Martin R. Textor
Es gibt nicht die Mutterschaft - jede Mutter, jedes Kind, jeder Vater erlebt Mutterschaft ganz individuell und über den Familienzyklus hinweg immer wieder anders.
In diesem Artikel erfahren Sie zunächst, dass Mutterschaft im Verlauf der Jahrhunderte unterschiedlich ausgeprägt war und in verschiedenen Kulturen variiert. Dann werden Ihnen die heute relevanten Rollenleitbilder vorgestellt. Ferner werden Probleme beschrieben, die mit Mutterschaft und der Entwicklung einer entsprechenden Identität verbunden sind. Zuletzt können Sie einen Blick in die nahe Zukunft werfen: In den kommenden Jahren wird Mutterschaft wahrscheinlich viele Funktionen verlieren...
Mutterschaft gestern
Vom Mittelalter bis zum Beginn der Industrialisierung waren die meisten Menschen Bauern, die weitgehend von den selbst erzeugten Produkten existierten. So war die Arbeit auf dem Hof (über-) lebensnotwendig und vorrangig gegenüber anderen Tätigkeiten - wie z.B. der Kindererziehung.
Schwangerschaften waren aufgrund wenig verlässlicher Verhütungsmaßnahmen zumeist unvermeidbar. Viele Kinder starben als Säugling oder als Kleinkind, da es an Hygiene mangelte, ihre Ernährung unzureichend war und viele Krankheiten tödlich verliefen, da es für sie noch keine Medikamente gab. Zumeist wurden sie bis zu ihrem 6. oder 7. Lebensjahr weitgehend sich selbst überlassen, da ihre Mütter mit der Arbeit auf dem Hof, im Garten und im Haushalt voll ausgelastet waren und somit kaum Zeit für die Belange der Kinder hatten. Ältere Kinder mussten - lange bevor sie das Jugendalter erreichten - auf dem Hof mithelfen. Sie wurden in erster Linie als Handlanger bzw. Arbeitskräfte gesehen - erbrachten sie nicht genügend "ökonomischen Nutzen" oder gehorchten sie nicht, wurden sie gezüchtigt. Ihre Ausbildung und Erziehung wurden vom Vater oder von anderen Erwachsenen (Verwandten, Dienstherren, Meistern und Gesellen) übernommen, die eine unanfechtbare Autorität beanspruchten. Die Mutter spielte keine größere Rolle, außer wenn ihre Töchter in ihrem Zuständigkeitsbereich mitarbeiten mussten. So blieb bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Mutterschaft in Bauernfamilien zweitrangig.
Ähnliches galt für den Adel und großbürgerliche Familien: Hier übernahmen Ammen, später Gouvernanten und Hauslehrer viele Aufgaben, die heute der Mutterrolle zugeordnet werden. Eine andere Situation - aber mit demselben Resultat - bestand in der neu entstehenden Arbeiterklasse: Aufgrund des geringen Einkommens der Väter mussten Mütter ihren Teil zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Bei Arbeitszeiten von 12 und mehr Stunden am Tag blieb aber kaum Zeit für die Erziehung. Die Kinder wurden von wenig älteren Geschwistern oder von anderen Personen betreut; oft wurden sie vernachlässigt. Häufig mussten sie bereits mit sieben oder acht Jahren in Bergwerken und Fabriken arbeiten.
Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts verbreiteten sich langsam neue kindbezogene Vorstellungen - z.B. von der "Unschuld" des Kindes, von seinem "Wert" als Individuum und von der Notwendigkeit, es zu behüten und richtig zu erziehen, damit es ein "guter Mensch" bleibt. Diese Aufgabe wurde immer mehr der Mutter zugesprochen; der Mutterschaft wurde somit eine größere Bedeutung beigemessen. Auch wurde die Kindheit als abgegrenzte Phase im Lebenszyklus des Menschen entdeckt und dann entsprechend gestaltet: mit eigener Kleidung und dem Spiel als Hauptbeschäftigung. Die spätere Kindheit wurde zunehmend als "Bildungszeit" definiert: Kinder von Adligen oder reichen Bürgern erhielten Hauslehrer; für die anderen Kindern wurden immer mehr Schulen gebaut. Diese wurden zunächst nur von reicheren Familien genutzt.
Mit der Kindheit wurde auch die Mutterschaft neu definiert - als innerste Wesenserfüllung der Frau und damit als Essenz ihrer Person und Identität. So "wurde die Sorge für das leibliche und seelische Wohl der Kinder zur ersten, vordringlichsten und oft auch einzigen Aufgabe der Frau im Besitz- und Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts - wenn die materiellen Umstände es erlaubten. Der Vater verlor seine wichtige Rolle als Bezugsperson, die er noch im 18. Jahrhundert für die Kinder hatte" (Herwartz-Emden 1995, S. 55). Er wurde zunehmend an den Rand der Familie gedrängt, da die (emotionale) Beziehung zwischen Mutter und Kindern immer enger wurde und ihre Aktivitäten das Familienleben prägten.
Das Konzept der "Mutterliebe" fand eine weite Verbreitung; Mütterlichkeit wurde zu einer der Frau eigenen, besonderen Fähigkeit; die psychologische Beeinflussung der Kinder ersetzte mehr und mehr die körperliche Züchtigung. Auch kam es zu einem "Kult der Häuslichkeit" - die Wohnung wurde zum "trauten Heim". Parallel dazu wurden die Frauen immer mehr aus der sich ausdifferenzierenden Arbeitswelt und aus dem öffentlichen Leben "verbannt". Die zunehmende Trennung zwischen "privaten" (Familie) und "öffentlichen" Lebensbereichen (Arbeitsplatz), verbunden mit der Arbeitsteilung zwischen Mann (Beruf) und Frau (Haushalt), führte im Vergleich zu den vorausgegangenen Jahrhunderten zu einer stärkeren Ausprägung unterschiedlicher Geschlechtscharaktere.
Inzwischen wird von einigen Wissenschaftler/innen hinterfragt, inwieweit sich Mütter in wohlhabenden Familien wirklich auf die Erziehung ihrer Kinder und auf die Haushaltsführung konzentriert haben. Zum einen wurden Kindermädchen, Erzieher und Gouvernanten beschäftigt, die pädagogische Aufgaben erfüllten. Zum anderen gab es Hauspersonal, das die anfallende Hausarbeit übernahm.
Hier wird schon angedeutet, dass nur ein kleiner Teil der Mütter (und Kinder) in solch privilegierten Verhältnissen lebten: Die weitaus meisten Mütter waren weiterhin erwerbstätig - im Gegensatz zu den vorausgegangenen Jahrhunderten nun aber zunehmend außerhäuslich. Auch mussten viele ältere Kinder arbeiten - in Bergwerken und Fabriken, auf dem (elterlichen) Hof oder in Heimarbeit. Außerdem gab es immer mehr Alleinerziehende, die nicht in Verwandtschaftssystemen eingebettet waren (da diese z.B. aufgrund von Landflucht zerfallen waren) und deshalb ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mussten. Hier war die Gefahr einer Vernachlässigung und unzureichenden Erziehung der Kinder besonders groß - wie auch in vielen Arbeiter- und Bauernfamilien.
