Arbeiterwohlfahrt - Bundesverband e.V., Deutscher Caritasverband e.V. und Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - Hauptvorstand
Am 6. November 2014 findet in Berlin die Bund-Länder-Konferenz "Frühe Bildung" statt. Nach Auffassung des Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (AWO), des Deutschen Caritasverbandes e.V. (DCV) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist es unumgänglich, dass sich das Bundesfamilienministerium und die Länderministerien in dieser Runde auf ein Bundesqualitätsgesetz für die Kindertagesbetreuung verständigen.
Die Umsetzung des Rechtsanspruches auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige und die Bewältigung des regional sehr unterschiedlichen Fachkräftemangels haben die Qualitätsdiskussion in den letzten Monaten in den Hintergrund treten lassen. Aus Sicht von AWO, DCV und GEW ist die Qualität in der Kindertagesbetreuung aber die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre. Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte brauchen gute Bedingungen, um die ersten Lebensjahre auch zu erfolgreichen Bildungsjahren werden zu lassen. Dabei steht folgende Frage im Vordergrund:
Wie kann es gelingen, das Recht des Kindes auf eine angemessene Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege unabhängig von seinem Wohnort sicherzustellen, ihm höchstmögliche pädagogische Qualität anzubieten und optimale Rahmenbedingungen für die Arbeit der Fachkräfte zu schaffen?
Ende Mai 2012 legte das Bundesfamilienministerium das von der Vorgängerregierung verabschiedete "10-Punkte-Programm für ein bedarfsgerechtes Angebot" in der Kindertagesbetreuung vor. Darin steht es schwarz auf weiß geschrieben: Durch ein Qualitätsgesetz sollen Regelungen mit bundesweiter Gültigkeit geschaffen werden, die den Förderungsauftrag der Kindertagesbetreuung beschreiben. Nach Auffassung der AWO, des DCV und der GEW wäre dies eine handfeste Perspektive für alle, die sich in der Kindertagesbetreuung engagieren. Ein politischer Entschluss, der seit langem überfällig ist.
Die AWO, der DCV und die GEW haben diesen Vorstoß des Bundesfamilienministeriums aufgegriffen und die Idee eines Bundesqualitätsgesetzes für die Kindertagesbetreuung in Deutschland konkretisiert. Ziel der beiden Verbände und der Gewerkschaft ist es, in einem Bundesqualitätsgesetz strukturelle Standards für die Kindertagesbetreuung festzulegen, die länderübergreifend von öffentlichen und freien Trägern umgesetzt werden, und pädagogische Qualität ermöglichen. Dazu gehören neben Regelungen zur Freistellung von Kita-Leitungen vor allem auch eine Neuberechnung der Fachkraft-Kind Relation. Des Weiteren sollte das Qualifikationsniveau der pädagogischen Fachkräfte sowie die Fort- und Weiterbildung geregelt werden. Eine hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern ist von gesamtgesellschaftlichem Interesse und darf nicht abhängig sein von länderspezifischen Regelungen, die weit hinter dem stehen, was fachlich erforderlich ist. Aber genau darin liegt das Problem: Die Rahmenbedingungen in Kindertagesbetreuung sind nicht miteinander vergleichbar. Deutschland gleicht einem Flickenteppich, durch den eine hochwertige Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern von regionalen Voraussetzungen abhängig ist. Bei der Festlegung der einzelnen Qualitätsstandards ist darauf zu achten, dass wissenschaftliche Expertisen zugrunde gelegt werden, die belegen, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um eine hochwertige Qualität in der Kindertagesbetreuung sicherzustellen. Für die AWO, den DCV und die GEW wäre es nicht akzeptabel, wenn mit Rücksicht auf einzelne Bundesländer Standards vereinbart würden, die zu einer Absenkung des Qualitätsniveaus führen. Erforderlich ist es vielmehr, die fachlich unbestritten notwendigen Standards für die Kindertageseinrichtungen und die Kindertagespflege zu definieren.
