Aus: Pädagogik Unterricht 4/2004
Norbert Kühne
Frau Fischer-Bremen ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der KinderHut GmbH, gegr. 1995, von Beruf Dipl.Soz.Arb. mit Zusatzausbildungen in Mediation, Klientenzentrierter Gesprächsführung und Betriebswirtschaft, verheiratet und Mutter von zwei Kindern (Jg. 1974 + Jg. 1990).
Norbert Kühne: Frau Fischer-Bremen, Sie arbeiten in einer Firma, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Kinder im Vorschulalter zu erziehen. Das mag in den Ohren vieler Menschen merkwürdig klingen. Die Firma heißt Kinderhut! Was macht sie denn genau und wie hebt sie sich ab vom gängigen öffentlichen und kirchlichen Vorschulsystem?
Rena Fischer-Bremen: Zunächst einmal ist KinderHut ein privatwirtschaftliches Dienstleistungs-Unternehmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie und keine Aktivität im staatlichen oder kirchlichen Auftrag. Unsere Dienstleistungen greifen die Bedarfe berufstätiger Eltern und die Familienbedürfnisse der heutigen Zeit auf: Das ist vor allem die pädagogische Betreuung der Kinder unter drei Jahren und die der Grundsschulkinder.
Am Anfang unserer Leistungsprozesse steht immer die Beratung der Familie - und zwar über alle Fragen, die sich mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und den unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen der einzelnen Familienmitglieder ergeben.
Der Name KinderHut kommt vom mittelhochdeutschen "huote" - und bedeutet für uns: den Kindern einen beschützten Entwicklungsrahmen zu geben. Das ist unser selbst gestellter Auftrag, auch unsere Firmenphilosophie. Am Anfang stehen dabei der Auftrag einer Firma und - im Mittelpunkt unserer Dienstleistungskette - immer die Familien und ihre Kinder.
Wie heben wir uns ab? Zunächst - wir hören genau hin: Wie ist die Familiensituation? Was ist notwendig, damit Familie ihren Alltag in Beruf und Familie gut organisieren kann und zugleich ihren Erziehungsauftrag gut erfüllen kann? Welche Hilfen müssen wir zur Seite stellen: Informationen, Rat, Hilfen zur Überbrückung von Betreuungs-Engpässen, damit Eltern allen ihren Anforderungen tatsächlich genügen und ihr Leben mit Kindern möglichst positiv gestalten können?
Gerade aber was die frühkindliche Erziehung angeht, sind die Eltern heute sehr verunsichert: Sie finden meist gar kein öffentliches Angebot für diese Entwicklungsphase und häufig auch keine guten Beispiele dafür, dass Kinder sich positiv entwickeln, wenn sie früh gefördert und fremdbetreut werden.
Norbert Kühne: Wenn eine große Firma interessiert ist, ihren Mitarbeitern eine Kita anzubieten, und sie stößt auf die Adresse von "KinderHut", was haben Sie der Firma zu bieten?
Rena Fischer-Bremen: Wir bieten zunächst - wie bei jedem Elternpaar oder den Alleinerziehenden - den Firmen Beratung an und analysieren den Bedarf. Wir klären die Fragen: Was will das Unternehmen erreichen mit seiner Unterstützung zur Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Elternschaft?
Dann entwickeln wir auf dieser Basis unser Angebot für den Kunden. Wir bieten ein Leistungsspektrum, das von der professionellen Beratung der Eltern über die individuelle Vermittlung von Betreuungskräften bis zur Einrichtung einer betrieblichen Betreuungseinrichtung reicht.
Norbert Kühne: Welche Rolle spielen Firma und Eltern der Kinder im Betriebskindergarten, den Sie im Auge haben?
Rena Fischer-Bremen: Das einzelne Unternehmen als Auftraggeber hält sich im tagtäglichen Ablauf und in der pädagogischen Arbeit im Hintergrund. Unsere Auftraggeber wissen, dass sie unserer Professionalität und Erfahrung vertrauen können. Die Firmen profitieren von dem "Nebeneffekt", der für sie zum Haupteffekt wird: Die Präsenz der Eltern im Unternehmen, die ihre Kinder bei uns in guten Händen und besonders gefördert wissen.
Norbert Kühne: In Süddeutschland soll es mehr Firmen geben, die sich einen Betriebskindergarten leisten. Einem Bericht zu diesem Thema habe ich entnommen, dass sowohl die Eltern als auch die Firma von dieser Erziehungsinstitution profitieren. Die Atmosphäre dieser Betriebe soll sehr angenehm sein. Machen Sie ähnliche Erfahrungen?