Diese "Fehlentwicklungen" führten bereits im 19. Jahrhundert zur Entstehung sozialer Berufe wie z.B. die der Fürsorgerin (Sozialarbeiter/in) und Kindergärtnerin (Erzieher/in), die entweder eine behördliche "Kontroll- und Interventions-" (Armenpflege, Jugendfürsorge) oder eine "Betreuungsfunktion" (Kinderbewahranstalt, Kindergarten, Heim) übernahmen. Parallel dazu wurde durch die Einführung der Schulpflicht die Kinderarbeit zurückgedrängt; diese wurde später ganz verboten. Da der Staat dem einzelnen Kind und dessen Wohl eine immer größere Bedeutung beimaß, wurde auch die Geburt zunehmend der Kontrolle unterworfen: Anstelle der Hausgeburt wurde die Entbindung in der Klinik - unter dem wachsamen Auge von Ärzten und Hebammen - forciert. Das "Werden der Mutter" vollzog sich nicht länger in der Intimität ihrer Wohnung und im Kreise ihrer Familie, sondern in dem grellen Licht des Kreißsaals.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Mutterschaft immer mehr "verwissenschaftlicht": "Mit der Einstufung der Kindererziehung in den Rang einer Wissenschaft jedoch begann der Status der Mutter als hoch geachtete, von Natur aus talentierte Betreuerin ihrer Kinder zu schwinden" (Hays 1998, S. 64). Stattdessen wurde ihr immer häufiger nahe gelegt, von Expert/innen empfohlene Erziehungsmethoden anzuwenden bzw. sich an den Theorien von Freud, Adler, Erikson oder Piaget zu orientieren. Zugleich entstanden Institutionen, die sich auf die Beratung von Eltern bei Erziehungsschwierigkeiten spezialisierten.
Im 20. Jahrhundert breitete sich das bürgerliche Familienmodell weiter aus und wurde auch in Arbeiterfamilien zunehmend praktiziert - sofern das Einkommen des Vaters so hoch war, dass die Mutter nicht arbeiten musste. Zugleich wurde die Erziehung emotional offener, permissiver - bis hin zu antiautoritär (insbesondere in den 1960er Jahren) - und kindzentrierter: Kinder wurden als einzigartige Persönlichkeiten gesehen, deren Bedürfnisse zu erfüllen und deren Wünsche zu berücksichtigen sind. So wurde (externen) Normen immer weniger Bedeutung beigemessen, wurden die Kinder zunehmend partnerschaftlich behandelt und ihnen immer mehr Mitbestimmungsrechte eingeräumt. Dementsprechend änderten sich auch Rolle und Verhalten der Mütter.
Im Zusammenhang mit der Emanzipationsbewegung wurde ab den 1970er Jahren der mütterlichen Erwerbstätigkeit eine große Bedeutung beigemessen: Zum einen wurde der Beruf als wichtigster Weg zur Selbstverwirklichung der Frau gesehen (und somit nicht mehr die Mutterschaft!). Zum anderen wurde betont, dass sich nur eine Frau mit einem eigenen Erwerbseinkommen von der Abhängigkeit von ihrem Ehemann lösen und gleichberechtigt werden kann. Seitdem steigt der Prozentsatz erwerbstätiger Mütter in der westlichen Welt an, nehmen Frauen nach der Geburt eines Kindes immer früher wieder ihre Erwerbstätigkeit auf und wird die durchschnittliche Wochenarbeitszeit immer länger. Damit wachsen auch die aus der Vereinbarkeit von Familie und Beruf resultierenden Probleme. Zugleich schwindet die Bedeutung der Mutterschaft. Hierzu trägt bei, dass sich Familien auf ca. zwei Kinder beschränken und die Elternschaft aufgrund der steigenden Lebenserwartung zu einer immer kürzer werdenden Phase im Lebenszyklus wird.
Die Gleichstellung der Geschlechter und die Berufstätigkeit von Frauen wurden vor allem von der DDR (und anderen sozialistischen Ländern) forciert. Hier wurden sehr schnell bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote geschaffen, sodass sich Mutterschaft und Beruf gut miteinander vereinbaren ließen. Dementsprechend waren fast alle Mütter vollerwerbstätig, war der Beruf neben der Mutterschaft ein zentraler Bestandteil ihrer Identität. Diese Situation änderte sich nach der Auflösung der sozialistischen Staats- und Wirtschaftsordnung: "Die Rechtsangleichung nach der Vereinigung bedeutete einen großen Verlust an DDR-Frauenrechten. Soziale Sicherheit und finanzielle Unabhängigkeit adé, so hat sich die Wende für viele ausgewirkt. Gerade jener hohe Grad an Sicherheit hat die Frauen von der Entscheidung 'Kinder oder Beruf', wie sie für Westfrauen typisch ist, entbunden" (Meise 1995, S. 35). Dementsprechend sanken die Geburtenraten. Heute bleibt in der Bundesrepublik Deutschland rund ein Drittel der Frauen kinderlos - die Mutterschaft spielt für sie keine Rolle.
Mutterschaft in anderen Kulturen
Ethnologische Untersuchungen der letzten 100 bis 150 Jahren haben gezeigt, dass in den verschiedenen Kulturen Afrikas, Asiens, Amerikas und Australiens Mutterschaft ganz unterschiedlich definiert und gelebt wurde bzw. wird. Sie spielt eine mehr oder minder große Rolle im Leben einer Frau, beansprucht mehr oder weniger Zeit und wird mehr oder minder stark durch Normen geregelt.
Auch haben Mütter ganz unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Erziehung ihrer Kinder - sie überlassen dies beispielsweise weitgehend "der Natur" bzw. der eigenen Intuition oder sie steuern die kindliche Entwicklung entsprechend bestimmter gesellschaftlicher Ziele; sie verhalten sich eher autoritär oder eher laissez-faire, verwöhnen das Kind oder weisen ihm die niedrigste Position in der Familie zu, zeigen ihm gegenüber viel oder wenig Gefühl, lassen ihm viel Freiraum oder halten es abhängig, fördern eher die Individualität oder eher die Einordnung in die Gemeinschaft, haben eher hohe oder eher niedrige Leistungserwartungen, verlangen relativ frühzeitig Selbstkontrolle oder schränken den Gefühlsausdruck nur wenig ein, vertreten eher rigide oder eher flexible Geschlechtsrollenleitbilder. Ferner messen Mütter ihrem erzieherischen Einfluss mehr oder weniger Bedeutung im Vergleich zu den Fähigkeiten des Kindes (Erbgut) oder zu seiner Anstrengungsbereitschaft bei, stehen sie hinsichtlich ihrer "Erziehungsleistung" mehr oder weniger im Wettbewerb mit anderen Frauen.
