Aus: Teilweise veröffentlicht in: Landesarbeitsgemeinschaft Freie Kinderarbeit Hessen e.V., Rundbrief September 2005, S. 28-33
Alfred Weinrich
Elemente einer Bewegungslandschaft - selbst bauen oder fertig kaufen?
Wenn Sie als Eltern und/oder Erzieher einer Krabbelstube sich vornehmen, solche Elemente selbst zu bauen - etwa nach den Bauanleitungen von Margret von Allwörden und Marie Wiese (2004) -, will ich Sie keineswegs davon abbringen. Sie tun damit etwas, das in seinem Wert gar nicht überschätzt werden kann. Weil es nicht nur Geld spart, sondern weil es Sie dem anspruchsvollen und abenteuerlichen Lern-Alltag Ihrer Kinder näher bringt: Sie verlassen ausgetretene Pfade, erkunden unvertrautes Gelände, lassen sich ein auf das Wagnis spielerischer Improvisation! Und das zieht sich dann hin bis zu der spannenden Frage: Was machen denn nun die Kinder mit dem, was wir mit so viel Mühe und Spaß für sie gebaut haben? Wie nehmen sie's auf, wie bewältigen sie die Herausforderungen, die kleinen Risiken? Was haben wir übersehen? Was können wir noch verbessern?
Genauso ging es mir auch bei der Entwicklung und Erprobung des Klettergartens. Ziel war, nichts Fertiges zu schaffen, sondern einen Bausatz für die Herstellung von vielerlei Anlässen zum Klettern, Rutschen, Auf- und Absteigen, Abspringen, Balancieren und Wippen in unterschiedlichen Höhen, Kombinationen und Neigungswinkeln bereit zu stellen. Und das mit wenigen Handgriffen aufzubauen, aber auf hohem Niveau der handwerklichen Ausführung und der Sicherheit des Gebrauchs, sowie einfach zu handhaben.
Die Kinder sollen den Klettergarten ohne Anleitung und Hilfestellung - sei es allein, im tastenden Versuch, oder auch im gemeinsamen Bewegungs- und (bei 2- bis 3-Jährigen) Rollenspiel - erkunden und gebrauchen können. Aber auch die Erwachsenen sollen mit den Kombinationsmöglichkeiten spielen können - nicht willkürlich, sondern mit aufmerksamem Blick für die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder.
Ergebnisse und Erfahrungen; Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Meine erste, sehr eindrückliche Erfahrung war die mit dem Empfang des Klettergartens bei der Auslieferung. In gut der Hälfte der Einrichtungen habe ich den Klettergarten vor den Kindern aufgebaut und erlebt, wie diese ihn sofort in Besitz nahmen.
Bei der Auslieferung habe ich Beobachtungsbögen ausgegeben. Davon sind 21 ausgefüllt zurückgekommen: je 1 aus 6 Krabbelstuben und 1 Wiegestube sowie insgesamt 14 aus 4 städtischen Krippen bzw. aus deren Kindergruppen. Sehr schnell wurde mir klar, dass sich hinter diesen Einrichtungen sehr unterschiedliche räumliche Situationen, Bedingungen, Arbeitsweisen verbergen. Und das ist eigentlich auch schon das wichtigste Ergebnis: Ohne Einblick in die einzelnen Einrichtungen, eigene Beobachtungen, Gespräche mit den Erzieherinnen und Leiterinnen wäre mit den gesammelten Daten wenig anzufangen, zumal die Fragen des Beobachtungsbogens unterschiedlich verstanden wurden. Die folgende Zusammenfassung schöpft also aus beiden Quellen, den Beobachtungsbögen und meinen Erfahrungen.
Das fängt schon an bei den Angaben zum Aufstellungsort des Klettergartens: In 4 von 6 Krabbelstuben stand er im Gruppenraum bzw. in einem den Kindern ständig zugänglichen Raumteil. Eine Krabbelstube hat ihn in einem nur gelegentlich genutzten Nebenraum aufgestellt. Die Wiegestube nutzt ihn in ihrem allerdings fast täglich aufgesuchten Garten. Auch eine Krippe nutzte den Klettergarten in ihrem Außengelände. Bei einer zweiten stand er in einem von den einzelnen Kindergruppen stundenweise aufgesuchten Bewegungsraum. In zwei Krippen wandert er nach Absprache von Gruppe zu Gruppe.
