Aus: Soziale Arbeit 1991, Heft 11, S. 358-365 (überarbeitete und gekürzte Fassung)
Martin R. Textor
Im Jahr 2019 waren laut Statistischem Bundesamt (2020) von insgesamt 11,6 Millionen Familien 2,6 Millionen (22,6%) Teilfamilien. Allerdings handelt es sich hier nicht um eine deutlich abgrenzbare Familienform - vielmehr sind große Unterschiede zwischen einzelnen Formen von Einelternfamilien festzustellen. Zum einen lässt sich zwischen Teilfamilien mit minderjährigen Kindern differenzieren, die von ihren Müttern versorgt werden, und solchen mit einem alleinstehenden Vater. Zum anderen lassen sich verschiedene Formen nach der Art des Zustandekommens unterscheiden: Alleinstehende Eltern waren entweder nie verheiratet, leben von ihrem Ehegatten getrennt bzw. sind von ihm geschieden oder sind verwitwet. Auch macht es einen Unterschied, ob in Teilfamilien ein Kind, zwei Kinder oder drei und mehr Kinder unter 18 Jahren zu versorgen sind.
Ferner muss man zwischen Teilfamilien differenzieren, die auf Dauer bestehen, und solchen, die nach mehr oder minder kurzer Zeit in eine Zweitfamilie überführt werden. Generell ist festzustellen, dass geschiedene oder verwitwete Väter häufiger und schneller wieder heiraten als alleinstehende Mütter. Außerdem nimmt generell die Tendenz zur Wiederheirat ab (Swientek 1984).
Wirtschaftliche Situation
Teilfamilien unterscheiden sich sehr hinsichtlich ihrer Einkommenssituation: (1) Sie sind deutlich schlechter gestellt als vollständige Familien. (2) Einelternfamilien unterscheiden sich stark hinsichtlich des Einkommens. (3) Alleinstehende Väter verfügen in der Regel über ein höheres Einkommen als alleinstehende Mütter. (4) Verwitwete sind zumeist materiell etwas besser gestellt als geschiedene oder ledige Alleinerziehende. Selbstverständlich ist die Einkommenssituation gewöhnlich schlechter, wenn der Elternteil keine Berufsausbildung hat (besonders häufig bei alleinstehenden Müttern), nach einer längeren Zeit der Berufsunterbrechung in die Arbeitswelt zurückkehrt (dies betrifft vor allein getrenntlebende, geschiedene oder verwitwete Mütter), keine Stelle findet, wegen der Betreuung von Kleinkindern nicht erwerbstätig sein kann oder besonders viele Kinder zu versorgen hat.
So beziehen sehr viele alleinstehende Mütter und Väter Sozialhilfe. Manche machen aber von ihren Ansprüchen keinen Gebrauch: "Behördenscheu und Angst vor Diskriminierung - in einigen Fällen auch mangelnde Information - halten viele alleinstehende Eltern davon ab, zusätzlich Sozialhilfeleistungen in Anspruch zu nehmen" (Napp-Peters 1985, S. 70). Wer das Sozialamt aufsucht, beklagt oft die langen Wartezeiten, den rüden Umgangston und die abwertende Behandlung durch die Sachbearbeiter (a.a.O.).
Bei vielen Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren spielten Unterhaltszahlungen des getrenntlebenden bzw. geschiedenen Ehegatten oder von Angehörigen die entscheidende Rolle (Neubauer 1988). Oft treten Probleme durch verspätete oder unvollständige Zahlungen auf. Rund die Hälfte der Väter entzieht sich auch der Verpflichtung, (Kindes-) Unterhalt zu zahlen: "Diese schlechte Zahlungsmoral wird durch die steuerliche Benachteiligung unterhaltsverpflichteter Väter, die fast wie Ledige ohne Kinder behandelt werden, nicht gerade verbessert sowie durch mangelnden Nachdruck der Mütter wie der Behörden bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen zu oft hingenommen" (Permien 1988, S. 91).