Die Mutterschaft gibt es nicht
Somit kann man Mutterschaft als eine "sozial konstruierte" Kategorie bezeichnen. In den nichtwestlichen Kulturen - und in den europäischen Staaten vor dem 19. Jahrhundert (s.o.) - war die Ausübung der Mutterrolle aber immer nur eine Aufgabe neben vielen: "Nirgendwo war bislang eine Frau, oft noch zusätzlich aus ihrem bisherigen sozialen Leben herausgelöst, allein für das Wohlergehen der Kinder zuständig. Überall waren Mütter und Väter zwar die Hauptbezugspersonen des Kindes, doch standen ältere Kinder, Großeltern, Onkel und Tanten ergänzend als Kreis weiterer dem Kind vertrauter Bezugspersonen zur Verfügung. Und - ganz wichtig - nirgendwo verlor eine Frau durch Mutterschaft ihren sozialen Platz in der Gesellschaft. Sie nahm weiterhin unverändert am sozialen Leben teil" (Haug-Schnabel 1992, S. 61) und musste zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen.
So zeigen sowohl historische als auch ethnologische Untersuchungen, dass das im 19. Jahrhundert entstandene und in der Bundesrepublik Deutschland noch immer weit verbreitete Leitbild der nicht erwerbstätigen Mutter, für die Mutterschaft, Kindererziehung und Haushaltsführung die zentralen Lebensinhalte sind, ganz "exotisch" ist - die weitaus meisten Menschen, die in Westeuropa vor 150 Jahren gelebt haben oder die in anderen Kulturen lebten bzw. leben, würden diese Vorstellungen ablehnen.
Rollenleitbilder
Über mehr als 1500 Jahre hinweg galt sie als die ideale Mutter. Sie war gottesfürchtig, rein und voller Nächstenliebe, gehorchte ihrem Mann und folgte ihm überall hin, umsorgte ihren Sohn zärtlich und liebevoll. Weder von Konflikten mit ihrem Gemahl noch mit ihrem Sohn - geschweige denn von irgendwelchen Sünden - wird berichtet. Kein Wunder, dass die Kirche Maria als das wichtigste Vorbild und Rollenmodell für Frauen bzw. Mütter auswählte! Aber wie Maria zu leben, ist wohl ein unerreichbares Ziel. Und damit sind wir bei einem Charakteristikum vieler Mutterbilder: der Verklärung von Mutterschaft.
Das bürgerliche Mutterideal
Im 19. Jahrhundert entstand das bürgerliche Mutterbild und verdrängte langsam das christliche. Nun wurde Mutterschaft als Lebenserfüllung und als "Essenz" der Weiblichkeit gesehen. Aus ihr würden Frauen eine tiefe Befriedigung gewinnen: Mutterschaft sei eine ganz und gar positive Erfahrung.
Mütter sollten verheiratet sein und ihren Beruf zugunsten ihrer Kinder aufgegeben haben, also Hausfrauen sein. Sie sind nahezu ausschließlich für die Erziehung, Versorgung und Betreuung der Kinder zuständig, da sie hierfür am besten geeignet seien: Sie wären von Natur aus liebevoll, selbstlos, fürsorglich, treusorgend, empathisch, zärtlich, emotional, aufopferungsbereit, familienorientiert usw. So wäre es ganz "normal" und selbstverständlich, wenn sie sich intensiv um ihre Kinder kümmern. Zudem würden Säuglinge und Kleinkinder für eine gesunde Entwicklung die totale Präsenz ihrer Mütter benötigen: Sie könnten sich nur positiv entwickeln, wenn die Mütter ihren Bedürfnissen die höchste Priorität einräumen, sich ihnen anpassen und sich emotional stark für sie engagieren. Vor allem müssten Mütter ihre Entwicklung in allen Bereichen konsequent, kontinuierlich und intensiv fördern.
Das bürgerliche Mutterbild setzte sich in den 1950er und 1960er Jahren in Deutschland durch - nun konnten die meisten Frauen nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben und den Haushalt und die Erziehung übernehmen (wenn auch ohne Unterstützung durch Haus- und Kindermädchen wie im Bürgertum des 19. Jahrhunderts).
Der Gegenentwurf: die Anti-Mutter
Aber schon in den 1970er Jahren kam mit dem Feminismus ein neues Frauenideal: Die radikale Frauenbewegung vertrat die Meinung, dass nur eine Frau mit eigenem Erwerbseinkommen vom Mann unabhängig und gleichberechtigt sein kann. Anstatt sich der uneigennützigen Fürsorge für ein Kind zu widmen, soll die moderne Frau der in den weitaus meisten Lebensbereichen vorherrschenden Logik eigennützigen Profitstrebens folgen: Das heißt, die emanzipierte Frau trachtet nach einer guten Schul- und Berufsbildung, ist voll erwerbstätig und karriereorientiert, strebt nach Selbstverwirklichung im Beruf und entspricht somit dem Paradigma des homo oeconomicus. Ein (Ehe-) Mann wird nur akzeptiert, wenn er für eine partnerschaftliche Beziehung und eine gerechte Aufteilung der Hausarbeit ist; auf Kinder wird verzichtet, wenn sie dem eigenen Streben nach beruflichem Erfolg, Macht und Prestige entgegenstehen. Dieses Rollenleitbild führte dazu, dass viele Frauen kinderlos (und unverheiratet) blieben und sich voll auf den Beruf konzentrierten.
Dieses Idealbild der erwerbstätigen, erfolgreichen, finanziell unabhängigen Frau wird heute vor allem durch Frauenmagazine weiter verbreitet. In ihnen findet man überwiegend Reportagen und Fotos von gut gekleideten, perfekt gestylten Frauen, die sexuell attraktiv und glücklich wirken. Wie auch in den meisten Kino- und Fernsehfilmen spielt Mutterschaft keine Rolle; Kinder tauchen kaum auf den Fotos und in den Filmen auf.
