Anja Mannhard
Auf einen Blick
Was tun Kitas, die Preise gewonnen oder Zertifikate erworben haben, im Hinblick auf ihre Prozesse und Ergebnisse außergewöhnlich gut, sodass wir von ihnen für die alltägliche Kita-Arbeit und Qualitätsentwicklung lernen können? Wir geben Anregungen für die eigene pädagogische Profession und die Weiterentwicklung der Kitas in der frühkindlichen Bildungs- und Betreuungslandschaft.
Vorbemerkung
Das seit 2008 geltende Kinderförderungsgesetz (KiföG) soll für alle Kinder eine qualitativ hochwertige Betreuung sicherstellen. Im Jahr 2019 folgte das Gute-KiTa-Gesetz, mit dem Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung unterstützt werden. Seit 2018 vergibt das Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) jedes Jahr den Deutschen Kita-Preis und ist auch an der Auszeichnung Nachhaltige Kita beteiligt. Weitere Förderer, wie z. B. der Börsenverein des Deutschen Buchhandels oder die Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof, widmen sich bestimmten Aspekten frühkindlicher Bildung in Kindertageseinrichtungen und motivieren für eine gute Qualität und hochwertige Betreuung in Kitas durch Auszeichnungen.
Die Kita ist für Kinder der erste Ort ihrer Bildungsbiografie. Deshalb stellt sich die Frage nach der Qualität einer Kindertageseinrichtung und danach, was eine gute Kita ausmacht. Was machen Kitas mit Auszeichnung besser und wie können andere von ihnen lernen? Welches Personal mit welcher Qualifikation wird benötigt, um eine gute Qualität in der frühkindlichen Bildung anzustreben? Wie muss die Konzeptionsentwicklung gestaltet und gelebt werden, sodass ein Konsens und eine Verbindlichkeit zu den Bildungszielen besteht? Welche Rahmenbedingungen sind für eine hochwertige Betreuung und Bildung von Kita-Kindern erforderlich? Mit welcher Führungskultur gelingt die Umsetzung hoher Qualitätsansprüche am besten?
Insbesondere Kinder aus bildungsfernen Familien profitieren vom Kita-Besuch. Aus diesem Grund ist eine gute Qualität in der Betreuungslandschaft ein wichtiger Beitrag zur Chancengleichheit. Aber auch Kinder aus einem fördernden Umfeld profitieren von hoher Qualität insofern, als dass sie an vorhandene Fähig- und Fertigkeiten anknüpfen und diese erweitern können. Kitas mit Auszeichnung haben es geschafft, Kindern frühestmöglich eine bestmögliche individuelle Begleitung und Förderung unter bestimmten Aspekten anzubieten und somit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer starken Identität und Resilienz zu leisten.
Die hier vorgestellten Preise und Preisträger und in einem Fall Träger eines Zertifikats interessieren die Autorinnen nicht nur wegen der Ergebnisse, sondern vor allem wegen der Prozesse, mit denen Fachkräfte zu einem besonderen Aspekt guter Bildungsarbeit in der Kita gelangen. Die Prozessgestaltung ist für gute Ergebnisse zentral! In diesem Zusammenhang sind neben der Leitung mit einer guten Führungskultur, der Motivation und Professionalisierung der pädagogischen Fachkräfte auch die Träger von Kindertageseinrichtungen im Hinblick auf gute Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit gefragt.
1. Kita-Preise
Gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der deutschen Kinder- und Jugendstiftung in Partnerschaft mit der Heinz und Heide Dürr Stiftung, der Gisela-Sdorra-Stiftung, der Karg-Stiftung, dem Eltern-Magazin und dem Didacta-Verband. Die Auszeichnung setzt Impulse für Qualität in der frühkindlichen Bildung und würdigt das Engagement der Menschen, die tagtäglich in Kitas zeigen, wie gute Qualität vor Ort gelingt.
Der Deutsche Kita-Preis berücksichtigt unterschiedliche Rahmenbedingungen der Kinderbetreuung und achtet nicht nur auf gute Ergebnisse, sondern auch auf die Prozesse in der Einrichtung. Er will zeigen,
- dass es Kindern zugutekommt, wenn auch ihr Umfeld lernt;
- was gute Qualität im jeweiligen Kontext ist;
- dass Kinder der Mittelpunkt aller Qualitätsbestrebungen sein sollten;
- dass gute Qualität den Sozialraum der Kita einbezieht;
- dass Bildung ein partizipativer Prozess ist.
Organisatoren des Gütesiegels Buchkindergarten sind der Deutsche Bibliotheksverband e. V. und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V.
