Aus: KiTa spezial Nr. 2/2006 (Gesundheit und Ernährung in Kindertagesstätten), S. 21-23.
Ulrich Braun
Qualität, z.B. im Bereich "Gesundheit und Ernährung" zu entwickeln, ist ein längerer Prozess, der in einem Qualitätsmanagement systematisch angelegt werden kann. Nach einer externen Qualitätsfeststellung werden Ziele für eine Qualitätsentwicklung festgelegt. Der Grad der Zielerreichung wird anschließend regelmäßig mit internen und externen Methoden und Verfahren überprüft.
Bei dem Themenkomplex "Gesundheit und Ernährung" ist die Qualität in hohem Maße davon abhängig, welche gesellschaftliche Bedeutung dem Thema "Gesundheitsförderung in Kindertageseinrichtungen" gegeben wird und welche finanzielle Ressourcenausstattung damit verbunden ist (1). Deshalb sind die Möglichkeiten jeder einzelnen Kindertageseinrichtung, qualitativ möglichst hochwertige Gesundheitsqualität vorzuhalten, begrenzt. Hinzu kommen die unterschiedlichen Werthaltungen von Erzieherinnen, die den schwierigen gesellschaftlichen Diskurs zu dem, was denn gesund ist und wie man selbst gesund lebt, ebenfalls widerspiegeln. Dennoch ist es die Verpflichtung jeder professionell tätigen Kindertageseinrichtung, sich mit diesen Qualitätsfragen auseinander zu setzen, eigene fachlich begründete Antworten zu finden, diese zu vertreten und in das pädagogische Geschehen konsequent eingehen zu lassen.
Qualitätsentwicklung rund um das Frühstück
Der Qualitätsentwicklungsprozess der städtischen Kindertageseinrichtungen in Recklinghausen begann vor einigen Jahren mit einer Einschätzung aller Gruppen mit der Kindergarten-Einschätzskala (KES). Das Item "Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten" wurde in jeder Auswertung der Einschätzungen lange diskutiert, weil die Qualität sehr differierte, oftmals sogar von Gruppe zu Gruppe. Als unzureichende Qualität wird definiert: "Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten zufällig und zu unregelmäßigen Zeiten. Ernährungswert ist fragwürdig." Eine ausgezeichnete Qualität ist gegeben, wenn zu den ausgewogenen Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten, fest im Tagesablauf verankert, zusätzlich hinzukommt: Essenssituation wird als "Lernsituation" genutzt. Dazu gehören: Gespräche mit den Kindern (z.B. über Tagesereignisse, Aspekte der Nahrung) und Förderung bzw. Nutzung der Selbständigkeit" (2).
Das "gleitende Frühstück", bei dem Kinder von morgens 7.00 Uhr bis um 10.30 Uhr frühstücken können, die unterschiedliche Auswahl dessen, was auf dem Frühstückstisch aufgetischt war, die Qualität des von den Kindern mitgebrachten Essens und die Beteiligung der Erzieherinnen am Frühstück waren Themen, die pädagogisch genauer angeschaut und diskutiert wurden. Für die weitere Qualitätsentwicklung wurde deutlich, dass es in jedem Team zu einer stärkeren Auseinandersetzung und Klärung hinsichtlich der pädagogischen Ausgestaltung des Frühstücks in der Kindertageseinrichtung kommen muss.
In der gesamtstädtischen pädagogischen Konzeption, die nach den Qualitätseinschätzungen in einem längeren diskursiven Prozess aller städtischen Kindertageseinrichtungen entstanden sind, wurden als Qualitätsstandards für alle städtischen Kindertageseinrichtungen festgelegt: Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten sind fester Bestandteil in der Planung des Tagesablaufs. Kindern wird die Möglichkeit geboten, ihre Mahlzeiten in ruhiger und kommunikativer Atmosphäre gemeinsam mit Erzieherinnen einzunehmen. Die Gesundheitsförderung soll allen Kindern ein höheres Maß an selbstbestimmter Fürsorge für ihre Gesundheit ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit befähigen (3).
Um eine solche Zielsetzung zu erreichen, müssen Qualitätskriterien, die einen breiten Konsens haben, für jede Kindertageseinrichtung als fachliche Orientierung zugrunde gelegt werden. Der "Nationale Kriterienkatalog", der gute Qualität pädagogischer Arbeit in 20 Qualitätsbereichen, u.a. "Mahlzeiten und Ernährung", beschreibt (4), kann dieses leisten. In jeder Kindergartengruppe liegt dieser Kriterienkatalog vor und wird für das pädagogische Gespräch und die pädagogische Meinungsbildung herangezogen.
