Historische und interkulturelle Variabilität von Mutterschaft - Konsequenzen für die Gegenwart

Martin R. Textor

Es gibt nicht die Mutterschaft - jede Mutter, jedes Kind, jeder Vater erlebt Mutterschaft ganz individuell und über den Familienzyklus hinweg immer wieder anders. Dies können Wissenschaftler/innen aber nur sehr schwer erfassen. Sie interessieren sich deshalb eher für weit verbreitete Ausprägungen von Mutterschaft, für Rollenleitbilder, soziokulturelle Normen und Erwartungen an die Mutterrolle. Bei ihren Studien haben Wissenschaftler/innen schon recht früh erkannt, dass Mutterschaft im Verlauf der Jahrhunderte, in verschiedenen Kulturen sowie in den unterschiedlichen Subkulturen und Familienformen einer bestimmten Gesellschaft variiert. Einige Varianten sollen in diesem Artikel vorgestellt werden.

Historische Varianten von Mutterschaft

Vor dem 18./19. Jahrhundert waren in der westlichen Welt die Geburt und Erziehung von Kindern nur eine neben vielen anderen Aufgaben von Frauen. Aufgrund unbekannter oder wenig verlässlicher Verhütungsmaßnahmen waren Schwangerschaften zumeist unvermeidbar. Viele Kinder starben als Säugling oder als Kleinkind, da es an Hygiene mangelte, ihre Ernährung unzureichend war und viele Krankheiten mangels Medikamente tödlich verliefen. Zumeist wurden sie bis zu ihrem 6. oder 7. Lebensjahr eher sich selbst überlassen, da ihre Mütter mit der Arbeit auf dem Hof, im Garten und im Haushalt voll ausgelastet waren und somit kaum Zeit für die Belange der Kinder hatten.

Ältere Kinder mussten - lange bevor sie das Jugendalter erreichten - auf dem Hof oder im Betrieb mithelfen. Sie wurden in erster Linie als Handlanger bzw. Arbeitskräfte gesehen - erbrachten sie nicht genügend "ökonomischen Nutzen" oder gehorchten sie nicht, wurden sie gezüchtigt. Ihre Ausbildung und Erziehung wurden vom Vater oder von anderen Erwachsenen (Knechte, Mägde, Verwandte, Dienstherren, Meister und Gesellen) übernommen, die eine unanfechtbare Autorität beanspruchten. Die Mutter spielte keine größere Rolle mehr, außer wenn das Kind (Mädchen) in ihrem Zuständigkeitsbereich mitarbeiten musste.

Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts verbreiteten sich langsam einige neue kindbezogene Vorstellungen - z.B. von der "Unschuld" des Kindes, von seinem "Wert" als Individuum und von der Notwendigkeit, es zu behüten und richtig zu erziehen, damit es ein "guter Mensch" bleibt. Diese Aufgabe wurde immer mehr der Mutter zugesprochen; der Mutterschaft wurde somit eine größere Bedeutung beigemessen. Auch wurde die Kindheit als abgegrenzte Phase im Lebenszyklus des Menschen entdeckt und dann entsprechend gestaltet: mit eigener Kleidung und dem "Spiel" als Hauptbeschäftigung (Herstellung von Spielzeug). Die spätere Kindheit wurde zunehmend als "Bildungszeit" definiert: Kinder von Adligen oder reichen Bürgern erhielten Hauslehrer; für die anderen Kindern wurden immer mehr Schulen gebaut. Diese wurden zunächst nur von reicheren Familien genutzt, bis allmählich die Schulpflicht eingeführt wurde.

