Rechtliche Grundlagen und exemplarische Konzepte zur Partizipation in Kindertageseinrichtungen

Daniela Schäfer-Pichula

Einleitung

Im vorliegenden Beitrag wird anhand rechtlicher Grundlagen die Legitimation der Partizipation von Kindern skizziert. Des Weiteren folgen eine theoretische Annäherung und Begriffsbestimmung. Ferner wird durch die Studie von Bartosch et al. (2014) beleuchtet, welche Kompetenzen pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen benötigen, um die Partizipation von Kindern sicherzustellen.

Die Partizipation von Kindern ist als ein Grundrecht im Artikel 2 des Grundgesetzes begründet (vgl. Nomos Gesetze 2016, S. 45). Doch wird dieses Recht auch in Kindertageseinrichtungen realisiert? Haben Kinder das Recht an Entscheidungen, die ihre Entwicklung, ihre Persönlichkeit betreffen zu partizipieren oder gestaltet sich die Partizipation in Kindertageseinrichtungen als leeres Konstrukt?

In der UN-Kinderrechtskonvention im Artikel 12 Abs. (1) legitimiert sich das Mitspracherecht von Kindern wie folgt:

„Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife“ (Nomos Gesetze 2016, S. 2296).            

Auch im Kinder und Jugendhilfegesetz ist das Recht zur Partizipation in mehreren §§ im SGB VIII aufgeführt. Werden die §§ 1, 5, 8 und 9 des SGB VIII (vgl. Nomos Gesetze 2016, S. 1766 ff.) aufgezeigt, wird deutlich, dass die Beteiligung von Kindern eine hohe Gewichtung hat. Explizit konkretisiert sich für Kindertageseinrichtungen die Aufgabe, resp. die Pflicht, Kinder altersgerecht an Entscheidungen zu beteiligen. Diese Plichten sind u. a. im § 22 Abs. (3), Satz 3 SGB VIII benannt (vgl. Nomos Gesetze 2016, S. 1772). Ferner ist zu konstatieren, dass frühkindliche Institutionen Orte sind, in denen Partizipation umgesetzt und gelebt werden muss (vgl., ebd.). Infolgedessen sollten die pädagogischen Fachkräfte für die Umsetzung der Partizipation der Dreh- und Angelpunkt sein, sodass Kinder in Kindertageseinrichtungen ihre Interessen, Bedürfnisse und Anliegen äußern können.

Theoretische Annäherung und Begriffsbestimmung

Partizipation

Regner und Schubert-Sufrian (2013) definieren Partizipation als eine Möglichkeit, die Bürger*innen zugesteht, sich aktiv am gesellschaftlichen Geschehen zu beteiligen (vgl. ebd., S. 12). Richard Schröder (1995) definiert Partizipation wie folgt „Partizipation heißt, Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, zu teilen und gemeinsame Lösungen für Probleme zu finden“ (ebd. S., 14; zit. n. Regner/Schubert-Sufrian 2013, S. 12). Ohne partizipative Einbeziehung der Kinder würden die kindlichen Bildungs- und Selbstbildungsprozesse sowie demokratisches Handeln zu kurz kommen (vgl. Stamer-Brandt 2012, S. 5).

Liebel (2007) plädiert dafür, dass Kinder im Kontext von Kindertageseinrichtungen Erwachsene brauchen, die ihnen Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Ebenso wichtig ist, dass diese „ihnen zuhören, […] sich für ihre Weltsicht interessieren, […] ihre Beiträge ernst nehmen, […] [und; DS] sie bei der Meinungsbildung unterstützen […]“ (ebd., S. 193). Im hessischen Bildungs- und Erziehungsplan wird unter Partizipation verstanden, wie Kinder lernen ihre Meinung und Bedürfnisse zu entwickeln und sich an Entscheidungen zu beteiligen: „Im täglichen Miteinander erfährt […] [das Kind; DS] was Demokratie bedeutet und wodurch demokratisches Handeln geprägt ist (Fthenakis et al. 2016, S. 84). Es ist allerdings zu eruieren, ob die pädagogischen Fachkräfte die jeweiligen Bildungsempfehlungen in ihrem Bundesland kennen und diese auch für die pädagogische Praxis nutzen.