Es ist offensichtlich, dass die schlechte Einkommenssituation vieler Teilfamilien zu Einschränkungen bei Ernährung, Kleidung, Freizeitaktivitäten und Urlaubsplanung führt. Geplante Anschaffungen müssen zurückgestellt und Ersparnisse aufgebraucht werden. Oft kommt es zu finanziellen Engpässen am Monatsende oder zur Aufnahme von Schulden. Alleinstehende Elternteile haben nur selten Wohnungseigentum. Häufig wohnen sie sehr beengt in schlecht ausgestatteten Wohnungen. Die Mietbelastung ist hoch, negative Erfahrungen mit Vermietern sind häufig. Nicht überraschend ist das Forschungsergebnis vorn Simenauer und Carroll (1982), dass die Einkommenssituation bei alleinstehenden Müttern direkte Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden und Gefühl der Zufriedenheit zeitigt. So waren Frauen bei einem sehr niedrigen Einkommen beispielsweise häufiger depressiv.
Leben als alleinstehender Elternteil
Die Lebenssituation alleinstehender Elternteile ist stark dadurch geprägt, ob sie (ganztags) erwerbstätig sind oder nicht. Vor allem Mütter stehen nach der Trennung bzw. Scheidung oder nach dem Tod ihres Ehegatten vor den Alternativen, "trotz begrenzter Stellenangebote, schlechter Verdienstmöglichkeiten und des zusätzlichen Problems der Suche nach Kinderbetreuung arbeiten zu gehen oder daheim zu bleiben, von staatlichen Leistungen abhängig zu werden und den niedrigen Lebensstandard zu akzeptieren, der damit unweigerlich verbunden ist" (Ferri 1984, S. 34). Entscheiden sie sich für letzteres, merken sie bald, dass sie weniger finanzielle, soziale und persönliche Freiräume haben als erwerbstätige Alleinerziehende. So leiden sie häufiger unter wirtschaftlicher Not, Einsamkeit und Mangel an Selbstbewusstsein, aber auch unter sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung - vor allem, wenn sie von Sozialhilfe leben. Letzteres gilt besonders für Hausmänner. Dementsprechend sind nichterwerbstätige Alleinerziehende mit ihrer Situation weniger zufrieden als berufstätige und sehen mehr Nachteile (Permien 1988).
Alleinstehende Mütter üben zumeist untergeordnete und wenig attraktive Tätigkeiten aus. Meist müssen sie ganztags erwerbstätig sein, da Teilzeitarbeit - die sie vorziehen würden - zu schlecht bezahlt ist. Dies gilt weniger für alleinstehende Väter. Sie fühlen sich aber oft in ihren Aufstiegschancen benachteiligt, weil sie wegen der Kinder Überstunden ablehnen müssen, weniger mobil sind und nicht an Fortbildungskursen u.Ä. teilnehmen können.
Alle erwerbstätigen Alleinerziehenden sehen sich aber mit dem Problem konfrontiert, wie die Versorgung ihrer Kinder während ihrer berufsbedingten Abwesenheit sichergestellt werden kann: "Da es kaum Einrichtungen zur Betreuung von Kindern unter 3 Jahren gibt, da die Öffnungszeiten der Kindergärten sich nicht mit einer Ganztagsbeschäftigung in Einklang bringen lassen und weder das Angebot an Ganztagsschulen noch an Horten ausreichend ist, liegt hier ein besonderes Problemfeld: Alleinerziehende sind aus ökonomischen Gründen gezwungen, neben der Haushaltsführung und der Erziehung der Kinder auch das Familieneinkommen sicherzustellen, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind jedoch absolut unzureichend" (Sozialdienst Katholischer Frauen - Zentrale e. V. 1988, S. 5).
Besonders große Probleme (auch mit dem Arbeitgeber) entstehen, wenn die Kinder oder der Elternteil selbst erkranken, oder dadurch, dass Schulferien sehr viel länger als die Urlaubsansprüche Berufstätiger sind. Selbst wenn Kinder Alleinerziehender bevorzugt in Krippen, Kindergärten und Horten aufgenommen werden, bleiben oft Betreuungslücken. So sind alleinstehende Eltern auf die Hilfe von Verwandten, Freunden, Babysittern usw. angewiesen - wobei die Väter aufgrund ihrer besseren Einkommenssituation eher Tagesmütter oder andere, mit ihnen nicht verwandte Betreuungspersonen einschalten. Schulkinder bleiben oft unbeaufsichtigt zu Hause.