Mit der Kindheit wurde auch die Mutterschaft neu definiert - als innerste Wesenserfüllung der Frau und damit als Essenz ihrer Person und Identität. So "wurde die Sorge für das leibliche und seelische Wohl der Kinder zur ersten, vordringlichsten und oft auch einzigen Aufgabe der Frau im Besitz- und Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts - wenn die materiellen Umstände es erlaubten. Der Vater verlor seine wichtige Rolle als Bezugsperson, die er noch im 18. Jahrhundert für die Kinder hatte" (Herwartz-Emden 1995b, S. 55). Er wurde zunehmend an den Rand der Familie gedrängt, da die (emotionale) Beziehung zwischen Mutter und Kindern immer enger wurde und ihre Aktivitäten das Familienleben prägten. Das Konzept der "Mutterliebe" fand eine weite Verbreitung; Mütterlichkeit wurde zu einer der Frau eigenen, besonderen Fähigkeit; die psychologische Beeinflussung der Kinder ersetzte mehr und mehr die körperliche Züchtigung. Auch kam es zu einem "Kult der Häuslichkeit" - die Wohnung wurde zum "trauten Heim". Parallel dazu wurden die Frauen immer mehr aus der sich ausdifferenzierenden Arbeitswelt und aus dem öffentlichen Leben "verbannt". Die zunehmende Trennung zwischen "privaten" (Familie) und "öffentlichen" Lebensbereichen (Arbeitsplatz), verbunden mit der Arbeitsteilung zwischen Mann (Beruf) und Frau (Haushalt), führte im Vergleich zu den vorausgegangenen Jahrhunderten zu einer stärkeren Ausprägung unterschiedlicher Geschlechtscharaktere.

Es wird aber auch hinterfragt, inwieweit sich Mütter in wohlhabenden Familien wirklich auf die Erziehung ihrer Kinder und auf die Haushaltsführung konzentriert haben. Zum einen wurden Kindermädchen, Erzieher und Gouvernanten beschäftigt, die pädagogische Aufgaben erfüllten. Zum anderen gab es Hauspersonal, das die anfallende Hausarbeit übernahm: "Eine Beschäftigung als Hausmädchen war die im 19. Jahrhundert übliche Form weiblicher Erwerbstätigkeit. ... In Boston beschäftigte etwa ein Fünftel der Familien Hauspersonal, das auch bei ihnen wohnte; in Buffalo und New York City kam statistisch auf vier Haushalte ein Hausmädchen... In Richmond kamen 1880 auf 1000 Haushalte fast 450 Hausangestellte" (Hays 1998, S. 59). Ähnliches gilt auch für das Deutsche Reich.

Hier wird schon angedeutet, dass nur ein kleiner Teil der Mütter (und Kinder) in solch privilegierten Verhältnissen lebten: Die weitaus meisten Mütter waren weiterhin erwerbstätig - im Gegensatz zu den vorausgegangenen Jahrhunderten nun aber zunehmend außerhäuslich. Auch mussten viele ältere Kinder arbeiten - in Bergwerken und Fabriken, auf dem (elterlichen) Hof oder in Heimarbeit. Außerdem gab es immer mehr Alleinerziehende, die nicht in Verwandtschaftssystemen eingebettet waren (da diese z.B. aufgrund von Landflucht zerfallen waren) und deshalb ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mussten. Hier war die Gefahr einer Vernachlässigung und unzureichenden Erziehung der Kinder besonders groß.

Diese "Fehlentwicklungen" führten bereits im 19. Jahrhundert zur Entstehung sozialer Berufe wie z.B. die der Fürsorgerin (Sozialarbeiter/in) und Kindergärtnerin (Erzieher/in), die entweder eine behördliche "Kontroll- und Interventions-" (Armenpflege, Jugendfürsorge) oder eine "Betreuungsfunktion" (Kinderbewahranstalt, Kindergarten, Heim) übernahmen. Parallel dazu wurde durch die Einführung der Schulpflicht die Kinderarbeit zurückgedrängt; diese wurde später ganz verboten. Da der Staat dem einzelnen Kind und dessen Wohl eine immer größere Bedeutung beimaß, wurde auch die Geburt zunehmend der Kontrolle unterworfen: Anstelle der Hausgeburt wurde die Entbindung in der Klinik - unter dem wachsamen Auge von Ärzten und Hebammen - forciert. Das "Werden der Mutter" vollzog sich nicht länger in der Intimität ihrer Wohnung und im Kreise ihrer Familie, sondern in dem grellen Licht des Kreißsaals.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Mutterschaft immer mehr "verwissenschaftlicht": "Mit der Einstufung der Kindererziehung in den Rang einer Wissenschaft jedoch begann der Status der Mutter als hoch geachtete, von Natur aus talentierte Betreuerin ihrer Kinder zu schwinden" (Hays 1998, S. 64). Stattdessen wurde ihr immer häufiger nahe gelegt, von Expert/innen empfohlene Erziehungsmethoden anzuwenden bzw. sich an den Theorien von Freud, Adler, Erikson oder Piaget zu orientieren. Zugleich entstanden Institutionen, die sich auf die Beratung von Eltern bei Erziehungsschwierigkeiten und auf Kinder(spiel)therapie spezialisierten.

