Aus: Kita aktuell ND. Nr. 12/2003, S. 253-256
Ulrich Braun
Was die Stadt Göttingen gemeinsam mit dem Land Niedersachsen in Göttinger Kitas durchgeführt hat, ist einmalig und fachlich sehr innovativ. Erst wurde ein trägerübergreifender externer Qualitätsprozess mit dem Qualitätsfeststellungsverfahren KES-R (PädQuis gGmbH) durchgeführt und dann parallel dazu dieser Prozess extern evaluiert (An-Institut "perspektive" der Universität Lüneburg). Dies ist eine Vorgehensweise, wie es sie die Frühpädagogik noch nicht gegeben hat. Aus den Ergebnissen können Erfahrungen für künftige Qualitätsfeststellungen gezogen werden - wenn man darüber in einen Diskurs kommt und andere Erfahrungen hinzuzieht.
Qualitätsfeststellung in Göttingen
Die Stadt Göttingen hat sich als erste Stadt in Niedersachsen - und bundesweit - dazu entschlossen, alle 88 Kindertagesstätten in kommunaler und in freier Trägerschaft auf Qualität nach den Verfahren KES-R, KRIPS und HOS (1) untersuchen zu lassen. Es sind nicht alle Gruppen in allen Einrichtungen, sondern etwa die Hälfte aller Gruppen (etwa 100) eingeschätzt worden. Zusätzlich wurden alle Eltern/ Erziehungsberechtigte der ca. 4.000 Kinder in den Göttinger Kindertagesstätten befragt und eine Erzieherinnen-/ Leiterinnenbefragung durchgeführt. Diese Untersuchung wurde durchgeführt von "PädQuis gGmbh", einem Kooperationsinstitut der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Tietze. Der Untersuchungszeitraum betrug etwa fünf Monate. Die Ergebnisse wurden der breiten Öffentlichkeit auf einer Abschlussveranstaltung am 24. September 2003 vorgestellt. Das Kultusministerium (zum Zeitpunkt der Beauftragung das Ministerium für Arbeit, Familie und Soziales) des Landes Niedersachsen hat wegen des Pilotcharakters dieses Qualitätsfeststellungsverfahren einschließlich der Evaluation des Verfahrens finanziell gefördert.
Evaluation der Qualitätsfeststellung in Göttingen
Das "An-Institut" "perspective" der Universität Lüneburg unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Maria-Eleonora Karsten wurde beauftragt, eine Bewertung (Evaluation) des Prozesses der Qualitätsfeststellung zeitlich parallel vorzunehmen. Im Abschlussbericht heißt es deshalb auch völlig zu Recht: "Praxis und Wissenschaft, Politik und Träger (...), wie auch die Politik für Kinder und die Pädagogik der frühen Kindheit (erleben) etwas grundsätzlich Neues." (2) Das Land Niedersachsen engagierte sich, weil durch dieses Modellvorhaben Grundsätzliches für Qualitätsentwicklung in Niedersachsen gelernt und in Empfehlungen an die kommunale Ebene, Träger und Fachkolleginnen weitergegeben werden kann. Methodisch wurden Erhebungen, Befragungen und Rückkoppelungen, vor allem durch die Beteiligung an Diskussionen mit den öffentlichen und freien Trägern im September 2003, eingesetzt.
Die Ergebnisse der Qualitätsfeststellung
Die Ergebnisse liegen in einem Abschlussbericht dem Jugendamt der Stadt Göttingen (3) und den beteiligten Trägern vor. Es ist in diesem Abschlussbericht nicht möglich, Rückschlüsse auf Einzelergebnisse in Einrichtungen zu ziehen. Dem Jugendamt wurden anonymisierte Daten zur Verfügung gestellt. Jede Einrichtung bekam eine Einzelrückmeldung für die teilnehmenden Gruppen. Diese Einzelergebnisse liegen ausschließlich in der Einrichtung vor. Es handelte es sich um eine gruppenbezogene, nicht um eine einrichtungsbezogene Rückmeldung. Die Rückmeldung der Ergebnisse wurde nicht durch die Einschätzer selbst vorgenommen, sondern zu einem späteren Zeitpunkt durch andere Mitarbeiter des PädQuis-Teams.
