"Young children are rights holders."Zum Recht auf Bildung in der Frühpädagogik

Axel Bernd Kunze

Blicken wir zurück in die Zeit des Kalten Krieges: Am 4. Oktober 1957 schoss die Sowjetunion den ersten künstlichen Erdsatelliten namens "Sputnik" ins All. Im Westen sprach man seinerzeit vom so genannten "Sputnikschock". Dieser löste in den USA und anderen westlichen Ländern eine breite Bildungsdebatte aus. Vermehrte Anstrengungen im Bildungsbereich sollten verhindern, dass der Westen gegenüber den kommunistischen Staaten auf Dauer technisch ins Hintertreffen geriet.

Vor rund fünfzehn Jahren stand Deutschland erneut unter Schock: Die Rede vom "PISA-Schock" machte die Runde: eine Wortschöpfung, die bewusst an den "Sputnikschock" anknüpfte. Die internationalen Schulleistungsstudien erschütterten das Zutrauen in die Leistungsfähigkeit des eigenen Bildungswesens. Ob zu Recht oder zu Unrecht, kann an dieser Stelle nicht verhandelt werden. In der Folge entwickelte sich eine neuerliche Bildungsreformdebatte. Nicht alles, worüber dabei bildungspolitisch wie pädagogisch diskutiert wurde, war neu, dies gilt beispielsweise für die Debatte um die Schulstrukturfrage.

Neu im Vergleich zu früheren Bildungsdebatten aber ist, dass Bildung zunehmend als ein Menschenrechtsthema wahrgenommen wird - und zwar nicht allein entwicklungspolitisch, sondern ausdrücklich auch im Blick auf Deutschland. Hierzu beigetragen hat nicht zuletzt der Deutschlandbesuch des damaligen UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz Villalobos, im Frühjahr 2006. Der Bericht (Muñoz Villalobos 2007), den er ein Jahr später dem Menschenrechtsrat in Genf vorlegte, ist kurz als so genannter Muñozbericht bekannt geworden. Der UN-Vertreter attestierte dem deutschen Bildungssystem entscheidende menschenrechtliche Schwächen, beispielsweise eine Vernachlässigung der frühkindlichen Bildung, eine hohe soziale Selektivität des Bildungssystems und eine Missachtung des Elternrechts durch das Verbot von Homeschooling. Familie Romeike, die ihre Kinder aus religiösen Gründen zuhause beschulen wollte, erlangte aus diesem Grund vor einigen Jahren sogar politisches Asyl in den USA; die Entscheidung wurde allerdings später von einer höheren Instanz wieder zurückgenommen (Spiegel online 2013).

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 7 von 2005 deutlich gemacht: "Young children are rights holders" (CRC/C/GC/Rev.1, Abs. 3). Der folgende Beitrag will aus bildungsethischer Perspektive klären, welche Bedeutung dem Recht auf Bildung, das mit Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (AEMR 1948) erstmals im internationalen Menschenrechtsregime festgeschrieben wurde, für den Bereich frühkindlicher Bildung (verstanden als Bildungsphase vor Eintritt in die Grundschule) zukommt. Zunächst soll im Einzelnen das Verhältnis (1) zwischen Menschenwürde und Bildung, (2) zwischen rechtlicher und politischer Ordnung sowie (3) zwischen Bildung und Gerechtigkeit vermessen werden. Darauf aufbauend, wird abschließend gefragt, (4) welche Konsequenzen sich daraus für ein Recht auf Bildung ziehen lassen und (5) inwieweit frühkindliche Erziehung als Menschenrechtsprofession begriffen werden kann.

1. Wie verhalten sich Bildung, Recht und Gerechtigkeit zueinander?

1.1 Zum Verhältnis zwischen Menschenwürde und Bildung

"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." So heißt es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Ähnlich steht es auch zu Beginn unseres Grundgesetzes. Menschenwürde sprechen wir einander stets vollumfänglich einzig und allein aufgrund einer einzigen Voraussetzung zu: der Tatsache, als Mensch geboren zu sein. Andere äußere Voraussetzungen oder Abstufungen gelten nicht.

Die Menschenrechte sollen nicht - wie einfaches Recht - wandelbar und von wechselnden politischen Mehrheiten abhängig sein. Dies soll die Menschenwürde garantieren (vgl. Honnefelder 2008, S. 636 f.). Sie ist nicht selbst ein Recht, sondern das Fundament, in dem die einzelnen Menschenrechte wurzeln. Die Menschenwürde ist nicht "lex", sondern "ratio legis", leitet also die Auslegung der Menschenrechte. Soll etwas Menschenrecht sein, muss es nicht allein wünschenswert, sondern vielmehr so fundamental sein, dass ohne dieses Recht ein menschenwürdiges Leben nicht möglich ist. Dies bleibt auch für Bildung zu prüfen, wenn diese Menschenrecht sein soll.

Es macht des Menschen Würde aus, dass dieser sich unhintergehbar selbst bestimmen muss - oder anders gesagt: Der Mensch muss sich selbst kraft Vernunft das Gesetz des eigenen Handelns geben. Der Mensch ist weder vollständig durch Natur festgelegt noch allein durch Sozialisation bestimmbar, auch wenn er beiden Einflüssen nicht entfliehen kann. Er muss entscheiden, wer er sein will und wie er leben will. Dieser grundsätzliche Anspruch auf Selbstbestimmung gilt ohne Abstriche für jedermann, unabhängig von bestimmten äußeren Merkmalen. Doch da der Mensch sich nur in seiner Geschichtlichkeit konkretisieren kann, bleibt die Erfüllung der Forderung nach Selbstbestimmung - wie auch die Bildung selbst - stets unabgeschlossen: "Ihr Anspruch bleibt grundsätzlich unantastbar; seine Konkretisierung, was dem Menschen als Selbstbestimmung hier und jetzt möglich ist oder zugestanden werden kann, ist von Fall zu Fall im Verstehen der jeweiligen Individuallage zu entscheiden" (Heitger 2004, S. 24).