Rena Fischer-Bremen: Ja! Die Eltern sind zufrieden, ja mitunter regelrecht glücklich mit ihrem Arbeitgeber. Das strahlt übrigens auch auf die Mitarbeiter aus, die noch keine Kinder haben. Unsere Erfahrung ist, dass über Projekte zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Unternehmen sehr positiv gesprochen wird und dass sie die Quelle eines guten Betriebsklimas sind und die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen außerordentlich steigern.
Norbert Kühne: Eine Kindergartenleiterin könnte man fragen: Welches pädagogische Konzept haben Sie? Kann man Sie das auch fragen?
Rena Fischer-Bremen: Warum sollten Sie das nicht fragen können? Höre ich da Vorurteile gegen privatwirtschaftliche Dienstleistungsunternehmen? Zunächst: Unser pädagogisches Konzept ist eingebettet in unsere Orientierung als Dienstleistungs-Unternehmen; es ist Bestandteil unserer Gesamtleistungen für unsere Firmenkunden und die Eltern. Für uns als KinderHut ist es vor allem wichtig, den Kindern Lebens- und Lernorte anzubieten. Für Kleinkinder bedeutet das zum Beispiel, ihnen Sicherheit zu geben und ihnen einen eigenen und geschützten Raum in der Betreuungseinrichtung vorzuhalten. Dabei ist für KinderHut-Einrichtungen das räumliche Setting, die räumliche Ausgestaltung der unmittelbaren Umwelt, in der sich die Kinder bewegen, ein zentraler Punkt.
Unser pädagogisches Konzept umfasst eine individuelle und sehr persönliche Unterstützung und Förderung der Kinder in der sozialen Gruppe. Dabei heißt fördern und unterstützen für uns, dass wir den Kindern vielfältige soziale, musische und kreative Erfahrungen anbieten, Erfahrungen im Lebensumfeld Stadt, in der Natur. Wir unterstützen sie als Individuen, die Welt auszuprobieren, und unterstützen ihre organische Neugier und das Erforschen der Welt. Ein bisschen trifft auf unser Konzept der Satz von Ernst von Foerster zu, nach dem es bei organischen und ökologischen Systemen darauf ankommt, die Anzahl ihrer Wahlmöglichkeiten zu erhöhen. Das lässt sich auf die kleinen Menschen, für die wir uns engagieren, sehr gut übertragen.
Übrigens ist das, was wir in unserer Arbeit und aus Erfahrung als pädagogisches Konzept entwickelt haben, zugleich ein Stück unseres wirtschaftlichen Erfolges und das Know-How des Unternehmens KinderHut.
Norbert Kühne: Welche Rolle spielen in Ihren Überlegungen und Strukturen die Frage nach der Orientierung an wissenschaftlichen Standards? Für Kindergärten in den USA z.B., die mit dem Headstart-Programm zusammenarbeiten, ist das eine zentrale Frage. Anders ausgedrückt: Kontrollieren Sie Ihre Erziehung auf wissenschaftlichem Hintergrund und an heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen?
Rena Fischer-Bremen: Bisher beklagen wir in Deutschland das Fehlen jeglicher Standards für den Bereich der Betreuung und Erziehung von Kindern unter drei Jahren. Die Diskussion steht leider in unserem Land noch ganz am Anfang. Dennoch finden sich in unserem Konzept Elemente des Headstart-Programmes wieder - wie z.B. der Einbezug und intensive Austausch mit den Eltern über die Entwicklungsschritte und gegebenenfalls über Defizite. Ich bin sicher, dass in vielen - gerade auch in privaten - Einrichtungen ähnlich gearbeitet wird - schon deshalb, weil Eltern heute das so wollen. Im öffentlichen Angebot müssen aber riesige Hürden überwunden werden, bis das gesamte System eine Veränderung erfährt.
Eine wissenschaftliche Begleitung oder Evaluation unserer Arbeit findet bisher im Rahmen von Projektarbeiten statt. Nach zehn Jahren Erfahrungen in diesem Feld könnte die systematische Evaluation der nächste Schritt sein.
Norbert Kühne: Sie waren nicht immer Mitarbeiterin bei "Kinderhut". Sie haben bestimmt viele Erfahrungen mit der deutschen Kindergartenlandschaft gemacht. Was kritisieren Sie am landläufigen deutschen Kindergarten bzw. an der Vorschulerziehung in Deutschland?
Rena Fischer-Bremen: Einfach ausgedrückt: Das "Beschäftigtwerden" als Kindergarten-Eltern anstelle des "Beteiligtseins". Auch an dieser Stelle spielt der Dienstleistungsgedanke, der unseren Angeboten zugrunde liegt, eine wichtige Rolle: In unserer Arbeit stehen die Wünsche und Vorstellungen der Eltern im Mittelpunkt - und wir diskutieren unser Konzept unter dem Vorzeichen: "Können wir etwas Positives mit den Eltern erreichen und damit die Familie unterstützten?"