Die Supermutter
Weniger radikale Vertreterinnen der Frauenbewegung akzeptierten die Mutterschaft - sofern die Mutter erwerbstätig, also unabhängig, blieb. Frauen könnten attraktive Sexualpartnerinnen, erfolgreiche Berufstätige, perfekte Hausfrauen und gute Mütter sein. Diese "Supermutter" wurde von der Frauenforscherin Sharon Hays (1998) etwas überspitzt charakterisiert: "Mühelos schafft sie den Spagat zwischen Heim und Arbeit. Diese Mutter kann mit der einen Hand einen Kinderwagen schieben und mit der anderen die Aktentasche tragen. Sie ist immer gut frisiert, ihre Strumpfhosen haben nie Laufmaschen, ihr Kostüm ist stets frei von Knitterfalten, und ihr Heim ist natürlich blitzsauber. Ihre Kinder sind makellos: Sie haben gute Manieren, sind aber nicht passiv, sondern putzmunter und strotzen vor Selbstbewusstsein" (S. 174f.).
Als "Beziehungsexpertin" sichert die Supermutter eine befriedigende Partnerschaft mit ihrem Mann und entwicklungsfördernde Eltern-Kind-Beziehungen, ohne dass die eigene Selbstverwirklichung und die Karriere zu kurz kommen. Und trotz ihrer Vollerwerbstätigkeit erbringt sie einen enormen Aufwand an Zeit und Energie für die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder.
Das Drei-Phasen-Modell
Dieses Leitbild ist ein Kompromiss zwischen dem bürgerlichen Mutterideal und der rasch zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit: Junge Frauen sollten nach einer guten Schul- und Berufsausbildung trachten und ihren Beruf so lange ausüben, bis das erste Kind geboren ist (1. Phase). Dann sollten sie sich ausschließlich um Kindererziehung und Haushalt kümmern (2. Phase). Wenn die Kinder sie nicht mehr in hohem Maße gebrauchen würden - etwa mit Beginn der Schulpflicht -, könnten die Mütter wieder erwerbstätig werden (3. Phase).
In der heutigen Zeit, in der Frauen immer höhere Bildungs- und Berufsabschlüsse erwerben und Qualifikationen immer schneller veralten, kann aber nach dem "alten" Drei-Phasen-Modell nicht mehr gelebt werden: Der Wiedereintritt in die Arbeitswelt nach einer sechs, acht oder noch mehr Jahre umfassenden Familienphase ist nur unter erschwerten Bedingungen möglich (z.B. schlechterer Job, kaum Karrieremöglichkeiten). Das "neue" Drei-Phasen-Modell sieht eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit (halbtags) mit Eintritt des Kindes in den Kindergarten vor. Mit dem Ausbau der Betreuungsangebote für unter Dreijährige rückt dieser Zeitpunkt tendenziell immer mehr nach vorne, wird also die 2. Phase immer kürzer. So wird vermieden, dass die beruflichen Qualifikationen aufgrund des raschen wirtschaftlichen und technologischen Wandels veralten. Zudem endet drei Jahre nach Geburt eines Kindes der mit der Elternzeit verbundene Kündigungsschutz.
Die "neuen" Mütter
Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass vor allem Frauen aus der Mittelschicht nach der Geburt eines Kindes bewusst auf die Berufsausübung verzichten, ohne jedoch das traditionelle Mutterbild zu übernehmen: "Wenn sich sogar erfolgreiche Berufsfrauen aus dem Erwerbsleben partiell wieder zurückziehen und zugleich in Familienbeziehungen leben, so muss das nicht gemäß der traditionellen Frauenrolle aus Rücksicht für Mann und Kinder geschehen, sondern kann auch erfolgen, um sich selbst einerseits den Belastungen der Konkurrenz, Vereinzelung und Austauschbarkeit im Beruf zu entziehen (...), und andererseits, um die vorrangig in primären Beziehungen mögliche Befriedigung emotionaler Bedürfnisse und Sicherung der eigenen Identität zu gewinnen" (Herlyn et al. 1993, S. 55).
Diese Mütter folgen in mehr oder minder bewusster Abgrenzung von Feminismus einem Leitbild, nach dem Individualisierung, Selbstverwirklichung und Personalisation in der Ausübung der Hausfrauen- und Mutterrolle realisierbar sind - und zwar eher als in der fremdbestimmten, rational geprägten und wettbewerbsorientierten Arbeitswelt. Nur in der Familie könnten Frauen sie selbst sein und ihre eigenen Vorstellungen vom Leben realisieren. Vor allem in der Mutter-Kind-Beziehung seien Liebe, Fürsorge, Selbstlosigkeit, Uneigennutz u.Ä. lebbar und erlebbar - nur in der Familie kann somit letztlich nach moralischen Prinzipien gelebt werden.
Mutterbilder in den Sozialwissenschaften
Neben den in unserer Gesellschaft vorherrschenden Rollenleitbildern gibt es auch in der Wissenschaft verschiedene "Mutterbilder". Diese unterscheiden sich je nach wissenschaftlicher Disziplin und theoretischer Ausrichtung, wie die folgenden Beispiele zeigen:
Das psychoanalytische Mutterbild
Frauen erreichen laut der Psychoanalyse mit der Mutterschaft eine neue und zugleich essenzielle Phase in ihrer psychosexuellen Entwicklung. Haben sie einen "normalen" Grad an Reife erreicht, entwickeln sie nahezu reibungslos eine Identität als Mutter und übernehmen dank instinkthafter Fähigkeiten fast problemlos die mit der Mutterschaft verbundenen pflegerischen und erzieherischen Aufgaben. So wird die frühe Mutter-Kind-Dyade zu einer symbiotischen Beziehung - verbunden mit einer Auflösung der mütterlichen Ich-Grenze gegenüber dem Säugling.
Das Mutterbild der Bindungstheorie
Hier wird die Mutter-Kind-Beziehung vor allem aus der Sicht des Kindes und unter Betonung seiner Bedürfnisse betrachtet - Perspektive, Wünsche und Probleme der Mutter spielen hingegen kaum eine Rolle. Die Mutter wird dafür verantwortlich gemacht, dass eine sichere Bindung des Säuglings bzw. Kindes zu ihr entsteht - die dazu benötigten Fähigkeiten wie Feinfühligkeit, Liebe und Empathie seien bei Frauen von Natur aus gegeben. Ist dies nicht der Fall, wird von Psychopathologie aufseiten der Mutter ausgegangen.
Das Mutterbild der Soziologie
In der (Familien-) Soziologie und Sozialpsychologie wird vor allem die Mutterrolle untersucht, d.h. zum einen die gesellschaftlichen Erwartungen an sie (Ideal) und zum anderen ihre Ausübung (Realität). Mutterschaft wird als eine soziale Konstruktion gesehen; die Geschlechts- und Mutterrolle werden in Sozialisationsprozessen erworben, in denen entsprechende Leitbilder, Werte und Normen internalisiert werden. Da sich Soziolog/innen und Sozialpsycholog/innen vor allem mit gesellschaftlichen Strukturen, Systemen und Prozessen befassen, wird auch untersucht, wie diese die Mutterschaft prägen und welche Unterschiede bei deren Ausgestaltung in verschiedenen Schichten, Familienformen und Lebenslagen auftreten.