Dabei müssen wir uns stets entscheiden unter der Bedingung einer ungewissen Zukunft. Unsere Wahl bleibt risikoreich, unser Handeln stets fehlbar. Doch können dem Einzelnen Verantwortlichkeit und Rechenschaft über sein Handeln abverlangt werden, weil der Mensch als Vernunftwesen zum sinngebundenen, bewussten Handeln fähig ist, zu einem Handeln, das vom Willen und Entschluss des Subjekts abhängig ist. Ein solches Handeln erwächst aus - sachlichen oder sittlichen - Geltungsansprüchen, die an uns gestellt werden oder die wir selbst an uns stellen. Vernunft und Sprache befähigen uns dazu, diese vernünftig zu artikulieren, einander mitzuteilen und gedanklich nachzuvollziehen.

Mit jedem Geltungsanspruch ist eine Aufforderung zum Lernen verbunden, insofern sich der Einzelne diesem gegenüber verhalten muss. Wir können uns nicht entziehen, Stellung zu nehmen; denn selbst das Leugnen von Geltungsansprüchen wäre nur möglich über den Weg, selbst einen Geltungsanspruch zu erheben (Ladenthin 2003, S. 240). Wir sind lernfähig, aber auch stets des Lernens bedürftig. Dieser Anspruch durchzieht die gesamte Lebenspraxis des Menschen und stiftet eine pädagogische Solidarität, die uns als Menschen untereinander verbindet.

Selbstbestimmung setzt die Freiheit voraus, sich zum eigenen Wollen, Erkennen und Tun in ein wertendes Verhältnis setzen zu können - eine Freiheit, die ohne Bildung nicht zu erreichen sein wird. Weiter befähigt Bildung dazu, auch das eigene Wissen selbst noch einmal zu werten und nach der Bedeutsamkeit dieses Urteils für das eigene Handeln zu fragen. Bildung eröffnet dem Einzelnen die Möglichkeit, sich einen reflexiven Selbst-, Fremd- und Weltentwurf zu erarbeiten. Durch Bildung wird der Einzelne fähig, nach sich selbst als Mensch zu fragen, sich als selbstbestimmt und verantwortlich handelndes Subjekt zu begreifen und eine unverwechselbare Individualität auszubilden.

Ein bewusstes Handeln, das über zweckrationales, konventionelles oder bloß legales Verhalten hinausreicht, setzt die Freiheit zum Stellungnehmen, zum Urteilen und zur Kritik voraus. Ohne dieses menschliche Vermögen, das in der Menschenwürdeidee Ausdruck findet, fehlte der Bildung ihr Adressat. Pädagogisch lässt sich die Objektformel der Menschenwürdegarantie als Aufforderung verstehen, den Einzelnen stets als Quell freier Selbsttätigkeit zu achten. Umgekehrt könnte sich das Vermögen des Menschen zur Selbstbestimmung und zur verantwortlich gelebten Sozialität, wie es in der Idee der Menschenwürde geschützt wird, ohne Bildung gar nicht entfalten (vgl. Honnefelder 2008, S. 638).

Bildung ermöglicht ein Bewusstsein der eigenen Würde und ist eine der zentralen Bedingungen für den Vollzug menschlicher Freiheit. Zwar sprechen wir jedem Einzelnen von Anfang an Personalität und Würde zu, doch muss der Einzelne seinen Vernunft-, Sprach- und Freiheitsgebrauch zunehmend kultivieren. Pädagogisches Handeln kann dem Einzelnen diesen Klärungsprozess nicht abnehmen, dies liefe auf Manipulation, Formung oder Indoktrination hinaus. Im pädagogischen Tun können dem Einzelnen aber Hilfen zur Lösung dieser Aufgabe an die Hand gegeben werden - und zwar in zweifacher Hinsicht: didaktisch und erzieherisch. Beides ist nicht zu trennen: Der Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten, aber auch einer Orientierung darüber, wie diese lebensdienlich und gemeinwohlförderlich eingesetzt werden können, gehören untrennbar zusammen. Erzieherisch ist es wichtig, den Einzelnen zu ermutigen, sein Leben aktiv zu gestalten und zunehmend eigenständiger sachliche und sittliche Zwecke zu setzen.

Inwiefern jedoch lassen sich diese "pädagogischen Hilfen" auch rechtlich absichern, ohne dass die für Bildung konstitutive Idee der Selbstbestimmung dadurch suspendiert würde? Es müsste sich ausweisen lassen, wie das Recht den realen Vollzug menschlicher Freiheit im Bildungsgeschehen garantieren kann.

1.2 Zum Verhältnis zwischen rechtlicher und pädagogischer Ordnung

Das Recht gehört der Kulturwelt an und zählt damit - ebenso wie die pädagogische Ordnung - zu jenen elementaren Antworten, mit denen der Mensch auf die Grundverfassung seines Daseins zwischen Unspezialisiertheit und organischer Mittellosigkeit auf der einen sowie Weltoffenheit und Umweltenthebung auf der anderen Seite reagiert. Im Medium des Rechts gestaltet der Mensch seine Umwelt und schafft diese in Gemeinschaft mit anderen für sich lebensdienlich um. Vorausgesetzt wird an dieser Stelle die Rückbindung des Rechts an eine politische Ordnung, die der Freiheit des Einzelnen verpflichtet ist, die sich an unveräußerliche Freiheitsrechte des Menschen rückgebunden weiß, in der Gesetze durch demokratische Verfahren legitimiert sind und die staatliche Gewalt durch eine unabhängige Justiz kontrolliert wird.

