Martin R. Textor
Wie die menschliche Entwicklung verläuft auch die Familienentwicklung in Phasen, die durch unterschiedliche Funktionen und Aufgaben sowie die Auseinandersetzung mit unvermeidbaren Schwierigkeiten und bestimmten Problemen geprägt sind. Idealtypisch lassen sich die Phasen der Partnersuche und Heirat, der ersten Ehejahre, der Familie mit Kleinkindern, der Familie mit Schulkindern, der Familie mit Jugendlichen im Prozess der Ablösung, der Familie ohne abhängige Kinder und der Familie im Alter unterscheiden. Offensichtlich ist, dass nicht alle Familien diesen Zyklus durchlaufen - Ehepaare ohne Kinder, Alleinerziehende, Scheidungsfamilien, Stieffamilien usw. erleben eine andere Abfolge von Phasen. In diesem Artikel soll die Beschreibung des idealtypischen Familienzyklus im Mittelpunkt stehen.
Der Wechsel von einer Phase des Familienzyklus in die Nächste wird durch physische, psychische und Verhaltensänderungen eines oder mehrerer Familienmitglieder, die Entstehung oder Auflösung von Subsystemen und außerfamiliale Einflüsse wie Einschulung oder Pensionierung bedingt. Vielfach werden diese Übergänge als Krisen erlebt, da das Familiensystem aus dem Gleichgewicht gerät und große Veränderungen notwendig werden. So müssen neue Rollen und Aufgaben übernommen und alte modifiziert, andere Funktionen erfüllt und erstmalig auftretende Bedürfnisse befriedigt werden. Auch sind Beziehungsdefinitionen, Interaktionsmuster, Regeln, Familienstrukturen, Arbeitsteilung, Zeitverwendungsmuster und Freizeitverhalten zu ändern. Zu pathologischen Entwicklungen kann es kommen, wenn Familienmitglieder die Übergänge von einer Phase in die Nächste nicht meistern oder an phasenspezifischen Aufgaben scheitern.
1. Partnersuche und Heirat
Bevor Erwachsene eine Beziehung eingehen, die zu Ehe und Familiengründung führt, haben sie heute in der Regel bereits viele Erfahrungen mit verschiedenen Partnern gesammelt. So ist in den vergangenen Jahrzehnten das Alter immer mehr gesunken, in dem junge Menschen ihr erstes sexuelles Erlebnis haben. Zugleich ist die Zahl der Sexualpartner vor der Ehe stark angestiegen.
Die Partnersuche erfolgt in verschiedenen kleinen, voneinander abgegrenzten "Partnermärkten", zu denen Individuen in unterschiedlichem Maße Zugang haben. In dem jeweiligen "Markt" treffen sich in der Regel nur Personen mit ähnlichen sozialen Merkmalen, die also derselben Altersgruppe und Schicht angehören, eine vergleichbare Schul- und Berufsausbildung genossen haben und hinsichtlich ihrer Werte, Einstellungen, Interessen und Hobbys weitgehend übereinstimmen. Dementsprechend treffen in der Phase des Kennenlernens zumeist zwei Personen aufeinander, die sich hinsichtlich ihrer sozialen Merkmale ähneln. Sie bewerten Aussehen, Kleidung, Geschmack, Umgangsformen, Lebensstil und Freizeitverhalten, stellen viele Übereinstimmungen fest, finden einander sympathisch und fühlen sich zueinander hingezogen.
In der Phase der ersten Paarbeziehung beginnen die Verliebten, eine enge Beziehung aufzubauen, Partnerrollen zu übernehmen und eine Paaridentität zu entwickeln. Sie öffnen sich selbst immer mehr und lernen einander immer besser kennen. Auch erleben sie, dass Gespräche leichter und intensiver werden. So wachsen Liebe, Zuneigung und Zufriedenheit, passen sich die Partner mehr und mehr einander an, stimmen sie Einstellungen, Werte, Interessen und Verhaltensweisen ab. Zumeist verklären sie den Partner und zeigen einander bloß ihre besten Seiten. Dieses wird auch dadurch erleichtert, dass sie in der Regel nur ihre Freizeit gemeinsam verbringen und so einander nicht im Alltag erleben.
Entwickelt sich die Beziehung nicht so positiv, kann sie in dieser Phase relativ leicht abgebrochen werden, da die Partner noch nicht viel "in sie investiert" haben. Auch haben Außenstehende wie Freunde, Bekannte und Eltern noch größere Einflussmöglichkeiten und mögen durch mehr oder weniger subtile Taktiken den Kontakt fördern oder schwächen.
Ansonsten treten sie in die Phase der gefestigten Paarbeziehung ein. Oft ziehen sie nun zusammen und bilden eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Sie treten jetzt als Paar nicht mehr nur in ihrem Freundeskreis auf, sondern auch in der erweiterten Familie. Aufgrund der sinkenden Heiratsneigung und der zunehmenden Akzeptanz nichtehelicher Lebensgemeinschaften entscheiden sich viele Paare erst dann für eine Ehe, wenn sie sich ein Kind wünschen. Hier wird deutlich, dass die Ehe einen Bedeutungs- und Motivationswandel erfahren hat: Während sie in der Vergangenheit in erster Linie das Zusammenleben von zwei Menschen legitimieren sollte, wird sie heute vor allem aus kindorientierten Gründen eingegangen. Durch den Ehebund wird die Beziehung zwischen den beiden Partnern legalisiert und institutionalisiert, also Gesetzen, Normen und bestimmten Verhaltenserwartungen unterworfen. Auch werden ihr Ausschließlichkeitscharakter und ihre Dauerhaftigkeit betont. Die Ehezeremonie symbolisiert für die Partner einen Statuswechsel und bedeutet für deren Verwandte die Vereinigung von zwei Familiensystemen.