Regelungsbereiche eines "Bundesqualitätsgesetzes für die Kindertagesbetreuung"
Nach Auffassung von AWO, DCV und GEW sollte ein künftiges "Bundesqualitätsgesetz für die Kindertagesbetreuung" mindestens folgende Bereiche regeln:
- Fachkraft-Kind-Relation
- Mittelbare pädagogische Arbeitszeit
- Qualifikation, Fort- und Weiterbildung
- Leitungsfreistellung für Kindertageseinrichtungen
- Fachberatung
- Finanzierung und Recht
Im Einzelnen:
Die Fachkraft-Kind-Relation
Die Fachkraft-Kind-Relation ist von entscheidender Bedeutung für eine gute Qualität in der Kindertagesbetreuung. Erziehung, Bildung und Betreuung gelingen nur, wenn über Beziehungen und Bindungen zwischen der Fachkraft und dem Kind Bildungs- und Erziehungsprozesse ermöglicht werden.
Die Fachkraft-Kind-Relation beschreibt, wie viele Fachkräfte für die Kinder zur Verfügung stehen. Dazu ist es erforderlich, die garantierte Anwesenheit von der Fachkraft zu den angemeldeten Kindern pro Einrichtung neu zu berechnen. Um dies erreichen zu können, müssen die bisherigen Personalschlüsselberechnungen neu bewertet werden. In der Berechnung sind 254 Arbeitstage zugrunde zu legen, 30 Tage Urlaub, 15 Tage Krankheit und zehn Tage Fort- und Weiterbildung.
Zum Stichtag 1. März 2013 variiert der Fachkraft-Kind-Schlüssel in Deutschland für unter Dreijährige von 4,3 bis 8,9 und für die Altersgruppe der 3- bis 6-jährigen Kinder von 10,3 bis 19,9.
Damit erfüllt kein Bundesland die von den wissenschaftlichen Untersuchungen empfohlene Fachkraft-Kind-Relation.
Notwendig ist eine Fachkraft-Kind-Relation für Kinder von
- 0 bis 1 Jahr = 1:2
- 1 bis 3 Jahr = 1:3
- 3 bis 5 Jahr = 1:8
- und ab 6 Jahre = 1:10
Analog dazu sollte die Anzahl der betreuten Kinder in Kindertagespflege geregelt werden, was Wirkungen auf die Erlaubnis zur Kindertagespflege (§ 43 SGB VIII) und die laufende Geldleistung (§ 23 Abs. 2a SGB VIII) nach sich zieht, die in diesem Zusammenhang ebenfalls bundesgesetzlich weiterentwickelt werden müssten.
Mittelbare pädagogische Arbeitszeit
Aufgrund der Herausforderungen an Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (zum Beispiel Umsetzung der Bildungspläne, sprachliche Bildung) muss die Arbeitszeit von pädagogischen Fachkräften neu bewertet werden. Neben dem direkten Kontakt mit den Kindern (unmittelbare pädagogische Arbeitszeit) bedarf es beispielsweise Zeit für die Vor- und Nachbereitung, für die Dokumentation von Bildungsprozessen und die Zusammenarbeit mit Eltern (mittelbare pädagogische Arbeitszeit). Wird diese mittelbare Arbeitszeit nicht in den Personalschlüssel eingerechnet, führt dies zwangsläufig zu einer Verminderung der Zeit mit den Kindern.
Gefordert wird: 25 Prozent der Arbeitszeit als mittelbare Arbeitszeit personalwirksam in die Fachkraft-Kind-Relation einzurechnen.
Qualifikation, Fort- und Weiterbildung
Die Qualifikation von Kindertagespflegepersonen sollte sich am Förderungsbedarf der Kinder orientieren und kompetenzorientiert geregelt werden. Die Fort- und Weiterbildung für Kindertagespflegepersonen ist ebenfalls bundeseinheitlich zu regeln.
Darüber hinaus ist bezogen auf die Kindertageseinrichtungen Fort- und Weiterbildung neben der Ausbildung der Garant für ein hohes Qualitätsniveau in der Kindertagesbetreuung. Die Weiterentwicklung des Systems und die Herausforderungen an die alltägliche Arbeit setzen ein Fort- und Weiterbildungssystem voraus, welches nicht nur den pädagogischen Fachkräften eine Fortbildung ermöglicht, sondern auch dem gesamten Team, um den Entwicklungsprozess einer Einrichtung gemeinsam gestalten zu können.