Das spontane Interesse der Kinder am Klettergarten, das mich schon bei der Auslieferung beeindruckt hatte, bestätigten alle 21 Beobachtungsbögen - mit ein paar kleinen Einschränkungen: "Anfangs waren einige Kinder zurückhaltender als andere." Und andererseits: "...dadurch, dass das Gerät neu war, weckte es natürlich großes, schnelles Interesse."
Als wenig ergiebig erwies sich mein Bemühen, die Nutzungsarten zu erfassen, also was die Kinder auf oder mit welchem Element wie häufig taten: Klettern, Verweilen, Rutschen usw. Es wurden einfach alle Möglichkeiten genutzt, freilich nicht alle gleich häufig oder intensiv. Aussagekräftiger ist da die mündliche Auskunft einer Krabbelstube: "Der Klettergarten wird eigentlich jeden Vormittag genutzt. Er bildet die Hauptbeschäftigung der Kinder... Wenn wir ihn mal zur Seite schieben, dann dauert 's keine 5 Minuten, und die Kinder sind wieder drauf." In derselben Krabbelstube erlebte ich übrigens, was ich vergessen hatte, und was dann auch in einigen Beobachtungsbögen nachgetragen wurde: Dass man auch runterspringen kann.
Interessanter sind die in den Beobachtungsbögen enthaltenen Bewertungen. Meine - zugegeben - etwas suggestive Frage, ob "die Bewegungsentwicklung angeregt und gefördert wurde" haben die Krabbelstuben einschließlich der Wiegestube "bei allen Kindern" bejaht, wobei mich die handschriftliche Anmerkung "und Integrationskind" besonders gefreut hat. Die Krippen haben sich deutlich zurückhaltender geäußert: Hier antworteten 6 (von 14) positiv "bei allen Kindern", 3 "bei einzelnen", 1 "bei keinem"; 5 sahen eine Förderung eher bei den Einjährigen, 6 bei den Zweijährigen, 3 bei den Dreijährigen. Es ist zu vermuten, dass sich in diesem Bewertungsunterschied auch widerspiegelt, dass sich in den Krippen eine wesentlich größere Anzahl von Kindern den Zugang zum Klettergarten teilen musste.
Die entscheidende Frage wäre freilich, ob und inwieweit die Kinder selbständig, ohne Anleitung und Hilfestellung die Möglichkeiten des Klettergartens erkunden und ausprobieren konnten. Ich hatte dieses Ziel in der Einleitung des Beobachtungsbogens hervorgehoben und dann in die Feststellung gekleidet: "Hinsichtlich der Sicherheit des Gebrauchs haben wir auf die Vorsicht der Kinder vertraut, und unser Vertrauen hat sich bewährt." Dem wurde 15 Mal zugestimmt. Andererseits wurde 16 Mal angekreuzt, dass der Klettergarten nur unter Aufsicht genutzt wurde, und einmal (mit Einschränkung), dass er manche Kinder dazu verleite, sich zu überfordern.
Ganz deutlich haben sich die Bezugspersonen einer Krabbelstube dazu im Gespräch geäußert: "Ein bisschen habe ich befürchtet, es könnte kleine Unfälle geben. Aber es ist nichts Nennenswertes passiert." Und: "Ja, man kann die Kinder mit den Sachen allein lassen. Nach dem Mittagessen spielen die Kinder vorn allein. Da gibt ´s keine Probleme, auch wenn mal alle elf vorne sind. Anders als z.B. mit dem neuen Bälletunnel. Da müssen wir dauernd eingreifen." Das ist sicher nicht repräsentativ.
