Alfred Weinrich
Selbst Hand anlegen,
den Kindern in der KiTa mehr Raum und Gelegenheit schaffen
zum Forschen und Werken,
nicht bloß vorgefertigte Dinge anbieten!
Ein Wunschtraum vieler Erzieherinnen! Warum eigentlich bloß ein Wunschtraum, was verhindert die Verwirklichung? Passen Werkzeug und sperrige, widerständige Naturstoffe wie Holz, Metall oder Stein einfach nicht in weibliche Hände und zum Rollenbild der Erzieherin? Oder sind sie für Kindergarten- und Hortkinder tatsächlich zu gefährlich, zu schwer zu handhaben bzw. zu bearbeiten, im Zeitalter der Medienpädagogik vielleicht sogar veraltet? (Zwei rhetorische Fragen, die Sie für sich hoffentlich mit "Quatsch" beantworten!)
Jedenfalls scheinen viele Erzieherinnen eine tief sitzende Scheu vor allem Handwerklichen zu haben - und das, obwohl doch in vielen traditionellen Handwerksberufen inzwischen Frauen arbeiten, die ihren männlichen Kollegen an Geschicklichkeit überhaupt nicht nachstehen.
Die Idee war, genau an diesem Punkt anzusetzen: Erzieherinnen einen Workshop anzubieten, der sie - nicht als Luftnummer, sondern durch die gemeinsame Arbeit an einem pädagogisch sinnvollen Produkt - in Kontakt bringt mit ungewohnten Werkzeugen und Materialien. Um diese auszuprobieren und um zu entdecken: Das kann ich auch! Und es macht Spaß! Und ich gewinne für mich eine neue Handlungsmöglichkeit! Und - nicht zuletzt - um ihnen mit dieser eigenen Lernerfahrung auch eine Ahnung davon zu vermitteln, dass die Hände wichtige Lernorgane der Kinder sind.
Der Workshop sollte in einer Kindertagesstätte (KT) stattfinden, um zu zeigen: Es geht hier. Aber es bedarf bestimmter Voraussetzungen. Und er sollte einen konkreten pädagogischen Bedarf dieser KT aufgreifen.
Der Ort und der Bedarf fanden sich so: Der Neubau der Evangelischen Kindertagesstätte Karibuni Bantu (Willkommen, Mensch!) in dem Frankfurter Arbeitervorort Fechenheim hat viel Platz, aber lange, ungegliederte Flure, die die Kinder sich verkürzen, indem sie mit den Fingern an der Raufasertapete der Flurwände entlang streifen. Mein Vorschlag: Geben wir den Kinderhänden "Futter" in der Form von Tastbahnen: Strukturen, Widerstände, Betätigungsmöglichkeiten in Materialcollagen und Installationen zum Manipulieren.
Die Veranstaltungszeit musste sich in den laufenden Betrieb der KT einfügen, und das hat sich wohl als Hürde erwiesen: Freitag von 14 bis 19 Uhr und Samstag von 9 bis 17 Uhr an einem Wochenende Ende August!
Der Frankfurter Evangelische Regionalverband hat den Workshop für eine begrenzte Teilnehmerzahl ausgeschrieben. Ein Beiblatt enthielt folgende Informationen:
"Der Workshop soll nicht diese Collagen und Installationen selbst erstellen, sondern ein Trägersystem entwerfen und vorbereiten: Platten, Rahmen oder Kästen in verschiedenen Formen. Anschließend soll jede Teilnehmerin Gelegenheit erhalten, eine Collage/ Installation für sich oder die eigene KT zu füllen. ... Ansonsten soll das Bestücken der Träger nach dem Workshop mit den Kindern erfolgen. Denn die Kinder sollten auch am Sammeln der Materialien beteiligt werden.
Was ich mitbringe und zur Verfügung stelle: Werkbänke in Erwachsenenhöhe aus Böcken und Platten, Zwingen, Werkzeuge, Handmaschinen zum Sägen und Schrauben;... Nägel, Schrauben, Kleber; Holz- und Materialreste...