Mit dem Gütesiegel erhalten Kitas eine Auszeichnung, die in der frühkindlichen Leseförderung und der Lese- und Sprachentwicklung von Kindern besonders aktiv sind. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit. In einem ausgezeichneten Buchkindergarten nimmt die Buch-, Erzähl-, Reim- und Schriftkultur eine zentrale Rolle ein. Der Zugang zu Büchern wird durch die Rucksack-Bibliothek, Buchkisten und Vorlesepaten ermöglicht. Das Gütesiegel wird jedes Jahr im Oktober für drei Jahre vergeben, danach ist eine Wiederbewerbung möglich.
Der Wissenschaftsladen (WILA) Bonn e. V. zeichnet Kindertagesstätten (Kitas) aus, die sich in besonderer Weise für Umweltschutz und Nachhaltigkeit engagieren. Die Auszeichnung wird als Projekt von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit gefördert.
Im ersten Förderzeitraum von Januar 2017 bis September 2019 wurden über 150 Kitas ausgezeichnet. Der aktuelle Förderzeitraum läuft von Oktober 2019 bis Juli 2022.
Mögliche Themenfelder:
- Wasser, Luft und Boden
- Natur und Artenvielfalt
- Länder und kulturelle Vielfalt
- Energie und Klima
- Ernährung und Landwirtschaft
- Konsum und Mobilität
Sowohl das „Bundesforum Lernort Bauernhof“ als auch die „Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof e.V.“ unterstützen die Gründung von Bauernhofkindergärten.
Ziel eines Bauernhofkindergartens ist es, die landwirtschaftliche Produktion erlebbar zu machen. Die Kinder sollen Landwirtschaft mit allen Sinnen erfahren. Die Herkunft, Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln und der Kontakt mit Tieren sind täglicher Bestandteil der Pädagogik. Weitere Bildungsaspekte sind Nachhaltigkeit und Regionalität.
2. Ausgewählte fachliche Kriterien
Konzeptionsentwicklung
Die Konzeptionsentwicklung ist ein wichtiger Baustein des Qualitätsmanagements. Sie bringt sowohl die Leitung als auch die pädagogischen Fachkräfte Leitung in einen gedanklichen Prozess, bei dem sowohl die Theorie als auch die praktischen Erfahrungen der Tätigkeit in einen Kontext gesetzt und reflektiert werden. Konzeptionsentwicklung kann zugleich eine Maßnahme der Teambildung und -entwicklung darstellen, sowie zu positiven Veränderungen in der Erziehungspraxis einer Kita führen. Die Qualitätsbestrebungen und die Vielfalt der pädagogischen Arbeit werden bewusst gemacht und können gleichzeitig gegenüber Dritten fachlich kommuniziert werden. Grundsätzlich ist eine gelingende und lebendige Konzeption, die sich stets im Wandel befindet und nach veränderten Bedarfen hin ausrichtet, ein wichtiger Baustein für die Professionalisierung in der Frühpädagogik.
Mögliche Ziele der Konzeptionsentwicklung:
- sich mit der Frühpädagogik in einem Überblick auseinandersetzen
- eine derzeitige Standortbestimmung vornehmen
- einen pädagogischen Ansatz entwickeln, der für das gesamte Team verbindlich ist
- die wichtigsten Leitlinien für die Arbeit zur Orientierung festlegen
- Dritten eine qualitativ hochwertige Information zur Arbeit geben (Eltern, Träger, Kooperationspartnern …)
- die eigene Professionalisierung darstellen
- Bewerberinnen und Bewerbern einen qualifizierten Einblick in die Kita geben
Haltung zum Kind
Eine wesentliche Rolle, wenn nicht sogar die Hauptrolle der frühkindlichen Bildungsarbeit, spielt die eigene Haltung zum Kind. Jedes Kind bringt seine eigenständige Persönlichkeit und die unterschiedlichsten Erfahrungen, Interessen, Stärken und Charaktereigenschaften mit. Kinder sind Entdecker, Forscher, Entwickler und Konstrukteure auf ihrem Weg des Erwachsenwerdens. Kinder brauchen hierfür Begleiter und Vorbilder, die ihnen zugewandt, achtsam und feinfühlig sind.
Das gemeinsame Arbeiten von Kita, Eltern und Kindern hängt stark davon ab, welches Bild vom Kind die Kita als Team lebt und nach außen trägt. Dabei fließen auch das eigene Rollenverständnis und die darin enthaltenen Aufgaben mit ein.