Berufstätige Alleinerziehende wenden in der Regel weniger Zeit für die Hausarbeit auf als verheiratete erwerbstätige Mütter. Auch gönnen sie sich mehr Freizeit (Krüsselberg, Auge und Hilzenbecher 1986). Napp-Peters Studie (1985) ergab, dass auch alleinstehende Väter in der Regel den Haushalt im Griff hatten. Sie nutzten häufiger soziale Stützsysteme zu ihrer Entlastung, wobei sie die gewonnene Zeit entweder für den Beruf oder für ihre Kinder verwendeten.
So ist die Belastung alleinstehender Eltern durch Beruf, Haushalt und Kindererziehung in der Regel nicht größer als diejenige erwerbstätiger verheirateter Mütter (Swientek 1984). Jedoch können erstere ihre Situation subjektiv negativer erleben: Sie fühlen sich manchmal überfordert. weil sie alle Entscheidungen allein fällen müssen oder sich manchen Anforderungen nicht gewachsen fühlen (z.B. bei Aufgaben, die früher vom Ehepartner erfüllt wurden oder die nicht mit ihren Rollenleitbildern übereinstimmen). Andere setzen sich die "Normalfamilie" als Maßstab und erleben somit ihre Situation als defizitär. Negative Gefühle können auch aus der Erfahrung der Benachteiligung, Diskriminierung und Stigmatisierung resultieren - oder aus den Umständen des Partnerverlustes: So trauern manche alleinstehende Eltern noch um ihren verstorbenen Ehegatten oder die gescheiterte Ehe. "Der Trennungsschmerz treibt die Erwachsenen gelegentlich bis in psychosomatische Störungen und Depressionen oder zu Alkohol und Tabletten. Gleichzeitig aber sind sie mit dem Leiden ihrer Kinder ... konfrontiert, das sich in Trauer, Angst und Depression, Schul- und Verhaltensproblemen sowie psychosomatischen Störungen äußern kann. Verständlicherweise ruft dieses Leiden der Kinder bei den Eltern oft Schuldgefühle und Erziehungsunsicherheiten hervor" (Permien 1988, S. 93). Auch die Beziehung zum getrenntlebenden oder geschiedenen Partner kann als belastend erlebt werden. Vor allem dessen Wiederheirat kann zum plötzlichen Hervorbrechen von Depressionen, Wut und Angst führen.
Von großer Bedeutung für das Wohlbefinden alleinstehender Eltern ist ihr Verhalten hinsichtlich der Partnersuche. Manche genießen das Leben als Single, ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Sie gehen nur lockere sexuelle Beziehungen ein - oder überhaupt keine: Dann finden sie Befriedigung im Zusammensein mit Freunden und Bekannten, in Vereinen und Clubs, bei verschiedenen Freizeitaktivitäten. Andere Alleinerziehende bleiben jedoch allein, weil sie Angst vor neuen Beziehungen haben oder noch um die alte trauern. "Auf unbewältigte Partnerschaftserfahrungen deuten Bindungsängste hin, aber auch das andere Extrem: die überstarke Ausrichtung auf eine neue Partnerschaft" (Schäfer 1985, S. 118).
Frauen sehen oft wenig Möglichkeiten, geeignete Partner zu finden: Sie wollen aufgrund negativer Umweltreaktionen abends nicht allein ausgehen und erleben es auch im Urlaub als schwierig, Kontakte zu knüpfen. Wenn Alleinstehende lange verheiratet waren oder bereits älter sind, fällt es ihnen oft schwer, das Flirten erneut zu lernen und sich dabei wohl zu fühlen. Ferner werden häufig die Kinder als Hindernis erlebt - insbesondere wenn sie noch klein sind und abends nicht alleingelassen werden können. Nur selten wird aber berichtet, dass ihre Existenz potentielle Partner abschreckt (Simenauer und Carroll 1982). Viel häufiger ist, dass dies ohne Bedeutung ist. Bei intensiveren Beziehungen kann es aber oft Probleme geben. So reagieren manche Kinder mit offener Ablehnung, mit Aggressivität oder mit dem Versuch, den neuen Partner zu einem Ersatzelternteil zu machen. Erleben Alleinstehende Schwierigkeiten bei der Partnersuche, so fühlen sie sich oft einsam, unzufrieden und sexuell unbefriedigt.