Doch was sind die Ursprünge von Partizipation bzw. welche Verterter*innen lassen sich ausmachen, die sich Gedanken darüber gemacht haben, wie Kinder an Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, involviert werden? Als ein bekannter und früher Vertreter, der sich für die Rechte von Kindern einsetzte, ist der polnische Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak (1878 – 1942) zu nennen. Er entwickelte Methoden für die Beteiligung von Kindern und prägte den Begriff „Pädagogik der Achtung“ (hierzu Beiner/Ungermann 1999, S. 383 ff.). Sein Bestreben war u. a., dass Kinder selbstbestimmt ihre eigenen Belange umsetzen können. Hierzu konstatiert Stamer-Brandt (2012), eine partizipative Pädagogik benötigt pädagogische Fachkräfte, die sich selbst reflektieren und nicht willkürlich den Kindern Rechte zuweisen (vgl. ebd., S. 21). Das Zitat von Korczak (1967, S. 304) untermauert diese Sichtweise eindrücklich:

„Das Kind hat ein Anrecht darauf, dass seine Angelegenheit ernsthaft behandelt und gebührend betrachtet wird. Bis jetzt hing alles vom guten Willen und von der guten oder schlechten Laune des Erziehers ab. Das Kind war nicht berechtigt Einspruch zu erheben. Dieser Despotismus muss ein Ende haben“ (ebd.; zit. n. Stamer-Brandt 2012, S. 19).

Im nächsten Abschnitt werden Konzepte vorgestellt, die sich mit der Partizipation von Kindern auseinandersetzen. Zu nennen sind die Kinderstube der Demokratie, der heimliche Lehrplan der Demokratie sowie die Stufen der Partizipation.

Exemplarische Konzepte von Partizipation

Die Kinderstube der Demokratie

Ein bedeutendes Partizipationskonzept ist die „Kinderstube der Demokratie“ (Hansen et al. 2006), das in zwei Modellprojekten und in sieben Kindertageseinrichtungen aus Schleswig-Holstein erprobt sowie modifiziert wurde. Im Projekt von 2001 bis 2003 wurde deutlich, dass eine gelingende Partizipation maßgeblich durch die Erwachsenen gesteuert ist. Die pädagogischen Fachkräfte müssen in der Situation sein, Kinder an Entscheidungen zu beteiligen und unterstützen zu können (vgl. ebd.). Wie Hansen et al. (2006) belegen, können ein diffuses Rollenverständnis sowie strukturelle Schwierigkeiten die Umsetzung von Partizipation in Kindertageseinrichtungen erschweren (vgl. ebd., S. 77 – 81).

Der heimliche Lehrplan der Demokratie

Stamer-Brandt (2012) formuliert in ihrem Lehrplan Ziele, um Partizipation von Kindern zu ermöglichen (vgl. ebd., S. 108). Nach ihrer Auffassung können in frühkindlichen Institutionen „heimliche undemokratische Strukturen“ (ebd., S. 108) auftreten. Um diesen Strukturen entgegenzusteuern, verweist sie auf den „heimlichen Lehrplan der Demokratie“ (ebd.). Die pädagogischen Fachkräfte bieten im Kontext dessen spezifische Anregungen, fördern die Freude am Lernen und stellen Materialien bereit, die Kinder zum Explorieren einladen (vgl. ebd.). Ebenfalls versuchen sie die Kommunikation so zu gestalten, dass die Kinder die Möglichkeit bekommen, ihre Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit auszubauen, „soweit die Kinder das wünschen“ (ebd., S. 108). Der Dialog mit den Kindern steht im Fokus der pädagogischen Arbeit. Infolgedessen sollten die Fachkräfte über Interaktionskompetenz (vgl. hierzu Wertfein et al. 2015; Schmelzeisen-Hagemann 2017) verfügen, damit sie die kindlichen Bildungsprozesse responsiv begleiten und unterstützen können.

Stufen der Partizipation

Nach Liebel (2007) erfolgt Partizipation stufenweise und weist divergente Wirkungsformen auf. Er benennt ein Modell, welches von Hart (1992) entwickelt und von Schröder (1995) weiter modifiziert wurde (vgl. ebd., S. 185). In dem Modell von Schröder (1995) werden folglich neun Stufen aufgeführt. Diese umfassen:

  1. Die Fremdbestimmung;
  2. Dekoration;
  3. Alibi-Teilhabe;
  4. Teilhabe;
  5. Zugewiesen;
  6. Mitwirkung;
  7. Mitbestimmung;
  8. Selbstbestimmung;
  9. Selbstverwaltung (vgl. Schröder 1995, o. S.; zit. n. Kreuzinger 2016, o. S.).