Raumgestaltung
Die Raumgestaltung in der Kita ist eine verantwortungsvolle Aufgabe und sollte bewusst auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt werden. Folglich sind Raumgestaltung und Bildungsprozesse untrennbar miteinander verbunden. Entscheidend ist dabei die Frage: Welche Erfahrungen und Lernprozesse sollen angeregt werden?
Kinder nutzen Räume sehr unterschiedlich. Ursachen hierfür sind nicht immer Raumknappheit und personelle Engpässe. Ein Team sollte sich einig sein, dass alle Räume jederzeit für die Kinder zugänglich sind.
Im Hinblick auf aktuelle Bildungsthemen gilt es ein Raumkonzept immer wieder bewusst zu überprüfen. Die regelmäßige Beobachtung der Nutzung der Räume und die Nachfrage bei den Kindern nach deren Wünschen sollten dabei als Grundlage für eine optimale Veränderung genutzt werden.
Führungskultur Leitung und Team
Personalführung ist eine vielfältige und komplexe Aufgabe für die Leitung. Sie organisiert die Arbeitsabläufe, führt Gespräche mit Mitarbeitenden und Stellenbewerbern, verfasst Beurteilungen u. v. m. Das erfordert nicht nur Sicherheit in der eigenen Rolle, im eigenen Führungsstil und gutes Selbstmanagement, sondern auch eine gelingende Anerkennungskultur und offene wie effektive Kommunikation.
„Ein Kindergarten ist ein Unternehmen. Auch wenn er keinem wirtschaftlichen Profit verpflichtet ist, verlangt er von seinen Leiterinnen und Leitern vergleichbare Führungsqualitäten. Wer leichtfertig sagt: ‚Hier geht es ja zu wie im Kindergarten!‘, weiß nicht, was für eine herausfordernde Aufgabe es ist, einen Kindergarten zu managen. Hier wie dort geht es um den Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen, um Moderation, um situatives Führen: Die Spielregeln der Kommunikation innerhalb einer Gruppe müssen immer wieder eingefordert werden, das Vertrauen der Mitarbeiterinnen untereinander und auch gegenüber der Leitung soll begründet sein – es geht um Respekt voreinander und um Transparenz.“ (Vorwort Andrea Lienhart, in: Mannhard 2018, S. 5)
Kita im Sozialraum
Die Kita versteht sich im Sozialraum immer mehr als Begegnungsstätte und schafft so viel Transparenz und Gestaltungsmöglichkeiten für alle Beteiligten. Für ein positives Miteinander und für stetige Weiterentwicklung zum Wohle der Kinder ist eine offene Gesprächskultur sehr wichtig, in der Anregungen, Rückmeldung und Wünsche willkommen sind.
Für sozialräumliches Handeln ist die Erweiterung des Blicks notwendig, sodass die gesamte Lebenswelt und -situation der Kinder inklusive der räumlichen Gegebenheiten im Mittelpunkt stehen. Die Strukturen von Sozialräumen können sehr unterschiedlich sein. Folglich sind sozialräumliche Konzepte von Kita zu Kita unterschiedlich.
3. Interviews
3.1 Interview mit Anja Böddecker, Leiterin der Johanniter Kindertagesstätte Ackerstraße, Bergneustadt
2. Platz Deutscher Kita-Preis – Kategorie „Kita des Jahres 2018“
Mannhard: Woran kann man Ihr Bild vom Kind (und das Ihres Teams) im Alltag erkennen?
Böddecker: Die pädagogischen Fachkräfte bieten allen Kindern vielfältige individuelle Möglichkeiten, um ihre Potenziale zu entwickeln und von sich aus neugierig und eigenständig die Welt zu erschließen. Sie nehmen eine fragende Haltung ein und unterstützen die Kinder so dabei, sich die Welt zu erschließen und sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Ein Beispiel: In einer Situation hält ein kleines Kind einen Stapel Fotos. Immer wieder fallen dem Kind die Bilder aus der Hand und es sammelt sie geduldig wieder auf. Eine pädagogische Fachkraft setzt sich in die Nähe des Kindes und beobachtet es in seinem Tun. Nach einiger Zeit holt die Fachkraft einen Umschlag, setzt sich wieder hin und begleitet das Tun des Kindes indem sie verbalisiert, was das Kind tut. Das Kind kommt dann selbst auf die Idee, die Bilder in den Umschlag zu tun um sie besser in der Hand halten zu können.
Mannhard: Welche Rolle spielt der Einbezug des Sozialraums in Ihrem Kitaalltag?