2. Die ersten Ehejahre
Wie in den anderen Phasen des Familienzyklus variieren auch in den ersten Ehejahren Verhaltensweisen und Erfahrungen von Paar zu Paar. Haben die Partner z.B. vor der Hochzeit in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gewohnt, dürften für sie die ersten Ehejahre wenig Veränderungen bringen. Haben sie geheiratet, weil die Frau schwanger war oder weil sie unverzüglich ihren Kinderwunsch realisieren wollen, schrumpft diese Phase des Familienzyklus auf wenige Monate zusammen und ist vor allem durch die Vorbereitung auf das Kind gekennzeichnet.
Im Mittelpunkt dieser Phase des Familienzyklus stehen die Ausbildung des Ehesubsystems, die Entwicklung einer Identität als verheiratetes Paar, die Festigung der Partnerrollen und die Regelung der Rollenausübung. So müssen die Ehepartner festlegen, wer welche Rechte, Pflichten und Entscheidungsbefugnisse hat, wie die Macht in der Ehebeziehung verteilt wird und wer welche Aufgaben im Haushalt übernimmt. Heute werden die Beziehung und Arbeitsteilung zumeist partnerschaftlich gestaltet.
Zumeist sind in den ersten Ehejahren beide Partner berufstätig. Sie stehen am Anfang ihrer Karriere, sodass sie viel Energie in die Existenzgründung und berufliche Weiterbildung investieren. Zudem müssen sie einen großen Teil ihres Einkommens und ihrer Ersparnisse für ein gemeinsames Heim und die eigene Wohnungseinrichtung ausgeben, wozu sie sich oft auch verschulden.
3. Familie mit Kleinkindern
Die dritte Phase des Familienzyklus beginnt mit der ersten Schwangerschaft und endet mit der Einschulung des letzten Kindes. Bei Familien mit zwei und mehr Kindern überschneiden sich also dritte und vierte Phase - bei Familien mit vier und mehr Kindern, bei einem großen Geburtenabstand oder bei Stieffamilien, bei denen die Partner ältere Kinder mit in die Ehe bringen und dann ein gemeinsames Kind zeugen, können sich auch dritte, vierte und fünfte Phase des Familienzyklus überschneiden.
Nach der Geburt des ersten Kindes müssen die Ehepartner die Vater- beziehungsweise Mutterrolle übernehmen. Aufgrund ihrer Unerfahrenheit sind sie bei der Pflege des Säuglings in der Regel unsicher und übervorsichtig. Sie müssen eine Vielzahl neuer Verhaltensweisen erlernen und Empathie für die Reaktionen des Kindes entwickeln. So wird es zum "Sozialisator" seiner Eltern, die sich ihm anpassen müssen. Sein Aussehen und Verhalten bestimmen die Reaktionen und das Erleben der Eltern mit.
Der Säugling steht nun im Mittelpunkt des Familienlebens und verlangt ein Höchstmaß an Arbeits- und Zeitaufwand, an Aufmerksamkeit und liebevoller Zuwendung, an taktiler, visueller und akustischer Stimulation. Zunächst lebt er in Symbiose mit seiner Mutter und ist von ihr total abhängig. Diese ist vor allem auf ihre "Instinkte" angewiesen, um die Signale des Kindes zu verstehen. Im Gegensatz zu früher beteiligen sich heute bereits viele Väter an der Säuglingspflege - sie können ihr Kind genauso gut wie ihre Frauen versorgen. Sie freuen sich an ihrer zunehmenden Kompetenz im Umgang mit dem Baby, entdecken neue Befriedigungen und erleben eine beglückende emotionale Beziehung zum Kind. So leisten sie von Anfang an einen eigenständigen Beitrag zur Entwicklung des Kindes, bewerten die Familientätigkeit positiv und sind eher motiviert, sich auch in Zukunft an der Erziehung zu beteiligen.
Die Geburt des ersten Kindes bringt eine Vielzahl von radikalen Veränderungen mit sich. So wandelt sich die Familienstruktur, entsteht nun ein mehrgenerationales System mit zwei Subsystemen. Auch kommt es zu einer großen Umstellung im Lebensstil der erwachsenen Familienmitglieder: Sie müssen immer sofort auf die Bedürfnisse des Säuglings reagieren, was zu einer Zerstückelung des Tagesablaufs führt und ein ungestörtes Arbeiten daheim unmöglich macht. Dieses bedeutet auch eine drastische Einschränkung persönlicher Freiheitsräume, den Verzicht auf die Befriedigung vieler Bedürfnisse, ein Zurückstellen eigener Interessen und die Behinderung des Strebens nach Selbstverwirklichung. Vielfach nehmen das subjektive Wohlbefinden und die eigene Leistungsfähigkeit ab, da die fortwährende nächtliche Ruhestörung Schlafmangel, ständige Müdigkeit und Nervosität bewirkt. Auch führen die Belastungen der Säuglingspflege und die hormonelle Umstellung bei der Frau leicht zu körperlicher und psychischer Erschöpfung.