Diese fachliche Grundlage verobjektiviert den Diskurs und führt über die persönlichen Werthaltungen hinaus. So lässt sich über den pädagogischen Grundsatz 3.4 "Die Erzieherin verlangt von den Kindern nicht, ihren Teller leer zu essen, bevor sie z.B. trinken oder eine Nachspeise verzehren dürfen" trefflich streiten, wenn allein die eigene Sozialisation zur Grundlage pädagogischer Entscheidungen gemacht werden würde. Es ist erstaunlich, wie sehr die eigene (oft wenig zufrieden stellende) Erziehung sich gerade bei Werthaltungen im Bereich von Mahlzeiten widerspiegelt.
Regelmäßige Evaluation
Um diese Sozialisationsfaktoren immer neu in den fachlichen Blick nehmen zu können, ist es erforderlich, im gesamten Team zu gemeinsamen pädagogischen Haltungen zu kommen. Eine solche Auseinandersetzung unterstützen die ausgezeichneten Selbstevaluationsmaterialien, die auf der Grundlage des Nationalen Kriterienkataloges entstanden sind. Selbstevaluationsfragen, die auf einer siebenstufigen Skala von "überhaupt nicht/nein" bis "voll & ganz/ja" einzuschätzen sind, sind beispielsweise: "Ich achte darauf, ob sich die Kinder während der Mahlzeit wohlfühlen. ... Ich rege die Kinder an, von allen Speisen zu probieren. ... Ich lasse Kleinstkinder und jüngere Kinder die Speisen anfassen. ... Die angebotenen Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten sind abwechslungsreich" (5).
Zu gegebener Zeit, mindestens alle zwei Jahre, sollte mit einer externen Evaluation der Stand der pädagogischen Qualität von außen angesehen werden. Es empfiehlt sich, sich nur einzelne Qualitätsbereiche intensiv ansehen zu lassen und nicht an einem Vormittag alle Qualitätsbereiche. Man kann z.B. eine Leiterin und Mitarbeiterin einer benachbarten Tageseinrichtung einer anderen Trägergruppe bitten, sich einmal zwei Stunden Zeit zu nehmen, um sich die Gestaltung des Frühstücks anzusehen. Oder man bittet die Fachlehrerin der kooperierenden Fachschule, die sowieso einen Praktikantenbesuch machen möchte, etwas mehr Zeit mitzubringen, um eine fachliche Rückmeldung zur Gestaltung der Mahlzeitensituation zu geben. Externe Qualitätseinschätzung kann vielfältig ausgestaltet werden!
Mit diesen methodischen Schritten (Qualitätsfeststellung, Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung) kann ein pädagogisches Qualitätsmanagement auf einem hohen fachlichen Niveau implementiert werden.
Qualitätssicherung im Themenfeld "Gesundheit und Ernährung"
Jede städtische Kindertageseinrichtung hat sich ausführlich mit dem Themenkomplex "Gesundheit und Ernährung" auseinandergesetzt. Eine Kindertageseinrichtung in einem Stadtteil mit vielen Familien mit Migrationshintergrund, viel Arbeitslosigkeit und sozialer Benachteiligung beschreibt den Stand der Qualitätsentwicklung so:
"Kinder brauchen ein ausgewogenes Frühstück. Wir halten es für wichtig, dass sich unsere Kinder bewusst ernähren. In vielen Familien ist ein Verschwinden der Esskultur zu beobachten. Die Familien nehmen sich immer weniger Zeit für das gemeinsame Essen. Zur ausgewogenen Ernährung zählt nicht nur ein abwechslungsreiches Angebot an Lebensmitteln, sondern auch die Vermittlung einer Tischkultur. Kinder brauchen Strukturen, die für sie verlässlich sind. Durch unser Frühstückkonzept haben die Kinder die Möglichkeit eine Orientierung zu finden. Das Frühstücksangebot findet in einem festen Zeitrahmen und Raum statt. Die Kinder können sich ihre Speisen und Getränke selber nehmen.
