So werden Kinder in den USA erzogen: Der entwicklungsgemäße Ansatz

Aus: Bildung, Erziehung, Betreuung von Kindern in Bayern 2000, 5. Jg., Heft 1, S. 7-10

Martin R. Textor

In den letzten zwei Jahrzehnten wurden in den USA immer wieder Berichte und wissenschaftliche Untersuchungen über die schlechte Qualität vieler Kindertageseinrichtungen veröffentlicht. So begann die Diskussion um Qualitätsstandards und Qualitätssicherung in Nordamerika viel früher als in Deutschland. Eine besondere Rolle spielte dabei die "National Association for the Education of Young Children" (NAEYC) - die mit mehr als 100.000 Mitgliedern weltweit größte Organisation im Bereich der Frühpädagogik. Nach intensiven Vorarbeiten veröffentlichte sie im Jahre 1987 das "NAEYC Position Statement on Developmentally Appropriate Practice in Early Childhood Programs Serving Children From Birth Through Age 8", das 1996 revidiert wurde (NAEYC 1992a, b, 1997). In diesem umfangreichen Positionspapier setzt die NAEYC Standards, an denen sich Erzieher/innen bei der Betreuung, Erziehung und Bildung von null- bis achtjährigen Kindern orientieren können. Sie sind zugleich Grundlage des von der NAEYC forcierten Akkreditierungsprogramms: Nur Kindertageseinrichtungen, die diesen Standards entsprechen, werden zertifiziert (1995 waren 4.500 Tagesstätten akkreditiert, mehr als 13.000 unterzogen sich gerade dem Akkreditierungsprozess).

Das im Positionspapier der NAEYC vertretene pädagogische Konzept ist im angloamerikanischen Bereich als "entwicklungsgemäßer Ansatz" bekannt geworden. Wenn man bedenkt, dass dieses Positionspapier millionenfach gedruckt wurde, dass zusätzlich Dutzende von Bücher und Hunderte von Artikeln über diesen Ansatz erschienen sind und dass neuere Richtlinien und (offizielle) Publikationen in Kanada, Australien und Neuseeland auf ihm beruhen - dann kann man wohl zu Recht sagen, dass der entwicklungsgemäße Ansatz zur weltweit bekanntesten Theorie der Kindergartenpädagogik geworden ist. In Deutschland ist er jedoch weitgehend unbekannt geblieben. So bietet dieser Artikel meines Wissens den ersten deutschsprachigen Überblick über den entwicklungsgemäßen Ansatz.

Was heißt "entwicklungsgemäß"?

Nach der revidierten Fassung des Positionspapiers der NAEYC umfasst der Begriff "entwicklungsgemäß" drei Dimensionen: Eine Erzieherin verhält sich entwicklungsgemäß, wenn sie beachtet,

  1. "was über die Entwicklung und das Lernen von Kindern bekannt ist - das Wissen über altersbezogene menschliche Charakteristika, das allgemeine Vorhersagen für eine Altersgruppe darüber ermöglicht, welche Aktivitäten, Materialien, Interaktionen oder Erfahrungen für Kinder sicher, gesund, interessant, erreichbar und auch herausfordernd sind;
  2. was über die Stärken, Interessen und Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes in der Gruppe bekannt ist, sodass auf die unausweichlichen individuellen Unterschiede reagiert und ihnen entsprochen werden kann; und
  3. Kenntnisse über die sozialen und kulturellen Milieus, in denen Kinder leben, um sicherzustellen, dass Lernerfahrungen sinnvoll und relevant für die teilnehmenden Kinder und ihre Familien sind und sich diese respektiert fühlen" (NAEYC 1997, S. 9).

Dies bedeutet, dass Erzieher/innen ein umfassendes entwicklungspsychologisches und pädagogisches Wissen benötigen. Sie müssen zum einen die typischen Entwicklungsverläufe und -phasen bei (Klein-)Kindern kennen und auf dieser Grundlage geeignete Bildungsinhalte und Erziehungsstrategien auswählen. Zum anderen wird von ihnen erwartet, dass sie jedes Kind als einzigartiges Individuum wahrnehmen, das sich in seinem Erleben und Verhalten von den anderen Kindern in ihrer Gruppe unterscheidet. Dementsprechend müssen die ausgewählten erzieherischen und bildenden Maßnahmen auch dem spezifischen Entwicklungsstand eines jeden Kindes entsprechen und hier zu positiven Veränderungen führen. Schließlich wird von den Erzieher/innen erwartet, dass sie die Würde des Kindes achten und seiner Familie mit Wertschätzung begegnen. Sie sollten auf die kulturelle und sprachliche Vielfalt in ihrer Gruppe positiv reagieren, also sich z.B. bei den Eltern nach anderen Werten, Lebensstilen, Erziehungspraktiken, Leitbildern und Traditionen erkundigen, Verständnis und Toleranz zeigen.

Sicherlich wird jede deutsche Erzieherin diesen Aussagen zustimmen können. Hier wird schon deutlich, dass der entwicklungsgemäße Ansatz sehr allgemein gehalten ist. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass sich auch Fachkräfte, die einen anderen pädagogischen Ansatz (z.B. nach Montessori oder Piaget) befolgen, mit dem Positionspapier der NAEYC identifizieren und deren Standards übernehmen können. Letztlich handelt es sich bei dem entwicklungsgemäßen Ansatz um eine Art "Meta-Ansatz", der allgemeine Grundsätze für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen beinhaltet.

