernachlässigen.

Der konkrete Ausbau der Kindertagesbetreuung findet auf kommunaler Ebene statt, es ist jedoch schwer, sich aufgrund der sehr unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort ein dezidiertes und gleichzeitig umfassendes Bild der Situation zu machen. Gleichwohl stellt Selle in seinem Beitrag relevante Entwicklungslinien, Problemfelder und Handlungsstrategien dar, die trotz der Unterschiedlichkeit im Grundsatz für alle Kommunen gelten. Neben Bund, Ländern und Kommunen sind die Träger der Wohlfahrtsverbände ein vierter Akteur im Kontext des Ausbaus. Beneke stellt in ihrem Aufsatz die Herausforderungen dar, vor denen die anerkannten freien Träger der öffentlichen Jugendhilfe ebenso stehen wie die Kommunen. Sie zeigt, welche Wege der Umsetzung die freien Träger beschreiten bzw. an welchen Stellen Lösungen noch ausstehen, sei es in finanzieller, fachlicher und/oder struktureller Hinsicht.

Der zweite Teil des Sammelbandes gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Formen der Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Textor nimmt dabei insbesondere die institutionellen Betreuungsangebote in den Blick. Der Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über die aktuell existierenden Formen von Kindertageseinrichtungen und zeigt zudem deren jeweilige Vor- und Nachteile hinsichtlich der Bedarfe von Kindern unter drei Jahren auf. Neben den institutionellen Angeboten hat die Kindertagespflege in den letzten Jahren entscheidend an Bedeutung im Kanon der Betreuungsangebote insbesondere für die Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen gewonnen. Gerszonowicz zeichnet deshalb in ihrem Aufsatz die Entwicklungslinien in diesem Bereich nach und kristallisiert Faktoren heraus, die das besondere Profil von Kindertagespflege kennzeichnen.

Schneider und Diller stellen weitere Angebotsformen für die Bildung, Betreuung und Erziehung von Kleinkindern vor, die sich weder zu den klassischen Kindertageseinrichtungen noch zur Kindertagespflege zuordnen lassen, gleichwohl aber einen wichtigen Bestandteil im Angebotskanon darstellen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie niedrigschwellig ausgerichtet sind und einen expliziten Fokus auf Familien- und Sozialraumorientierung legen. Neben den vorgenannten Angebotsformen spielt in den letzten Jahren die betriebliche Kindertagesbetreuung eine immer größere Rolle. Der Aufsatz von Främcke und Linhart greift diesen Bereich auf und zeigt, dass Familienfreundlichkeit inzwischen auch von Unternehmen als wichtiger Standortvorteil erkannt wird und dass diese daher als gestaltende und auch impulsgebende Akteure beim Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren wichtiger werden.

Der zweite Teil des Bandes schließt mit einem Thema, welches insbesondere seit dem KiföG verstärkten Einzug in die Debatte um den Ausbau der Kindertagesbetreuung gehalten und zu durchaus heftigen Kontroversen geführt hat: die privat-gewerblichen Angebote. Larrá beleuchtet mit ihrem Beitrag zunächst kurz die historische Entwicklung und beschreibt die Spezifika der privat-gewerblichen Einrichtungen, aber auch ihre Gemeinsamkeiten mit den öffentlichen und frei-gemeinnützigen Angeboten. Schließlich legt sie verschiedene Argumentationslinien dar, die die aktuelle Debatte um das Für und Wider des Ausbaus privat-gewerblicher Angebote bereichern und vorantreiben können.

Im dritten und letzten Teil wendet sich der Sammelband der entscheidenden Frage nach der Qualität der Angebote sowie der nach der Qualifizierung der Fachkräfte zu. Am Beginn dieser Auseinandersetzung steht der Blick auf das Kind, von dem her jegliche Qualitätsdebatten und -prozesse gedacht und gestaltet werden sollten. Becker-Stoll stellt zunächst aktuelle empirische Befunde aus der Kindheits- und Bindungsforschung vor. Darauf aufbauend fragt sie nach den Konsequenzen für eine den Kindern in diesem Alter und ihren Bedürfnissen entsprechende qualitative Ausgestaltung der Betreuungsangebote und nach den Anforderungen, die sich daraus für das Personal und die Rahmenbedingungen ergeben. Bostelmann geht der Frage nach, ob es in Deutschland überhaupt eine Pädagogik für Kinder unter drei Jahren gibt, und macht deutlich, wie entscheidend die Existenz einer solchen für das Misslingen oder Gelingen eines dem Anspruch nach qualitätsorientierten Ausbaus ist. Sie arbeitet im Rückgriff auf die DDR-Pädagogik, aber auch in Angrenzung zu ihr, Eckpunkte für ein heute anwendbares Konzept der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung heraus.

Neben diesen basalen Voraussetzungen - nämlich der Blick auf das Kind bzw. vom Kind aus und dem konzeptionellen Grundgerüst einer frühkindlichen Pädagogik - gibt es wesentliche, allgemeingültige und anerkannte Dimensionen von Qualität, die Braun in seinem Artikel darstellt und erläutert. Diese Bausteine müssen - so Braun - immer in ihrer Wechselwirkung betrachtet und in einem fortlaufenden Qualitätssicherungsprozess weiterentwickelt werden. Dies erfordert jedoch eine grundlegende Verständigung über eben diese Dimensionen und Kriterien von Qualität und die Sicherstellung adäquater Rahmenbedingungen, sonst führen jegliche Qualitätsbemühungen letztlich ins Leere.

Die Frage nach der Qualität hängt darüber hinaus entscheidend von der Qualifikation der Fachkräfte im FBBE-Bereich ab. Der Beitrag von Franke thematisiert deshalb die aktuelle Situation und gegenwärtigen Entwicklungen im Feld der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erzieher/innen. Hierbei geht sie nicht nur auf die Versäumnisse der letzten Jahre ein, sondern gibt auch einen Überblick über die höchst diffuse Qualifizierungslandschaft und arbeitet Handlungsbedarfe für eine zeitgemäße Qualifizierung und Personalentwicklung heraus. Der dritte Teil schließt mit einem Bereich, welcher als Instrument der Qualitätsentwicklung und -sicherung seit Jahrzehnten im Feld der Kindertagesbetreuung etabliert ist, gleichwohl in der aktuellen Auseinandersetzung kaum oder gar nicht thematisiert wird: die Fachberatung. Münch unternimmt deshalb in ihrem Aufsatz eine systematische Auseinandersetzung mit dem Feld der Fachberatung und zeigt Handlungsbedarfe für dessen Ausgestaltung und Weiterentwicklung auf" (aus der Einleitung des Sammelbandes).

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