Die ersten drei Stufen bilden nur eine Option für eine „scheinbare Partizipation“ (Liebel 2007, S. 186). Eine „eigentliche Partizipation“ (ebd.) von Kindern wird erst ab der vierten und fünften Stufe realisiert. Kritisch zu beleuchten ist, inwiefern Kinder an Projekten beteiligt werden, die letztlich von Erwachsenen initiiert wurden. Somit konstatiert Liebel (2007), dass den Kindern erst ab Stufe acht und neun zugestanden wird, selbstbestimmt Projekte entwickeln zu können. Diese können dann durch die Erwachsenen begleitet werden, wobei den Kindern obliegt, inwieweit sie die Erwachsenen einbeziehen (vgl. ebd., S. 186).

Auch Regner und Schubert-Sufrian (2013) beziehen sich in ihren Ausführungen auf das obige Stufenmodell. Das von den Autor*innen rezensierte Modell ist anhand von vier Stufen aufgebaut. Die 1. Stufe konkretisiert, dass Kinder Informationen erhalten, sodass sie diese auch gut verstehen können. In der 2. Stufe werden die Bedürfnisse der Kinder gehört und umgesetzt. Bsp.: Ideen der Kinder zur Raumgestaltung, welche in der 3. Stufe vorgestellt werden. Durch Aushandlungsprozesse soll ein „gleichwertige[r] Austausch von Argumenten und Standpunkten […]“ (ebd., S. 14) der Kinder und pädagogischen Fachkräfte erzielt werden. In der 4. Stufe, welche die größte Beteiligungsform darstellt, können Kinder selbstbestimmt entscheiden (vgl. ebd., S. 14 f.).

Die angeführten Konzepte sind nicht als vollumfänglich anzusehen, bieten jedoch einen einführenden Überblick in die partizipative Kindheitsforschung. Folgend werden zentrale Erkenntnisse der Studie von Bartosch et al. (2014) sowie weitere Aspekte zur Partizipation in Kindertageseinrichtungen skizziert.

„Schlüsselkompetenzen pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen für Bildung in der Demokratie“ Bartosch et al. (2014)

Die Zielsetzung der angeführten Studie war einerseits zu erfassen, inwieweit pädagogische Fachkräfte befähigt sind einen von Demokratie geprägten Kitaalltag zu initiieren und andererseits, welche demokratischen Kompetenzen sie in der Ausbildung erhalten (vgl. ebd., S. 7). In der Studie wurde unterstrichen, dass sich die „Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen“ (ebd., S. 114) durch „professionelles pädagogisches Handeln in multiperspektivischen Aspekten“ (ebd.) entwickelt. Die Autor*innen führen an, dass bis zum Zeitpunkt der Erhebung, die Frage „der Befähigung der pädagogischen Fachkräfte“ (ebd., S. 7) eher randständig erfolgte. Nach Bartosch et al. (2014) benötigen pädagogische Fachkräfte differenzierte Kompetenzen, um „die Partizipation des Kindes, […] als konstitutive[n] Kern“ (Bartosch et al. 2014, S. 114) im Praxiskontext wahrzunehmen. Doch es zeigen sich auch Stolpersteine im Zuge der Partizipationsbestrebungen von pädagogischen Fachkräften. Die Studie konstituiert folglich, dass die Fachkräfte partiell aus einer Zerrissenheit agieren. Die zunehmende Komplexität des pädagogischen Handelns von der „Beziehungsarbeit“ (ebd., S. 114) bis zum „Organisationshandeln“ und die von den Fachkräften zu erbringende „didaktisch-technologischen Ergebnissicherung[en] ihrer Qualifizierungsarbeit mit den Kindern“ (ebd.) führt zu zeitlichen Einbußen, was sich wiederum nachteilig auf die Interaktion und Beziehungsgestaltung mit den Kindern auswirken kann.