Für das Wohlbefinden alleinstehender Elternteile ist ferner von Bedeutung, ob sie Unterstützung und soziale Kontakte in ihrem Netzwerk finden. Viele haben ein intensiveres und befriedigenderes Sozialleben als während der Ehe. Andere fühlen sich jedoch isoliert oder müssen die Unterstützung Verwandter (bei der Kinderbetreuung, durch finanzielle Zuwendungen) mit Dienstleistungen abgelten (Napp-Peters 1985). Manche werden auch wieder von ihren Eltern abhängig, lassen diese die Führung der Teilfamilie und die Kindererziehung übernehmen, fühlen sich inkompetent und unsicher, verwickeln sich in symbiotische Beziehungen (Morawetz und Walker 1984). Einigen wird eine Sündenbock-Rolle zugeschrieben.
Auf das Wohlbefinden Alleinerziehender wirkt sich positiv aus, wenn sie eine Identität als Teilfamilie entwickeln und diese als eine "normale" Familienform betrachten. Viele erleben, dass es ihnen besser als in der Ehe geht, dass sie neue Erfahrungen machen, mehr Möglichkeiten zur Selbstentfaltung haben, nicht mehr auf einen Partner Rücksicht nehmen müssen, unabhängiger und selbständiger sind. So entwickeln sie ein positives Selbstbild und gewinnen an Selbstbewusstsein. Viele alleinstehende Eltern erreichen diesen Gefühlszustand jedoch nicht.
Eltern-Kind-Beziehung
Alleinstehende Eltern sind mehr oder minder allein für die Familienerziehung ihrer Kinder zuständig - und können dabei durchaus erfolgreich sein. Zum einen lastet auch in anderen Familienformen die Erziehungsverantwortung größtenteils auf einem Elternteil. Zum anderen kann eine Person leichter einen einheitlichen Erziehungsstil praktizieren. Außerdem entfallen im Trennungsfall die in Scheidungsfamilien so häufigen Auseinandersetzungen zwischen den Ehepartnern über die "richtige" Erziehung der Kinder. Napp-Peters (1985) stellte bei ihrer Befragung von 400 verwitweten, ledigen oder geschiedenen Elternteilen auch fest, dass die Kontakte zu den Kindern recht intensiv sind: "Gut die Hälfte aller Kinder verbringt täglich zwischen 3 und 6 Stunden mit dem alleinstehenden Vater oder der alleinstehenden Mutter, 16 Prozent - vor allem Kleinkinder - bis zu 8 Stunden. Bei einem Viertel aller Kinder liegt die gemeinsame Zeit bei durchschnittlich ein bis zwei Stunden" (S. 81).
Die alleinige Erziehungsverantwortung kann jedoch auch zum Problem werden. So fehlt es bei problematischen Erziehungsstilen an einem Korrektiv durch den zweiten Elternteil, erhalten Alleinerziehende weniger Feedback über ihr Verhalten und erfahren weniger Unterstützung in Konflikten mit ihren Kindern. Auch gedeutet das Fehlen des gegengeschlechtlichen Partners eine gewisse Ungleichgewichtigkeit in der Erziehung. Bei der vorgenannten Studie (Napp-Peters 1985) waren mehr als 70% der alleinstehenden Väter und 60% der Mütter überzeugt, dass ein alleinerziehender Elternteil nicht allen Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht werden kann.
In manchen Teilfamilien kommt es zu einer Überbehütung und Verwöhnung der Kinder. So haben alleinstehende Eltern oft das Gefühl, das Fehlen des zweiten Elternteils ausgleichen oder das Kind für den erlittenen Verlust und die damit verbundenen Umstände (Krankheit, Tod, Ehekonflikte, Trennung usw.) entschädigen zu müssen. Häufig kümmern sie sich auch besonders intensiv um ihre Kinder und halten sie zu besten Leistungen an, da sie sich als Alleinerziehende stärker von der Gesellschaft kontrolliert fühlen, weil sie ihren früheren Partner durch Erziehungserfolge beeindrucken wollen oder weil sie mit negativen Erwartungen seitens der Umwelt (z.B. von Lehrern oder Medien) bezüglich der Entwicklung ihrer Kinder konfrontiert werden. Jedoch könnten Schuldgefühle und Verwöhnung auch dazu führen, dass den Kindern keine Grenzen gesetzt werden. Dies kann bei Pubertierenden und rebellischen Jugendlichen zum Problem werden.
