Norbert Kühne
"Bei uns wurde nach knapp drei Jahren Erziehungsurlaub das Geld knapp. Deswegen entschloss ich mich, wieder arbeiten zu gehen", erzählt die 33-jährige Christine auf der Website frauencoaching.de. "Aber nicht nur wegen des Geldes, sondern weil ich das langsam schleichende Gefühl bekam, als 'Nur'-Hausfrau und Mutter total abzustumpfen" (SZ vom 29.9.2001).
Betriebskindergarten? Das klingt nach sozialistischem Überbleibsel. Nur halb, bitteschön. Man las zwar in "FÜR DICH, 24/90, 28. Jahrgang, Unabhängige Frauenzeitschrift":
"Spät genug war es den Betriebsvertretern eingefallen, die Eltern von 100 Kindern sowie die zwölf Mitarbeiterinnen des Kindergartens in der Eilenburger Straße zu dieser Runde einzuladen. Bereits seit Februar schwirrten die Gerüchte, dass der Betrieb das längst schon lästig gewordene soziale Anhängsel loswerden will. Am 19.3. dann das definitive Schreiben des Betriebsdirektors an den Stadtbezirksbürgermeister von Leipzig Süd-Ost: Wenn die Kommune den Kindergarten nicht bis zum 30.6.1990 übernimmt, wird er geschlossen. Die Erzieherinnen und Eltern erfuhren nur durch Zufall davon. "Es kann doch nicht sein, dass wir uns so einfach wegnehmen lassen, worum man uns im Westen Deutschlands beneidet!"
Aber man liest auch am 24.08. 2004 auf der Homepage ihres Ministeriums:
"Renate Schmidt besuchte Betriebskindergarten 'Weltenbaum'
Bundesfamilienministerin Renate Schmidt war am 26. August 2004 Gast bei der KOMSA AG in Hartmannsdorf bei Chemnitz. Die KOMSA AG hat die Chancen von familienfreundlichen Maßnahmen erkannt und setzt sich seit Jahren für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie im eigenen Haus ein. Der Vertriebs-, Marketing- und Servicedienstleister für Telekommunikation und Informationstechnologie unterstützt flexible Arbeitszeitmodelle und fördert die Kindertagesstätte 'Weltenbaum'. Das Kinderhaus wurde 2003 auf Initiative von KOMSA-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ins Leben gerufen und bietet Platz für 30 Kinder..."
Das Thema läuft uns in der Regel nicht über den Weg. Es wird schon gar nicht öffentlich diskutiert, höchstens in den Kommunen und Betrieben, die betroffen sind. Warum könnte die Ministerin nicht den Betriebskinderkarten des "Florian-Geyer-Berufskollegs" in X-Stadt besuchen? Nein, kann sie nicht: es gibt ihn nicht! Stünde es einer berufsbildenden Schule mit Erzieherinnen-Ausbildung, wenn wir uns diese altertümliche Ausbildung in Deutschland schon leisten, nicht an, einen Betriebskinderkarten ihr eigen zu nennen, in dem u.a. die Lehrer/innen, vielleicht auch Schüler/innen, ihre Kinder während der Arbeits- und Studienzeit unterbrächten? Unvorstellbar? Nein, es stellt sich eben keiner vor; das ist unser Fehler. Es will sich keiner vorstellen, weil alles so gut eingeteilt ist in kirchlich-katholisch, kirchlich-evangelisch und kommunal, sieht man von ein paar klitzekleinen Trägern wie AWO und DRK ab.
Eine Schule, kann man sich vorstellen, könnte überdies ihre Erzieherinnen-Ausbildung wunderbar koordinieren mit einer betriebseigenen Kita, einer reformorientierten Einrichtung, die im wahrsten Sinne des Wortes "Schule macht" - na als Vorzeige-Kita!
Warum hat z. B. das Alfried-Kruppe-Krankenhaus einen Betriebskindergarten, der für sich wirbt (Internet, Sept. 2004) - und nicht das Berufskolleg um die Ecke?