Notwendig ist: Jährlich 10 Tage Fort- und Weiterbildung für den Besuch von Seminaren sowie für interne Teamentwicklungsprozesse sind personalwirksam in die Fachkraft-Kind-Relation einzurechnen.
Leitungsfreistellung für Kindertageseinrichtungen
Leitungen von Kindertageseinrichtungen übernehmen eine Vielzahl unterschiedlicher, teils hochkomplexer Aufgaben. Ihnen obliegen die pädagogische Leitung einer Einrichtung und die Betriebsführung, sie fördern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sie koordinieren die Zusammenarbeit im Team, mit Eltern und mit Kooperationspartnern. Sie betreiben Organisationsentwicklung, beobachten Trends und Rahmenbedingungen und setzen dies für ihre Einrichtung um.
Die Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Motivation von Leitungskräften sind beeinflusst von Ressourcen und Rahmenbedingungen, die von Politik und Verwaltung gesetzt werden. Gefordert werden verbindliche Zeitkontingente für Leitungen von Kindertageseinrichtungen.
Diese sollten aufbauend auf einem allgemeinen Sockelbudget berechnet werden. Dabei sind variable Anteile zu berücksichtigen, bei denen die Zahl der Kinder und der Mitarbeiterinnen sowie weitere Gewichtungsfaktoren wie zum Beispiel besondere Bedarfe von Kindern und Familien eine Rolle spielen.
Fachberatung
Der Fachberatung kommt bei der Weiterentwicklung des Systems der Kindertagesbetreuung eine zentrale Bedeutung zu. Dabei ist das derzeitige System der Fachberatung strukturell wie finanziell hochgradig heterogen. Erforderlich ist, dass Fachberatung als Unterstützungsleistung von allen Einrichtungen, Kindertagespflegepersonen und Eltern in Anspruch genommen werden kann.
Notwendig ist, dass ein Anspruch auf Fachberatung auch für die Kindertageseinrichtungen gesetzlich verankert wird. Zudem bedarf es eines verlässlichen Finanzierungssystems für die Fachberatung der Kindertageseinrichtungen, der Kindertagespflegepersonen und der Eltern.
Finanzierung und Recht
Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland ist neu zu regeln. Dabei sind insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen:
Für die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege gibt es derzeit unterschiedliche Regelungen, die angepasst werden müssen. Dies ist deswegen wichtig, weil beide nach SGB VIII den gleichen Förderungsauftrag erfüllen müssen.
Um eine finanzielle Ausstattung gewährleisten zu können, mit der sich eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung realisieren lässt, müssten nach OECD-Empfehlungen in Deutschland zu den Ausgaben von derzeit jährlich 17 Milliarden Euro zusätzlich neun Milliarden Euro in das System hinein gegeben werden. Das entspricht einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Derzeit beläuft sich der Anteil der Kommunen an den öffentlichen Netto-Ausgaben der Kindertagesbetreuung auf rund 60 Prozent, während der Anteil der Bundesländer bei knapp 40 Prozent liegt. Der Bund ist bislang an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung im Wesentlichen über eine anteilige Finanzierung der Kosten für den Ausbau an Plätzen für die Betreuung von unter dreijährigen Kindern beteiligt. Hier bedarf es einer dauerhaft gesicherten Finanzierung der Betriebskosten, an der sich neben den Kommunen und den Ländern auch der Bund beteiligt.
Kindertagesbetreuung ist auf bundesgesetzlicher Ebene im SGB VIII sowie in den Ländern durch entsprechende Ausführungsgesetze geregelt. Eine bundesrechtliche Regelungskompetenz für Qualität in der Kindertagesbetreuung ist aus der Verpflichtung für die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse abzuleiten. Gefordert wird deshalb, dass der Bund seiner Verantwortung für die Qualität in der Kindertagesbetreuung durch entsprechende gesetzliche Regelungen gerecht wird. In diesem Sinne fordern DCV, AWO und GEW ein Bundesqualitätsgesetz.