Die durch die Erfordernisse der Säuglingspflege bedingte ständige Anwesenheitspflicht bringt eine große Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Eltern mit sich. Es bleibt weniger Zeit für Freunde und Bekannte, muss auf viele Arten der außerhäuslichen Freizeitgestaltung verzichtet werden und kommen viele Urlaubsziele nicht mehr in Frage. Diese Situation kann vor allem für solche Mütter zum Problem werden, die nach der Geburt des Kindes auf eine weitere Berufsausübung verzichten. Sie verlieren viele berufsbedingte Kontakte - die Aufnahme von Beziehungen zu Frauen in derselben Lage gelingt in der Regel erst dann, wenn sie diese auf dem Spielplatz oder im Kindergarten kennen lernen, also wenn das Kind schon älter ist. So fühlen sie sich oft isoliert und einsam, vermissen die Befriedigungen des Berufslebens, sind kognitiv unausgelastet und leiden unter dem geringen Ansehen der Mutterrolle. Hinzu kommt, dass sich in diesen Fällen auch die finanzielle Situation der Familie sehr stark verschlechtert, da einerseits das Einkommen der Frau wegfällt und nur zum Teil durch das Erziehungsgeld wettgemacht wird und weil andererseits das Kind hohe Ausgaben verursacht.
Bleibt die Frau jedoch berufstätig, so ist die Familie in der Regel auf die Hilfe von Verwandten angewiesen, da es nur wenige Einrichtungen der öffentlichen Kleinstkinderbetreuung gibt. So sind nur für wenige Kleinstkinder Krippenplätze vorhanden; daneben gibt es noch die Möglichkeit der öffentlich oder privat organisierten Tagespflege. Bei einer Betreuung durch Verwandte leiden die Eltern oft unter Schuldgefühlen oder erleben es als problematisch, diesen gegenüber zu Dank verpflichtet zu sein. Häufig wagen sie auch nicht, Verwandte auf Erziehungsfehler hinzuweisen, weil sie deren Hilfe zu verlieren befürchten. Ferner kann es trotz der Entlastung durch Dritte zu einer Überforderung der berufstätigen Mutter kommen, wenn sie nach der Arbeitszeit die Säuglingspflege übernehmen und mehr oder minder alleine den Haushalt versorgen muss.
Nach der Geburt des ersten Kindes wandeln sich zumeist auch die Machtstruktur und Arbeitsteilung in der Familie in Richtung auf traditionelle Geschlechtsrollenbilder. Während die meisten Männer nach der Geburt des Kindes wohl ihre Frauen zu entlasten versuchen und ihnen helfen, ziehen sie sich mit der Zeit immer mehr aus den Bereichen der Hausarbeit und Kindererziehung zurück. Die Geburt des ersten Kindes führt ferner zu einem Wandel und einer Neuinterpretation der Ehebeziehung. Oft verliert diese an Bedeutung, da die Partner aufgrund der aus der Säuglingspflege resultierenden Belastungen weniger gemeinsam unternehmen und häufiger alleine ausgehen. Auch wird vielfach der Mann für die Frau weniger wichtig und muss deren Liebe und Zuneigung mit dem Kind teilen. Oft wendet er sich dann mehr dem Beruf, seinem Freundeskreis oder seinen Hobbys zu, was zur Entfremdung der Partner führen kann. Während direkt nach der Geburt in der Regel ein Anstieg der ehelichen Zufriedenheit und eine große Harmonie im sexuellen Bereich erlebt werden ("Baby-Flitterwochen"), kommt es dann aufgrund der zuvor beschriebenen Entwicklungen häufig zu einer Verschlechterung der Ehequalität. Vielfach werden Spannungen, eine erhebliche Beeinträchtigung der partnerschaftlichen Interaktion sowie ein im Gegensatz zu früher nicht mehr so zärtlicher Umgang miteinander erlebt.
Wird ein zweites Kind geboren, nimmt die Komplexität des Familiensystems weiter zu. So gibt es bei einem Kind nur drei Beziehungen (zwischen Mutter und Kind, Vater und Kind sowie Ehemann und Ehefrau), während bei zwei Kindern sechs und bei drei Kindern zehn Beziehungen zu unterscheiden sind. Auch bildet sich das Geschwistersystem als drittes Subsystem der Familie aus. Ferner wird es für die Erwachsenen immer schwerer, den Bedürfnissen aller Familienmitglieder zu entsprechen: Mit der Zahl der Kinder wachsen also die Belastungen, sind größere Anstrengungen nötig, fällt mehr Arbeit an. Zumeist ist aber auch eine Zunahme positiver und beglückender Aspekte des Familienlebens zu verzeichnen. Hinzu kommt, dass sich die Geschwister mit zunehmendem Alter immer mehr miteinander beschäftigen, sodass der Betreuungsaufwand bald nicht mehr sehr viel größer als bei Einzelkindern ist.