Bei den Untersuchungen mit der KES-R und der HOS wurde keine Gruppe mit unzureichender Qualität eingeschätzt und lediglich eine Gruppe mit der KRIPS. Das Gesamtergebnis der Kindergartengruppen mit dem Einschätzinstrument KES-R von 4,64 (84 eingeschätzte Gruppen) ist das bisher beste Gesamtergebnis im Rahmen solcher Studien. In der Bremer Studie (4) war das Gesamtergebnis 4,29 (159 eingeschätzte Gruppen), in Brandenburg (5) 4,14 (68 eingeschätzte Gruppen). Bei den Einschätzungen mit der HOS (Schulkindbetreuung) liegt das Ergebnis mit 4,52 (20 Gruppen) ebenfalls deutlich über denen in Bremen (4,02 - 24 Gruppen) und in Brandenburg (4,25 - 48 Gruppen). Kinder unter drei Jahren (mit KRIPS) wurden bisher nur in Brandenburg untersucht (34 Gruppen). Das Ergebnis ist hier in Göttingen (20 Gruppen) exakt gleich (3,77).
Das Gesamtergebnis für Göttingen ist also ausgezeichnet. Die Gründe für dieses Ergebnis und die schlechteren Ergebnisse in anderen Bundesländern wurden nicht vorgetragen. Der Vergleich ist auch fragwürdig, weil in Bremen ausschließlich evangelische Einrichtungen, in Brandenburg und Göttingen aber Einrichtungen verschiedener Träger eingeschätzt wurden. Ohne eine Interpretation der Ergebnisse vor dem Hintergrund von Rahmenbedingungen (halbtags/ ganztags; Raum- und Personalausstattung, Gruppengröße, evtl. Trägerunterschiede etc.) ist dieser Vergleich ohne jede Aussagekraft.
Besondere Stärken sind in Göttingen im Bereich von "Interaktion und Kommunikation" zu verzeichnen, wie ein freundlicher und individueller Umgang mit Kindern, Anregungen auch in Freispielsituationen, Förderung der sprachlichen Anregungen, häufige Differenzierung in Teilgruppen oder die Integration schwieriger Kinder. Die Erzieherin ist soziales Vorbild; es gibt eine gute Kooperation im Team und mit den Eltern. Die Räume sind funktionsdifferenziert und gut ausgestattet, z.B. für Grobmotorik, Baumaterial oder Kreativität.
Verbesserungsfähig sind "Bildungsorientierte Aktivitäten" wie die Ausstattung und Nutzung von Büchern, Natur und Sachwissen, Vorbereitung für Mathematik und gezielte Musikerziehung.
Grundsätzlich wurde von Prof. Dr. Tietze darauf hingewiesen, dass das Beurteilungssystem recht konservativ sei. Auch wenn Qualitätsmerkmale einer höheren Einschätzstufe, wie z.B. 5, vorhanden sind, muss erst die Einschätzstufe 4 vollständig erfüllt sein, um diese Qualitätsmerkmale berücksichtigen zu können. Im Bericht für jede einzelne Gruppe sind solche Hinweise aber enthalten. Das Gesamtergebnis berücksichtigt also nicht die "qualitativen Zwischentöne", nämlich das, was noch alles Gutes, sehr Gutes und Ausgezeichnetes in den Einrichtungen vorfindbar ist.
Zu der grundsätzlichen Frage, ob eine "externe Evaluation" überhaupt erforderlich sei, konnte gezeigt werden, dass bei den Eltern- und Erzieherinnenbefragungen eine deutlich bessere Einschätzung vorgenommen wurde als in der tatsächlich durchgeführten Evaluation. Das könnte den Schluss zulassen, dass in einer Selbstevaluation grundsätzlich besser gewertet wird, als wenn externe Einschätzer eine Bewertung vornehmen. Allerdings könnte es auch sein, dass Eltern und Erzieherinnen die "qualitativen Zwischentöne" mit bewerten, das Instrument KES-R aber nicht.