Das Mutterbild in der Frauenforschung
Feministische Wissenschaftlerinnen verfolgten zunächst das Ziel, die Idealisierungen der Mutterrolle zu korrigieren. In den 1960er und 1970er Jahren stellten sie vor allem die negativen Aspekte von Mutterschaft heraus: die Abhängigkeit nicht erwerbstätiger Mütter von ihren Partnern und die damit verbundene Machtlosigkeit, die gesellschaftliche Benachteiligung, Unterdrückung und Abwertung von Familienfrauen, ihre soziale Isolation, ihr Ausschluss vom Arbeitsleben, die Kontrolle der Kindererziehung durch Institutionen und der Beitrag von Müttern zur Reproduktion der gesellschaftlichen Ungleichheit von Mann und Frau. Vor allem das bürgerliche Mutterideal wurde attackiert: Mutterschaft sei nicht die Essenz von Weiblichkeit; die Bedürfnisse und Interessen der Mütter dürften nicht denjenigen ihrer Kinder untergeordnet werden. Als Weg zur Selbstverwirklichung wurde vor allem die Erwerbstätigkeit gesehen.
Seit den 1980er und 1990er Jahren sehen Frauenforscherinnen die Mutterschaft wieder positiver: Diese wird nun als wichtiger Bereich im Leben einer Frau und als Teil ihrer Identität gesehen; sie kann sich auf ihre psychische Entwicklung positiv auswirken. Die Kindererziehung gilt aber nur zum Teil als ihre Verantwortung; wichtige Rollen sollten auch der Vater, Kindertageseinrichtungen, Tagesmütter und andere Personen spielen. Es wird betont, dass Mütter Familie und Beruf erfolgreich miteinander vereinbaren könnten. Frauen werden nun auch als stark genug gesehen, sich der "patriarchalischen Ideologie" zu widersetzen, soziale Veränderungen zu initiieren und eine "weibliche" Kultur zu schaffen.
Die Qual der Wahl
Eine Frau wird somit mit vielen Mutterbildern konfrontiert. Sie hat einerseits Wahlfreiheit, kann sich also für das eine oder das andere Ideal entscheiden, ohne mit irgendwelchen größeren gesellschaftlichen Sanktionen rechnen zu müssen. Andererseits kann diese Situation zu Desorientierung, Verunsicherung und Ambivalenz führen: Die Frau mag es als sehr schwierig erleben, eine eigene Mutteridentität zu entwickeln.
Wenn sich eine Mutter (unbewusst) für ein bestimmtes Leitbild entscheidet, muss sie allerdings mit Problemen rechnen - wie zuvor immer wieder angedeutet wurde: mit Problemen wie Isolation und einem niedrigen sozialen Status (als Hausfrau), wie Überforderung (als Erziehende) oder wie Mehrfachbelastung und Stress (als Erwerbstätige).
Darüber hinaus müssen sich Mütter mit einer Reihe von Paradoxen auseinander setzen, die hier nur beispielhaft angedeutet werden können:
- Auf der einen Seite erfährt Mutterschaft als soziale Rolle nur wenig gesellschaftliche Wertschätzung. Auf der anderen Seite hat sie aber für die Mutter selbst eine sehr große persönliche Bedeutung und moralischen Wert.
- Kindererziehung wird einerseits als etwas "Instinktives" und "Intuitives" bezeichnet; Mütter wüssten von Natur aus, wie sie sich Kindern gegenüber zu verhalten hätten. Andererseits wird behauptet, dass Mütter viele Fehler im Umgang mit ihren Kindern machen würden und sich deshalb an wissenschaftlich fundierten Erziehungsratgebern orientieren sollten.
- Müttern wird einerseits ein großer erzieherischer Einfluss zugesprochen; andererseits gelten Kinder als durch ihr Erbgut bzw. als durch die Gesellschaft (Kindergarten, Schule, Gleichaltrigengruppe, Medien usw.) geprägt.
Besonders problematisch ist aber, dass die in unserer Gesellschaft vorherrschenden Mutterbilder den Blick dafür verstellen, dass es neben den Müttern viele (potenziell) wichtige Bezugs- und Erziehungspersonen für Kinder gibt. Im familialen Bereich können dies neben Vätern auch Großeltern oder ältere Geschwister sein; im außerfamilialen Bereich sind dies Erzieher/innen, Lehrer/innen, Nachbar/innen u.v.a.m. Deren Einbeziehung in ein umfassendes Erziehungs- und Sozialisationskonzept würde Mütter von einer Überbewertung ihrer Rolle sowie von der damit verbundenen Überlastung und anderen negativen Folgen befreien...
Mutterschaft heute
Schon in der Kleinkindheit beginnt die geschlechtsspezifische Sozialisation: Mädchen und jungen Frauen übernehmen eine Geschlechtsrolle, die bestimmte "feminine" Eigenschaften (einfühlsam, liebevoll, emotional usw.), Einstellungen (z.B. Interesse an personalen Beziehungen) und Verhaltenstendenzen (z.B. Sorge für andere, Bezogenheit, Kommunikationsfreudigkeit) umfasst. Die Identität als Frau wird zu einem zentralen Bestandteil des Selbstbildes.
Zu dem Geschlechtsrollenleitbild gehört auch, dass Frauen Mütter werden sollen und die Mutterrolle eine wichtige Rolle in ihrem Leben sei. So schreibt Herwartz-Emden (1995): "Mutterschaft ist Bestandteil des weiblichen Selbstkonzeptes, eine zentrale Dimension der weiblichen Geschlechtsrollenorientierung. Die Sozialisation zur Mutterschaft setzt für die Frau in ihrer Kindheit und Jugend ein; ihre Auswirkungen auf die weibliche Biographie und Lebensgestaltung reichen weit über die Phase der aktiven Mutterschaft hinaus" (S. 11).
Aus dieser Verschmelzung von Geschlechts- und Mutterrolle resultiert ein starker sozialer Druck auf Frauen, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Insbesondere ältere, noch kinderlose Frauen spüren diesen Druck, vor allem durch die eigenen Eltern und gleichaltrige Frauen (Mütter), aber auch durch die internalisierten gesellschaftlichen Erwartungen und das Wissen, das sie nur noch kurze Zeit fertil sind.
Der Eintritt in eine Ehe oder nichteheliche Lebensgemeinschaft ist heute für Frauen kein einschneidendes Ereignis mehr: In der Regel handelt es sich nur noch um die Vereinigung von zwei Haushalten; die Paarbeziehung, das sexuelle Verhältnis, das Miteinander-Wohnen, die gemeinsame Teilhabe an Aktivitäten u.Ä. bestanden schon zuvor. Die Frau ist gleichberechtigt und bleibt relativ autonom. Sie übt weiterhin ihren Beruf aus; ihre Chancen zur Selbstverwirklichung werden kaum eingeschränkt. Da sich der Mann in dieser Lebensphase zumeist an der Hausarbeit beteiligt, erfährt sie kaum zusätzliche Belastungen. Die Eheschließung bzw. der Beginn einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führen somit zu relativ wenig Veränderungen im Erleben und Verhalten der Frau; auch die mit der Heirat verbundene Übernahme einer neuen gesellschaftlichen Position und Rolle wirkt sich nicht besonders stark auf ihre Identität aus.