Während der Schwangerschaft und nach der Geburt des zweiten Kindes sind die Eltern weniger unsicher und ängstlich als beim Erstgeborenen. Sie gehen routinierter und gelassener mit ihm um, beschäftigen sich zumeist weniger intensiv mit ihm und schenken ihm weniger Aufmerksamkeit und Zuwendung. Das zweitgeborene Kind macht also andere Erfahrungen mit seinen Eltern, da es von ihnen anders als das erstgeborene behandelt wird. Zudem findet es eine unterschiedliche Situation vor, da sich in der Zwischenzeit die Familiencharakteristika verändert haben. Hinzu kommt die Stimulation durch ein nur wenig älteres Geschwisterteil.
Vor allem wenn die Geburten sehr schnell aufeinander folgten, fällt es Eltern oft schwer, den Bedürfnissen beider Kinder gerecht zu werden. So fühlen sie sich häufig überfordert, sind erschöpft und erleben ein weiteres Absinken der Ehezufriedenheit. In der Regel ändert sich auch ihr Verhalten dem erstgeborenen Kind gegenüber: Sie beschäftigen sich plötzlich sehr viel weniger mit ihm, machen häufiger von Anweisungen Gebrauch und schränken seinen Bewegungsraum mehr durch Verbote ein. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass etwa die Hälfte der Kinder auf die Geburt eines Geschwisterteils mit negativen Verhaltensänderungen reagiert, wobei Jungen sich eher zurückziehen, während Mädchen eher ein abhängiges Verhalten zeigen. Vieles hängt aber davon ab, wie die Eltern das erstgeborene Kind an das Zweite heranführen. Sobald sich Letzteres selbstständig fortbewegen kann, greift es jedoch häufig ausgesprochen störend in die Sphäre des Geschwisters ein. Dieses reagiert dann (wieder) negativ - und muss erfahren, dass die Eltern das jüngere Kind ihm gegenüber in Schutz nehmen.
Aber nicht nur bei der Geburt eines zweiten (oder weiteren) Kindes kommt es zu neuen Veränderungen, sondern auch mit zunehmendem Alter der Kinder. So wird die Familie wieder umgeformt, wenn die Kinder zu laufen oder zu sprechen beginnen. Sie trennen ihr Selbst zunehmend von dem ihrer Eltern ab, bauen Ich-Grenzen auf und entwickeln einen eigenen Willen. Auch werden sie selbstständiger und nehmen von sich aus Kontakt zu anderen Erwachsenen und Kindern auf. In diesem Zeitraum lernen sie außerordentlich viel, wobei sie hohe Anforderungen an die erzieherischen und bildenden Fähigkeiten ihrer Eltern, an deren Vorbild und Geduld stellen. So möchten sie über die Natur, die Technik, die Kultur und die Mitmenschen belehrt werden. Auch müssen sie Kulturfertigkeiten und Techniken des Problemlösens lernen sowie ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten ausbilden.
Einen weiteren Einschnitt in diese Phase des Familienzyklus bringt der Kindergarteneintritt mit sich. Dieser und die mit ihm verbundene längerfristige Trennung mag zunächst sowohl den Kindern als auch den (nicht berufstätigen) Müttern schwer fallen. Beide Seiten müssen lernen, sich voneinander abzulösen und autonomer zu werden. Nun treten die Erzieherinnen als neue Autoritäten und Vorbilder in das Leben der Kinder ein und werden manchmal von den Eltern als Konkurrenz erlebt. Dies macht es erforderlich, dass Erziehungsziele und -stile zwischen Eltern und Erzieherinnen abgestimmt werden und diese zur Partnerschaft finden, damit innere Konflikte beim Kind vermieden und seine Entwicklungsbedürfnisse auf einheitliche Weise befriedigt werden. Die Eltern bleiben aber weiterhin die wichtigsten Bezugspersonen der Kinder.
4. Familie mit Schulkindern
Mit der Einschulung des erstgeborenen Kindes beginnt eine neue Phase des Familienzyklus, die zwischen acht und zwölf Jahren lang ist. Die Kinder werden unausweichlich mit gesellschaftlichen Leistungsanforderungen und der Bewertung ihrer Kenntnisse, ihres Verhaltens und ihrer Fähigkeiten konfrontiert. Sie müssen sich bestimmten Regeln unterwerfen, vorab definierte Beziehungen zu Lehrern eingehen und sich in eine Gruppe Gleichaltriger integrieren. Auf jedem dieser Gebiete können sie versagen, wenn sie z.B. zu früh eingeschult wurden, in ihrer kognitiven Entwicklung (noch) nicht den Stand ihrer Mitschüler erreicht haben, andere Erziehungsstile gewohnt sind oder aufgrund unzureichender interpersonaler Fertigkeiten nicht mit ihren Klassenkameraden zurechtkommen. Ferner kann es zu einem Bruch in der Entwicklung der Kinder kommen, wenn am Ende der Grundschulzeit falsche Entscheidungen bezüglich des weiteren Bildungsweges getroffen werden - wenn beispielsweise begabte Kinder in der Hauptschule unter Unterforderung oder zu wenig intelligente Kinder im Gymnasium unter Überforderung leiden und mit Verhaltensauffälligkeiten, Indifferenz und anderen Problemen reagieren. Aber auch später können aufgrund der Unüberschaubarkeit des Bildungswesens noch Fehler bei der weiteren Planung der Schullaufbahn gemacht werden. So stehen Eltern in der Regel mehrmals während der Schulzeit ihrer Kinder unter einem großen Entscheidungsdruck.