Norbert Kühne: Dann haben Sie natürlich auch Vorstellungen über eine alternative Ausbildung zur Erzieherin?
Rena Fischer-Bremen: Es muß sehr viel passieren in der Ausbildung von Menschen, die Kinder auf das Leben vorbereiten - von Anfang an. Dazu gehört für mich wesentlich die Persönlichkeitsbildung neben einer fundierten Fachhochschulausbildung für Erzieher.
Es reicht keineswegs aus, mit Kindern zu basteln und Lieder zu singen. Es braucht - gerade in den heutigen Lebensverhältnissen - eine umfassende eigene Orientierung der Erzieherinnen und Erzieher über Bildungsinhalte und deren altersgerechte Vermittlung. Es ist außerdem notwendig, dass die Erzieherinnen sich einfühlen in den Lebenszusammenhang von Eltern und Kind: Wie sieht der Tagesablauf des einzelnen Kindes aus - in der Einrichtung und mit den Eltern. Wie müssen - auch im pädagogischen Sinne - die Übergänge zwischen Betreuungseinrichtung und Elternhaus gestaltet werden? Das sind die Leitfragen für die Arbeit mit den Kindern unter 3 Jahren. Wie kann die Entwicklung beobachtet werden und auf welche Weise wird die Entwicklung des einzelnen Kindes mit den Eltern kommuniziert? Hierbei ist uns ein hohes Maß an Stabilität in den Beziehungen zu Erwachsenen und zu den Kindern in der Gruppe wichtig.
Norbert Kühne: Könnte man sagen, dass die Firma "Kinderhut" auch pädagogische Visionen hat? Welche wären das?
Rena Fischer-Bremen: In einigen europäischen Ländern wird die Entwicklungsphase zwischen null und drei Jahren als die erste Phase des Bildungswesens anerkannt. Andere Länder leiten diese Phase erst mit dem vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes ein. So auch Deutschland. In den meisten europäischen Ländern sind Kinder im Kindergartenalter dem Bildungsressort zugeordnet, während unter Dreijährige dem Sozialressort unterliegen.
Wir sind der Meinung, dass alle Gruppenangebote für Kinder von 0 - 6 Jahren, ob öffentlich oder privat, abgestimmte Werte und Ziele haben sollten, zu denen eine ausformulierte Bildungsphilosophie gehört. Und wir sind der Meinung, dass die Qualität in diesem Bereich durch den Wettbewerb zwischen den Angeboten gefördert werden sollte. Dabei wünschen wir uns, dass insbesondere unsere privatwirtschaftlichen Angebote die gleichen Möglichkeiten in einem Versorgungssystem erhalten wie staatliche oder geförderte Angebote von Freien Trägern.
Diese Bildungsphilosophie sollte in Zusammenarbeit mit Eltern, Betreuungspersonen, Dienstleistern und anderen interessierten Gruppen entwickelt werden. Zu dieser Bildungsphilosophie sollten gehören:
- die kindliche Autonomie und ein Identitätskonzept,
- die zentrale Bedeutung sozialer Beziehungen,
- Neugier und Begeisterung für das Lernen wecken,
- sprachliche Fähigkeit fördern,
- an naturwissenschaftliche, technische und umweltbezogene Sachverhalte heranführen,
- musikalischer Ausdruck und ästhetische Fähigkeiten, z.B. durch Theater, Puppenspiel, Pantomime,
- Bewegungserziehung und Gesundheitserziehung, Nahrungsmittelkunde und Ernährung.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Erziehung das Lernumfeld in der Familie des Kindes, sein Zuhause, seine Sprache, das kulturelle Erbe, seinen Glauben, seine Religion und sein Geschlecht widerspiegeln und wertschätzen sollte.
Dazu lohnt sich die Auseinandersetzung mit den Zielen des Kinderbetreuungsnetzwerks der EU.
Norbert Kühne: Ganz herzlichen Dank für Ihre Informationen und viel Erfolg!
Anmerkung
KinderHut® GmbH betreibt zwei Betreuungseinrichtungen für Kinder unter 3 Jahren in Essen und in Düsseldorf. Die Einrichtung in Essen dient als Pool-Modell für Firmen; Kunden sind hier z.B. die RAG Aktiengesellschaft, die Sutter Verlagsgruppe, die ERGO GmbH, E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG. u.w.m. Die Einrichtung in Düsseldorf ist ein Betriebskindergarten für die E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG.
In beiden Einrichtungen bietet KinderHut® Betreuung in kleinen Gruppen von 6-8 Kindern sowie ad-hoc Notfallbetreuung für Kinder im Alter von 6 Monaten bis zum 12. Lebensjahr. Die Öffnungszeiten zwischen 7 Uhr morgens und 19 Uhr abends können - je nach Bedarf - auch erweitert oder auf Wochenend-Angebote ausgedehnt werden.