In anderen Fällen werden Kindern vernachlässigt - beispielsweise wenn dem alleinstehenden Elternteil aufgrund von Vollerwerbstätigkeit die notwendige Zeit fehlt, weil er sich erschöpft und energielos fühlt, da er die Kinder als Bürde erlebt oder sich durch sie in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt sieht. Einige dieser Eltern fühlen sich subjektiv glücklich und führen ein ausgefülltes Leben, jedoch auf Kosten der Kinder. Andere sind hingegen unzufrieden, deprimiert und noch voller Wut auf ihren früheren Partner, trauern um ihn oder bemitleiden sich selbst. Sie sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie sich nicht uns ihre Kinder kümmern können. Manche Kinder versuchen, ihren alleinstehenden Elternteil durch auffälliges Verhalten von seiner Trauer abzulenken oder ihn auf sich aufmerksam zu machen. Oft haben sie Angst, ihn durch Suizid zu verlieren. Sie kümmern sich so intensiv uns ihn, dass sie u.U. sogar Schulphobien entwickeln, um daheim bleiben zu können.
Wenn alleinstehende Eltern trauern und deprimiert sind, wenn sie sich überfordert fühlen und Trost bei den Kindern suchen, wenn sie ihre Familie nach außen hin abkapseln, wenn sie einsam sind und ihre Kinder zu Vertrauten bzw. zentralen Gesprächspartnern machten, kommt es oft zu Verwicklung und zur Ausbildung symbiotischer Beziehungen. Die Kinder haben große Macht über den Elternteil, erhalten von ihm viele Mitbestimmungsrechte, lassen sich oft von ihm nichts sagen und dürfen manchmal im Elternschlafzimmer (eventuell sogar im selben Bett) schlafen. Die Enge der Beziehung und die wechselseitige Abhängigkeit erschwert es jedoch den Kindern, sich von ihren Eltern abzulösen.
Während Kinder bei Überbehütung oder Symbiosen oft nicht im Haushalt helfen müssen, wird ihnen in anderen Fällen ein großer Teil der Hausarbeit übertragen. Sie entwickeln neue Fertigkeiten, Verantwortungsbereitschaft und eine realistische Einstellung zum Geld, gewinnen an Selbstbewusstsein und erfahren positive Verstärkung aus dem Netzwerk. In manchen Fällen - z.B. bei Vernachlässigung oder Krankheit der Mutter - kommt es zur Parentifizierung eines Kindes. Es übernimmt Elternfunktionen gegenüber seinen Geschwistern, u.U. auch gegenüber dem Elternteil. Diese Bürde kann für das Kind zu groß werden, wenn es nicht unterstützt wird und keine Wertschätzung erfährt. Es kann zur Entfremdung von den Gleichaltrigen sowie zur Vernachlässigung der Schule und altersgemäßer Aktivitäten kommen. Parentifizierte Kinder haben viel Macht, können aber auch für Fehlschläge, Unordnung oder Probleme der Geschwister verantwortlich gemacht werden (Sündenbock).
Gelingt es alleinstehenden Eltern, eine positive Identität als Alleinerziehende zu entwickeln und ihre erzieherischen Fähigkeiten zu entfalten, bieten sie ihren Kindern gute Entwicklungsbedingungen. Nach der Repräsentativbefragung "Familie in den 80er Jahren" des Deutschen Jugendinstituts scheint dies nichterwerbstätigen geschiedenen Müttern aber besonders schwer zu fallen (nach Permien l988). Dasselbe gilt z.B. für Eltern, die überfordert sind, wenig Unterstützung aus ihrem Netzwerk erfahren oder Erziehungsfunktionen an die Großeltern ihrer Kinder abgetreten haben. Bei zu hohen Erwartungen an die Kinder oder sich selbst - oft bedingt durch den Druck der Vater-Mutter-Kind-Norm - werden zudem kleine Entwicklungsprobleme und Schulschwierigkeiten der Kinder leicht zu großen Problemen aufgebauscht. Generell sind Alleinerziehende unter der Klientel von Erziehungsberatungsstellen überrepräsentiert.
