Kinder lieben andere Spielplätze

Aus: Bundesbaublatt 2001, Heft 6, S. 49-52

Herbert Österreicher

Gerade unter den Lebensbedingungen städtischer Strukturen erweist es sich heute als notwendig, sich verstärkt für die kindlichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten einzusetzen: Beengte Wohnraumverhältnisse, die derzeitige Verkehrssituation, der Fortschritt der Technik und Motorisierung sowie eine zunehmende Entfremdung von Naturphänomenen begrenzen bei mehr und mehr Kindern das Erleben ihrer körperlichen und psychisch-emotionalen Fähigkeiten. Als Folge dieser Entwicklung müssen deutliche Einbußen im Bereich der Kreativität und sozialen Kompetenz befürchtet werden. Kindgerechte Spiel- und Erfahrungsräume in der institutionellen Kinderbetreuung können zwar familiär und gesellschaftlich bedingte Defizite nicht grundsätzlich beheben, aber sie bieten wenigstens eine Art Gegengewicht zur Welt der Erwachsenen. Lebendig und sinnvoll gestaltete Außenräume ermöglichen besonders gut ein abwechslungsreiches Spielen mit unterschiedlichsten Materialien, das Erleben der "Magie" von Orten und Räumen, die Suche nach selbstgestellten Aufgaben und Herausforderungen.

Nur noch Regeln, Normen, Defizite?

"Der ideale Spielplatz ist die ungestaltete Wildnis. Sie animiert durch ihre Vielfalt an Farben und Formen, ihre Lebendigkeit, Frische und Wandlungsfähigkeit den Menschen, sich mit ihr und sich selbst zu beschäftigen", schreibt Hohenauer (1995), und er betont wie andere Autoren die Vielzahl an Möglichkeiten, die naturbelassene Spielräume den Kindern bieten. Das, was Kinder nämlich nach wie vor brauchen, sind Räume, die sie selbst gestalten und verändern können, Räume, deren Funktion (noch) nicht festgelegt ist, Räume, die auch Intimität und Ruhe vermitteln.

Die Realität sieht allerdings anders aus: "Zugängliche, gefahrlose und gestaltbare äußere Territorien scheinen für Kinder immer weniger verfügbar zu sein" (Blinkert 1996). Die Frage nach den möglichen Konsequenzen dieses Befundes führt in verschiedene Richtungen: Einerseits geht es - zukunftsorientiert - um die Auswirkungen auf die Entwicklungschancen der Kinder, andererseits - gegenwartsbezogen - um die heutige Lebensqualität.

In diesem Sinn hat schon die Planung des Außengeländes einer Kinderbetreuungseinrichtung eine gewisse Veränderbarkeit von Räumen, Materialien, Nutzerbedürfnissen und Spielsituationen einzuschließen. Dieser Gesichtspunkt wird bereits in der hier maßgeblichen DIN 18034 ("Spielplätze und Freiflächen zum Spielen") formuliert: Hier gilt als eines der Planungsziele, Freiflächen zum Spielen sollten "die Anpassung der Spieleinrichtungen infolge sich ändernder Spielwünsche oder Altersstruktur der Nutzer zulassen, zusammenhängende, vielgestaltige Spiel- und Bewegungsabläufe ermöglichen" sowie "Mehrfachnutzungen ermöglichen und bei entsprechender Geländegröße erweiterungsfähig sein". Aber nach wie vor finden sich zahlreiche Spielplätze, deren Planung, Weiterentwicklung oder Umgestaltung mehr an Aspekten wie Übersichtlichkeit, "Ordentlichkeit" und diesbezüglichem Pflegeaufwand orientiert sind als an einer "Entsprechung von innerer Natur und äußerer Natur" (Gebhard 2001).

Gartengestaltung Kinderkrippe - Beispiel München

Bis vor wenigen Jahren noch wurde die Institution Kinderkrippe von Eltern wie Fachleuten lediglich unter dem Aspekt wirtschaftlich-organisatorischer Behelfs- oder gar Notlösungen gesehen. Die neueren Erkenntnisse in der Kleinkindpädagogik haben diesen Blickwinkel entscheidend verändert und berücksichtigen zunehmend auch das relativ junge Arbeitsfeld der Umweltpädagogik. Dabei handelt es keinesfalls um einen in sich geschlossenen und klar definierten Spezialfall von Pädagogik, sondern eher um eine Art Annäherung an ein Ziel, das je nach Lesart mal stärker pädagogisch, mal stärker ökologisch gedacht wird. Im Umfeld der Kleinkindpädagogik gibt es hier zudem viele und vielfältige Verbindungen zur Entwicklungspsychologie, Ernährungslehre, Bewegungs- und Wahrnehmungsentwicklung sowie zur Frühförderung. Dadurch ergeben sich zwingend auch neue Schwerpunktsetzungen, was die Gestaltung und Ausstattung von Innen- und Außenräumen betrifft.