"Insgesamt können wir 100 Betreuungsplätze anbieten. Diese teilen sich wie folgt auf:
- 4 kleine altersgemischte Gruppen im Alter von sechs Monaten bis sechs Jahren,
- 2 Hortgruppen für Schulkinder im Alter von sechs bis 14 Jahren.
Die Kindertagesstätte verfügt über gut ausgestattete Räumlichkeiten. Direkt daneben ist ein großer Waldspielplatz".
Auch das Klinikum Nürnberg bietet seinen Mitarbeitern diese Einrichtung. Es soll ja heute so sein, dass Großeltern keine Lust mehr haben, den Nachwuchs ihrer Kinder zu hüten. Da liegt es nahe, dass ein Betrieb in die Zukunft denkt: Mitarbeiter sind zufriedener, wenn sie wissen, dass ihre Kinder auch während ihrer Überstunden, der Dienstreise und während des Kurzurlaubs in Lissabon gut versorgt sind.
Traumtänzerei? Aus den USA kommt der Trend der Rundumversorgung. Natürlich, woher auch sonst. Der Betrieb holt die Kinder ab, versorgt die Kleinen, wenn sie zum Kindergeburtstag müssen oder zur Musikstunde - und erledigt nebenher die Einkäufe der Familie, da die lieben Eltern viel für den Betrieb arbeiten.
Oder: Externe Berater vermitteln befristete Kinderbetreuung während der Dienstreise, suchen Tagesmütter und informieren über Betreuungsmöglichkeiten für die pflegebedürftigen Eltern der Mitarbeiter. "Als Angebot ist das hervorragend und eine große Unterstützung", urteilt Dorothea Jansen von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft in Berlin (EAF).
Zum Beispiel DuPont: Der Chemie- und Pharmariese hat schon vor Jahren in manchen seiner Niederlassungen Work-Life-Maßnahmen eingeführt und leistet sich zwei eigene Koordinatorinnen. Die sind nun "Ansprechpartnerinnen, wenn's irgendwo klemmt, und beraten die lokalen Personalabteilungen zu Work-Life-Fragen" (Sylvia Englert).
Es gibt sehr viele Gründe für die Einrichtung von Betriebskindergärten. Beim "Florian-Geyer-Berufskolleg" mag es etwas anders aussehen als bei DuPont. Aber nur etwas! Der Betrieb profitiert von seiner Kita, das weiß man inzwischen. Genauer: Die Produktivität des Betriebs. Beim "Florian-Geyer-Berufskolleg" könnte es die Kreativität bei der Entwicklung pädagogischer Innovation sein - bei DuPont eben etwas Anderes. Das ist vergleichbar. Doch es tut sich wenig in Deutschland, trotz der sehr guten Gründe!
Wie dringend der Handlungsbedarf ist, hat Familienministerin Schmidt offenbar erkannt. Gleich einer Handlungsreisenden tourt sie seit Monaten durch die Lande. Ihre Botschaft: Familienfreundliche Firmenpolitik bringt Gewinn. Vorgerechnet hat ihr das Prognos: Demnach liegt das Einsparpotenzial für ein Musterunternehmen mit 1.500 Mitarbeitern bei mehreren 100.000 Euro und die Rendite von Investitionen in familienfreundliche Personalmaßnahmen bei 25 Prozent. Wenn Unternehmen jungen Müttern etwa so flexible Arbeitszeiten bieten, dass sie wenige Wochen nach der Geburt wieder arbeiten können, sparen die Firmen Einarbeitungskosten für Vertretungen. Wenn sie Eltern beim Ausfall ihres Babysitters mit Notfallbetreuern unterstützen, senken sie Fehlzeiten (DIE ZEIT 09.09.2004 Nr. 38).
Na, wenn die Damen und Herren Kulturbürokraten schon die "selbständige Schule" einrichten, warum können sie nicht den integrierten Betriebskindergarten akzeptieren? Es passt nicht in ihren Horizont? Das eben ist das Problem! Die Erzieherinnen-Ausbildung gekoppelt mit der Entwicklung von Innovation? Was ist eigentlich Innovation?