Zwischen Recht und sozialem Handeln besteht ein dreifaches Verhältnis (Huber 2006, S. 59-68): Recht ist zunächst Resultat von vorangegangenem sozialem Handeln (so können beispielsweise die Menschenrechte als Antwort auf historisch-konkrete Leid- und Unrechtserfahrungen gelesen werden), es vollzieht sich durch Handeln (z.B. Sanktionen) und ist darauf angelegt, künftiges soziales Handeln zu ermöglichen (z.B. durch die gemeinwohlverträgliche Beilegung von Konflikten).

Recht setzt allerdings soziales Handeln nicht einfach nur voraus, sondern prägt dieses auch. So kann das Recht zugleich als eine Bedingung für die Konstituierung von Sittlichkeit gelesen werden. Die Sollensordnung des Rechts zielt auf einen geordneten Bestand der Gesellschaft. Als erzwingbare Ordnung kommt das Recht den menschlichen Grundbedürfnissen nach Schutz, Orientierung und Befriedung entgegen.

Das positive Recht bewahrt die Gemeinschaft wie den Einzelnen vor dem Zwang, die Freiheitsräume untereinander beständig neu aushandeln zu müssen. Das Recht bestimmt die Bedingungen gesetzlicher gleicher Freiheit, die allen zukommt; es regelt das Verhältnis der Handlungsfähigkeit des Einzelnen zur Handlungsfähigkeit der anderen, und es garantiert dem Einzelnen seinen subjektiven Freiheitsraum innerhalb der Gemeinschaft. Auf diese Weise formuliert das Recht Verhaltenserwartungen an die Glieder der Rechtsgemeinschaft, es ermöglicht Rechtssicherheit und schafft die Voraussetzungen zur Verständigung im Konfliktfall - kurz: Recht wirkt stabilisierend, konfliktmindernd und friedensfördernd und trägt durch Gewährleistung freiheitlich geordneter Lebensbereiche zu jenem Rahmen bei, in dem menschliche Freiheit, die immer sozial gebunden bleibt, sich erst real verwirklichen kann.

Auch wenn zwischen Grundrechten und Grundwerten zu unterscheiden ist, bleibt das Verhältnis von Recht und Ethik für die Rechts- und Verfassungsordnung kein rein äußeres. Vielmehr wohnt dem Recht selbst eine ethosbildende Kraft inne, indem es das Handeln der Glieder einer Rechtsgemeinschaft auf jene Werte lenkt, ohne deren Berücksichtigung Freiheit nicht möglich wäre. Damit ist das Recht ein wichtiger Orientierungsrahmen für den Freiheitsgebrauch der Einzelnen.

Die ethosbildende Kraft des Rechts ist nicht allein eine "Nebenfolge" rechtlicher Festschreibungen, sondern unlösbar mit dem Prozess seiner Positivierung verbunden. Denn die inhaltliche Kultivierung des konflikthaften Umgangs verschiedener Freiheiten untereinander erfolgt immer schon im Medium des positiven Rechts. Werden etwa die Menschenrechte als Antwort auf historisch-konkrete Leid- und Unrechtserfahrungen gelesen, so setzt dieser Zusammenhang Recht schon voraus. Die inhaltliche Ausformulierung dieser "Antwort" wird bereits durch das Medium des Rechts selbst mitbestimmt und konturiert. Die gemeinschaftlich-öffentliche Wertung leidvoller menschlicher Erfahrungen in der Geschichte hat ein politisches Handeln freigesetzt, durch das die Menschenrechte sichtbar Gestalt angenommen haben sowie nach und nach vertraglich konkretisiert wurden.

Das Recht ist also ein Instrument, das den realen Vollzug menschlicher Freiheit entscheidend unterstützt - und damit auch den Bildungsprozess, insofern Bildung selbst ein entscheidendes Moment des Freiheitsvollzuges darstellt. Zwar kann Bildung nicht selbst Recht oder Gerechtigkeit schaffen, doch trägt Bildung, verstanden als Befähigung zur Selbstbestimmung, entscheidend dazu bei, dass wir uns überhaupt als Rechtswesen und sittliche Subjekte begreifen, erfahren und realisieren können. Das Menschenrecht garantiert jenes Mindestmaß an pädagogischen Ressourcen und Möglichkeitsbedingungen für Bildung, ohne die ein menschenwürdiges Leben - frei von staatlicher Bevormundung, Abhängigkeit und existentieller Not - nicht denkbar wäre.

1.3 Zum Verhältnis von Bildung und Gerechtigkeit

Bildungs- und Erziehungsprozessen liegt eine pädagogische Beziehung zugrunde. Wie jede zwischenmenschliche Begegnung stiftet auch diese ein sachlich und sittlich zu gestaltendes Verhältnis zwischen zwei Subjekten, die füreinander Verantwortung tragen - eben, weil ihre jeweiligen Bedürfnisse, Ansprüche und Interessen im pädagogischen Prozess nicht unberührt voneinander bleiben können. Hierüber ist im Rahmen der pädagogischen Ethik zu reflektieren; dieser geht es um die normative Bewertung jener pädagogisch-erzieherischen Handlungen, die individuell zurechenbar sind und auf persönliche Verantwortung bezogen werden können.