Prof. Dr. Tietze empfahl abschließend, den Weg der pädagogischen Transparenz fortzusetzen, inhaltliche Schwerpunkte für Qualitätsentwicklung zu setzen und Qualitätsentwicklung als In-Haus-Prozess in den Einrichtungen zu etablieren. Regelmäßige KES-R basierte Evaluationen sollten zu einem dauerhaften Qualitätsentwicklungsprozess führen nach dem Motto "Qualität kennen, Qualität entwickeln, Qualität sichern".
Die Ergebnisse der Elternbefragung
Die Eltern sind insgesamt mit der Arbeit der Erzieherinnen zufrieden. Etwas weniger zufrieden waren Eltern in den Bereichen "Information der Eltern" und "Mitarbeit der Eltern". Aber selbst dieses Ergebnis ist relativ zu sehen, denn der Durchschnitt auf einer Skala von 1-4 war immer noch 3,4. Das schlechteste Ergebnis in einem Einzelitem erzielte das Item: "Eltern werden über Entwicklungsfortschritte ihrer Kinder gezielt informiert."
Für die zukünftige Angebotsplanung der Stadt Göttingen waren die Antworten zu den Öffnungszeiten sehr aussagekräftig. 24% der Kindergarteneltern, 29% der Horteltern und gar 40% der Krippeneltern wünschen längere Öffnungszeiten. Nachmittags liegt ein ungedeckter Bedarf vor. Selbst für den Samstag und Sonntag meldeten etwa 8 - 10% aller Eltern Bedarf an. 90% aller Eltern wären zufrieden, wenn 10 Stunden Öffnungszeit im Zeitraum von 7.00 - 17.00 Uhr angeboten werden würde.
Die Ergebnisse der Evaluation der Evaluation
Die externe Qualitätsfeststellung durch PädQuis gGmbH ist insgesamt sehr kritisch betrachtet worden (6). Zentrale Kritikpunkte, die einer wissenschaftliche Betrachtung aus der Evaluationsperspektive nicht standhielten, waren u.a.: Die Bedingungen und das Setting fielen in den einzelnen Einrichtungen höchst unterschiedlich aus: Die Beobachtungsdauer variierte zwischen 1,5 Stunden und 6 Stunden; gute Organisation bis hin zu Chaos, weil die falschen Einschätzer/innen kamen; die Gruppenauswahl war bekannt oder aber sie wurde kurzfristig am selben Tag erfahren; die Einschätzer/innen waren von freundlich bis abweisend, kundig bis wohlmeinend fachlich naiv, kommunikativ bis fast stumm, informiert bis uninformiert - und vor allem nicht auf dem gleichen Fachniveau wie die zu Beobachtenden und ohne Berufs- und teilweise ohne länger andauernde Felderfahrung. Die Einschätzer/innen verhielten sich auch bei den anschließenden Interviews sehr unterschiedlich: von einem sehr intensiven Nachgespräch, auch länger als angekündigt, bis dazu, dass es keine erste oder direkte Rückmeldung gab und nicht genügend Zeit für das Gespräch über die pädagogische Arbeit vorhanden war.
Nur die KES-R als Erhebungsinstrument lag überhaupt schriftlich vor, die anderen Instrumentarien (KRIPS und HOS) waren den Teilnehmern nicht bekannt.
Offene Arbeit und Familiengruppen mit großer Altersmischung wurden nicht eingeschätzt.
Die Rückmeldungen in den Einrichtungen wurden von wiederum anderen Student/innen vorgenommen. Sie hatten keine eigene Kenntnis des Erhebungsprozesses und konnten somit nur die Auswertungen im Ergebnis, nicht jedoch in der Perspektive des Erhebungs-, Auswertungs- und Präsentationsprozesses darstellen.