Böddecker: Die Analyse der Lebenssituationen von Kindern und Familien ist Ausgangspunkt für die pädagogische Planung. Die pädagogischen Fachkräfte kennen die Sozialstruktur des Wohnumfeldes und analysieren diese hinsichtlich ihrer pädagogischen Ausgestaltung. Die Kita engagiert sich im Sozialraum, um gute Lebensbedingungen für Familien zu befördern. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „Der sichere Stadtteil“. Dabei erklären sich Menschen im Stadtteil bereit, als „sicherer Ort“ zu agieren. Dorthin können sich Kinder wenden, wenn sie in einer Situation sind, mit der sie nicht wissen, wie sie umgehen sollen, also wenn sie sich verlaufen haben, auf die Toilette müssen oder sich ängstigen.
Mannhard: Was verstehen Sie unter Partizipation mit Eltern und wie setzen Sie diese in Ihrer Einrichtung um?
Böddecker: Eltern und ihre Kinder haben ein Recht darauf, dass die pädagogischen Fachkräfte eine Erziehungspartnerschaft mit den Eltern gestalten. Jeder Mensch hat etwas, was ihm oder ihr gut gelingt. Und wir stärken Eltern darin und benennen die Dinge, die ihnen gut gelingen. Wir im Team nehmen eine sehr wertschätzende Haltung gegenüber den Eltern wahr. Die Eltern sind sich einig, dass sie zur Kita gehören. Die pädagogischen Fachkräfte nutzen zum regelmäßigen Austausch mit den Eltern die täglichen Tür- und Angelgespräche und verwenden dabei verschiedene „Sprachen“.
Mannhard: Wer ist am Qualitätsmanagement beteiligt und in welcher Form?
Böddecker: Alle pädagogischen Fachkräfte übernehmen gemeinsam Verantwortung für die Qualitätsentwicklung. Wir arbeiten nach dem Leitsatz „Erkennen – überlegen – ausprobieren – reflektieren – beibehalten oder verwerfen“. Regelmäßig werden stärkenorientierte Personalentwicklungsgespräche geführt und die pädagogischen Fachkräfte werden zur professionellen Weiterentwicklung ermuntert. Jährlich werden Qualitätsziele erstellt und reflektiert. Ich selbst verstehe mich als Impulsgeberin und fördere die pädagogischen Fachkräfte unter anderem dadurch, dass ich ihnen Gestaltungsverantwortung überlasse.
3.2 Interview mit Jutta Bummel, Buchhändlerin und Inhaberin der Buchhandlung Eulenspiegel in Hochheim am Main
Mannhard: Das Gütesiegel Buchkindergarten ist ein wichtiger Beitrag zur Chancengleichheit für die Kinder und Familien einer Kita. Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Gütesiegel Buchkindergarten und wie sind Sie auf die Idee zu diesem Preis gekommen?
Bummel: Wir fragten uns, weshalb gibt es kein Buchkindergarten, obwohl es zum Beispiel Sport-Kitas oder Musik-Kitas gibt? Wir möchten, dass Grundlagen für die Erzähl- und Lesefähigkeit gelegt werden, wenn im Elternhaus die Zeit fehlt. Kinder erweitern durch Vorlesen ihren Wortschatz über Begriffe aus dem Alltag hinaus und sie entwickeln früh einen Zugang zur Schriftsprache und zu Bildern. Kitas können so oder so arbeiten, und wir möchten mit dem Gütesiegel Buchkindergarten Wertschätzung vermitteln, wenn sie nach unserem Verständnis in diesen Bereichen gut arbeiten.
Mannhard: Welche Bereiche sind das konkret und nach welchen Kriterien sollen Bücher ausgewählt werden?
Bummel: Wortschatzerweiterung, Geschichten mit ihrem Aufbau kennenlernen, Sprachmelodie, Reime, Erzählen, Singen, Fingerspiele, visuelle Wahrnehmung. Die Kitas sollen Bücher nicht nur situativ, sondern durchgängig bei Projekten und im Alltag anbieten, also nicht nur punktuell, sondern als festen Bestandteil im Tagesablauf. Die Auswahl findet nach Thema, Alltag, Anlass oder nach visuellen Kriterien statt. Die tägliche Arbeit soll durch Bücher untermauert werden.
Mannhard: Welche visuellen Kriterien sind das in Bezug auf das Bilderbuch?