Im 20. Jahrhundert breitete sich das bürgerliche Familienmodell weiter aus und wurde auch in Arbeiterfamilien zunehmend praktiziert - sofern das Einkommen des Vaters so hoch war, dass die Mutter nicht arbeiten musste. Zugleich wurde die Erziehung emotional offener, permissiver - bis hin zu antiautoritär (insbesondere in den 1960er Jahren) - und kindzentrierter: Kinder wurden als einzigartige Persönlichkeiten gesehen, deren Bedürfnisse zu erfüllen und deren Wünsche zu berücksichtigen sind. So wurde (externen) Normen immer weniger Bedeutung beigemessen, wurden die Kinder zunehmend partnerschaftlich behandelt und ihnen immer mehr Mitbestimmungsrechte eingeräumt. Dementsprechend änderten sich auch Rolle und Verhalten der Mütter.

Diese Tendenzen verdeutlicht eine Studie von Schneewind und Ruppert (1995), die 200 Familien 1976 und 1992 befragten und dann die Auffassungen der älteren Generation mit denen der jüngeren verglichen (zum zweiten Erhebungszeitpunkt waren die Mütter im Durchschnitt 55 Jahre alt und ihre Kinder 28 Jahre): "Bei den Erziehungszielen ergibt sich für die jüngere Generation eine deutlich geringere Orientierung an religiösen Normen und eine ebenso deutliche Zurücknahme von Konformitätsforderungen. Für die Mutter-Tochter-Konstellation kommt noch ein markanter Anstieg an Selbständigkeitserwartungen zugunsten der nachwachsenden Generation hinzu, während die jungen Väter gegenüber ihren Söhnen ein geringeres Maß an leistungsbezogenen Forderungen an den Tag legen. Im Bereich der Erziehungspraktiken zeigt sich für die Filialgeneration ein merkliches Ansteigen ihrer Bereitschaft, auf positives Verhalten ihrer Kinder mit einem hohen Maß an Aufmerksamkeit und Zuwendung einzugehen" (S. 147).

Im Zusammenhang mit der Emanzipationsbewegung wurde ab den 1970er Jahren der mütterlichen Erwerbstätigkeit eine große Bedeutung beigemessen: Zum einen wurde der Beruf als wichtigster Weg zur Selbstverwirklichung der Frau gesehen (und somit nicht mehr die Mutterschaft!). Zum anderen wurde betont, dass sich nur eine Frau mit einem eigenen Erwerbseinkommen von der Abhängigkeit von ihrem Ehemann lösen und gleichberechtigt werden kann. Seitdem steigt der Prozentsatz erwerbstätiger Mütter in der westlichen Welt an, nehmen Frauen nach der Geburt eines Kindes immer früher ihre Erwerbstätigkeit wieder auf und wird die durchschnittliche Wochenarbeitszeit immer länger. Damit wachsen auch die aus der Vereinbarkeit von Familie und Beruf resultierenden Probleme. Zugleich schwindet die Bedeutung der Mutterschaft. Hierzu trägt auch bei, dass sich Familien auf ca. zwei Kinder beschränken und die Elternschaft aufgrund der steigenden Lebenserwartung zu einer immer kürzer werdenden Phase im Lebenszyklus wird.

Die Gleichstellung der Geschlechter und die Berufstätigkeit von Frauen wurden vor allem von den sozialistischen Ländern forciert. Hier wurden sehr schnell bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote geschaffen, sodass sich Mutterschaft und Beruf gut miteinander vereinbaren ließen. Dementsprechend waren fast alle Mütter vollerwerbstätig, war der Beruf neben der Mutterschaft ein zentraler Bestandteil ihrer Identität. Diese Situation änderte sich nach der Auflösung der sozialistischen Staats- und Wirtschaftsordnung bzw. nach der Wiedervereinigung: "Die Rechtsangleichung nach der Vereinigung bedeutete einen großen Verlust an DDR-Frauenrechten. Soziale Sicherheit und finanzielle Unabhängigkeit adé, so hat sich die Wende für viele ausgewirkt. Gerade jener hohe Grad an Sicherheit hat die Frauen von der Entscheidung 'Kinder oder Beruf', wie sie für Westfrauen typisch ist, entbunden" (Meise 1995, S. 35). Dementsprechend sanken die Geburtenraten. Heute bleibt in der Bundesrepublik Deutschland rund ein Drittel der Frauen kinderlos - die Mutterschaft spielt für sie keine Rolle.