Hier wird auf eine Quelle möglicher Umdeutungen hingewiesen, die sogar zu Fehleinschätzungen führen können. Die Biographieforschung lehrt, dass in unterschiedlichen biographischen Situationen unterschiedliche Perspektiven und Wertungen vorgenommen werden, auch gegenüber einem wissenschaftlichen Befund. Wer nicht an Erhebung und Auswertung beteiligt war, präsentiert Befunde schlichtweg anders als Beteiligte.
Auch in der Durchführung der Elternbefragung gab es erhebliche Mängel. Am gravierendsten - auch als Kritik im Rahmen der Abschlussveranstaltung - war, dass die Eltern generell keine Rückmeldung bekommen haben. Aber auch bei Nachfragen gab es keine Rückmeldungen von PädQuis. Eltern hatten keine Bögen erhalten oder es fehlten Bögen in anderen Sprachen.
Nachweislich sind auch direkte Fehler in der Beobachtung (z.B. Glastüren an Schränken, die es gar nicht gibt) nicht korrigiert worden, obwohl auf diese Fehler ausdrücklich hingewiesen wurde.
Im Ergebnis konnte deshalb von gleichen Untersuchungsbedingungen in Göttingen nicht die Rede sein. Es wurde zwar pro Einrichtung irgendetwas herausgearbeitet, aber Repräsentativität, Reliabilität (Zuverlässigkeit eines wissenschaftlichen Versuches) und Validität (Gültigkeit eines wissenschaftlichen Versuches) sind ernstlich in Frage zu stellen. Und so kommt die Forschergruppe zu dem Schluss: "Einzelfallbezogene Bilanzierungen könnten jedoch auch durchaus prozessoffener, kommunikationsfreundlicher und ergebnisinteressierter, bei entsprechender Intensität sogar weitreichender mit anderen, dialogischen Methoden erreicht werden, weil KES-R hier keine Vorteile, sondern eher Widerstände mobilisiert." (S. 17).
Deutlich herausgestellt wurde auch, was das Untersuchungsdesign alles nicht erfasst hat (konzeptionelle, geschlechtsspezifische und Größenunterschiede der Einrichtungen, ihr soziales Einzugsgebiet und die dadurch beeinflusste Zusammensetzung der Kindergruppen, die Berufsausübungsdauer und damit die Berufserfahrung des Personals, trägerinduzierte Unterschiede, die Nachfrage nach vorherigen Qualitätsentwicklungsvorhaben in Göttingen vor 2002 etc.).
Vor diesem Hintergrund wird abschließend konstatiert: "KES-R ist somit ein auf die eigene - begrenzte - Sichtweise und Konzipierung der Kinderlebens- und der Erziehungsarbeitswelt bezogenes Instrument, das in seinem möglichen Erkenntnisgewinnungsgehalt nicht überschätzt werden darf. Das möglicherweise nur im Göttinger Einzelfall dilettantische Vorgehen bei der Durchführung grenzt die Aussagegenauigkeit, Aussagekraft und damit das Diagnosepotential der Qualitätsfeststellung zusätzlich deutlich ein. Die wissenschaftlich erwartbaren Kriterien von Nachvollziehbarkeit, Transparenz im methodischen Design und Vorgehen sowie professioneller Ausführung der Erhebung wurden nicht eingehalten" (S. 31).
