Bertelsmann Stiftung
Fast zwei Millionen Kinder in Deutschland wachsen in Familien auf, die von staatlicher Grundsicherung leben. 14,7 Prozent der unter 18-Jährigen sind 2015 im Bundesdurchschnitt auf Hartz IV angewiesen. Dieser Anteil ist leicht gestiegen, im Jahr 2011 waren es 14,3 Prozent. Besonders betroffen von Armut sind Kinder in zwei Familienkonstellationen: Von allen Minderjährigen in staatlicher Grundsicherung leben 50 Prozent in alleinerziehenden Familien und 36 Prozent in Familien mit drei und mehr Kindern. Die Mehrheit der Kinder in Hartz IV wächst über einen längeren Zeitraum in Armut auf. Von den betroffenen Kindern im Alter von sieben bis unter 15 Jahren bezogen 57,2 Prozent drei und mehr Jahre lang Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II).
Im Westen steigt die Kinderarmut, im Osten sinkt die Quote
Bundesweit nimmt die Kinderarmut zu, doch es gibt regionale Unterschiede:
- In Ostdeutschland sinkt die Quote zwar auf 21,6%, bleibt aber auf hohem Niveau (2011: 24 %). Im Westen ist die Quote 2015 mit 13,2% höher als 2011 (12,4%).
- In neun von 16 Bundesländern ist der Anteil von Kindern in staatlicher Grundsicherung zwischen 2011 und 2015 gestiegen. Am stärksten wächst die Quote in Bremen (+2,8 Prozentpunkte), im Saarland (+2,6 Prozentpunkte) und in Nordrhein-Westfalen (+1,6 Prozentpunkte).
- Auch in den Bundesländern mit den niedrigsten Quoten wuchs die Kinderarmut. So in Bayern (+0,4 Prozentpunkte), Baden-Württemberg (+0,5 Prozentpunkte) und Rheinland-Pfalz (+0,9 Prozentpunkte).
- Die höchsten SGB-II-Quoten bei unter 18-Jährigen sind 2015 in Städten zu beobachten, wie zum Beispiel in Bremerhaven (40,5%), Gelsenkirchen (38,5%), Offenbach (34,5%), Halle (33,4%), Essen (32,6%) oder Berlin (32,2%).
Armut beeinträchtigt das Leben und die Entwicklung von Kindern
Je länger Kinder in Armut leben, desto negativer sind die Folgen für ihre Entwicklung und ihre Bildungschancen. Sie haben häufig kein eigenes Zimmer, keinen Rückzugsort für Schularbeiten, essen kaum oder gar kein Obst und Gemüse. Verglichen mit Kindern in gesicherten Einkommensverhältnissen sind arme Kinder häufiger sozial isoliert, gesundheitlich beeinträchtigt und ihre gesamte Bildungsbiografie ist deutlich belasteter. Das zeigt eine Metastudie, die Claudia Laubstein, Gerda Holz und Nadine Seddig vom "Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V." (ISS) in Frankfurt am Main für die Bertelsmann Stiftung verfasst haben.
"Kinderarmut beeinträchtigt die Chancen für das ganze Leben. Um gezielt gegen Kinderarmut und ihre Folgen vorzugehen, brauchen wir mehr Fakten", sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Bisher werden die Folgen von Einkommensarmut für Kinder in Deutschland weder systematisch noch regelmäßig untersucht. Diese Forschungslücken dokumentiert die Metastudie "Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche". Die Autorinnen fordern, dass vorhandene Datensätze systematisch mit Blick auf die Folgen von Armut ausgewertet und um Fragen zu Einkommensarmut ergänzt werden. Zudem sind Studien notwendig, welche die Dauer des Armutserlebens in Kindheit und Jugend stärker in den Blick nehmen.
Existenzsicherung von Kindern neu gestalten
"Kinder in Armut können ihre Lebenssituation nicht selbst ändern. Deshalb hat der Staat hier eine besondere Verantwortung. Kinderarmut in Deutschland darf sich nicht weiter verfestigen. Darum muss sich die Existenzsicherung daran orientieren, was Kinder für gutes Aufwachsen und Teilhabe brauchen", betont Dräger. Entsprechend muss die Grundsicherung von Kindern in Deutschland komplett neu gedacht werden und sich am tatsächlichen Bedarf von Kindern und Jugendlichen orientieren. Nur so kann Kinderarmut wirksam bekämpft werden. Die Bertelsmann Stiftung entwickelt hierzu derzeit mit Experten aus der Wissenschaft ein Konzept mit Lösungsvorschlägen.
Zusatzinformationen
Die aktuellen Daten zur Kinderarmut basieren auf eigenen Berechnungen der Bertelsmann Stiftung auf der Grundlage der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (Arbeitsmarkt in Zahlen, Kinder im SGB II). ...
Quelle
Pressemitteilung der Bertelsmann Stiftung vom 12.09.2016