Bezüglich der Außenanlagen dieser Kinderbetreuungseinrichtungen wurde der Autor von der Stadt München beauftragt, eine entsprechende Konzeption als Planungshilfe und Leitfaden für Um- und Neugestaltungen an den städtischen Einrichtungen zu erarbeiten. Besonders wertvoll erwies sich dabei der Erfahrungsaustausch innerhalb eines eigenen Arbeitskreises, in dem neben pädagogischen Fachkräften auch der hauswirtschaftliche Bereich der Abteilung Kinderkrippen sowie ein Sachgebietsleiter des Baureferats, Hauptabteilung Gartenbau, vertreten waren. Darüber hinaus wurde die Konzeption inhaltlich wie formal mit der Regierung von Oberbayern als zuständiger Aufsichtsbehörde und der Unfallkasse München, Abteilung Prävention, abgestimmt.

Dieser relativ breite Ansatz hat sich gelohnt: Die Konzeption wird seit ihrem Erscheinen Ende 1999 gerne und häufig genutzt, gleichermaßen von Planungsbüros, die für die Stadt München tätig werden, wie von pädagogischen Fachberatungsstellen.

Neue Frei-Räume durch Kooperationsmodelle

Gerade die Gestaltung von Spielplätzen und Außenanlagen an Einrichtungen der institutionellen Kinderbetreuung bieten hervorragende Möglichkeiten, Planung und Ausführung der Arbeiten in Kooperation mit den (späteren) Nutzern zu organisieren. Selbstverständlich ist eine gute fachliche Betreuung dabei ebenso wichtig wie eine gelingende Moderation der häufig äußerst unterschiedlichen Meinungen und Ziele. Wenn allerdings ein derartiger Prozess zustande kommt und einen positiven Verlauf nimmt, geschieht weit mehr als die bloße Erledigung einer Arbeit, mehr als die Veränderung der jeweiligen Freifläche: Es ergeben sich zahlreiche neue zwischenmenschliche Kontakte, ein oft begeisterndes Wir-Gefühl und intensive Kommunikationsmöglichkeiten. Die Beteiligten erleben ganz direkt und unmittelbar den Zusammenhang von theoretischen Überlegungen und praktischer Gestaltung, in einer gleichsam "interdisziplinären Arbeitsatmosphäre".

Dieses gemeinsame Arbeiten kann im Ergebnis durchaus etwas chaotisch wirken, und manche Beteiligten werden hier möglicherweise Geradlinigkeit, Präzision und Widerspruchsfreiheit vermissen. Andererseits kann ein solches Handeln unter den Prämissen von Eigenständigkeit, Partnerschaft und Verantwortlichkeit in der Folge auch bedeuten, Ängste abzubauen: Ängste, die offensichtlich zunächst entstehen, wenn sich etwas Neues entwickelt. Und gerade aufgrund dieser offenen Arbeitsweise haben wir es letztlich auch mit einer Form von "ökologischem Handeln" zu tun: Natürliche Entwicklungen antworten in weiterführendem Sinn auf unsere gestaltenden Maßnahmen. Wie wir mit solchen Prozessen umgehen, scheint dem Autor alles andere als unwichtig: Nicht Geschäftigkeit, sondern Lebendigkeit sollte unsere tätige Auseinandersetzung mit der Umwelt bestimmen, nicht ängstliches Festhalten am gerade Erreichten, sondern Mut, Kreativität und - Gelassenheit.

Und die Sicherheit?

In Diskussionen über Fragen von Gefährdung und Sicherheit in Spiel-Gärten und auf öffentlichen Spielplätzen erleben wir derzeit häufig eine merkwürdige Diskrepanz. Fundierte Erkenntnisse und Einsichten aus der Entwicklungspsychologie und Pädagogik stehen einer Gesellschaft gegenüber, in der administrative, normative und haftungsrechtliche Festlegungen einen enormen Umfang erlangt haben. Hier spielt möglicherweise eine große Rolle, dass unser Sicherheits- und Sicherungsbedürfnis ständig zuzunehmen scheint, während wir aufgrund geänderter Lebensumstände immer weniger in der Lage sind, natürliche Gefahrenpotentiale richtig einzuschätzen und damit entsprechend umzugehen.