Konkrete Empfehlungen lauten deshalb:
- Kombination von Verfahren zur Bilanzierung von Qualität in Kindereinrichtungen und Sicherung von Transparenz (Mehrmethodenmodell)
- Eine sozial-kompetentere und die Fachlichkeit der Beteiligten wertschätzende kooperative Qualitätsentwicklung
- Eine geschlechtersensible Berücksichtigung der Besonderheiten eines Frauenberufsfeldes unter Einbeziehung aller Beteiligten
- Bildung von regionalen und überregionalen Qualitätszirkeln oder Qualitätsnetzwerken, in denen alle beteiligten Fachmenschen methodisch um sozial angemessenere, feldbezogen differenziertere, in kommunikativer Offenheit gestaltete Wege zum Erhalt und Ausbau der Qualität im institutionellen Kinderleben und der dafür sinnvollen Erziehungsarbeit ringen und dadurch den Qualitäten im Elementarbereich die Anerkennung erarbeiten, die ihnen für die Lebens-, Lern- und Bildungsgestaltung aller Kinder zukommt.
Ausblick
Die "Premiere" war, dass erstmals in der Frühpädagogik mit wissenschaftlichen Instrumenten Verfahrensweisen überprüft und bewertet wurden. Das würde man sich viel öfter wünschen (z.B. auch in der Durchführung der "Feldphase" in der Nationalen Qualitätsinitiative).
Die Durchführung der Qualitätseinschätzung durch PädQuis gGmbH in Göttingen ließ viele Wünsche offen, und es sind vor allem viele handwerkliche Fehler passiert. Viele der beteiligten Einrichtungen und viele Eltern waren nicht recht zufrieden und haben dem in der Evaluation und in der Abschlussveranstaltung Ausdruck gegeben. Ein ausschließlich externes Verfahren ist in dieser Größenordnung zwischen Berlin und Göttingen wahrscheinlich nicht durchführbar. Bereits in früheren Qualitätseinschätzverfahren, die mit dem gleichen Setting durchgeführt wurden, wird es ähnliche Fehler gegeben haben, die aber leider nicht evaluiert worden sind. Trotz dieser bekannten Kritikpunkte am Verfahren (z.B. teilten auch in Bremen nicht die Einschätzer die Ergebnisse mit) ist der Ablauf des Verfahrens nicht verändert worden.
Es ist kein Diskurs bekannt, der eine Stärken-/ Schwächen-Analyse von Qualitätsfeststellungsverfahren mit der KES oder KES-R zum Gegenstand hatte. Erst die wissenschaftliche Beauftragung des An-Institutes der Universität Lüneburg hat nun die Schwächen ans Licht gebracht.
Prof. Dr. M.-E. Karsten referierte auch eigene Vorschläge zur Debatte um Qualitätsfeststellung in der Frühpädagogik, blieb aber mit den "Qualitätsentwicklungszielen des Europäischen Netzwerkes von 1996" und den "Essentials einer integrierten Gesamtkonzeption zur Sicherung der Qualität im Erzieher/innenberuf und zur Berufsbildungsreform" viel zu unkonkret.
Worum es doch in der "Qualitätsfeststellung" zunächst ging, waren Wohlbefinden und zukünftige Erziehungs- und Bildungsförderung von Kindern. Natürlich ist die Qualität des Erzieher/innenberufes dabei auch ein Thema, aber die Frage nach der "pädagogischen Qualität" sollte dabei nicht verloren gehen.
Nach wie vor gibt es keine Studien in der Frühpädagogik, die pädagogische Qualität anders abbilden oder dokumentieren. Jüngst ist in einem "Aufmacher" im SPIEGEL (7) wieder auf die Studie "Wie gut sind unsere Kindergärten?" von Prof. Tietze Bezug genommen worden. Die Erhebung ist inzwischen zehn Jahre alt (8), und dennoch gibt es keine anderen Studien, auf die in der aktuellen Debatte um Bildung Bezug genommen werden kann.