Ausblick

Für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen ist es daher unabdingbar, dass „Herrschaftsverhältnisse“ (ebd.) durch die Erweiterung von Partizipation abgebaut werden. Bartosch et al. (2014) erörtern in diesem Kontext: „[…] die Verantwortung und der Ehrgeiz der pädagogischen Fachkräfte [sollte; DS] sein, die Möglichkeit der Partizipation für alle stets zu verbessern und neu auszuloten“ (ebd., S. 74). Ferner könnten diese Bestrebungen zur Qualitäts- und Praxisentwicklung im Kinderschutz beitragen. Oder, um mit den Worten von Liebel (2009) abzuschließen:                                             

„Partizipation ist der beste Kinderschutz“

Literaturverzeichnis

Bartosch, U.; Knauer, R.; Bartosch, C.; Bleckmann, J.; Grieper, E.; Maluga, A.; Nissen, I. (2014): Schlüsselkompetenzen pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen für Bildung in der Demokratie. Fachhochschule Kiel. URL: https://www.partizipation-und-bildung.de/wp-content/uploads/2013/08/partizipation_in_der_kita_web.pdf [eingesehen am 18.10.2019, MEZ: 18:19].

Beiner, F.; Ungermann, S. (1999): Janusz Korczak. Wie liebt man ein Kind. Erziehungsmomente. Das Recht des Kindes auf Achtung. Fröhliche Pädagogik. Sämtliche Werke – Band 4. München: Gütersloher Verlagshaus.

Fthenakis, E. W.; Bergwanger, D.; Reichert-Garschhammer, E. (2016): Bildung von Anfang an. Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 – 10 Jahren in Hessen. 7. Auflage, Wiesbaden: Hessisches Ministerium für Soziales und Integration.

Hansen, R.; Knauer, R.; Friedrich, B. (2006): Die Kinderstube der Demokratie. Partizipation in Kindertageseinrichtungen. 3. Auflage, Kiel: Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein. URL: https://www.kinder-beteiligen.de/dnld/kinderstubederdemokratie.pdf [eingesehen am 18.10.2019; MEZ 20:40 Uhr].

Hart, R. (1992): Children´s participation. From tokenism to citizienship. Florenz: UNICEF.

Korczak, J. (1967): Wie man ein Kind lieben soll. Herausgegeben von Elisabeth Heimpel und Hans Roos. Mit einer Einleitung von Igor Newerly. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Kreuzinger, A. (2011): Kinder beteiligen. Partizipation von Kindern und Jugendlichen. URL: https://www.kinder-beteiligen.de/partizipation-kinder-jugendliche.htm [eingesehen am 18.10.2019; MEZ 21:22].

Liebel, M. (2007): Wozu Kinderrechte. Grundlagen und Perspektiven. Weinheim: Juventa.

Liebel, M. (2009): Nicht über unsere Köpfe hinweg oder Partizipation ist der beste Kinderschutz. In: IzKK (Hrsg.): IzKK Nachrichten. UN-Kinderrechtskonvention. Impulse für den Kinderschutz. München: DJI, S. 51 – 56. URL: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/IzKK-Nachrichten_09-1.pdf [eingesehen am 18.10.2019; MEZ 20:25].

Nomos Gesetze (2016): Gesetze für die soziale Arbeit. Textsammlung. Ausgabe 2015/16. 5. Auflage, Baden-Baden: Nomos.

Regener, M.; Schubert-Suffrian, F. (2013):  Partizipation in der Kita. Projekte mit Kindern gestalten. 2. Auflage, Freiburg im Breisgau: Herder.

Schmelzeisen-Hagemann, S. (2017): Feinfühlige Responsivität in der frühpädagogischen Praxis. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Schröder, R. (1995): Kinder reden mit! Beteiligung an Politik, Stadtplanung und –gestaltung. Familienratgeber. Weinheim: Beltz.

Stamer-Brandt, P. (2012): Partizipation von Kindern in der Kindertagesstätte. Praktische Tipps zur Umsetzung im Alltag. Kronach: Carl Link.

Wertfein, M.; Wirts, C.; Wildgruber, A. (2015): IFP-Projektbericht 27/2015. Handlungsfeld: (Weiter-) Entwicklung von Curricula. Bedingungsfaktoren für gelingende Interaktionen zwischen Erzieherinnen und Kindern. München: Staatsinstitut für Frühpädagogik. URL: https://www.ifp.bayern.de/imperia/md/content/stmas/ifp/projektbericht_bike_nr_27.pdf [eingesehen am 18.10.2019, MEZ 19:35 Uhr].

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