Kam es aufgrund von Trennung und Scheidung zur Entstehung einer Teilfamilie, wirkt oft der nichtsorgeberechtigte Elternteil noch erzieherisch (dies gilt vereinzelt auch für Väter nichtehelicher Kinder). In der Regel nimmt jedoch der Kontakt in den Jahren nach der Scheidung immer mehr ab. Laut einer Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts hatten 40% der Kinder geschiedener Mütter keinen Kontakt mehr zu ihren Vätern - gegenüber 17% der Kinder getrenntlebender Mütter (nach Sozialdienst Katholischer Frauen - Zentrale e.V. 1988). Bei einer Studie von Napp-Peters (1988) bestand nur noch in 27% der Fälle eine enge und herzliche Beziehung zwischen nichtsorgeberechtigten Eltern und Kindern. So ist der Erziehungseinfluss dieser Elternteile zumeist eher gering. Jedoch können sie in der Phantasie der Kinder durchaus eine große Rolle spielen und weiterhin als negatives oder positives Vorbild wirken. Selbst bei mangelndem Kontakt können sich Kinder mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil identifizieren und Eigenschaften von ihm übernehmen. Dies führt manchmal zu Kritik und Ablehnung seitens des sorgeberechtigten Elternteils. Dasselbe gilt für Einzelfälle, in denen dieser ein Kind mit dem abwesenden Elternteil identifiziert. (Auf die sehr geringe Zahl der Fälle mit gemeinsamer Sorge nach Trennung bzw. Scheidung oder Geburt eines nichtehelichen Kindes kann hier nicht eingegangen werden. Dasselbe gilt für den Einfluss neuer Partner - dies lässt sich sinnvoller in Artikeln über die Entstehung von Zweitfamilien oder nichtehelichen Lebensgemeinschaften behandeln.)
Entwicklung der Kinder
Manche Kinder bewerten das Leben in einer Teilfamilie durchaus positiv. Sie erleben eine sehr enge und offene Beziehung zum Elternteil, verbringen viel Zeit mit ihm und geraten nur selten in Auseinandersetzungen mit ihm. Jedoch können ihnen auch Individuation und Ablösung schwer fallen. Andere Kinder sind von vielen Stunden der Trennung und mangelnder Kontinuität in ihrer Betreuung betroffen. Sie vermissen Wärme, Zuneigung und einen Vertrauten in ihrem Leben. Oft müssen Kinder aus finanziellen Gründen auf viele Freizeitaktivitäten verzichten oder erleben eine Abnahme sozialer Kontakte. Auch die Beziehungen des Elternteils zu neuen Partnern werden häufig als belastend empfunden. Sein Sexualverhalten (z.B. große Freizügigkeit) oder die Ablehnung des anderen Geschlechts können die Übernahme der Geschlechtsrollen durch die Kinder erschweren. Das gilt auch für den Fall, wenn sie zu Ersatzpartnern gemacht werden, der abwesende Elternteil fortwährend schlecht gemacht wird oder es zu keiner adäquaten Kompensation des Personenverlusts kommt (z.B. durch die Förderung von Kontakten zu Erwachsenen, die ein anderes Geschlecht als der Elternteil haben).
Nach dem Verlust eines Elternteils verschlechtern sich häufig die Schulleistungen. Überdurchschnittlich viele Kinder aus Teilfamilien müssen eine oder mehrere Klassen wiederholen. Ursachen können darin liegen, dass alleinstehende Eltern niedrigere Leistungserwartungen als andere Eltern haben, seltener mit dem Besuch und Abschluss weiterführender Schulen rechnen, weniger Zeit auf die Überprüfung der Hausaufgaben verwenden und seltener Kontakt zu Lehrern halten (Napp-Peters 1985; Tiemann 1986). Jedoch kann sich hier auch die psychische Situation der Kinder auswirken (z.B. Trauer, Depressivität, Einsamkeit, Beschäftigung mit der Partnersuche des Elternteils).
Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus Teilfamilien sind nach epidemiologischen, kriminologischer und sozialpädagogischen Untersuchungen häufiger verhaltensauffällig, psychisch gestört, delinquent oder selbstmordgefährdet (Ferri 1984; Swientek 1984; Napp-Peters 1985). Dies gilt vor allem für Jungen und Kinder geschiedenen Eltern. Auch leben ca. 6% der Kinder aus Teilfamilien im Vergleich zu knapp 1% der Kinder aus vollständigen Familien in Heimen oder Pflegefamilien (Permien 1988). Ursachen können z.B. Vernachlässigung, das Fehlen einer Autoritätsperson, Unerwünschtheit des Kindes, Stigmatisierung oder die Zuschreibung von Rollen wie die des Sündenbocks oder Ersatzpartners sein.