Was die gastgebende KT stellt: Plattenmaterial, gehobelte Dachlatten, Pappen, Hasendraht, Gips, Kleber, Farben.
Was die Teilnehmer mitbringen sollten: Wer hat: Klebepistolen und Werkzeuge; Nähzeug; vor allem aber inspirierende Materialien wie Kachel- und Spiegelscherben, Stoff-, Leder- und Fellreste, Federn, Rindenstücke, Wurzeln, Steine, Muscheln, alte Haushaltsgegenstände und -geräte, Computerschrott, kaputtes Spielzeug, Lichterketten, Dekofolien usw. usf. Hier seien der Phantasie keine Grenzen gesetzt!
Der Raum, den die KT zur Verfügung stellte, war ideal: Der geräumige "Malraum" im Erdgeschoss mit angrenzender, schattiger Terrasse, die sich an der ganzen Rückseite des Gebäudes entlang zieht. Dort habe ich vor Beginn rundherum im Raum die mitgebrachten Materialien, Werkzeuge und Arbeitsmittel übersichtlich aufgereiht und auf der Terrasse die Werkbände aufgebaut.
Von den Teilnehmerinnen waren drei aus der gastgebenden KT, die übrigen kamen aus KTs an anderen Enden der Stadt und hatten Probleme mit dem Freitagmittagverkehr, was den Start etwas verzögerte: Wir begannen mit einer Runde, in der alle sich und ihre jeweiligen Erwartungen vorstellten und in der wir uns darauf einstimmten, auf unsere Hände zu achten: Was habe ich als Kind gern mit den Händen gemacht? Fand ich darin Unterstützung, Ermutigung - oder Entmutigung, Verbote? Eine Teilnehmerin versäumte diesen Einstieg und hatte dann tatsächlich Schwierigkeiten, sich in den Prozess einzufinden.
Der praktische Beginn: Wir sahen uns die Flure in den beiden Geschossen an, wählten Wandabschnitte für die Tastwände aus und maßen sie aus. Ein lösbares Befestigungssystem aus gehobelten Leisten hatte ich vorbereitet. Es war nur noch auf Länge zu schneiden und an der Wand bzw. an den Trägerplatten zu befestigen. Je zwei Teilnehmerinnen nahmen sich einen Wandabschnitt von etwa 3 Metern vor. Was als erstes anstand, nämlich aus den vorhandenen Abschnitten von Grobspanplatten die Trägerplatten zu schneiden, wurde sehr ernsthaft angegangen. Die Teilnehmerinnen nahmen meine Anregung auf und stellten sich die Aufgabe, nicht nur irgendwelche Formen auszuschneiden, sondern in diesen von parallelen Fluchtlinien und rechten Winkeln geprägten Fluren Gegenakzente zu setzen, ihnen auf Augen- und Tasthöhe der Kinder sozusagen Gesichter zu geben.
So ergab sich eine intensive Planungsphase: Auf Papierbahnen haben die Teilnehmerinnen verschiedene Umrisse ausprobiert, verworfen und mehrfach neu entworfen: wolkige, rankenartige, streng trapezförmig-symmetrische. Ich fragte mich insgeheim, wie wir das schaffen sollten, so viele und vielerlei Konturen auszusägen. Aber die gemeinsame Arbeit spielte sich bald ein, und die Teilnehmerinnen arbeiteten buchstäblich Hand in Hand. Es entwickelte sich eine konzentrierte, emsig-produktive, aber nie hektische Arbeitsatmosphäre.
Die Teilnehmerinnen begriffen schnell, wie man die Stichsäge hält, aufsetzt, einschaltet und in die Platte führt. In den Zweier-Teams hielt jeweils eine Kollegin die Platte auf den Böcken fest oder drehte sie in die richtige Position, die andere führte die Stichsäge. Man wechselte sich ab und gab die Stichsäge weiter, wenn ein erster Teil ausgesägt war. Zum Entgraten und Brechen der frisch gesägten Kanten mit dem Schleifklotz konnte man sich zwischendurch hinsetzen und vom Lärm der Säge erholen.