Kinder verbringen etwa ein Drittel des Tages in der Schule, die einen großen Einfluss auf ihre kognitive, emotionale und soziale Entwicklung ausübt. Sie eignen sich in ihr eine Unmenge von Kenntnissen an und entwickeln eine Vielzahl von Fertigkeiten. Dabei stehen sie unter einem gewissen Qualifikationsdruck, müssen bestimmte Leistungen erbringen und miteinander konkurrieren (Schulstress). In der Schule werden Kinder aus der realen Welt ausgegliedert und dieser in mancherlei Hinsicht entfremdet. So wurden die ihnen vermittelten Kenntnisse über Natur, Technik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur zuvor gefiltert, werden sie vielfach zerstückelt und zusammenhanglos dargeboten, sind sie oft wirklichkeitsfremd und wenig nützlich. Zudem haben Schüler wenig Kontakt zu Andersaltrigen, da sie in der Klasse immer nur mit einer Altersgruppe zusammen sind. Auch reagieren Lehrer selten auf sie als Person, werden kaum erzieherisch tätig und lassen wenig Raum für Spontaneität und Kreativität. Sie fördern kaum die Integration in Gleichaltrigengruppen und den Erwerb sozialer Fertigkeiten wie Empathie, Metakommunikation, Fähigkeit zur verbalen Konfliktlösung oder Vermittlung.
Es ist offensichtlich, dass Kinder ihre Unzufriedenheit mit der Schule, ihre negativen Erfahrungen mit Lehrern und ihre Leistungsprobleme mit in die Familie hineinnehmen und dass diese eine Vielzahl elterlicher Verhaltensweisen bestimmen. So steht die Schule oft im Mittelpunkt der familialen Interaktion. Die Eltern werden unmittelbar mit Schulschwierigkeiten konfrontiert und müssen helfend eingreifen, also z.B. Kontakt mit Lehrern aufnehmen oder die Leistungsmotivation ihrer Kinder fördern. Vielfach erzeugen oder verstärken sie aber auch Probleme, wenn sie z.B. einen starken Leistungsdruck ausüben.
In dieser Phase des Familienzyklus stehen Kinder nicht mehr so sehr im Zentrum des Familienlebens wie früher. Sie lösen sich immer mehr von ihren Eltern ab, werden unabhängiger, eigenständiger und selbstbestimmter. Auch wenden sie sich mehr und mehr der Gleichaltrigengruppe zu. So verlieren die Eltern an Bedeutung, können sich wieder mehr ihrer Partnerbeziehung und ihren Hobbys widmen. Oft wird nun die Frau wieder berufstätig, was große Auswirkungen auf den Tagesrhythmus und Lebensstil der Familie hat. Die Eltern müssen ihr Erziehungsverhalten mit dem Heranwachsen der Kinder verändern und ihnen mit zunehmendem Alter immer mehr Rechte und Pflichten zusprechen. Auch ist wichtig, dass sie ihre Ablösung und Individuation fördern.
5. Familie mit Jugendlichen
Im Mittelpunkt der fünften Phase des Familienzyklus, die sechs bis acht Jahre lang dauert, steht die Ablösung des Kindes von seiner Familie. Dieser Zeitabschnitt endet in der Regel, wenn der Heranwachsende von zu Hause auszieht, seine erste Arbeitsstelle antritt oder ein Studium beginnt. So dominieren noch die Schule beziehungsweise die Ausbildung im Leben des Jugendlichen, bestimmen einen großen Teil seines Tagesablaufs und spielen auch eine wichtige Rolle in der Familieninteraktion - mit dem Unterschied, dass im Gegensatz zur vierten Phase der Schüler immer mehr Verantwortung für seine Schulleistungen übernehmen muss und immer weniger auf die Hilfe seiner Eltern bei den Hausaufgaben zählen kann.
Die fünfte Phase des Familienzyklus beginnt mit der Pubertät des erstgeborenen Kindes. Dieses erlebt nun große Veränderungen im körperlichen, seelischen und intellektuellen Bereich. Es spürt das Erwachen des Sexualtriebes, übernimmt endgültig seine Geschlechtsrolle und beginnt, intensive Beziehungen mit gegengeschlechtlichen Partnern einzugehen.
Jugendliche verspüren in der Regel einen starken Drang nach Selbstdifferenzierung, Autonomie und Selbstständigkeit. Sie möchten immer mehr Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens übernehmen - und müssen das auch, da sie wichtige Entscheidungen z.B. über ihren weiteren Bildungsweg (Besuch der Hochschule, Berufsfachschule, Fachschule usw.) zu fällen sowie einen ihren Interessen und Fähigkeiten entsprechenden Beruf auszuwählen haben. Im Gegensatz zu früher werden ihnen sehr viel mehr Handlungskompetenzen zugesprochen.