In der pädagogischen Beziehung kann eine ausgebildete Verantwortungsfähigkeit nicht einfach beiderseits vorausgesetzt werden. Der Educandus soll zunehmend lernen, sich als ein selbstbestimmt und verantwortlich handelndes Subjekt zu begreifen. Dies verlangt die Ausbildung sittlicher Erkenntnis-, Urteils- und Handlungsfähigkeiten, aber auch - da niemand für sich allein leben kann - eine Erziehung zur Gemeinschafts- und Solidaritätsfähigkeit. Beides beginnt bereits in frühester Kindheit und wird alters- wie entwicklungsangemessen schrittweise aufgebaut.

Pädagogisch bleibt es zentral, die zunehmende Mitwirkung des Heranwachsenden an seiner eigenen Erziehung hervorzulocken, ihm seine eigene Verantwortlichkeit pädagogisch bewusst zu machen und ihn zu befähigen, dieser gerecht zu werden. Diese Aufgabe kann nicht an andere, nichtpädagogische Instanzen delegiert werden. Denn die Frage, wie der Mensch seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung und die Reindividualisierung von Kultur dergestalt vollziehen kann, dass seine ihm aufgegebene Freiheit dabei erhalten bleibt, stellt sich so nur in der pädagogischen Praxis und kann auch nur pädagogisch entschieden werden.

Bildung verlangt nach Eigenaktivität des sich bildenden Subjekts und lässt sich nicht stellvertretend für andere erzeugen. Doch unterliegen Bildung und Erziehung einer Vielzahl an Rahmenbedingungen und pädagogischen Bedingtheiten, die sich förderlich oder hemmend auswirken können. Sollen die strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen von Bildung sowie deren Ausgestaltung in normativer Perspektive beurteilt werden, weist dies über eine pädagogische Bereichsethik hinaus auf eine Sozialethik der Bildung (zu den Aufgaben einer Sozialethik der Bildung vgl. umfassender Kunze 2012, S. 259-261).

Doch bleiben Bildung und Gerechtigkeit regulative Ideen, die grundsätzlich unterschiedlichen menschlichen Teilpraxen angehören. Das Verhältnis zwischen beiden wird stets ein begrenztes bleiben. Was pädagogisches Handeln ist, kann nicht aus der Menschenrechts- oder Gerechtigkeitstheorie abgeleitet werden, sondern muss von der Pädagogik nach ihren eigenen Prinzipien bestimmt werden. Zwar sind Bildung und Erziehung zentrale Voraussetzungen dafür, dass soziale Gerechtigkeit möglich wird, indem die Einzelnen befähigt werden, Gerechtigkeitsprobleme zu identifizieren, zu beurteilen und gemäß dem als gerecht Erkannten zu handeln. Doch werden sich die Auswirkungen veränderter Bildungsprozesse zunächst einmal in veränderten Bildungsprozessen zeigen.

Aber auch wenn Gerechtigkeit kein einheimischer Begriff der Pädagogik ist, bleibt pädagogisches Handeln an Gesetz und Moral gebunden - sind Gerechtigkeit und Menschenrechte also auch auf die Vollzüge von Bildung und Erziehung hin auszulegen. Die Aufgabe wäre es, mit der Tatsache von Ungleichheit und Gleichheit so umzugehen, dass aus dieser durch pädagogisches Handeln keine Ungerechtigkeit entsteht oder eine solche sich weiter verfestigt. Dabei stehen wir immer vor dem Paradox, dass im pädagogischen Handeln stets schon vorausgesetzt werden muss, was erst erstrebt wird. Die Chancen, die dem Einzelnen pädagogisch eröffnet werden, bleiben abhängig von sozialisatorischen Voraussetzungen, Haltungen, Motiven und weiteren Persönlichkeitsmomenten, die zu einem erheblichen Teil Bildung (nicht allein formale) bereits voraussetzen - oder anders gesagt: Die Chancen zur Bildung bleiben abhängig von Chancen durch Bildung (Stojanov 2007, S. 33-36).

Der grundsätzliche Anspruch auf Bildung kann nicht graduell abgestuft werden, ohne dass dem Einzelnen eine nur abgestufte Würde als Mensch zuerkannt würde. Im Anspruch auf Selbstbestimmung kann es kein Mehr oder Weniger geben. Anders sieht es hingegen bei den "Chancen zur Bildung" aus. Ihre Verteilung ist nicht einfach als Ergebnis kontingenter Einflüsse hinzunehmen, sondern unter Gerechtigkeitsbedingungen politisch, rechtlich oder pädagogisch zu gestalten. Dabei geht es um jene Voraussetzungen, welche das Zustandekommen von fruchtbaren Bildungsprozessen erst ermöglichen.

2. Inwiefern ist Bildung ein Menschenrecht?

Das Recht auf Bildung nimmt den Staat in die Pflicht, für eine hinreichende Beteiligung an Bildung zu sorgen und dem Einzelnen ein hinreichendes Maß an Beteiligung durch Bildung zu sichern; es geht also um Teilhabe an Bildung und Ausbildung solcher Fähigkeiten, die es dem Einzelnen ermöglichen, aktiv am politischen, wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und kulturellen Leben teilzunehmen. Bildung macht das Leben erlebnis- und beziehungsreicher, bereichert die menschliche Existenz und ist damit eine wichtige Quelle für Genuss und Lebensfreude. Indem Bildung die aktive Beteiligung am sozialen Leben ermöglicht, ist sie eine zentrale, wenn auch keineswegs die einzige, Voraussetzung dafür, sich als wertgeschätzt und ebenbürtig anerkannt zu erfahren.

Schließlich müssen aber auch die Interessen, Bedürfnisse und Zuständigkeiten der verschiedenen, am pädagogischen Prozess beteiligten Akteure zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dabei geht es um einen sozialen Aushandlungsprozess, der aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht die Möglichkeit zur Mitbestimmung verlangt.