Bummel: Die Illustrationen im Bilderbuch untermauern die Geschichte und erweitern sie im besten Fall. Die Bilder gehen über das Erzählte hinaus. Kinder lernen durch verschiedene Illustrationsstile die Welt mit anderen Augen zu sehen. In einem Bild ist vieles möglich: Tiere können rot oder lila sein und Menschen können fliegen. Bilder regen nicht nur die Fantasie an, sondern ermuntern auch zu philosophischen Fragen.
Mannhard: Wie werden die Kitas von Ihnen unterstützt und welche Ressourcen brauchen sie, um gute Buchkindergärten zu sein?
Bummel: Das Gütesiegel Buchkindergarten gibt es erst seit 2019 und die ersten Kitas haben auf Aufruf ohne unsere Begleitung oder Unterstützung ihre Konzepte eingereicht. Jetzt planen wir, auf unserer Website Best-Practice-Beispiele vorzustellen, sodass man sich Anregungen holen kann. Wichtig ist, dass die Leseförderung im Gesamtkonzept der Kita abgebildet ist und nicht nur punktuell angeboten wird. Das war zum Beispiel der Grund, weshalb manche Kitas das Gütesiegel nicht bekommen haben. Wir sehen, dass viele Einrichtungen mit wenigen Mitteln sehr gute Arbeit in dem Bereich machen.
Mannhard: Welche Prozesse sind für die Leitung mit ihrem Team wichtig?
Bummel: Im Team müssen alle an einem Strang ziehen. Vorlesen ist nicht gleich Vorlesen! Die pädagogischen Fachkräfte sollten darin geschult sein und auch wissen, wie man Kinder zum Erzählen anregt. Eine Person sollte federführend sein und alle anderen mit ihrer Begeisterung und Leidenschaft für Bücher anstecken. Viele Buchkindergärten sind Sprachkitas, da ist die Leseförderung ja meistens enthalten.
Mannhard: Welche Bereiche finden in der Evaluation Berücksichtigung und wie wird diese durchgeführt?
Bummel: Das Projekt ist zunächst auf drei Jahre angelegt und wir wissen noch nicht, ob wir genügend finanzielle Mittel haben werden, um es fortzusetzen. Studenten der Universität Halle kamen auf uns zu und werten Fragebögen aus. Darin werden die Kitas zum Beispiel gefragt, welche Projekte sie durchführen, wie Bücher in den Alltag eingebettet sind, wie sie die Elternarbeit gestalten oder welche zehn Bücher für sie unverzichtbar sind. Wir haben gesehen, dass viele Kitas punktuell Angebote zur Lese- und Erzählförderung durchführen, aber dies situativ und nicht gezielt und durchgängig, sondern weil ein Kind danach fragt oder man gerade ein Zeitfenster hat. Uns ist im Rahmen des Gütesiegels Buchkindergarten wichtig, dass Bücher bewusst ausgewählt und strukturell angeboten werden, und dass diese Kriterien sich durch alle Gruppenräume und Projekte ziehen.
Mannhard: Welches Erlebnis im Zusammenhang mit dem Gütesiegel Buchkindergarten hat Sie besonders beeindruckt?
Bummel: Viele! Wir wussten nicht, ob sich überhaupt Kitas bewerben, denn es gibt für den Preis kein Geld. Dann hatten wir 800 tolle und liebevoll gestaltete Bewerbungen! Eine Erzieherin schrieb uns, dass sie auf so einen Preis vierzig Jahre lang gewartet hätte. So lange arbeitet sie schon mit großem Engagement für diesen Bereich in der Kita.
3.3 Interview mit Heike Klumbies, Leitung der Städtischen Tageseinrichtung für Kinder Bornstraße (FABIDO), Dortmund
Auszeichnung: Nachhaltige KiTa – Mit Kindern aktiv für die Welt
Mannhard: Was zeichnet eine „Nachhaltige KiTa“ aus und welche Richtlinien und Ziele verfolgen Sie?
Klumbies: In einer „nachhaltigen Kita“ werden Leitlinien aus den ökologischen, kulturellen und globalen Bereichen im Alltag gelebt und sie sind nicht an punktuelle Projekte gebunden. Das Kind wird dabei als Selbstgestalter seiner Bildungsprozesse partizipativ in alle Bereiche miteingebunden. Durch gemeinsames Philosophieren über Fragen wie z. B.:
- Was ist fair, was unfair?
- Ist Wasser lebenswichtig? … kostenlos? … für jeden Menschen zugänglich?
- Was ist Energie? Woher kommt sie?
- Was geschieht mit unserem Müll? Was kann man recyclen oder upcyclen? Können wir Plastik vermeiden?
- Muss man kaputte Gegenstände neu kaufen oder kann man sie reparieren?