Viele Jugendliche erfahren in dieser Phase des Familienzyklus eine Identitätskrise. Sie experimentieren mit extravaganter Kleidung und auffallenden Frisuren, sind empfindlich, sensibel und leicht zu verletzen, haben Schwierigkeiten im Umgang mit Autorität, Intimität und Abhängigkeit. Häufig suchen sie nach einer eigenen Wertorientierung, indem sie sich mit Philosophien, Religionsanschauungen und Ideologien auseinander setzen. Die Suche nach einer eigenen Identität, aber auch die Angst vor dem Erwachsenwerden, kann Jugendliche in Sekten und extreme Gruppierungen führen oder zum Experimentieren mit Drogen, Alkohol u. Ä. verleiten. Die meisten Jugendlichen werden im Verlauf der Zeit mit diesen Schwierigkeiten und mit Problemen im schulischen Bereich, in der Berufsausbildung und bei der Arbeitssuche fertig. Sie erleben diese Phase als eine Zeit der positiven Persönlichkeitsentwicklung und zunehmenden Reife.
In dieser Phase des Familienzyklus nimmt der Einfluss der Eltern immer mehr ab. Sie gestehen ihren Kindern mehr und mehr Rechte zu, bis diese schließlich die Position eines nahezu gleichberechtigten jungen Erwachsenen erreichen. Schließlich bleibt den Eltern nur noch eine Beraterfunktion. Sie müssen die Ablösung der Jugendlichen und die daraus resultierenden Gefühle des Verlustes und der Trauer psychisch verarbeiten.
6. Die Familie nach Ablösung der Kinder
Die nächste Phase des Familienzyklus, die etwa 15 Jahre dauert, ist zunächst noch durch die Anpassung der Ehepartner an die neue Familiensituation gekennzeichnet, die sich aus der Ablösung und dem Auszug ihrer Kinder aus dem gemeinsamen Haushalt ergibt. Nun bildet wieder das Ehesubsystem den Mittelpunkt der Familie. Diese Reduktion auf die Gattenbeziehung führt manchmal zum Ausbruch verdrängter, nicht bewältigter oder neuer Konflikte. Insbesondere wenn die Partner nur wegen der Kinder zusammengeblieben sind, droht jetzt erneut die Scheidung. Problematisch ist auch, wenn die Ehebeziehung in den vorausgegangenen Phasen des Familienzyklus auf die Elternschaft geschrumpft ist. Dann verspüren die Partner eine große Leere und einen Mangel an innerer Gemeinsamkeit und Bezogenheit. So muss die Ehebeziehung neu geregelt und belebt werden, müssen die Ehegatten gemeinsame Gesprächsthemen, Interessen und Freizeitaktivitäten finden. Viele übernehmen jetzt auch verstärkt öffentliche Verantwortung, indem sie sich ehrenamtlich in Kirchengemeinden, Verbänden, Vereinen oder Parteien engagieren.
Nicht berufstätige Frauen haben vielfach besonders große Schwierigkeiten, sich an ein Familienleben ohne Kinder zu gewöhnen. Sie sind noch vital und leistungsfähig - fühlen sich aber sinnvoller Aufgaben beraubt, sind unausgelastet und unzufrieden, leiden unter einem Identitätsverlust. Auch halten sie sich oft noch für zu jung, um eine Großmutterrolle zu übernehmen. Diese Problematik führt bisweilen zu einer Verschlechterung des subjektiven Gesundheitszustandes, zu Depressionen oder zu Spannungen mit dem Partner und den Kindern. Die Frauen können jetzt nur noch unter großen Schwierigkeiten in die Arbeitswelt zurückkehren.
Erwerbstätige Männer und Frauen erreichen in der ersten Hälfte dieser Phase des Familienzyklus zumeist den Höhepunkt ihrer Karriere. Sie gehen routiniert und selbstsicher mit den Anforderungen des Berufslebens um, übernehmen leicht die Initiative und zeichnen sich vielfach durch eine besondere Produktivität aus. Da sie nun einerseits ihr höchstes Erwerbseinkommen erzielen und andererseits nur noch geringe Ausgaben für ihre Kinder haben (sofern diese nicht noch studieren oder arbeitslos sind), ist ihr Lebensstandard recht hoch, können sie sich z.B. eine neue Wohnungseinrichtung, große Autos und kostspielige Auslandsreisen leisten.
Eine erneute Belastung der Ehebeziehung bringt oft die "Midlife-Crisis" mit sich, die vor allem bei Männern zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr auftritt. Die Betroffenen überdenken ihr bisheriges Leben kritisch und ziehen es häufig gefühlsmäßig in Zweifel. Auch müssen sie sich mit dem erreichten Grad ihres beruflichen Erfolges, ihrer abnehmenden Potenz und ihrer geringer werdenden Attraktivität abfinden, müssen Enttäuschungen und das Verfehlen bestimmter Lebensziele verarbeiten. In manchen Fällen führt dies zu Depressionen, oder es kommt zu außerehelichen Abenteuern, durch welche die Partner überprüfen wollen, ob sie auf Personen des anderen Geschlechts noch attraktiv wirken.