Kurz kann von drei Kernbereichen gesprochen werden, die alle zusammengenommen das eine Recht auf Bildung ausmachen: Recht auf Bildung im engeren Sinne, Recht durch Bildung und Recht in der Bildung. Hinter dieser Dreiteilung steckt mehr als eine Frage ordnungschaffender Systematik. Das notwendige Zusammenspiel aller drei Kernbereiche des einen umfassenden Rechts auf Bildung ist ein wichtiges Korrektiv für dessen Auslegung, wenn die in ihm enthaltenen Anteile negativer wie positiver Freiheit nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen.

Die folgenden Ausführungen orientieren sich an Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, in dem sich die genannten drei Kernbereiche des Rechts auf Bildung bereits finden lassen. Im weiteren Verlauf seiner Entwicklung und Auslegung sind die einzelnen Aspekte deutlich erweitert worden, vor allem im Rahmen der Allgemeinen Bemerkungen des Sozialpaktausschusses und der Berichte der Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung.

2.1 Recht auf Bildung (Art. 26 Abs. 1 AEMR 1948)

Bildung, verstanden als Freiheitsvollzug, stellt den normativen Kern des Rechts auf Bildung dar. An diesem Maßstab müssen sich die Ansprüche auf einzelne Bildungsvollzüge messen lassen: Je elementarer ein spezifischer Bildungsvollzug für die Verwirklichung individueller Autonomie ist, desto stärker ist der damit verbundene moralische Rechtsanspruch.

Im heutigen Menschenrechtsdiskurs konkretisiert sich das Recht auf Bildung durch vier Strukturmerkmale (Tomasevski 2006): Bildungsangebote müssen in ausreichendem Maße verfügbar sowie diskriminierungsfrei zugänglich sein, und zwar sowohl in physischer als auch in ökonomischer Hinsicht. Ferner sollten sie so gestaltet sein, dass sie inhaltlich den Ansprüchen auf Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit entsprechen. Das heißt: Sie sollten, wie es der UN-Sozialpaktausschuss in seiner Auslegung formuliert, "relevant, kulturell angemessen und hochwertig" sein (CESCR 12/1999/10 8. Dezember 1999, S. 268). Und die verschiedenen Bildungsangebote sollten sich so flexibel erweisen, dass sie verschiedenen Lebenslagen, kulturellen Voraussetzungen oder individuellen Bedürfnissen gerecht werden.

2.2 Recht durch Bildung (Art. 26 Abs. 2 AEMR 1948)

Nicht nur das Recht, auch Bildung kann, wenn seine sittliche Rückbindung gelöst wird, zum Unterdrückungs- und Gewaltinstrument pervertieren. Art. 26 Abs. 2 AEMR 1948 will verhindern, dass der Bildungs- und Erziehungsbereich in den Händen des Staates für menschenrechtswidrige Zwecke missbraucht wird - eine Gefahr, die 1948 bei Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte angesichts politischer Totalitarismen deutlich vor Augen stand. Der Einzelne soll befähigt werden, zum Autor seines eigenen Lebens zu werden. Bildung im menschenrechtlichen Sinne soll daher umfassende Persönlichkeitsbildung und Menschenrechtsbildung sein.

Mündigkeit als Ziel pädagogischen Handelns setzt voraus, den Einzelnen so zu denken, dass er zum Ganzen der Welt und nicht allein zu einem Ausschnitt von ihr in ein wertendes und schöpferisch gestaltendes Verhältnis treten kann. Andernfalls wäre der Einzelne allein ein Funktionär der kontingenten Verhältnisse. Der junge Mensch soll gerade alle Saiten seiner Persönlichkeit zum Klingen bringen, damit er später in der Lage ist, selbst entscheiden zu können, welche Fähigkeiten er stärker ausbaut und vervollkommnet. Daher verbieten sich zu frühe Spezialisierung oder Einseitigkeit.

Seine eigenen Rechte einfordern und auch diejenigen der anderen schützen kann grundsätzlich nur derjenige, der auch um diese Rechte weiß und der ethische Urteils- und Handlungskompetenzen erworben hat. Menschenrechtsbildung geht es darum, dem Einzelnen jenes Wissen und jene Fertigkeiten zu vermitteln, die er braucht, um seine politischen und juridischen Rechte selbstbewusst und mit Aussicht auf Erfolg wahrzunehmen. Dieser Umgang kann kein rein technischer sein, vielmehr ist darüber sittlich zu reflektieren. Der Einzelne soll erkennen, dass die anderen die Menschenrechte im selben Umfang besitzen. Über eine dergestalt explizite Menschenrechtsbildung hinaus wird eine präventive Kultur der Menschenrechte überall dort gefördert, wo ein erzieherischer Umgang im Sinne der Menschenrechte gepflegt wird. Hier spielt das erzieherische Vorbild eine wichtige Rolle.

Es geht also um ein Wissen über die Menschenrechte, ein Urteilen im Sinne der Menschenrechte und ein Handeln für die Menschenrechte. Als säkulares Recht müssen die Menschenrechte ausgelegt und angewandt werden, im Konfliktfall müssen unterschiedliche Ansprüche zum Ausgleich gebracht werden.