Andererseits finden sich in handschriftlichen Anmerkungen Äußerungen, die in die andere Richtung deuten: "Kletterstunde", "Anstellen", "Warten", "Hilfestellung". Mein Eindruck ist, dass der sporadische, begrenzte Zugang zum Angebot Klettergarten eher dazu verleitet, eine Turn- oder Kletterstunde mit angeleiteten Übungen zu veranstalten, während ein ständig zugängliches Angebot eher das freie, selbständige Ausprobieren begünstigt. "Wir verteilen (jeden Vormittag) die Elemente im Raum und verändern ab und zu die Kombination," so erläuterten die Erzieherinnen der bereits zitierten Krabbelstube, wie sie die alltägliche Nutzung des Klettergartens vorbereiten.
Dass das "Spiel- und Kommunikationsverhalten der Kinder... durch das Set angeregt" worden sei, wurde 15 Mal angekreuzt, 12 Mal sogar "bereichert". Ein Video aus der Wiegestube Sonnenschein in Frankfurt-Niederursel zeigt: "Es sind meist mehrere Kinder - anscheinend ein Initiator und ein, zwei Nachahmer - die nacheinander und teilweise auch nebeneinander auf den Bock oder das Dreieck steigen, oben einen Moment verweilen und dann nacheinander über die Rutsche bzw. die Hühnerleiter nach unten rutschen oder laufen. Dieser Ablauf hat nichts von einem stereotypen Training, sondern scheint eher eine Art Wegespiel in immer neuen, kleinen Variationen. Etwa wenn ein Kind beim Auslauf stolpert und hinfällt und das nächste Kind seinen Fall spielerisch nachahmt. Oder wenn ein weiteres Kind versucht, seine Schubkarre über die Rutsche nach oben zu schieben - wobei es übrigens auch gleich einen Nachahmer findet - und beide Seiten den Gegenverkehr nun irgendwie regulieren müssen."
Ebenso ermutigend ist die Zustimmung zu der Aussage: "Es hat Kindern und Erwachsenen Spaß gemacht, immer neue Kombinationen auszuprobieren" (16 Mal).
Dazu passt, dass 17 Mal die "Handhabbarkeit" des Klettergartens als "leicht" eingestuft wurde, einmal als "umständlich" und einmal als "zu schwierig", bezogen auf die Montage der Brüstung.
Andererseits haben viele Teilnehmer (12 von 21) positive Angaben gemacht zu der Aussage: "Eine bestimmte Auswahl/ Kombination/ Anordnung hat sich bewährt und wurde beibehalten". Aus dem Zusammenhang lässt sich schließen, dass eher bevorzugte Kombinationen gemeint sind. Am häufigsten (7 Mal) wird die Kombination Großer Kletterbock - Brüstung - Rutsche genannt.
Abschließend gehe ich auf verstreute (kritische) Anmerkungen, Beobachtungen und Änderungswünsche ein: Sie beziehen sich überwiegend auf Sicherheitsaspekte. Insgesamt 5 Mal wurde eine Möglichkeit zur Fixierung der Rutsche/ Hühnerleiter direkt oder indirekt angemahnt. Die Brüstungen wurden begrüßt (".. gibt den Kindern Sicherheit"), jedoch als problematisch in der Festigkeit (4 Mal) bzw. in der Handhabung gesehen, weil sie, lose eingesteckt, wackeln, bzw. fest eingeschlagen, schwer wieder zu lösen sind. In Einzelfällen wurde auch die Schwierigkeit der Übergänge über die Scheitelsprosse des Dreiecksaufsatzes (wenn er auf einen der Kletterböcke aufgesteckt ist) wie auch zwischen den Podestplatten und auf der obersten Sprosse eingehängten Rutsche angesprochen.
Folgerungen
In den zuletzt angesprochenen Problemen steckt immer auch die Frage: Handelt es sich nun um eine entwicklungsfördernde Herausforderung oder um eine das Kind/ die Kinder überfordernde Gefahr? Diese Frage lässt sich eigentlich immer nur in der konkreten Situation beantworten. Im Fall des Klettergartens meine ich, dass er genügend variabel und flexibel ist, um sich den freilich unterschiedlichen Bedürfnissen der Spanne vom Krabbelalter bis zum Ende des 3. Lebensjahres anzupassen: Der Dreiecksaufsatz muss nicht aufgesteckt werden, die Rutsche muss nicht in die oberste Sprosse eingehängt werden usw.