- Wie wird Papier hergestellt?
kommen wir ins Gespräch und begeben uns auf die Suche nach Antworten und Lösungen. Das Kind hat dabei die Möglichkeit, Verantwortungsgefühl für seine Umwelt zu entwickeln und wird von den pädagogischen Fachkräften darin unterstützt Selbstbewusstsein und Selbstkompetenz zu entwickeln.
Mannhard: Welche Bereiche finden im Kontext „Nachhaltige KiTa“ in der Konzeptionsentwicklung und im Kita-Alltag Berücksichtigung?
Klumbies: BNE ist als Positionspapier/Qualitätsstandard beim Träger beschrieben und auch in unserer Einrichtungskonzeption fest verankert. Im Kita-Alltag finden seit acht Jahren jährlich Projekte zu den Themen Wasser- und Energiesparen mit den Vorschulkindern statt. Diese Kinder sind dann als „Wasserpolizisten“ und „Stromdetektive“ im Alltag unterwegs und geben ihr Wissen an die jüngeren Kinder weiter. Sie achten z. B. darauf, dass wenig Seife benutzt wird, Wasser nicht unnötig lange läuft und das Licht ausgemacht wird. Außer dem Wasser- und Stromsparen sind die Müllvermeidung und Mülltrennung feste Bestandteile des Alltags. Ein Tauschregal im Eingang der Kita wird von allen Familien seit drei Jahren beständig genutzt. Regelmäßig pflegen Kita, Kinder und Eltern einen Färbergarten, den wir auf einem ungenützten Flurstück angelegt haben. Mit den dort wachsenden Pflanzen stellen die Kinder Farben her, eigene Fingerfarben aus übrig gebliebenem Tee und Weiteres. Unsere Kita ist offizieller Kompetenzpartner des RCE-Ruhr-Projekts „sevengardens“. Unsere Kinder sind als „junior dialoger“ geschult und geben ihrerseits Kurse im Herstellen von Farbe aus Pflanzen. So führten sie bereits Workshops mit jugendlichen Roma aus Bulgarien, einem fünften Schuljahr der Waldorfschule und erwachsenen Teilnehmern einer Bildungskonferenz zum Thema Nachhaltigkeit durch. Im Alltag wird kaputtes Spielzeug mit den Kindern repariert, aus Verbrauchsmaterialien Neues hergestellt und werden wiederholende Projekte zum Thema „globales Lernen“ durchgeführt.
Mannhard: Welche Prozesse und Ressourcen sind für die Leitung mit ihrem Team wichtig?
Klumbies: Alle Themen werden regelmäßig mit dem Team reflektiert. Es gibt zwei Mitarbeitende, hauptverantwortlich als Multiplikatoren für die Themen im Team sind und sich das ganze Jahr intensiv damit auseinandersetzen. Fortbildungen zu den Themen werden anschließend mit dem gesamten Team besprochen.
Besonders hilfreich waren Teamfortbildungen zu „sevengardens“. Zeit für den gemeinsamen Austausch und kontinuierliche Fortbildungen zu den Themen sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass alle Mitarbeitenden des Teams „Nachhaltige Bildung und Erziehung“ in ihrem pädagogischen Alltag leben. Ebenso unterstützt der Träger uns durch Fortbildungen, Qualitätszirkel oder bei Bedarf auch finanziell.
Mannhard: Wie betreiben Sie das Qualitätsmanagement im Kontext „Nachhaltige KiTa“ und wer ist daran beteiligt?
Klumbies: An jährlichen Konzepttagen wird reflektiert und Neues zum Thema Nachhaltigkeit erarbeitet. Neue Mitarbeitende können in der Konzeption und den Projektmappen, die mit den Kindern zu den jeweiligen Bereichen hergestellt wurden, nachlesen, was uns wichtig ist. Die Leitung und eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter sind hauptverantwortlich für das Thema.
Mannhard: Welches Erlebnis zur Nachhaltigkeit mit den Kindern hat Sie besonders beeindruckt?
Klumbies: Besonders beeindruckt hat mich, wie das Selbstbewusstsein der Kinder gewachsen ist. Auch zurückhaltende Kinder oder solche mit wenig Deutschkenntnissen sind in der Lage, anderen Kurse im Herstellen von Pflanzenfarben zu geben. Ob beim Schulen von Jugendlichen und Eltern oder beim Besuch des Oberbürgermeisters: Die Kinder sind über sich hinausgewachsen – sie sind jetzt die Experten, von denen andere lernen!