Ihre Grenze findet Menschenrechtsbildung dort, wo sie versucht, eine bestimmte habituelle Disposition auf Seiten der Educandi herzustellen. Pädagogisch gerät eine solche Zielbestimmung in die Gefahr politischer Überwältigung. Das Werturteil, die eigene sittliche Entscheidung, wird erschlichen. Heranwachsende sollen nicht deshalb irgendetwas für wahr halten, weil Erzieher dies so vorgeben; sie sollen alters- und entwicklungsangemessen zum eigenständigen Werten befähigt werden. Sie müssen daher die Freiheit haben, das, was ihnen vermittelt und vorgelebt wird, selbsttätig auf Sinn hin zu befragen und zu prüfen. Hierfür ist ein angstfreies Lernklima unverzichtbar. Was Menschenrechtsbildung pädagogisch leisten kann, ist, einen kompetenten und sittlich verantwortlichen Umgang mit den Menschenrechten einzuüben, also menschenrechtsbezogene Handlungsfähigkeit auszubilden. Habituelle Dispositionen hingegen entwickeln sich im erzieherischen, personalen Umgang, können aber nicht intentional erzeugt werden. Am Ende stünden sonst nicht Heranwachsende, die vermeintlich "richtig denken", sondern solche, die es verlernt haben, selbständig zu denken.

2.3 Recht in der Bildung (Art. 26 Abs. 3 AEMR 1948)

Dem Staat fällt kein Bildungs- oder Erziehungsmonopol zu. Das Menschenrecht schützt die sittliche Autonomie des Einzelnen - und damit auch die individuelle Freiheit, Bildung und Erziehung in privater Form zu bestimmen. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Erstverantwortlichkeit der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder. Das Elternrecht sichert dem Kind das Recht, vornehmlich durch seine eigenen Eltern erzogen zu werden, unbeschadet des staatlichen Wächteramtes, das Kinder vor Missbrauch oder Verwahrlosung schützen soll.

Im weiteren Verlauf der Auslegung des Rechts auf Bildung innerhalb der verschiedenen Monitoringsysteme (z.B. durch den Sozialpaktausschuss oder die Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung) sind neben dem Elternrecht noch weitere Rechte in der Bildung in den Blick gekommen, beispielsweise die Rechte der Lehrenden oder der freien Bildungsträger.

Nach diesem allgemeinen Durchgang durch ein Recht auf Bildung bleibt abschließend zu fragen, inwieweit auch die frühkindliche Bildung, die in den vergangenen Jahren bildungspolitisch deutlich ausgebaut worden ist, vom Gehalt dieses Rechts erfasst wird.

3. Kann frühkindliche Bildung als Menschenrechtsprofession begriffen werden?

Wenn Bildung ein lebenslanger Anspruch des Menschen ist, kann pädagogisch wie entwicklungspsychologisch davon ausgegangen werden, dass alle Altersphasen für die Bildungsbiographie des Einzelnen von entscheidender Bedeutung sind. Ein Recht auf Bildung wird dann nicht allein auf den Bereich schulischen oder hochschulischen Lernens begrenzt werden können. Ohne hinreichende Förderung in der frühen Kindheit wird es dem Einzelnen später schwer fallen, sein Recht auf Bildung umfassend zu verwirklichen. In besonderer Weise kommt dieser Gedanke in den Kinderrechten zum Tragen, welche die Menschenrechte auf die besondere Lebens- und Entwicklungssituation von Kindern hin auslegen.

Die Vorstellung von Kinderrechten fand erstmals in der Genfer Erklärung des Völkerbundes von 1924 sichtbar Ausdruck; doch blieb diese 1934 noch einmal ausdrücklich bekräftige Charta weitgehend unverbindlich. Pate standen reformpädagogische Ansätze, die forderten, "vom Kinde her" zu denken und zu handeln, beispielsweise Ellen Key oder Janusz Korczak. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es noch geraume Zeit, bis die Weltgemeinschaft zur rechtlich-institutionellen Verankerung eigener Kinderrechte finden sollte. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen beschäftigte sich zwar bereits 1959, angestoßen durch die internationale Kinderschutzbewegung, in einer Erklärung mit dem besonderen Schutz der Rechte von Kindern, rechtsverbindlich verankert wurden diese jedoch erst 1989 mit dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Dessen Anliegen ist es nicht allein, die Rechte der Kinder wegen deren Verletzlichkeit noch einmal in besonderer Weise zu schützen. Die Konvention bringt eine neue Sichtweise auf die Ansprüche von Kindern ins Spiel, wie Claudia Lohrenscheit (2006, S. 7) auf einer Tagung des Deutschen Instituts für Menschenrechte deutlich gemacht hat: "Kinder sind […] nicht nur Objekte von Schutz und Fürsorge durch Erwachsene, sondern sie sind auch Subjekte ihrer eigenen Entwicklung, die sie selbst mitbestimmen sollen und können."

Dies zeigt sich darin, dass sich die Kinderrechtskonvention um eine stärkere Balance zwischen den Rechten des Kindes und denen der Eltern bemüht. Dabei besteht die besondere Herausforderung, die drei Basisnormen der Kinderrechte - Beteiligung, Vermittlung und Förderung - so miteinander zu vermitteln, dass sich Kindheit als Schutz- und Schonraum nicht auflöst und Kinder neuerlich verwundbar gemacht oder instrumentalisiert werden. Bei den Beteiligungsrechten der Kinder sei, wie Frank Surall (2009, S. 86) in seiner "Ethik des Kindes" ausführt, immer ein Schutz- und Förderaspekt zu bedenken, wie umgekehrt die Schutzrechte des Kindes nicht mehr als Schutz vor der Gesellschaft begründet werden, sondern als "unumgängliche Voraussetzung für den durch Förderung vermittelten Weg zu größtmöglicher Partizipation".