Die Befestigung der Brüstungen so zu ändern, dass sie sich leicht lösen lassen und nicht wackeln, wäre sehr aufwändig. Ein Gummihammer aus dem Baumarkt ist viel billiger!
Für die Rutsche/ Hühnerleiter habe ich folgende Lösung gefunden: Einmal die Trennung der Funktionen, nämlich gesondert ein Brett als Rutsche, ein Brett als Hühnerleiter, beide ohne Wangen und mit Leisten zum Einhängen am oberen wie am unteren Ende, zum zweiten auf Wunsch eine zusätzliche Klettbandbefestigung. Diese Änderung macht die Bretter wesentlich leichter; das Einhängen über Leisten ist sicherer; die Fummelei mit dem Klettband wird sich voraussichtlich erübrigen (Die Version Rutsche/ Hühnerleiter in einem Stück und mit Wangen ist daneben weiter erhältlich).
Der Wegfall der Wangen hat noch einen weiteren Vorteil: Krabbelkinder können sich dem Brett, in welcher Position auch immer, leichter annähern, es von der Seite besteigen oder seitlich verlassen. Diesen Gesichtspunkt und diese Änderung hat Marie Wiese ins Spiel gebracht (Mitautorin von Vorbereitete Umgebung für Babys und kleine Kinder neben Margret von Allwörden). Sie schrieb mir in ihrem "ganz persönlichen Erfahrungsbericht" zum Klettergarten:
"Ich hatte alle drei Böcke in Benutzung und finde sie von der Proportion sehr gut! Sie haben einen guten Sprossenabstand, und die Fläche oben hat auch eine gute Größe, um das Drübersteigen zu bewältigen, was wohl der schwierigste Punkt für die Kinder ist.
Ich habe nicht die Brüstung benutzt, weil ich es besser finde, wenn die Kinder nach Haltemöglichkeiten suchen und das Gleichgewicht herausgefordert wird...
Den Dreiecksaufsatz habe ich weggelassen, den Moment finde ich wieder sehr schwierig.
Die Rutsche habe ich auch weggelassen, weil... ich ein Brett ohne Kante vorziehe. Ich habe das noch mal beobachtet und festgestellt, dass die Kinder sich mit dem Brett vertraut machen, indem sie sich mit der halben Körperseite oder nur mal mit dem Bein auf das Brett legen und sich etwas runterrutschen lassen. Das geht nicht, wenn das Brett eine Kante hat. Dann lieber zwei Bretter, ein glattes und eine Hühnerleiter" (Schreiben vom 22.07.2005).
Schon zuvor hatte Frau Wiese mir am Telefon bestätigt: Die Bedingung für eine Situation, in die die Erwachsenen nicht ständig eingreifen, in der sie den Kindern gelassen zuschauen können, wie diese die kleinen Schwierigkeiten und Risiken bewältigen, ist, dass sie, die Erwachsenen, sich mit den Dingen, die sie den Kindern anbieten, sicher und wohl fühlen.
Sobald dem Klettergarten das gelingt, kann er für die Kinder seinen Sinn entfalten: Dann ist jeder Gebrauch ein neuer Versuch, jede Wiederholung eine Vergewisserung, jede Nachahmung eines anderen Kindes der Beginn eines Spiels, jede Abwandlung des Gebrauchs eine Erweiterung der eigenen Möglichkeiten.
Literatur
Gerd E. Schäfer (Hrsg.): Bildung beginnt mit der Geburt - Förderung von Bildungsprozessen in den ersten sechs Lebensjahren. Weinheim, Berlin, Basel: Beltz 2003
M. v. Allwörden u. M. Wiese: Vorbereitete Umgebung für Babys und kleine Kinder. Handbuch für Familien, Krippen und Krabbelstuben. Berlin: Pikler Gesellschaft 2004
Anmerkung
Für die hier entfallenen Illustrationen (Fotos und Skizzen) verweise ich auf meine Homepage
http://www.spiel-und-raum.de, die weitere
Bewegungsmöbel sowie Pikler-gerechte
Wickelmöbel zeigt und begründet.