Kulturelle Varianten von Mutterschaft

Ethnologische Untersuchungen der letzten 100 bis 150 Jahren haben gezeigt, dass in den verschiedenen Kulturen Afrikas, Asiens, Amerikas und Australiens Mutterschaft ganz unterschiedlich definiert und gelebt wurde/ wird. Sie spielt eine mehr oder minder große Rolle im Leben einer Frau, beansprucht mehr oder weniger Zeit und wird mehr oder minder stark durch Normen geregelt. Auch haben Mütter ganz unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Erziehung ihrer Kinder - sie überlassen dies beispielsweise weitgehend "der Natur" bzw. der eigenen Intuition oder sie steuern die kindliche Entwicklung entsprechend bestimmter gesellschaftlicher Ziele; sie verhalten sich eher autoritär oder laissez-faire, verwöhnen das Kind oder weisen ihm die niedrigste Position in der Familie zu, zeigen ihm gegenüber viel oder wenig Gefühl, lassen ihm viel Freiraum oder halten es eher abhängig, fördern eher die Individualität oder eher die Einordnung in die Gemeinschaft, haben eher hohe oder eher niedrige Leistungserwartungen, verlangen relativ frühzeitig Selbstkontrolle oder schränken den Gefühlsausdruck nur wenig ein, vertreten eher rigide oder eher flexible Geschlechtsrollenleitbilder. Auch messen Mütter ihrem erzieherischen Einfluss mehr oder weniger Bedeutung im Vergleich zu den Fähigkeiten des Kindes (Erbgut) oder zu seiner Anstrengungsbereitschaft bei, stehen sie hinsichtlich ihrer "Erziehungsleistung" mehr oder weniger im Wettbewerb mit anderen Frauen.

Unterschiedliche Auffassungen zur Mutterschaft und verschiedene Formen der Ausübung findet man auch, wenn man verschiedene kulturelle Gruppen in Deutschland vergleicht. Beispielsweise befragte Herwartz-Emden (1995a, b, c) 85 türkische, 85 deutsche und 85 Mütter aus der ehemaligen Sowjetunion (Aussiedlerinnen) und stellte u.a. fest, dass türkische Frauen im Vergleich zu deutschen mit der Geburt des ersten Kindes an sozialem Status und an innerfamilialer Macht gewinnen. Deutsche und türkische Mütter beurteilen die traditionelle Arbeitsteilung negativ, während Aussiedlerinnen in der Kindererziehung weiterhin eine Domäne der Frau sehen - aber den Beruf für gleich wichtig hinsichtlich der Lebenserfüllung halten. In der Praxis übernehmen deutsche Mütter und Aussiedlerinnen weitgehend die Erziehung ihrer Kinder, was aber nicht für die türkischen Mütter gilt: "Für die Befragten aus der Türkei wird an ihren alltagspraktischen mütterlichen Leistungen deutlich, dass sie - im Unterschied zu den beiden anderen Gruppen - eine partnerschaftlich organisierte Kinderbetreuung in ihrer eigenen Familie z.T. in einem Umfang und mit einer Selbstverständlichkeit leben, die den gängigen Klischees über die türkische Migrantenfamilie nicht entspricht" (Herwartz-Emden 1995a, S. 279f.). Dieses sei dadurch mitbedingt, dass die Migrantinnen nicht wie Mütter in der Türkei auf ein großes Netzwerk von weiblichen Verwandten, Nachbarinnen und Freundinnen zurückgreifen können, die sich dort stark an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen würden ("multiple" Mutterschaft). So würden die Migrantinnen anstelle der "zusätzlichen Mütter" ihre Männer in die Kinderbetreuung einbeziehen.