Deshalb macht es zu diesem Zeitpunkt wenig Sinn, "Einschätzskalen" in Grund und Boden zu verdammen, ohne eine Alternative vorzulegen. Es sollte ein Diskurs um eine qualitativ verbesserte Form der "externen Einschätzung" begonnen werden. Die Brandenburger Studie im Kontext des Wettbewerbes "Beste Kita in Brandenburg" gründet auf einem Losverfahren (!), weil sich zu viele Einrichtungen beteiligt haben. Alle Kitas, die ihr Interesse angemeldet hatten, bekamen eine Anerkennungsplakette, die sie sich an die Eingangstür hängen konnten - als wäre das Interesse an einer externen Einschätzung schon ein "Wert an sich", den es zu loben gilt. Welch' ein Bild von Kindertageseinrichtungen wird da gezeichnet. Im Losverfahren sind dann beispielsweise einige "Konsultationskitas" aus Brandenburg rausgeflogen, konnten also nicht mehr "Beste Kita in Brandenburg" werden, obwohl sie vom Ministerium als besonders herausragend gewürdigt werden. Nein, diese Art "externer Einschätzung" hat keine Zukunft - obwohl die Ausschreibung des 2. Wettbewerbs schon begonnen hat.
Wenn man aber anfängt, externe Verfahren in einen internen Prozess der Qualitätsentwicklung zu integrieren, dann kann ein Qualitätsentwicklungsprozess in einem Wechsel zwischen "extern" und "intern" vorgenommen werden. Dies haben die städtischen Tageseinrichtungen für Kinder in Recklinghausen vorgemacht. Alle Leitungen wurden in der Anwendung der KES ausgebildet und haben dann Einschätzungen in anderen städtischen Kitas vorgenommen (9). Der Abschlußbericht hierzu ist veröffentlicht und zugänglich (10). Die Vorteile liegen auf der Hand. Die "Einschätzqualität" bleibt in der Trägergruppe - oder in einer Stadt (wie in Göttingen) - erhalten. Man kann wieder darauf zurückgreifen, hat eine gemeinsame Qualitätssprache und kann jederzeit diese Instrumente um weitere Bereiche ergänzen, wie dies Prof. Karsten vorgeschlagen hat. Das geht natürlich nicht, wenn noch nicht einmal die Skalen zur Verfügung gestellt werden. In Recklinghausen sind die amerikanischen Originalskalen (11) verwendet worden, denn die sind auch in Deutschland (über Fernleihe an Universitäten) frei zugänglich.
Die Leiterinnen der städtischen Tageseinrichtungen für Kinder in Recklinghausen sind inzwischen in einer anderen Trägergruppe in einer anderen Stadt als Einschätzerinnen tätig. Dort ist die Einschätzung Teil einer Stärken-/ Schwächenanalyse im Rahmen eines Qualitätsmanagements. Es wird keinen Qualitätsbericht, keine Einzelstatistiken, keine Vergleiche geben, aber ein internes Qualitätsentwicklungsgespräch mit dem gesamten Team im Anschluss an die Einschätzung.
Die Frage, die sich im Anschluss an ein Qualitätsfeststellungsverfahren anschließt, ist die nach der Grundlage für einen Qualitätsentwicklungsprozess. Hier können die Ergebnisse der Nationalen Qualitätsinitiative (12) zukünftig hilfreich werden, vor allem die Selbstevaluationsmaterialien.
Nicht die Instrumente KES, KES-R, HOS und KRIPS sind ungeeignet für Qualitätsfeststellung und -entwicklung - ungeeignet ist ein Wissenschaftsanspruch, der den Dialog vergisst und Menschen in einem komplexen sozialen Feld zu Objekten macht.
Standard in personenbezogenen Dienstleistungen ist, so Prof. Karsten, dass Qualitätsfeststellungen in einem kommunikativen Setting durchgeführt werden und das Setting sich auszeichnet durch wechselseitige Akzeptanz und Wertschätzung, kritisch-konstruktive Bilanzierung, unterstützende Beiträge zur Weiterentwicklung sowie durch eine Wiederholung nach einer bestimmten Anzahl von Jahren.
Richtig eingesetzt und kommuniziert können Einschätzskalen zur Qualitätsfeststellung - und Qualitätsentwicklung - in Kindertageseinrichtungen beitragen. Es bleibt zu hoffen, dass künftige "Evaluationen von Evaluationen" auch solche guten Beispiele entdecken.