3.4 Interview mit dem Pädagogischen Team des Kindergartens Schwalbennest auf dem Linsenbühlhof – Marion Häberle, Sybille Mirsch und Britta Gamp
Besonderheit: Bauernhofkindergarten
Foto 1 © Kindergarten Schwalbennest auf dem Linsenbühlhof 2021
Mannhard: Was macht einen Bauernhofkindergarten besonders?
Häberle/Mirsch/Gamp: Ein wesentlicher Unterschied zu einem anderen Kindergarten ist sicherlich, dass der Bauernhof als Örtlichkeit für den Bauernhofkindergarten den Kindern klare und einprägsame Sinneserfahrungen ermöglicht. Wer in eine selbst geerntete Möhre beißt oder ein neugeborenes Kalb streichelt, erlebt einen intensiven, sinnlichen und besonderen Moment. Ohne dies künstlich zu erzeugen, erleben Kinder wichtige Komponenten des Lebens wie Wachstum, Veränderung und Vergänglichkeit kennen und damit umzugehen. Ebenso erleben sie eine gewisse Gleichmäßigkeit, Rhythmus, Kontinuität und Geduld in einer anschaulichen, echten Art und Weise, und sie verstehen die Elemente und die Jahreszeiten durch das direkte Erleben. Durch die natur- und bauernhofgestützte Pädagogik können wichtige Erziehungsziele vermittelt werden, denn der Umgang mit (Nutz-)Tieren, der Natur und dem Hof selbst gibt Regeln vor: Verantwortung, Pflege, das Prinzip des Gebens und Nehmens.
Im Bauernhofkindergarten sind Kinder nicht nur zu Besuch auf einem Bauernhof, sondern ihr Kindergarten ist auf einem landwirtschaftlichen Betrieb angesiedelt und liegt in unmittelbarer Nähe von Äckern, Wiesen, Stallungen, Werkstätten und Scheunen. Hier begegnen die Kinder täglich Kühen, Schweinen, Hühnern und sonstigen Tieren, die es auf dem Betrieb gibt und auch der Landwirtsfamilie. Der Bauernhof bietet ein unerschöpfliches und vielseitiges Angebot an Erfahrungs-, Lern- und Spielmöglichkeiten. Der Bauernhofkindergarten Schwalbennest eröffnete im Mai 2016 seine Türen.
Der Name „Schwalbennest“ steht für ein heimeliges Nest, das Geborgenheit und Schutz gibt. Gleichzeitig werden junge Schwalbenküken in ihrem Nest flügge und machen ihre ersten Flugversuche, um irgendwann selbstständig auszufliegen. Auf dem Linsenbühlhof gibt es im Kuhstall viele echte Schwalbennester von Rauchschwalben, die jedes Jahr im Frühling wiederkommen und im Herbst mitsamt ihren Jungen in den Süden ziehen. Die Schwalbennestkinder lernen Lebens-, Lern- und Arbeitswelten als Einheit wahrzunehmen. Sie lernen diese kennen, nehmen teilweise aktiv daran teil und können auch selbst mitgestalten. Je nach Jahreszeit können die kleinen Hände bei der Heuernte helfen, im Gemüsegarten oder auf dem Acker säen, pflanzen, ernten oder einen großen Mähdrescher bestaunen. Bei der Fütterung der artgerecht gehaltenen Kühe, Schweine, Hühner, Schafe und Kaninchen wird den Kindern eine aktive Teilhabe ermöglicht. Biologische Vielfalt wird erlebbar und aktiv durch die Kinder mit unterstützt durch das Anlegen von Bienen-Blühwiesen, die Pflanzung von insektenfreundlichen Kräutern, den Bau von Insektenhotels, Vogel- oder Igelhäusern. Naturnahes und ökologisches Gärtnern zum Erhalt der Natur und der biologischen Vielfalt gehören zur Selbstverständlichkeit im Bauerngarten wie auch im landwirtschaftlichen Betrieb auf den zum Teil extensiv bewirtschafteten Wiesen. Dazu gehören auch Flachlandmähwiesen, die durch ihre Artenvielfalt hervorzuheben sind. Die Kinder erleben die Natur selbstverständlich und durch die Vorbildfunktion der Landwirtsfamilie und der pädagogischen Fachkräfte als ein wertvolles und schützenswertes Gut.
Foto 2-3 © Kindergarten Schwalbennest auf dem Linsenbühlhof 2021
Mannhard: Was braucht es, um einen Bauernhofkindergarten als Träger zu eröffnen?