Generell kann man also Mutterschaft als eine "sozial konstruierte" Kategorie bezeichnen. In den nichtwestlichen Kulturen - und in den europäischen Staaten vor dem 19. Jahrhundert (s.o.) - war die Ausübung der Mutterrolle aber immer nur eine Aufgabe neben vielen: "Nirgendwo war bislang eine Frau, oft noch zusätzlich aus ihrem bisherigen sozialen Leben herausgelöst, allein für das Wohlergehen der Kinder zuständig. Überall waren Mütter und Väter zwar die Hauptbezugspersonen des Kindes, doch standen ältere Kinder, Großeltern, Onkel und Tanten ergänzend als Kreis weiterer dem Kind vertrauter Bezugspersonen zur Verfügung. Und - ganz wichtig - nirgendwo verlor eine Frau durch Mutterschaft ihren sozialen Platz in der Gesellschaft. Sie nahm weiterhin unverändert am sozialen Leben teil" (Haug-Schnabel 1992, S. 61) und musste zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen.

Mutterschaft heute

So zeigen sowohl historische als auch ethnologische Untersuchungen, dass das im 19. Jahrhundert entstandene und in der Bundesrepublik Deutschland noch immer weit verbreitete Leitbild der nicht erwerbstätigen Mutter, für die Mutterschaft, Kindererziehung und Haushaltsführung die zentralen Lebensinhalte sind, ganz "exotisch" ist - die weitaus meisten Menschen, die in Westeuropa vor 150 Jahren gelebt haben oder die in anderen Kulturen lebten bzw. leben, würden diese Vorstellungen ablehnen.

Dennoch herrschen die im 19. Jahrhundert entstandenen Vorstellungen weiter vor, haben in Deutschland viele vollerwerbstätige Mütter die Angst, als "Rabenmütter" zu gelten - oder dies gar zu sein. So geben weiterhin viele Frauen nach der Geburt eines Kindes den Beruf (für längere Zeit) auf. Sie erleben einen starken Einschnitt, da sie mit dieser Entscheidung nicht nur ihren bisherigen Status, sondern auch ihre ganze Vergangenheit verlieren, wie eine Untersuchung von Weaver und Ussher (1997) zeigte: "All die Elemente ihres früheren Lebens, die zum Ausdruck des Selbst und der Weiblichkeit genutzt wurden, waren nun eingeschränkt oder fielen ganz weg. Dies wurde noch verschlimmert durch die Tatsache, dass jede Frau das Leben ihres Partners als im Wesentlichen unverändert wahrnahm" (S. 64). So sind viele junge Mütter, die ihren Beruf aufgegeben haben, mit ihrer neuen Lebenssituation unzufrieden.

Bleiben (junge) Mütter jedoch erwerbstätig, müssen sie sich zum einen den mit der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbundenen Problemen stellen. Zum anderen müssen sie sich vor sich selbst und vor anderen immer wieder rechtfertigen, dass sie trotz Erwerbstätigkeit "gute Mütter" sind. So verweisen sie z.B. darauf, wie gut die Fremdbetreuung für ihre Kinder sei, dass durch das zusätzliche Einkommen den Kindern bessere Lebenschancen eröffnet werden oder dass ihr Glück auch die Kinder beglücken würde. "Die erwerbstätigen Mütter wenden Erziehungsmethoden an, die genauso kindzentriert, expertengeleitet, emotional beanspruchend, arbeitsintensiv und finanziell kostspielig sind wie die der Mütter, die nicht erwerbstätig sind. Auch für sie ist das Kind heilig, und sie fühlen sich tendenziell genauso verantwortlich für das gegenwärtige und künftige Wohlergehen ihrer Kinder" (Hays 1998, S. 196). Dieser "Ideologie der intensiven Bemutterung" genügen zu wollen, kann bei Doppelbelastung, Stress und Zeitdruck aber nur zu Problemen führen.

Der Übergang zur Elternschaft wird somit sowohl für berufstätige als auch für nicht erwerbstätige Mütter und für ihre Partner zu einer tiefen Zäsur: "Da treffen besonders egalitäre Rollenerwartungen junger Paare auf extrem traditionelle gesellschaftliche Wertvorstellungen und Rahmenbedingungen und können deshalb nicht realisiert werden. Eine bis zur Familiengründung besonders ausgeprägte Berufs- und Karriereorientierung, die Flexibilität, Mobilität und einen gewissen Egoismus notwendig macht, steht in Konflikt mit Elternschaft, die ein hohes Maß an Gebundenheit mit sich bringt und Selbstlosigkeit ebenso wie Kompromissbereitschaft erfordert" (Quaiser-Pohl 1992, S. 31). Unabhängig davon, ob die Frau ihren Beruf aufgibt oder nicht, kommt es in der Regel nach der Geburt des ersten Kindes zu einer traditionelleren Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau und zu einer starken Abnahme der Ehequalität.