Fußnoten
(1) Tietze, W., Schuster, K.-M., Grenner, K., Roßbach, H.-G.: Kindergarten-Skala. Revidierte Fassung (KES-R). Neuwied u.a. 2001. Vgl. auch Braun, Ulrich: Fünf Jahre Einschätzskalen. In: KiTa aktuell NRW, 02/2003, S. 40-43 (
http://www.kindergartenpaedagogik.de/924.html). KRIPS und HOS sind bis heute nicht in deutscher Sprache veröffentlicht. Zur Hort-Skala (HOS): Thelma Harms, Ellen Vineberg Jacobs, Donna Romano White: School-Age Care Environment Rating Scale. Published by Teachers College Press, New York 1996. Zur Krippen-Skala (KRIPS): Thelma Harms, Deborah Reid Cryer, Richard M. Clifford: Infant/ Toddler Environment Rating Scale. Published by Teachers College Press, New York 1990.
(2) Karsten, M.-E.: u.a.: Monitoring-Prozess zum Verlauf der Evaluation der Einschätzung von Kindertagesstättengruppen in Göttingen. 1. Bericht zu Beobachtungen und Einschätzungen des Göttinger Pilotprojektes - vom April 2002/ Angebot - September 2004 zur Präsentation am 24.09.2003. Universität Lüneburg in Kooperation mit dem An-Institut "perspective", Scharnhorststr. 1, 21335 Lüneburg. S. 7
(3) Die nachfolgend referierten Ergebnisse stammen ausschließlich aus einer Mitschrift während der Fachtagung. Eine Anfrage zur Übersendung eines Abschlussberichtes wurde vom Fachbereich Jugend der Stadt Göttingen so beantwortet: "In Absprache mit dem durchführenden Institut, PädQuis gGmbH Berlin, wird es keine für externe Stellen zu versendenden Tagungsunterlagen geben." Stadt Göttingen, Fachbereich 51, Hiroshimaplatz 1-4, 37083 Göttingen. Tel.: 0551/400-2285, Email: Jugendamt@goettingen.de
(4)
http://ev.kiki-bremen.de/cmain/A_KigaSkala
(5) Vermutlich im Rahmen des Qualitätswettbewerbes "Beste Kita in Brandenburg", vgl. http://www.paedquis.de. Die Ergebnisse sind in http://www.kindertagesbetreuung.de/brandenburg.html nachzulesen.
(6) Im Folgenden wird der Bericht der Forschergruppe von Prof. Dr. Karsten zugrundegelegt, vgl. Endnote 2. Die Zitate sind deshalb nicht mehr im Einzelnen gekennzeichnet.
(7) "Die Geburt der Intelligenz. Wie Kinder denken lernen". Der Spiegel, Nr. 43/ 20.10.2003, S. 198ff.
(8) Vgl. Braun, U.: Fünf Jahre Einschätzskalen. Qualitätsfeststellung in Tageseinrichtungen für Kinder nimmt zu. In KiTa aktuell NRW, 02/2003, S. 40-43 (http://www.kindergartenpaedagogik.de/924.html)
(9) Vgl. hierzu Braun, U.: Vom der KES zum nationalen Kriterienkatalog. Qualitätsfeststellung und Qualitätsentwicklung in den städtischen Tageseinrichtungen für Kinder in Recklinghausen. In KiTa aktuell NRW, 03/2003, S. 52-55 (http://www.kindergartenpaedagogik.de/949.html)
(10) Schlattmann, M., Braun, U.: Qualitätsfeststellung in Kindergartengruppen der Stadt Recklinghausen mit der Kindergarten-Einschätz-Skala. Der Bericht kann zum Preis von 10,- EUR bei der Stadt Recklinghausen, Fachbereich Kinder, Jugend und Familie, 45655 Recklinghausen, bestellt werden.
(11) Vgl. Endnoten 1 und 9
(12) http://www.bmfsfj.de und http://www.beltz.de