Häberle: Meiner Erfahrung nach erfordert die Gründung und Unterhaltung eines Bauernhofkindergartens eine große Menge an Herzblut für die Sache selbst, viel Durchhaltevermögen, flexibles Denken und vor allen Dingen viel Zeit. Viele Ämter und öffentliche Institutionen reagierten bei unserer Antragstellung im Jahr 2015 erst einmal ablehnend auf etwas so Unbekanntes und Neues wie einen „Bauernhofkindergarten“. Man konnte sich darunter nichts vorstellen, bangte um die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften. Es bedurfte deshalb auch viel Überzeugungskraft, um alle nötigen Genehmigungen zu erhalten.
Mannhard: Es sind nun schon einige Aspekte der Partizipation von Kindern genannt worden, dies vor allem durch die aktive Teilhabe und Teilgabe am Umgang mit den Tieren und der Natur auf dem Bauernhofgarten. Welche weiteren Aspekte gibt es vielleicht noch und wie können auch die Eltern und pädagogischen Fachkräfte partizipieren?
Häberle/Mirsch/Gamp: Die Partizipation der Kinder steht bei uns im Vordergrund, durch regelmäßige Kinderkonferenzen zu verschiedenen Themen, durch freie Entscheidungen bei den täglich anfallenden Aufgaben (z. B. Tiere versorgen, Gartenarbeit, Freispiel, Waschbeckenchef, Begrüßungs- und Abschiedslied wählen), bei wöchentlichen Ausflügen (Spaziergang, Wald oder Klingenbachschlucht). Unsere Eltern haben die Möglichkeit der Mitbestimmung durch Mitwirkung im Elternbeirat, Mitwirkung im Vorstand, bei Festen und Feiern (Ablauf und Einkauf), bei anfallenden Aufgaben und Aktionen (Gestaltung der Außenanlage), bei Entscheidungen über Themen bei Elternabenden, durch Elternbefragungen, durch Elterngespräche. Die Mitarbeitenden haben die Möglichkeit bei der konzeptionellen Gestaltung und Umsetzung mitzuwirken, sowie sich mit ihren Fähig- und Fertigkeiten im Alltag einzubringen.
Foto 4 © Kindergarten Schwalbennest auf dem Linsenbühlhof 2021
Mannhard: Wie arbeiten Sie im Sozialraum mit anderen Einrichtungen zusammen?
Häberle: Wir haben eine enge Kooperation mit der Grundschule im Dorf. Unsere Vorschüler können im Unterricht schnuppern und werden zu kulturellen Veranstaltungen in der Schule eingeladen. Auch die Gruppen der örtlichen Gemeindekindergärten besuchen uns und den Linsenbühlhof in gewissen Abständen. Wir sind immer wieder auf dem Wochenmarkt beim Einkaufen und besuchen regelmäßig Familie Kaiser vom Bauernhof-Eis-Café. Da diese die Milch frisch von unserem Hof für ihr leckeres Eis beziehen, können die Kinder mit allen Sinnen miterleben, was beispielsweise aus der Milch von unserem Hof hergestellt wird. Auch besuchen wir die örtliche Feuerwehr und das örtliche Rote Kreuz. Wir schreiben regelmäßig kleine Berichte in das Gemeindeblatt „höri woche“, was es bei uns im Bauernhofkindergarten Neues gibt. Immer wieder sind wir mit einem Kreativstand am jährlichen Dorffest der Gemeinschaft Öhninger Vereine vertreten, an dem wir mit Interessierten ins Gespräch kommen.
Foto 5 © Kindergarten Schwalbennest auf dem Linsenbühlhof 2021
Fazit
Kitas mit Auszeichnungen oder spezifischen Zertifikaten können anregen, in anderen, eigenen Einrichtungen ein eigenes Profil mit interessensgeleiteten und bedarfsorientierten individuellen Schwerpunkten zu entwickeln. Nicht immer muss es darum gehen Preise zu gewinnen, aber immer dürfte die fachliche und organisatorische Auseinandersetzung mit den Themen und die Umsetzung in den Alltag der Kita einen Aspekt der Qualitätsentwicklung darstellen.
Literaturhinweise
Mannhard, A. (2017): Wir entwickeln uns weiter! Qualität für Leitung und Team. In: klein&groß, Heft 11, S. 50–53.
Mannhard, A. (2018): Personalführung in der Kita – Methoden und Impulse für Leitung, Fachberatung und Träger. Berlin: Cornelsen.
Mannhard, A. Hrsg. (2019): Verhandeln in der Kita. Professionell kommunizieren und sich gut positionieren. Berlin: Cornelsen Scriptor.