Wilhelm Brinkmann will im Sammelband "Erziehung und Menschenrechte" dann auch nicht von "Gleichberechtigung" der Kinder gegenüber Erwachsenen sprechen, sondern von "Ebenbürtigkeit". Ein ebenbürtiges Verhältnis der Erwachsenen zu Kindern setze voraus, dass sich die Älteren mit den Interessen und Bedürfnissen der Jüngeren pädagogisch verantwortlich auseinandersetzen, ohne sie mit Entscheidungszumutungen zu überfordern: "Die Kompetenz zu wählen und zu entscheiden, müssen Kinder erst erwerben; denn Wahl und Entscheidung in Freiheit gibt es nur dort, wo das Subjekt, das sich entscheidet, die Tatsachen erkennen, die Folgen abschätzen und die Verantwortung tragen kann. Es gehört zu den Aufgaben des Erwachsenen, Kinder beim Erwerb dieser Kompetenz zu unterstützen" (Brinkmann 1995, S. 88).

Zwei Extreme sind ausgeschlossen, wenn die Kinderrechte in diesem Sinne ernstgenommen werden: eine absolute Entscheidungsfreiheit der Eltern wie auch eine solche des Kindes. Eltern müssen die wachsende Fähigkeit ihrer Kinder zu selbständigem und verantwortungsbewusstem Handeln und das wachsende Bedürfnis nach Autonomie berücksichtigen und einvernehmliche Lösungen anstreben. Inwieweit die Erziehungsautonomie der Eltern dadurch gebunden wird, ist erst im Einzelfall zu klären; hierfür wird es in Korrelation zum kindlichen Beteiligungsanspruch unterschiedliche Grade geben. In jedem Fall besitzen die Eltern nicht allein die primäre Verantwortung für die Erziehung der Kinder, sondern nach Artikel 5 und 14 der Kinderrechtskonvention auch ein angemessenes Führungs- und Leitungsrecht, also die Verantwortung, ihre Kinder bei der Ausübung der Konventionsrechte anzuleiten und zu führen.

Die Entscheidungen sollten sich dabei zuvorderst am Wohl der Kinder orientieren (so Art. 3 Abs. 1 CRD 1989), das zur Zentralnorm der Kinderrechte erhoben wird; im englischen Original heißt es: "the best interest of the child". Helmut Sax (2009, S. 48-52) nennt im "Jahrbuch Menschenrechte" von 2010 vier Funktionen, die dieser Grundsatz erfüllt: eine Analyse-, Anker-, Verdeutlichungs- und Eingriffsfunktion. Die Folgen einer Entscheidung sollten vorab abgeschätzt und später analysiert werden (Analysefunktion), sodass die Interessen der Kinder bei allen Entscheidungen berücksichtigt werden (Anker- oder Mainstreamfunktion). Ferner unterstütze dieser Grundsatz die verschiedenen Einzelrechte, in denen sich das Kindeswohl konkretisiert (Verdeutlichungsfunktion), und legitimiere im Gefährdungsfall entsprechende Interventionen (Eingriffsfunktion).

Wie in anderen positiv-rechtlichen Festschreibungen eines Rechts auf Bildung fällt auch im Falle der Kinderrechtskonvention auf, dass von Elementarbildung oder frühkindlicher Erziehung explizit nicht gesprochen wird. Für das Vorschulalter ist in Artikel 18 lediglich von Betreuungsdiensten und -einrichtungen die Rede, wobei weniger die Bedürfnisse der Kinder als die arbeitender Eltern im Vordergrund stehen: eine Perspektive, die dem grundlegenden Selbstanspruch der Konvention nicht entspricht.

In den Staatenberichten wie der Auslegungspraxis des Kinderrechtsausschusses zeigt sich aber, dass dennoch Bestimmungen der Konvention zunehmend auf den Bereich frühkindlicher Erziehung übertragen werden. Von zentraler Bedeutung ist hier die Allgemeine Bemerkung Nr. 7 des UN-Kinderrechtsausschusses (CRC/C/GC/Rev.1).

Inzwischen wird aus den Artikeln 28 f. ein implizites Recht des Kindes auf Erziehung abgeleitet, verstanden als pädagogische Unterstützung und Begleitung, die das Kind alters- und entwicklungsangemessen schrittweise dazu befähigen, immer stärker Selbstverantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen (vgl. Verheyde 2006, S. 13-15). Verlangt wird eine "kinderfreundliche" Bildung, die sich auf das Kind konzentriert und diesem Fähigkeiten zur Selbstbehauptung vermittelt. Bildung als ein zentrales Befähigungsrecht lasse sich nur in Verbindung mit einer entsprechenden Werterziehung realisieren. Eine allein formale Menschenrechtsbildung greife zu kurz, sondern bedürfe eines Umfeldes, in dem die menschenrechtlich geschützten Werte auch gelebt werden.

Auch wenn das Vorschulalter traditionell nicht vom Recht auf Bildung erfasst wird, wird dieses individuelle Recht nur dann umfassend gesichert sein, wenn Förderung und pädagogische Unterstützung sowie andere kurative Hilfen möglichst frühzeitig greifen, bevor sich nachteilige Entwicklungsbedingungen oder Ausgrenzungen verfestigt haben. Daher wird auch der Bereich der Früherziehung und Elementarbildung - nicht zuletzt eine frühe, gezielte Sprachförderung - im Blick einer menschenrechtsorientierten Bildungspolitik liegen müssen, ohne diesen zu "verschulen" oder die pädagogisch wie menschenrechtlich bedeutsame Stellung der Grundschulbildung zu schwächen. Die vorschulischen Lebensphasen sind von ihrem Eigenwert sowie den ihnen eigenen Ansprüchen und Entwicklungsaufgaben her zu beurteilen, also nicht allein unter einem "Verwertungsinteresse" im Blick auf späteren beruflichen oder sozialen Erfolg.