Die Handkreissäge, die mithilfe einer Führungsschiene die geraden Trapezkanten viel schneller schneiden kann, mochte ich zunächst nicht aus der Hand geben. Aber sie wurde schon nach wenigen Schnitten von einer Teilnehmerin übernommen, die sich das - mit Recht - zutraute.
Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Mit beiden - Stichsäge wie Handkreissäge - kann man sich schwer verletzen. Sie sind nur für Erwachsenenhände, und auch das möglichst nur nach fachlicher Einführung! Es geht nicht um Mutproben! Starke innere Widerstände sollte man nicht übergehen. Ich nehme auch keine Kettensäge in die Hand!
Am Abend hatten wir ein erstaunliches Arbeitspensum geschafft. Niemand machte einen Hehl daraus: Wir waren alle erschöpft von dem langen, heißen Tag, von der körperlichen Anstrengung, vom Maschinenlärm. Aber von Problemen mit dem Werkzeug oder dem Material war keine Rede mehr. Eher von Spaß an der Arbeit und Zufriedenheit mit dem Ergebnis. Für die verspätete Teilnehmerin war jedoch noch gegenwärtig, dass ihr der Einstieg schwer gefallen war, und sie monierte, dass ihr (noch) der erwartete Bezug zum Werken mit Kindern fehlte.
Dass alle Teilnehmerinnen mit reichen Sammlungen an Materialien für die Collagen und Tastwände erschienen waren, ließ darauf schließen, dass ihnen das für den letzten Teil des Workshops vorgesehene Collagieren sehr wichtig sei. Ich bot an, dass sie den größeren Teil des zweiten Tages darauf verwenden könnten, während ich die Trägersysteme fertig machen würde. Das wurde entrüstet zurückgewiesen. Nein, sie wollten selbst zu Ende bringen, was sie angefangen hatten, und ihre Träger auch fertig an der Wand hängen sehen!
Am nächsten Morgen haben wir uns dann zur Fertigstellung und Befestigung der Trägersysteme Zeit bis zur Mittagspause genommen. In eingespielter Zusammenarbeit und entspannter Atmosphäre wurden die erforderlichen Leistenabschnitte ausgemessen, angezeichnet und mit Feinsägen, also per Hand, sowie mithilfe der Schneidlade abgelängt. Mit Akkuschraubern wurden die Leisten dann vorgebohrt, gesenkt (d. i. eine konische Vertiefung für den Schraubenkopf gebohrt) und an den Flurwänden bzw. an den Rückseiten der Trägerplatten angeschraubt. Die Handhabung des Streichmaßes (zum Parallelanreißen der Bohrlöcher), des Schraubers, der Wasserwaage - einmal gezeigt, schon war sie selbstverständlich.
Eigentlich sollte es in der Mittagspause zum nächsten "Griechen" gehen. Angeregt durch den eigenhändigen Arbeitserfolg haben zwei Teilnehmerinnen aus der KT dann aber kurz entschlossen aus vorhandenen Vorräten und mit viel Phantasie ein leckeres Pasta-Gericht gezaubert. Das Tischgespräch - im Grünen, hinter dem Gebäude - landete schließlich beim Sprach-Lernen in der KT, und was die Hände damit zu tun haben. Womit wir wieder beim Thema waren.
Die Teilnehmerinnen hatten dann noch zweieinhalb Stunden Zeit für ihre Probe-Collagen. Das reichte einigen zur Fertigstellung aus, anderen nicht. Man konzentrierte sich jeweils auf die eigene Arbeit. Es entstand eine ganz kreative Stimmung, aber es fehlte doch ein bisschen die Muße, sich gegenseitig über die Schultern zu schauen und Anregungen auszutauschen. Doch auch jetzt noch haben die Zweier-Teams Hand in Hand gearbeitet und sich in Materialauswahl und Farbgestaltung aufeinander bezogen. Die Ergebnisse sind sehenswert.