Für Frauen ist das Klimakterium besonders belastend, das zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr auftritt. Neben körperlichen Veränderungen kommt es vielfach auch zu einer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens und der Leistungsfähigkeit, zu Schlaflosigkeit, Schwindelanfällen, Depressionen u.Ä. Auch hier sind manchmal negative Auswirkungen auf die Ehebeziehung festzustellen, muss eine neue Haltung zur Sexualität gefunden werden.
In der zweiten Hälfte dieser Phase des Familienzyklus müssen sich die Partner mit dem Altern, mit den abnehmenden Kräften und der Verschlechterung ihrer Gesundheit auseinander setzen. Ihre berufliche Aktivität nimmt ab; sie erleben ein Gefühl der Vollendung oder geben höhere Ziele auf. Später gewinnen sie mehr und mehr Distanz zum Beruf und bereiten sich schon auf den Ruhestand vor.
Zu Beginn dieser Phase des Familienzyklus sind manche Kinder noch von ihren Eltern finanziell abhängig, obwohl sie sich schon von ihnen abgelöst haben und von daheim ausgezogen sind. Insbesondere während des Wehrdienstes oder Studiums sind sie auf die Unterstützung der Eltern angewiesen, wobei diesen vor allem im letztgenannten Fall hohe Ausgaben entstehen. Studenten und arbeitslose Akademiker durchleben nun die Phase der Postadoleszenz, die einerseits durch ökonomische Unselbstständigkeit und andererseits durch eine hohe intellektuelle, politische und soziale Reife, durch Kritikfähigkeit, Offenheit, postmaterielle Werte und die Zugehörigkeit zu bestimmten informellen Gruppen gekennzeichnet ist.
Treten die erwachsenen Kinder in die Phasen der jungen Ehe und der Familie mit Kleinkindern ein, müssen sich ihre Eltern an die Schwiegersöhne beziehungsweise -töchter gewöhnen. Lehnen sie diese ab, mag ihr Verhalten zu fortwährenden Konflikten, Entfremdung und eventuell sogar zu einem Beziehungsabbruch führen. Problematisch ist aber auch, wenn sie sich immer wieder in die junge Familie einmischen. Später müssen sich die Eltern an ihre Enkel anpassen und die Großelternrolle übernehmen. Nicht erwerbstätige Frauen springen oft als Babysitter ein oder nehmen ihre Enkel kurzfristig zu sich, während berufstätige Frauen seltener als Großmütter verfügbar und oft auch zu derartigen Diensten nicht bereit sind. In vielen Fällen besteht ein reger Austausch zwischen Zeugungs- und Herkunftsfamilie.
In dieser Phase des Familienzyklus müssen viele Eltern ihren eigenen Eltern und vereinzelt sogar noch ihren Großeltern helfen, die aufgrund ihres hohen Alters, ihrer abnehmenden körperlichen Kräfte und ihrer Gebrechen viele Verrichtungen nicht mehr selbst ausführen können. Sie erledigen für sie Einkäufe und Behördengänge, fahren sie zum Arzt oder zum Altenclub, übernehmen Gardinenwäsche und Teppichpflege, führen kleinere Reparaturen durch oder halten den Garten in Ordnung. In manchen Fällen sind die jungen Erwachsenen weniger hilfsbereit, z.B. wenn sie in ihren jungen Jahren keine echte Bindung an ihre Eltern (und Großeltern) entwickelt haben, wenn ihre Ablösung problematisch verlaufen ist oder wenn ihre Eltern gegen ihre Ehe waren und ihnen in den ersten Ehejahren keinerlei Unterstützung zukommen ließen. Im Extremfall mögen sie sogar jegliche Verantwortung für ihre Eltern ablehnen.
In manchen Fällen nehmen die Erwachsenen ein verwitwetes Elternteil in ihre Familie auf. Oft gelingt es ihnen, diese Person ohne größere Probleme zu integrieren; bisweilen kommt es aber auch zu Konflikten, zur Belastung der Partnerschaft und eventuell sogar zur Zerrüttung der eigenen Familie. Ist dieser Elternteil pflegebedürftig, dann können die großen körperlichen und physischen Anforderungen vielfach zu einer Überlastung der Familienmitglieder führen, die aufgrund ihres Alters, ihrer abnehmenden Kraft und gesundheitlichen Probleme nun häufiger an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. Dieses gilt insbesondere für solche Erwachsene, die zwei älteren Generationen und eventuell sogar noch ihren Kindern und deren Familien helfen müssen. Im Normalfall sind aber die Belastungen in dieser Phase des Familienzyklus am geringsten.
7. Familie im Alter
Die letzte Phase des Familienzyklus dauert etwa 10 bis 15 Jahre. Sie beginnt mit der Pensionierung und endet mit dem Tod eines Ehepartners. Die meisten Arbeitnehmer setzen sich heute kurz nach ihrem 60. Lebensjahr zur Ruhe. Aus diesem Grunde, aber auch wegen der gestiegenen Lebenserwartung, wird die Phase des Ruhestandes immer länger.