Implikation für die Beratung
Im Rahmen der Beratung von Teilfamilien sollte die Position vertreten werden, dass es sich hier um eine eigenständige Familienform handelt, die ihren Mitgliedern durchaus positive Entwicklungsbedingungen bieten kann. So werden alleinstehende Eltern befähigt, mit der in unserer Gesellschaft noch häufig vorfindbaren Diskriminierung und Pathologisierung besser umzugehen. Ihr Selbstvertrauen kann zusätzlich dadurch gestärkt werden, dass ihre Stärken betont und ihre Leistungen im Prozess der Entstehung der Teilfamilie herausgestellt werden. Außerdem können ihre Selbsthilfekräfte freigesetzt werden, wenn ihre sozialen Probleme gelindert werden. So ist wichtig, ihnen finanzielle Leistungen wie Sozialhilfe oder Wohngeld zu vermitteln, über Beistandschaften regelmäßige und vollständige Unterhaltszahlungen zu gewährleisten, bei der Suche nach einer Arbeitsstelle zu helfen, Schuldnerberatung anzubieten und eine angemessene Kinderbetreuung sicherzustellen. Auch ist es wichtig, die Ressourcen des Netzwerks freizusetzen und Kontakt zu anderen alleinstehenden Eltern (Selbsthilfegruppen) herzustellen. Schließlich kann sorgeberechtigten Elternteilen verdeutlicht werden, dass regelmäßige und längere Besuche der Kinder beim anderen Elternteil zur eigenen Entlastung beitragen und Raum für die persönliche Weiterentwicklung geben.
Bei getrenntlebenden oder geschiedenen Eltern ist es oft sinnvoll, eine Scheidungsberatung (Textor 1991) anzubieten oder zu vermitteln. Es werden die Ehe und deren Scheitern reflektiert, Trennungsschmerz, Trauer, Schuldgefühle und Wut freigesetzt und bearbeitet sowie irrationale Vorstellungen bewusst gemacht. Häufig muss auch untersucht werden, ob es ähnliche Interaktionsmuster und Verhaltenstendenzen wie in der Ehe oder der Nachscheidungssituation bereits in der Herkunftsfamilie gab. Der abwesende Elternteil kann zu einzelnen Sitzungen eingeladen oder z.B. in einer Familienskulptur oder einem Rollenspiel durch den Berater repräsentiert werden. Ersteres ist vielfach aber nur nach Überwindung großer Widerstände zu erreichen. Das Aussprechen einer Einladung ist besonders dann lohnenswert, wenn die Beziehung zwischen den früheren Partnern dieselben bzw. die Kinder stark belastet oder wenn die Kinder von intensiveren und unbeschwerten Kontakten zum nichtsorgeberechtigten Elternteil profitieren könnten.
Generell ist wichtig, die Eltern-Kind-Beziehung zu verbessern. Den Eltern wird die Angst genommen, dass ihre Kinder unweigerlich durch das Leben in einer Teilfamilie benachteiligt und geschädigt werden. Ihnen wird verdeutlicht, dass sie zu hohe Erwartungen an sich selbst stellen, nicht sowohl Vater als auch Mutter sein können. Sie dürfen nicht nur an die Kinder denken, sondern auch an die eigene Weiterentwicklung (Freizeitaktivitäten, Partnersuche usw.). Ferner wird problematischen Erziehungsstilen wie Überbehütung, Verwöhnung und Vernachlässigung entgegengewirkt. Rollenzuschreibungen und Parentifizierung müssen verhindert, symbiotische Beziehungen aufgelöst und angemessene Generationengrenzen (auch zwischen Eltern und Großeltern) herausgebildet werden. Die Eltern sollten die Leistungsmotivation ihrer Kinder fördern, schulische Erfolge positiv verstärken und bei den Hausaufgaben helfen. Auch sollten sie Kontakte zu Erwachsenen mit einem anderen Geschlecht als sie selbst vermitteln, so dass ihren Kindern die Geschlechtsrollenentwicklung erleichtert wird. Die Kinder benötigen oft Hilfe im Umgang mit ihren Gefühlen (Trauer, Schmerz, Angst usw.), bei der Selbstdifferenzierung und Ablösung. Für die Behandlung ihrer Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Probleme steht dem Berater eine Vielzahl von Therapieformen und -techniken zur Verfügung.
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