Die Institutionen frühkindlicher Bildung und Erziehung sind diskriminierungsfrei auszugestalten. Menschenrechtlich ist keine umfassende Gebührenfreiheit geboten, wohl aber die Berücksichtigung sozialer Kriterien, zumal Betreuungsleistungen im Sozialstaat grundsätzlich der Leistungsfähigkeit des Einzelnen aufgegeben sind. Wie der frühkindliche Bildungs- und Betreuungsbereich konkret finanziert wird, ist eine ressourcenabhängig zu beurteilende politische Frage, die nicht über Gebühr moralisch aufgeladen werden sollte. Zu achten sein wird auf zielgenaue Förderangebote, die familienunterstützend gestaltet sein müssen, wenn Elternrecht und Autonomie der Familie nicht untergraben werden sollen. Der liberale Rechts- und Verfassungsstaat wird hier mit Anreizstrukturen arbeiten müssen.

Zu unterscheiden bleibt zwischen verbesserten Bildungs- und Förderangeboten einerseits sowie vermehrten Betreuungsangeboten andererseits. Beide Forderungen können gesellschaftlich berechtigt sein, sind aber gesondert zu prüfen. Ein vermehrtes Betreuungsangebot muss noch keine bessere Förderung bedeuten. Für verbesserte Bildungschancen wird es notwendig sein, vorschulisch qualifizierte Förderangebote zu etablieren, die pädagogisch profiliert, elementardidaktisch angemessen und altersgerecht gestaltet werden. Hilfreich sind begleitend Formen einer Erziehungspartnerschaft und die sinnvolle Verzahnung mit nachfolgenden schulischen Angeboten.

Vernor Muñoz Villalobos hat im Bericht zu seinem Deutschlandbesuch (Abs. 84) darauf hingewiesen, dass sich durch gemeinsame Absprachen und Rahmenvereinbarungen auf Bundesebene sowie die Bildungspläne der einzelnen Bundesländer bereits viel verändert habe. Der Erziehungsauftrag der Kindertageseinrichtungen sei gestärkt sowie die Bildungs- und Förderbereiche ausgebaut worden. Ob der frühkindliche Erziehungsbereich, wie der ehemalige UN-Sonderberichterstatter in Absatz 86 seines Berichts fordert, über kurz oder lang auch in das Regelschulsystem eingegliedert werden sollte, bleibt allerdings fraglich, schon allein aufgrund der bestehenden Trägervielfalt im Bereich der Kindertageseinrichtungen. Die Elementarbildung müsste dann aus verfassungsrechtlichen Gründen zum einen der staatlichen Schulaufsicht unterstellt werden, zum anderen würde das Elternrecht erheblich eingeschränkt.

Die rechtlichen Normen, die sich aus den Menschenrechten ergeben, bilden die verfahrensrechtliche Grundlage für den Verkehr innerhalb der Organisation; diese müssen deutlich eingefordert werden, wenn die Grundfreiheiten der Einzelnen geschützt sein sollen, und zwar auch im Bildungs- und Erziehungsbereich. Doch werden die Menschenrechte ohne ein sie stützendes Ethos auf Dauer kraftlos. Eine solche sittliche Haltung ist im erzieherischen Umgang anzustoßen. Die Debatte um Kinderrechte hat deutlich gemacht, dass ein solches pädagogisches Bemühen um eine präventive Kultur der Menschenrechte bereits vorschulisch einsetzen sollte. Beides ist wichtig: Die Menschenrechte sichern dem Einzelnen die Möglichkeit, seine Freiheit real zu verwirklichen, sie sichern die Freiheit des Einzelnen zur Selbstbestimmung - oder anders gesagt: seine Freiheit zur Bildung. Umgekehrt bedürfen die Menschenrechte der Förderung durch pädagogisches Handeln. Menschenrechtsbildung in elementarer Form wird bereits im Bereich der frühkindlichen Bildung und Erziehung beginnen, wobei die Menschenrechte aus entwicklungspsychologischen Gründen zunächst implizit zu behandeln sein werden. Ein wertschätzender, respektvoller Umgang in frühkindlichen Bildungseinrichtungen, eine Praxis sozialer Anerkennung, die Partizipation von Kindern (z.B. über Kinderkonferenzen oder Methoden wie das Philosophieren mit Kindern) oder Modelle gewaltfreier Konfliktlösung sind wichtige Elemente einer gelebten pädagogischen Kultur der Menschenrechte, die Verletzungen der Menschenwürde bereits präventiv begegnet. Erzieher/innen fällt an dieser Stelle eine wichtige Modellfunktion zu. Und so kann der pädagogische Beruf, auch im frühkindlichen Bereich, als wichtige Menschenrechtsprofession bezeichnet werden.

Sollen die menschenrechtlichen Ansprüche auf den frühkindlichen Bereich hin fortgeschrieben werden, wird ein breit verstandener Bildungsbegriff zugrundegelegt werden müssen, der Bildung in der Frühpädagogik als Entfaltung der Potentiale und Möglichkeiten des Kindes in aktiver Auseinandersetzung mit seiner materiellen und sozialen Umwelt versteht (Ziegenhain/ Gloger-Tippelt 2013, S. 796). In diesem Sinne ist die frühe Kindheit eine grundlegende Lebensphase, in der zentrale Voraussetzungen für eine zunehmende, eigentätige Bildung gelegt werden, z.B. kognitive Flexibilität, Impulskontrolle, emotionale Sicherheit, Exploration und Kreativität, Verarbeitung von Stressbelastungen, Regulation von Gefühlen und Beziehungsfähigkeit. Wie diese Ziele gefördert werden können, wird im Dialog mit der Bindungsforschung zu klären sein, wobei sowohl die Bindungsrepräsentationen professionell-pädagogischer Rollenträger (Tippelt 2013, S. 862) als auch die Peerbindungen der Kinder untereinander (Krappmann 2013) gleichermaßen Beachtung verdienen.

Literatur

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