Im Gegensatz dazu führt die erste Schwangerschaft bzw. die Geburt des ersten Kindes zu einer totalen Umstellung des Lebensstils einer Frau. Selbstbild, gefühlsmäßiges Erleben und Verhalten erfahren radikale Veränderungen. Damit wird die Mutterwerdung zu einem einschneidenden Lebensereignis in der weiblichen Biographie. So geben weiterhin viele Frauen nach der Geburt eines Kindes den Beruf (für längere Zeit) auf. Sie erleben einen starken Einschnitt, da sie mit dieser Entscheidung nicht nur ihren bisherigen Status, sondern auch ihre ganze Vergangenheit verlieren, wie eine Untersuchung von Weaver und Ussher (1997) zeigte: "All die Elemente ihres früheren Lebens, die zum Ausdruck des Selbst und der Weiblichkeit genutzt wurden, waren nun eingeschränkt oder fielen ganz weg. Dies wurde noch verschlimmert durch die Tatsache, dass jede Frau das Leben ihres Partners als im Wesentlichen unverändert wahrnahm" (S. 64). So sind viele junge Mütter, die ihren Beruf aufgegeben haben, mit ihrer neuen Lebenssituation unzufrieden.
Bleiben Mütter jedoch erwerbstätig, müssen sie sich zum einen den mit der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbundenen Problemen stellen. Zum anderen müssen sie sich vor sich selbst und vor anderen immer wieder rechtfertigen, dass sie trotz Erwerbstätigkeit "gute Mütter" sind. So verweisen sie z.B. darauf, wie gut die Fremdbetreuung für ihre Kinder sei, dass durch das zusätzliche Einkommen den Kindern bessere Lebenschancen eröffnet werden oder dass ihr Glück auch die Kinder beglücken würde.
Der Übergang zur Elternschaft wird somit sowohl für berufstätige als auch für nicht erwerbstätige Mütter und für ihre Partner zu einer tiefen Zäsur: "Da treffen besonders egalitäre Rollenerwartungen junger Paare auf extrem traditionelle gesellschaftliche Wertvorstellungen und Rahmenbedingungen und können deshalb nicht realisiert werden. Eine bis zur Familiengründung besonders ausgeprägte Berufs- und Karriereorientierung, die Flexibilität, Mobilität und einen gewissen Egoismus notwendig macht, steht in Konflikt mit Elternschaft, die ein hohes Maß an Gebundenheit mit sich bringt und Selbstlosigkeit ebenso wie Kompromissbereitschaft erfordert" (Quaiser-Pohl 1992, S. 31). Unabhängig davon, ob die Frau ihren Beruf aufgibt oder nicht, kommt es in der Regel nach der Geburt des ersten Kindes zu einer traditionelleren Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau und zu einer starken Abnahme der Ehequalität.
Mutterschaft kritisch reflektieren
Die bewusste Entscheidung für die Zeugung eines Kindes, die Schwangerschaft oder spätestens die "junge" Mutterschaft sollten also zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den in unserer Gesellschaft vorherrschenden Mutterbildern führen - auch mit dem der "bösen" bzw. der "Rabenmutter". Zugleich sollten Frauen ihre eigene Kindheit reflektieren, da die selbst erfahrene "Bemutterung" und Erziehung im positiven wie im negativen Sinne die eigene Mutterschaft und das eigene Erziehungsverhalten prägen können.
Frauen, die sich solchen Fragen stellen - möglichst in einer Gruppe mit anderen Paaren bzw. Frauen -, werden sich eher von Mutterbildern, Rollenmodellen und gesellschaftlichen Erwartungen distanzieren können. Auch sollten sie sich bewusst machen, dass sie nie die von allen Menschen in ihrem Netzwerk als "richtig" empfundene Entscheidung treffen werden: "Bleibt eine Frau aus eigenem Willen kinderlos, sagt man ihr nach, sie sei kalt, herzlos und als Frau unerfüllt. Ist sie eine Mutter, die zu sehr an ihrem Job oder ihrer Karriere interessiert ist, wird sie bezichtigt, ihre Kinder zu vernachlässigen. Engagiert sie sich aber nicht genug für ihre Arbeit, dann wird man sie mit Gewissheit auf die 'Muttischiene' abschieben, und die Weiterentwicklung ihrer Karriere wird permanent durch die Behauptung gebremst, ihr Engagement für die Kinder behindere ihre Effizienz am Arbeitsplatz (...). Bleibt sie aber bei ihren Kindern zu Hause, werden einige sagen, sie sei unproduktiv und nutzlos. Mit anderen Worten: Eine Frau kann es nie richtig machen!" (Hays 1998, S. 176).
Frauen müssen sich also von der Vorstellung lösen, es allen recht machen zu können, und ihren eigenen Weg gehen: Die einen werden sich dann bewusst dafür entscheiden, Mutter und Hausfrau zu sein; den anderen werden anstreben, die Rollen der Mutter, der Ehefrau und der (voll-) erwerbstätigen Frau miteinander zu vereinbaren. Entscheidend ist immer, dass eine Mutter mit ihrer Lebenssituation zufrieden ist und qualitativ gute Zeit mit ihrem Kind verbringt, denn kaum etwas wirkt sich so negativ auf die kindliche Entwicklung aus wie eine unglückliche, deprimierte und überforderte Mutter (die in einer konfliktreichen bzw. unbefriedigenden Paarbeziehung lebt) - sei sie Hausfrau oder erwerbstätig.
Zur Identität als Mutter
Die Mutteridentität wird in der Zeit der Schwangerschaft mit dem ersten Kind und in den ersten Monaten nach seiner Geburt entwickelt. Sie ist nicht konstant, sondern wandelt sich mit dem Älter- und Erwachsenwerden des Kindes, mit der Geburt weiterer Kinder oder aufgrund sozialer und soziokultureller Einflüsse. Auch ändert sich immer wieder ihre Relation zu anderen Identitäten (z.B. als Frau, als Ehegattin, als Berufstätige, als Hausfrau).