Wir wissen heute sehr genau, welch große Bedeutung körperliche Fähigkeiten auch für die psychische Entwicklung haben, und es sollte uns nachdenklich stimmen, wenn Kinder zunehmend Störungen in der motorischen Entwicklung aufweisen. Diese Kinder aber leiden nicht nur oft unter ihrer Mutlosigkeit und Unsicherheit, sondern sie sind gerade deswegen auch bei vielen Bewegungs- und Abenteuerspielen gefährdeter als ihre Altersgenossen. Es ist aber sicherlich falsch, diesem Phänomen lediglich mit weiter ausgefeilten Sicherheitsnormen zu begegnen, sondern wir brauchen Spiel- und Erfahrungsräume, in denen die Kinder auch lernen, mit Schwierigkeiten und Risiken umzugehen. Die weitverbreitete Sorge, die Kinder warteten gleichsam nur auf Gelegenheiten, sich oder anderen etwas Schreckliches zuzufügen, ist unbegründet. Ganz im Gegenteil verhalten Kinder sich in aller Regel sehr vorsichtig und setzen sich keinen Gefahren aus, die ihnen bedrohlich werden können.

Aus diesen Einsichten lassen sich 3 Grundsätze ableiten:

  1. Spielerische Risiken sind ein wesentlicher Bestandteil vieler Spielmöglichkeiten und Lernerfahrungen und dürfen auch aus pädagogischer Sicht nicht fehlen.
  2. Schwierige und riskante Situationen müssen für Kinder - ihrem Alter entsprechend - erkennbar und kalkulierbar sein; versteckte Gefahren sind unzulässig.
  3. Vorsorge- und Sicherungsmaßnahmen sind dort zu treffen, wo
    • als relativ wahrscheinliche Folge des Spiels bzw. der Gerätenutzung schwere Verletzungen auftreten können,
    • Risiken auftreten, die für diese Spielmöglichkeit unnötig sind,
    • Risiken auf mangelhafte technische Lösungen oder Wartungsfehler zurückzuführen sind,
    • Risiken nach Spielbeginn auftreten oder zunehmen, ohne dass betroffene Kinder dieser Gefährdung sofort ausweichen können.

"Spielbereiche sollten in etwa die gleiche Sicherheit und das gleiche Risiko enthalten wie Lebensbereiche, in denen sich die Spielenden üblicherweise bewegen. Es kann nicht darum gehen, für Spielbereiche ein Sicherheits-Ausnahmeklima zu schaffen" (Agde u.a. 1996) Die Entscheidung über Schutzmaßnahmen hängt dabei wesentlich von zwei Kriterien ab: die Schwere eines möglichen Unfalls und seine Wahrscheinlichkeit. Erst die entsprechende Gesamtbeurteilung ermöglicht beispielsweise, ob eine bestimmte Schutzmaßnahme notwendig ist, wie sie auszusehen hat und wie dringlich sie ist.

Die entsprechenden rechtlichen Grundlagen finden sich in verschiedenen Gesetzen wie z.B. dem Baugesetz, den Kindergartengesetzen oder den Spielplatzgesetzen der Länder einschließlich ihrer Durchführungsverordnungen. Entscheidend sind in der Praxis aber die DIN 18034 ("Spielplätze und Freiflächen zum Spielen") und die europäischen DIN EN 1176 ("Spielplatzgeräte", 7 Teile) und DIN EN 1177 ("Spielplatzböden"). Durch diese Normen werden auch die jeweils vorgeschriebenen Kontroll- und Wartungsarbeiten geregelt (Die europäischen Normen DIN EN 1176 und DIN EN 1177 haben inzwischen alle Teile der DIN 7926 ersetzt. Sie sind im Beuth-Verlag Berlin erschienen).

Wir sollten alles daransetzen, Kindern einen für ihre Entwicklung bestmöglichen Spielraum zu geben, in nachdenklicher und einfühlsamer Weise, wie dieses Ziel am besten zu erreichen ist: im einen Fall vielleicht durch Schaffung neuer Spiel- und Erfahrungsmöglichkeiten, im anderen vielleicht durch Verzicht oder wenigstens Verringerung bei ordnenden Eingriffen und Reglements, mit dem "vergeblichen, wenn auch nicht sinnlosen Wunsch..., auf die Beherrschung der Natur zu verzichten, um ihre Vertraulichkeit zu gewinnen" (Blumenberg 1981).

Literatur

Agde, G. u.a.: Sicherheit auf Kinderspielplätzen. Spielwert und Risiko. Sicherheitstechnische Anforderungen. Rechts- und Versicherungsfragen. Wiesbaden/ Berlin, 4. Aufl. 1996

Blinkert, B.: Aktionsräume von Kindern in der Stadt. Pfaffenweiler, 2. Aufl. 1996

Blumenberg, H.: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt/M. 1981

Gebhard, U.: Kind und Natur. Wiesbaden, 2. Aufl. 2001

Hohenauer, P.: Spielplatz Gestaltung naturnah und kindgerecht. Wiesbaden/ Berlin 1995

Autor

Herbert Österreicher, Dipl. Ing. (FH), ist als freiberuflicher Planer für Außenanlagen an Kindertageseinrichtungen verschiedener Träger sowie als Weiterbildungsreferent im Bereich der Umweltbildung und Naturkunde tätig. Kontakt über: http://www.kinderfreiland.de

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