Die bewusste Entscheidung für die Zeugung eines Kindes, die Schwangerschaft oder spätestens die "junge" Mutterschaft sollten also zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den in unserer Gesellschaft vorherrschenden Mutterbildern führen - auch mit dem der "bösen" bzw. der "Rabenmutter". Zugleich sollten Frauen ihre eigene Kindheit reflektieren, da die selbst erfahrene "Bemutterung" und Erziehung im positiven wie im negativen Sinne die eigene Mutterschaft und das eigene Erziehungsverhalten prägen können.

Frauen, die sich solchen Fragen stellen - möglichst in einer Gruppe mit anderen Paaren bzw. Frauen -, werden sich von Mutterbildern, Rollenmodellen und gesellschaftlichen Erwartungen distanzieren können. Auch sollten sie sich bewusst machen, dass sie nie die von allen Menschen in ihrem Netzwerk als "richtig" empfundene Entscheidung treffen werden: "Bleibt eine Frau aus eigenem Willen kinderlos, sagt man ihr nach, sie sei kalt, herzlos und als Frau unerfüllt. Ist sie eine Mutter, die zu sehr an ihrem Job oder ihrer Karriere interessiert ist, wird sie bezichtigt, ihre Kinder zu vernachlässigen. Engagiert sie sich aber nicht genug für ihre Arbeit, dann wird man die mit Gewissheit auf die 'Muttischiene' abschieben, und die Weiterentwicklung ihrer Karriere wird permanent durch die Behauptung gebremst, ihr Engagement für die Kinder behindere ihre Effizienz am Arbeitsplatz (...). Bleibt sie aber bei ihren Kindern zu Hause, werden einige sagen, sie sei unproduktiv und nutzlos. Mit anderen Worten: Eine Frau kann es nie richtig machen!" (Hays 1998, S. 176).

Frauen müssen sich also auch von der Vorstellung lösen, es allen recht machen zu können, und ihren eigenen Weg gehen: Die einen werden sich dann bewusst dafür entscheiden, Mutter und Hausfrau zu sein; den anderen werden anstreben, die Rollen der Mutter, der Ehefrau und der (voll-) erwerbstätigen Frau miteinander zu vereinbaren. Entscheidend ist immer, dass eine Mutter mit ihrer Lebenssituation zufrieden ist und qualitativ gute Zeit mit ihrem Kind verbringt, denn kaum etwas wirkt sich so negativ auf die kindliche Entwicklung aus wie eine unglückliche, deprimierte und überforderte Mutter (die in einer konfliktreichen bzw. unbefriedigenden Paarbeziehung lebt) - sei sie Hausfrau oder erwerbstätig.

Literatur

Haug-Schnabel, G.: "Ich bin doch nur die Mutter!" Psychologie heute 1992, 19 (11), S. 58-62

Hays, S.: Die Identität der Mütter. Zwischen Selbstlosigkeit und Eigennutz. Stuttgart: Klett-Cotta 1998

Herwartz-Emden, L.: Mutterschaft und weibliches Selbstkonzept. Eine interkulturell vergleichende Untersuchung. Weinheim: Juventa 1995a

Herwartz-Emden, L.: Geschlechterverhältnisse und Mutterschaft in einfachen und modernen Gesellschaften. Neue Sammlung 1995b, 35, S. 47-64

Herwartz-Emden, L.: Konzepte von Mutterschaft und Weiblichkeit - ein Vergleich der Einstellungen von Aussiedlerinnen, Migrantinnen und westdeutschen Frauen. Zeitschrift für Frauenforschung 1995c, 13, S. 56-70

Meise, S.: Rabenmamas und Superfrauen. Mütter in Ost und West. Psychologie heute 1995, 22 (9), S. 32-37

Quaiser-Pohl, C.: Kinderwunsch zu hoch gehängt? Wenn Kinder nur Belastung sind. Die Frau in unserer Zeit 1999, 28 (3), S. 26-31

Schneewind, K.A./ Ruppert, S.: Familien gestern und heute: ein Generationenvergleich über 16 Jahre. München: Quintessenz/ MMV Medizin Verlag 1995

Weaver, J.J./ Ussher, J.M.: How motherhood changes life - a discourse analytic study with mothers of young children. Journal of Reproductive and Infant Psychology 1997, 15, S. 51-68

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