McMahon (1995) betont, dass die Mutterwerdung zu dem wohl einschneidendsten Identitätswandel im Leben einer Frau führt und die Mutteridentität einen zentralen Platz in ihrer Psyche einnimmt. Von besonderer Bedeutung sei, dass die Mutterwerdung im Erleben eine "moralische Transformation" bewirkt: Die Frauen fühlen sich verantwortlich für ein anderes Leben, an das sie unlösbar gebunden sind. Sie empfinden eine intensive Liebe zu dem Kind und die starke Verpflichtung, sein physisches und psychisches Wohlergehen sicherzustellen. Ihr Leben hat einen neuen Sinn bekommen; sie fühlen sich als "Hüter der Unschuldigen" "moralisch erhöht".
Nach Wiegand (1998) hat die Mutteridentität eine affektive Dimension (z.B. Liebe, Zuneigung, Ängste, Zweifel) und eine kognitive (z.B. Wissen, internalisierte Erwartungen, Leitbild). Die Ansprüche an sich selbst entsprechen weitgehend dem Stereotyp: Die Frauen wollen "gute Mütter" sein, ihren Kindern viel Liebe und Zuneigung geben, sie beschützen und "richtig" erziehen. So resultiert aus der Mutteridentität eine Leistungsmotivation. Erzielen die Frauen Erziehungserfolge, so erleben sie dies als Aufwertung ihrer selbst; Misserfolge führen hingegen zu negativen Selbstwertgefühlen.
Das Selbstbild als Mutter wird jedoch auch durch Einflüsse von außen geprägt: So erleben viele Frauen nach der Geburt des ersten Kindes, dass sie als Hausfrau und Mutter in unserer Gesellschaft einen viel niedrigeren Status als erwartet (und als zuvor) haben. Zugleich werden sie mit so hohen Erwartungen ("Mutterideal") konfrontiert, dass sie oft ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle haben, weil sie ihnen in der Realität nicht entsprechen. Ist hingegen die Mutter (Teilzeit) erwerbstätig, muss sie sich mit den aus der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf resultierenden Problemen (Stress, Erschöpfung, Schuldgefühle usw.) auseinandersetzen.
Haug-Schnabel (1992) ergänzt: "In der Realität werden zwar die Mütter mit den berechtigten Ansprüchen des Kindes konfrontiert, ihre eigenen - ebenfalls berechtigten - Bedürfnisse aber werden nicht berücksichtigt. Mütter sind in unserer Gesellschaft - gleichgültig, ob unverheiratet oder verheiratet - zumeist allein erziehend. Allein erziehend - das heißt: Im Alltag und im Notfall immer zur Stelle zu sein, für alles verantwortlich zu zeichnen, gleichzeitig aber - wenn überhaupt - nur Mitspracherecht zu haben. Mütter sind gezwungen, anstehende Entscheidungen zu treffen und allein zu handeln, müssen dieses Tun aber nicht nur vor sich selbst und dem Kind rechtfertigen. Nur ihr schlechtes Gewissen und ihre Schuldgefühle dürfen Mütter mit Sicherheit ungeteilt und ungeschmälert für sich behalten" (S. 58). So ist es nicht verwunderlich, dass Kinder zunehmend als Belastung erlebt werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Mutter in unserer pluralistischen, postmodernen Gesellschaft mit widersprüchlichen Vorstellungen und Erwartungen hinsichtlich der Erziehung ihrer Kinder konfrontiert wird - sie kann es nicht allen Recht machen. Zugleich hat sie aber auch die Freiheit, ihr eigenes Leitbild zu "konstruieren" und in ihrem Handeln zu befolgen. Die aus dieser Situation resultierende Verunsicherung einiger Mütter zeigt sich laut Parker (1996) in folgendem Verhalten: "Manchmal nutzen Mütter andere Mütter als Spiegel. Jede Mutter mustert die andere auf der Suche nach einer Reflexion ihres eigenen Erziehungsverhaltens. Sie halten Ausschau nach Abweichungen von ihrem eigenen Stil des Bemutterns und sie schauen nach Ähnlichkeiten. Aber vor allem anderen suchen sie nach der Bestätigung, dass sie es richtig machen - in Angesicht von Befürchtungen, dass sie hoffnungslos falsch liegen" (S. 1).
Negative und positive Gefühle gegenüber dem Kind
So kennzeichnen ambivalente Gefühle das intrapsychische Verhältnis von Frauen- und Mutterrolle, den Kinderwunsch, die Entscheidung zwischen den Alternativen "Hausfrau" und "erwerbstätige Mutter" sowie das Erleben von Mutterschaft. Diese Ambivalenz schlägt sich auch in der Beziehung zum Kind nieder - obwohl für die Öffentlichkeit als auch für die Mütter selbst nur schwer zu akzeptieren ist, dass Frauen sowohl Liebe als auch Hass ihren Kindern gegenüber empfinden. Parker (1996) schreibt: "Doch blicken Mütter auf andere Mütter, um 'Absolution' für mütterliche Gefühle zu finden, die nach den dominanten kulturellen Vorstellungen von Mutterschaft inakzeptabel sind und die für die Mütter selbst sowohl schmerzhaft als auch unverzeihlich sind. Ich beziehe mich auf die flüchtigen (oder nicht so flüchtigen) Gefühle des Hasses für ihr Kind, die eine Mutter ergreifen können, den Moment des Zurückschreckens vor einem viel geliebten Körper, den Drang zu verlassen, das unberührte Essen in das Gesicht eines Kleinkindes zu schleudern, am Arm eines Kindes beim Überqueren der Straße zu zerren, sein Gesicht mit dem Waschlappen hart zu schrubben, das Türschloss wegen eines Jugendlichen zu wechseln, oder die Fantasie, ein schreiendes Baby aus dem Fenster zu werfen" (S. 4). Diese aggressiven Gefühle gegenüber dem Kind können das Gewissen so belasten, dass sie verdrängt werden und nur in Träumen und Fantasien auftreten. Sie bleiben aber Teil der die Mutterschaft kennzeichnenden Ambivalenz.
Diesen negativen Emotionen stehen positive gegenüber: Wie bereits erwähnt, bedeuten Kinder für viele Mütter den Mittelpunkt und Sinn ihres Lebens. Sie fühlen sich gebraucht, geliebt und als Person aufgewertet. Auch empfinden sie eine überwältigende Liebe für ihre Kinder. McMahon (1995) schreibt: "Der größte Lohn für das Mutter-Sein kommt von der besonderen Bindung, die diese Frauen zu ihren Kindern haben, und aus der Freude zu beobachten, wie die Kinder lernen und sich entwickeln" (S. 268).
Mutterschaft morgen
In den kommenden Jahren wird es immer mehr Frauen mit höheren Bildungs- und Berufsabschlüssen geben. Da zugleich die Aufstiegschancen für sie besser werden dürften, wird die Karriereorientierung weiter zunehmen: Frauen werden den Eindruck haben, Leistung lohne sich. Spaß an der Arbeit und Freude am eigenen Erfolg werden zur Sinnerfüllung beitragen. Somit wird die Erwerbstätigkeit für Frauen einen immer höheren Stellenwert im Vergleich zur Familienarbeit bekommen.