Die Schlussrunde spiegelte wider, dass gerade das Probe-Collagieren den Workshop abgerundet und den Bogen zur Arbeit mit den Kindern geschlagen hatte. Nun zogen alle Teilnehmer eine positive Bilanz, und einige konnten jetzt zugeben, dass der Anfang doch mühsam und schwierig gewesen sei. In unterschiedlichen Formulierungen brachten alle zum Ausdruck, dass der handwerkliche Arbeitsprozess eine neue Erfahrung gewesen sei, die ihnen zunehmend Spaß gemacht habe, und dass sie nun beeindruckt von und einverstanden mit dem Ergebnis und zufrieden mit sich selber seien.
Natürlich gab es auch ganz individuelle, positive Bewertungen einzelner Aspekte: der Erfahrung mit den Handmaschinen, des Kennenlernens der Einrichtung, der räumlichen Bedingungen, der Vorbereitung, der Herausforderung durch die anspruchsvolle Aufgabenstellung, der Zusammenarbeit und der Atmosphäre. Auch Interesse am weiteren Fortgang, d.h. am Verlauf der Projekte mit den Kindern zur Ausgestaltung der Tastwände, wurde geäußert. Einhellige Meinung war wohl auch, was die Kollegin ausdrückte, die ich schon in der Überschrift zitiert habe: Ich fühle mich ermutigt und würde mir jetzt mehr zutrauen, mir und auch den Kindern.
Meine Bewertung: Als günstig hat sich die kleine, fast altershomogene Gruppe erwiesen, die dadurch, dass sie die hohen Ansprüche meisterte, die sie an sich selber gestellt hat, auch bald zusammenfand. Darauf, dass die handwerkliche Arbeit motivierend wirkt, hatte ich natürlich vor allem gesetzt. Beides zusammen, der schwierige, aber gelungene Start und die Arbeit mit den Händen, hat dann einen Teamgeist und ein kreatives Klima erzeugt, in denen die körperlichen Mühen eher als Ansporn denn als Belastung wirkten. Ich werte das als Bestätigung meiner Vermutung, dass es sich immer lohnt, wenn wir den Händen mehr zu tun geben: Es inspiriert, d.h. es setzt Kräfte und Ideen frei.
Die Vorbereitung von Tastwänden ist nur eines von vielen möglichen Selbstbauprojekten: Vorstellbar sind auch: Die Herstellung von Werkbänken und Werkraumausstattungen, von Staffeleien, Trockenregalen usw. für das Malatelier, Elementen für die Bewegungsbaustelle, selbst der Bau von Hochebenen (und natürlich Projekte im Außengelände, die die lebendige Natur einbeziehen und für die es schon viele schöne Beispiele gibt) und vieles andere mehr.
Perspektiven: Ideal ist natürlich, wenn die gesamte Konzipierung eines solchen Projekts im Rahmen des Workshops stattfindet und wenn auch für eine Auswertung noch Zeit bleibt. Und dazu wiederum passt es am besten, wenn das gesamte Team einer KT einbezogen ist. Klar, dass ein solches Konzept den finanziellen Rahmen von Fortbildung sprengt. Wenn man aber den pädagogischen Ertrag für die Kinder und das Team veranschlagt, dann stellt sich die Frage, ob nicht eher Investitionen in fertige Ausstattungen zu teuer sind.
Wo aber soll das alles hinführen? Soll die KT etwa aussehen wie eine permanente Baustelle oder ein offenes Werkstattprojekt? Warum eigentlich nicht! Ist nicht immer davon die Rede, dass kleine Kinder vor allem forschend und handelnd, mit allen Sinnen und am wirklichen Leben lernen! Dass sie tätige Vorbilder und offene Situationen brauchen! Dem entspräche ein Bild der KT als einem Ort, an dem Erwachsene und Kinder gemeinsame lebendige Lernarbeit leisten, also einen Prozess in Gang halten, der zwar Ziele hat, aber nie fertig wird. Das sollte man der KT ruhig ansehen.