Wie wird das Frühstückkonzept umgesetzt und finanziert? Die Eltern bezahlen momentan einen Beitrag von 6,- EUR im Monat. Umgerechnet sind das pro Frühstück 0,30 EUR am Tag. Dafür erhalten die Kinder täglich frisches Obst, Gemüse, Milchprodukte, Brot, Wurst und andere Brotauflagen. Dadurch können die Kinder auch mit Lebensmitteln in Berührung kommen, die sie zuvor nicht kannten. In vielen Familien sind täglich frisch zubereitete Lebensmittel nicht vorzufinden. Tischkultur hat mit Kommunikation zu tun. Die Kinder werden beim Frühstück von den Mitarbeiterinnen angeregt, miteinander in Kommunikation zu treten. Die Mitarbeiterin ist gefragt, Sprachimpulse zu geben. Der Aspekt der Sprachförderung gewinnt somit auch beim Essen an Bedeutung. Für Getränke wird ebenfalls gesorgt (verschiedene Teesorten und Mineralwasser). Sämtliche Lebensmittel bestellen wir beim örtlichen Lebensmittelhändler, der sie uns kostenlos zweimal in der Woche liefert. Das Frühstück wird von einer Mitarbeiterin und einen Küchenkraft täglich vorbereitet. Ein weiteres Anliegen war es uns auch, die Eigenständigkeit der Kinder zu fördern. Unsere Kinder werden dazu motiviert, bei der Frühstücksgestaltung mitzuhelfen. Sie lernen schon recht früh, ihr eigenes Brot selbstständig zu belegen" (Städtische Kindertageseinrichtung "Leuchtturm", Am Bärenbach).
Eine andere Kindertageseinrichtung (6) hat ihre Mittagessenssituation neu gestaltet, indem sie über einen Förderverein eine Köchin eingestellt hat, die nun für die Kinder kocht. Die Organisation und Abrechnung werden allein durch die Eltern übernommen. Dies sind Beispiele für unterschiedliche - oft nicht beeinflussbare - Ressourcen.
In unterschiedlichen Stadtteilen gibt es unterschiedliche Eltern- und damit Finanzressourcen. Aus finanziellen und organisatorischen Gründen hat sich die Stadt Recklinghausen für eine zentrale Belieferung der Kindertageseinrichtungen mit Mittagessen entschieden. Bei den jeweiligen Ausschreibungen wird eine hohe Qualität eingefordert, bei der u.a. die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungswissenschaft zugrunde gelegt werden. Lebensmittelallergien und Unverträglichkeiten der Kinder werden ebenso berücksichtigt wie kulturell oder religiös begründete Ernährungsvorschriften. Alternative Speisen und Getränke stehen zur Verfügung. Diese Standards werden im Nationalen Kriterienkatalog als Bestandteile guter Qualität beschrieben.
Das Ergebnis eines systematischen Qualitätsmanagements ist die immer neue Suche nach einer Verbesserung oder Veränderung der Qualität. Die städtischen Kindertageseinrichtungen haben sich durch die stetige Auseinandersetzung mit Qualitätsentwicklung bei der Ausgestaltung von "Mahlzeiten" erheblich verändert. Heute finden Mahlzeiten durchgeplanter und pädagogisch reflektierter statt (7), und in externen Einschätzungen wird eine gute und oftmals sogar eine ausgezeichnete Qualität konstatiert.
Das Thema "Gesundheit" hat im Rahmen der Qualitätsentwicklungsprozesse immer mehr an Bedeutung gewonnen. Davon zeugen in Recklinghausen vielfältige Beispiele wie "Rückenschule für Kinder" (8), die enge Zusammenarbeit mit Kinderärzten (9) oder der 1. zertifizierte Kneipp-Kindergarten Nordrhein-Westfalens (10). Diese Entwicklungen sind nur möglich, weil Impulse durch externe Fortbildungen hinzukommen und interne Fortbildungsmaßnahmen allen Mitarbeitenden regelmäßig zugänglich sind (11).
Ergebnisqualität (der "output" der vielfältigen Bemühungen um Qualität) kann im Blick auf die Kinder mit dem aktuellen Forschungsstand kaum dokumentiert werden. Kindertageseinrichtungen können vor allem ihre Prozess- und Orientierungsqualität in den Blick nehmen und weiterentwickeln. Dazu sollte dieser Beitrag einige Anregungen geben. Die Strukturqualität - Ausstattung mit Ressourcen an Zeit, Qualifikation, Personal, Raum und Finanzen - muss verbessert werden, wenn dem gesellschaftlichen Wunsch nach möglichst frühen präventiven gesundheitlichen Weichenstellungen bereits in der Kindertageseinrichtung messbare Ergebnisse folgen sollen.