Zudem proklamieren Wirtschaft und Politik seit einigen Jahren ein neues Mutterbild: emanzipierte, finanziell unabhängige Frauen, die ihre Kinder ein Jahr nach der Geburt einer Tagesmutter oder (Krippen-) Erzieherin anvertrauen. Und so werden immer mehr Kinderbetreuungsangebote für unter Dreijährige geschaffen und zunehmend Halbtags- durch Ganztagsbetreuung ersetzt. Da Kindertagesstätten nun Bildungseinrichtungen sind, in denen der Bildungsplan des jeweiligen Bundeslandes "abgearbeitet" wird, wissen die jungen Mütter ihre Kinder dort gut gefördert. Ferner gehen sie davon aus, dass sich auch die Grundschulen intensiv um ihre Kinder kümmern, da dort immer häufiger eine Nachmittagsbetreuung angeboten wird - sofern sie nicht schon längst Ganztagsschulen sind.
So werden immer mehr Mütter nach der Geburt ihrer Kinder immer früher und von der Stundenzahl her länger erwerbstätig sein. Zugleich werden sie Erziehungsaufgaben zunehmend delegieren: Kleinkinder werden das Krabbeln, Laufen und Sprechen nicht mehr zu Hause lernen, sondern bei Tagesmüttern und in Kinderkrippen. Erzieher/innen werden immer häufiger die Sauberkeitserziehung übernehmen und Kleinkindern beibringen, wie man sich an- bzw. auszieht und wie man ordentlich isst. Entwickelt sich ein Kind nicht richtig - kein Problem für die Mutter: Schließlich gibt es viele spezialisierte Dienste, die sich dann um ihr Kind kümmern!
Die Mutterrolle wird somit viele erziehende und bildende Funktionen verlieren. Gleichzeitig wird die Mutter-Kind-Beziehung lockerer werden, da Mütter und Kinder immer weniger Zeit miteinander verbringen. So müssen Kinder frühzeitig selbständig werden und für sich selbst sorgen.
In den kommenden Jahren wird es nicht nur immer weniger Hausfrauen geben, sondern auch immer weniger Haushaltstätigkeiten werden noch in den Familien ausgeübt werden. So werden sich viele Mütter aufgrund der längeren Arbeitszeiten immer weniger um den Haushalt kümmern. Schon jetzt bestehen Mahlzeiten häufig aus Tiefkühlkost und Junkfood, werden sie vom Pizzaservice oder anderen Lieferdiensten gebracht. Außerdem essen die Eltern an fünf Tagen der Woche an ihrem Arbeitsplatz bzw. in dessen Nähe. Die Kinder nehmen ihre Mahlzeiten immer häufiger in der Kindertageseinrichtung bzw. Schule ein. Wenn Mütter (Vollzeit) erwerbstätig sind, reicht das Geld oft für eine Putzfrau. So können Frauen das Reinigen der Wohnung delegieren - in Zukunft wahrscheinlich auch immer mehr an Roboter.
Je weniger Wertschätzung die Hausarbeit erfährt und je weniger Zeit für sie zur Verfügung steht, desto kühler, zweckmäßiger und pflegeleichter wird die Wohnung ausgestattet werden. Das Haus wird weniger ein Heim als ein (weiterer) Aufenthaltsort bzw. eine Schlafstätte sein. Die Familienmitglieder werden zu unterschiedlichen Zeiten nach Hause kommen und sich nach der "Selbstversorgung" in ihre Zimmer zwecks Mediennutzung, Erledigen von Hausaufgaben oder Gesprächen mit Freunden zurückziehen. Mahlzeiten im Familienkreis oder gemeinsame Haushaltsaktivitäten werden immer seltener werden - "Gemütlichkeit" hat ausgedient.
Mutter- und Vaterrolle nähern sich einander an
Deutlich wird, dass sich die Frau immer mehr über ihre Erwerbstätigkeit und immer weniger über Mutterschaft und Haushaltsführung definieren wird. Und dies ist unabhängig davon, ob sie aus finanziellen Zwängen, aus Freude an ihrem Job oder zwecks Selbstverwirklichung arbeiten geht. In dieser Überbetonung des Berufs wird sie von Politik und Wirtschaft - vermittelt über die Medien - unterstützt. Die Mutter überlässt somit die Betreuung, Erziehung und Bildung ihrer Kinder immer mehr Dritten. Damit nähert sich ihre Rolle schrittweise der traditionellen Rolle von Vätern an, nach der für solche Aufgaben die Ehefrauen zuständig waren. Die neuen Mütter werden immer mehr wie die alten Väter...
Literatur
Haug-Schnabel, G.: "Ich bin doch nur die Mutter!" Psychologie heute 1992, 19 (11), S. 58-62
Hays, S.: Die Identität der Mütter. Zwischen Selbstlosigkeit und Eigennutz. Stuttgart: Klett-Cotta 1998
Herlyn, I./Vogel, U./Kistner, A./Langer, H./Mangels-Voegt, B./Wolde, A.: Begrenzte Freiheit - Familienfrauen nach ihrer aktiven Mutterschaft. Eine Untersuchung von Individualisierungschancen in biographischer Perspektive. Bielefeld: Kleine 1993
Herwartz-Emden, L.: Geschlechterverhältnisse und Mutterschaft in einfachen und modernen Gesellschaften. Neue Sammlung 1995, 35, S. 47-64
Herwartz-Emden, L.: Mutterschaft und weibliches Selbstkonzept. Eine interkulturell vergleichende Untersuchung. Weinheim: Juventa 1995
McMahon, M.: Engendering motherhood: Identity and self-transformation in women‘s lives. New York: Guilford 1995
Meise, S.: Rabenmamas und Superfrauen. Mütter in Ost und West. Psychologie heute 1995, 22 (9), S. 32-37
Parker, R.: Mother love / mother hate. The power of maternal ambivalence. New York: Basic Books 1996
Quaiser-Pohl, C.: Kinderwunsch zu hoch gehängt? Wenn Kinder nur Belastung sind. Die Frau in unserer Zeit 1999, 28 (3), S. 26-31
Textor, M.R.: Die Familie in Gegenwart und Zukunft. Positionen, Provokationen, Prognosen. Norderstedt: BoD 2009 ()
Weaver, J.J./ Ussher, J.M.: How motherhood changes life - a discourse analytic study with mothers of young children. Journal of Reproductive and Infant Psychology 1997, 15, S. 51-68
Wiegand, G.: Selbstveränderung von Müttern aus subjektiver Sicht. Ein Beitrag zur psychoanalytischen Frauenforschung. Gießen: Psychosozial-Verlag 1998