Oft wird die Pensionierung als Schock erlebt: Vor allem Männer erfahren einen großen Verlust an Status und Autorität, entwickeln negative Selbstwertgefühle und halten sich für nutzlos und überflüssig. In vielen Fällen dauert es recht lange, bis sie die Rolle eines Rentners akzeptieren und in ihr Selbstbild integrieren. Da die Partner nun den größten Teil des Tages miteinander verbringen, gilt plötzlich der übliche Tagesablauf nicht mehr, werden eingespielte Interaktionsmuster, alte Beziehungsdefinitionen und eine seit langem praktizierte Arbeitsteilung in Frage gestellt. So müssen die Partner lernen, die gemeinsam verbrachte Zeit harmonisch, befriedigend und abwechslungsreich zu gestalten. Dazu müssen sie ihre Beziehung umdefinieren, einen gemeinsamen Lebenssinn finden, Rollen verändern und neue Aufgaben, Hobbys und Betätigungsfelder suchen.
Während in vielen Fällen die Frau weiterhin für die Haushaltsführung zuständig bleibt, kommt es in anderen zu einer Angleichung der Rollen und einer Umverteilung der im Haushalt anfallenden Arbeiten. Da die Männer nach der Pensionierung in den "Herrschaftsbereich" ihrer Frauen kommen, bildet sich in manchen Fällen ein "Altersmatriarchat" aus, während sie in anderen ihre Machtposition wahren können.
Die Ehepartner müssen sich auch mit dem sich rasch ändernden Erscheinungsbild und dem Verlust an körperlicher und geistiger Tüchtigkeit abfinden - mit einer Entwicklung, die von ihnen zumeist negativ bewertet wird, ihr Selbstwertempfinden verschlechtert und zu vielen Einschränkungen führt. Oft wird eine Person pflegebedürftig und ist auf die Versorgung durch ihren Partner oder andere Familienmitglieder angewiesen. Das Bewusstsein des nahenden Todes mag in solchen Fällen zu Angst und Verzweiflung führen, sofern er nicht gänzlich verdrängt und verleugnet wird.
Mit zunehmendem Alter und abnehmender Beweglichkeit sind die Ehegatten mehr und mehr an ihre Wohnung gebunden. Sie ziehen eine selbstständige Haushaltsführung so lange wie möglich anderen Arrangements vor, da diese ihre Unabhängigkeit garantiert, ihr Selbstbewusstsein stärkt und ihre Kompetenzen erhält. Oft müssen sie einen Rückgang in ihrem Lebensstandard in Kauf nehmen, da ihr Einkommen sehr viel niedriger als in der vorausgegangenen Phase des Familienzyklus ist.
In der Regel nimmt die Zahl sozialer Kontakte mit zunehmendem Alter ab, da alte Menschen meistens weniger kontaktfreudig sind und im Verlauf der Zeit immer mehr gleichaltrige Freunde und Verwandte sterben. Während ein Schwinden des Freundes- und Bekanntenkreises vielfach akzeptiert wird, ist es für alte Menschen besonders belastend, wenn ihre Kinder und Enkel sie z.B. aufgrund weit entfernter Wohnorte nur selten besuchen oder nur wenig Zeit für sie haben. In den meisten Fällen haben alte Menschen aber noch enge Beziehungen zu Verwandten und Freunden, stehen in intensiver Kommunikation mit ihnen und tauschen eine Vielzahl von Leistungen mit ihnen aus - wobei sie nur zum kleineren Teil die Empfangenden sind: Sie geben viel, indem sie z.B. Enkel beaufsichtigen, Geld und Sachwerte schenken, bei Notlagen einspringen und eventuell sogar eine laufende Hilfe zum Unterhalt der Familien ihrer Kinder leisten. In der Regel wird von allen Seiten aber kein zu enger Kontakt gewünscht: "Intimität auf Abstand" gilt als beste Beziehungsdefinition.
Spätestens in dieser Phase des Familienzyklus übernehmen alte Menschen die Großelternrolle. Diese ist nicht klar definiert und ist nicht mit konkreten Verhaltensanforderungen verknüpft. So kann sie auf vielerlei Weise ausgeübt werden: Manche Großeltern wollen mit ihren Enkelkindern zusammen sein, mit ihnen spielen und viel Spaß erleben, während andere sich von ihnen eher distanzieren. Einige fungieren als Ersatzeltern, während andere sich mit der Rolle des weisen Ratgebers zufrieden geben oder aber wenig Anteil an dem Leben ihrer Enkel nehmen. Viele ältere Frauen übernehmen oft ihre Betreuung.
Meist nimmt die affektive Distanz zwischen Großeltern und Enkeln immer mehr zu, wenn Letztere älter werden. Hier wirkt sich aus, dass alle drei Generationen verschiedene Lebensstile, Interessen, Moralvorstellungen und Erfahrungen haben, dass sich die Großeltern zumeist den herrschenden Werten und Einstellungen entfremdet haben und ihr Wissen als veraltert gilt. Diese mögen aber weiterhin die Beziehung zu ihren Enkeln als persönliche Bereicherung erleben und auf deren schulische und berufliche Erfolge stolz sein.
Nach dem Tode des einen Ehepartners - zumeist des Mannes, da die Lebenserwartung der Frau rund sieben Jahre höher ist - muss der andere Gefühle der Trauer verarbeiten, sich umorientieren und lernen, alleine zu leben. Mit diesem Ereignis endet zugleich der Familienzyklus.