Endnoten
(1) So forderte J. Kluge von McKinsey, dass der Essensgeldzuschuss, den Eltern zu zahlen haben, künftig durch Steuermittel aufgebracht werden soll. Vgl. Braun, U.: McKinsey engagiert sich in der Frühpädagogik! In Kita aktuell NRW, Nr. 1/2006 S. 13-16 (
www.kindergartenpaedagogik.1132.html).
(2) Tietze, W./ Schuster, K.-M./ Roßbach, H.G.: Kindergarten-Einschätz-Skala. Neuwied u.a. 1997, S. 17.
(3) Vgl. www.kindergartenpaedagogik.de/1026.html
(4) Tietze, W./ Viernickel, S. (Hrsg.)/ Dittrich, I./ Gödert, S./ Grenner, K./ Groot-Wilken, B./ Sommerfeld, V.: Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder. Ein nationaler Kriterienkatalog. Beltz-Verlag. Weinheim, Berlin, Basel 2002. Entgegen mancher fälschlicher Behauptungen handelt es sich bei diesem Kriterienkatalog nicht um eine Weiterentwicklung der Kindergarten-Einschätz-Skala (KES). Dem Kriterienkatalog zugrundegelegt sind alle wichtigen Veröffentlichungen im Bereich der Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder. Dazu gehören aus dem deutschsprachigen Raum neben der KES und der KES-R auch die Qualitätskriterien des "Kronberger Kreises" und die österreichische Zusammenstellung von Qualitätsstandards "Mehr Qualität für Kinder". Hinzu kamen internationale Studien. Vgl. auch Braun, U.: Von der KES zum nationalen Kriterienkatalog. Qualitätsfeststellung und Qualitätsentwicklung in den städtischen Tageseinrichtungen für Kinder in Recklinghausen. In: Kita aktuell NRW, Nr. 3/2003, S. 52-55 (
www.kindergartenpaedagogik.de/949.html).
(5) Tietze, W. (Hrsg.): Pädagogische Qualität entwickeln. Praktische Anleitung und Methodenbausteine für Bildung, Betreuung und Erziehung in Tageseinrichtungen für Kinder von 0 - 6 Jahren. Weinheim und Basel 2004. S. 114 f.
(6) Vgl. Greine, R.: Gesundheitskindergarten in Recklinghausen. In: www.kindergartenpaedagogik.de/482.html
(7) Dazu ein Beispiel: "Auch das Kinderbistro ist ab 8.15 Uhr geöffnet. Wer jetzt schon Lust hat, sich ein leckeres Frühstück zuzubereiten, kann dort mit seinen Freunden gemütlich beim Essen Pläne für den Tag schmieden. Ein/e Mitarbeiter/in hält sich den ganzen Vormittag über im Kinderbistro auf, betreut das leckere Büfett, gibt Hilfestellung beim Zubereiten, regt die Gespräche der Kinder untereinander an, bereitet mit einigen Kindern die Obst- und Gemüseteller für die Gruppenräume vor und sorgt für eine angenehme Gesprächsatmosphäre beim Essen" (Vgl.
www.kita-einstein.de).
(8) www.kindergartenpaedagogik.de/1130.html
(9)
www.kindergartenpaedagogik.de/972.html
(10) Vgl. Endnote 6
(11) Externe Impulse kamen durch Fortbildungen des Kneipp-Bundes hinzu. Auch Ausbildungen zur Gesundheitsberaterin oder zur Motopädin wurden vom Träger unterstützt. Diese Impulse sind in interne Qualifizierungen eingegangen. Zu nennen sind beispielsweise Impulse, die auch in einem Fachbuch zusammengestellt wurden. Rita Greine und Melanie Fehring (beide leiten städtische Kindertageseinrichtungen in Recklinghausen) haben 2005 im ALS-Verlag (ALS-Studio-Reihe 783) ein Buch mit dem Titel "Gesunde Bildung. Praxiserprobte Ideen für den Kindergarten" veröffentlicht, das sich zur Aufgabe gemacht hat, die Themen "Bildung" und "Gesundheit" zu verknüpfen. "In diesem Buch zeigen wir auf, welche gesundheitsfördernden Faktoren zum Fundament für eine gelungene Bildung werden sollten."