Die 12 Prinzipien des entwicklungsgemäßen Ansatzes

Die frühe Kindheit ist eine Lebensphase, die sich stark von Schulkindheit und Jugendalter unterscheidet. Für Erwachsene ist es deshalb schwer, Kleinkinder zu verstehen und sie altersgemäß zu fördern. Erzieher/innen berücksichtigen laut dem Positionspapier der NAEYC (1997, S. 10ff.) die Besonderheiten der frühkindlichen Entwicklung, wenn sie die folgenden 12 Prinzipien berücksichtigen (der folgende Text ist weitgehend identisch mit Textor 2000):

(1) Das Kind muss immer "ganzheitlich" gesehen werden: Persönlichkeits-, Sprach-, kognitive, ästhetische, emotionale, soziale und physische Entwicklungsbereiche sind eng miteinander verknüpft; Veränderungen in einem Bereich wirken sich auf die anderen aus. Die Erzieherin sollte alle Entwicklungsbereiche als gleich wertvoll betrachten und versuchen, im Verlauf eines Tages alle zu fördern.

(2) Die (früh-)kindliche Entwicklung verläuft in Phasen, die aufeinander aufbauen. Diese typischen Abläufe geben Erzieher/innen einen allgemeinen Orientierungsrahmen vor. Ihre Beschäftigungen und sonstigen Angebote sollten der jeweiligen Entwicklungsphase der Kinder in ihrer Gruppe bzw. Klasse entsprechen; eine Verfrühung ist zu vermeiden.

(3) Die Entwicklung schreitet mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bei Kindern gleichen Alters voran, aber auch in den verschiedenen Entwicklungsbereichen bei einem Kind: Jedes Kind folgt seiner eigenen "biologischen Uhr". Erzieher/innen müssen solche individuellen Abweichungen bei der Auswahl von Lerninhalten und -methoden sowie in ihren Interaktionen mit einzelnen Kindern beachten.

(4) Frühkindliche Erfahrungen haben sowohl kumulative als auch verzögerte Auswirkungen auf die Entwicklung einzelner Kinder: In der Regel müssen gleichartige Erfahrungen mehrmals hintereinander innerhalb eines nicht allzu langen Zeitraums auftreten, bevor sie die kindliche Entwicklung beeinflussen (d.h., eine einzelne positive oder negative Erfahrung bleibt zumeist wirkungslos). Ihre Auswirkungen müssen sich aber nicht sofort zeigen; oft werden sie erst sehr viel später deutlich. Erzieher/innen sollten dies bei der Gestaltung ihres Förderprogramms beachten (z.B. viele Wiederholungen ähnlicher Lernerfahrungen einplanen) sowie kurz- und langfristige Ziele verfolgen. Auch sollten sie optimale Phasen nutzen: So fallen beispielsweise Spracherwerb und Ausbildung motorischer Fertigkeiten Kindern im Kleinkindalter leicht - beides ist hingegen bei älteren Kindern und Erwachsenen mit Mühen verbunden.

(5) Die frühkindliche Entwicklung verläuft in eine voraussagbare Richtung, und zwar vom Bekannten zum Unbekannten, vom Einfachen zum Komplexen, vom Ganzen zu den Teilen, vom Konkreten zum Abstrakten, vom taktilen zum symbolischen Erfassen, von sich selbst zu den Anderen, vom Impulsiven zur Selbstkontrolle. Vorschulische Programme müssen Kindern viele Gelegenheiten bieten, ihre Welt mit allen ihren Sinnen zu erkunden, Gegenstände zu manipulieren und Erfahrungen aus erster Hand zu machen. Zugleich sollten sie es ihnen ermöglichen, symbolisches Wissen insbesondere durch die Wiedergabe ihrer Erfahrungen mit Hilfe ganz unterschiedlicher Medien (Bilder, Zeichnungen, Bastelarbeiten, Rollenspiele, Berichte usw.) zu erwerben.

(6) Die kindliche Entwicklung spielt sich in einer Vielzahl sozialer und kultureller Umwelten (Familie, Kindergarten, Gemeinde, Gesellschaft usw.) ab und wird durch diese beeinflusst. Kinder lernen durch Interaktionen mit Erwachsenen und anderen Kindern, werden durch deren Einstellungen, Vorurteile, Verhaltensmuster, Werte und religiösen Überzeugungen geprägt. Erzieher/innen sollten die verschiedenen Kulturen, in denen die von ihnen betreuten Kinder leben, würdigen und die Sprachentwicklung ausländischer Kinder fördern, ohne deren Muttersprache abzuqualifizieren. Alle Kinder sollten lernen, sich auch in Gruppen von Menschen aus andersartigen Herkunftsmilieus wohl zu fühlen.

(7) (Klein-)Kinder sind aktiv Lernende und Forscher. Sie sind neugierig, aufmerksam, interessiert und motiviert, verspüren einen starken Wissensdrang. Sie lernen durch Handeln und Tun, durch Selbsttätigkeit und das selbstinitiierte Gespräch mit anderen. Kinder wollen Sinn aus der Welt um sie herum machen, Objekte und Materialien "begreifen", soziale Phänomene und gesellschaftliche Institutionen verstehen.

Kindliches Lernen erfolgt in zyklischen Verläufen: Zunächst wird etwas wahrgenommen und Interesse daran entwickelt. Dann benutzen (Klein-) Kinder den ganzen Körper und alle ihre Sinne, um das jeweilige Phänomen zu beobachten und zu untersuchen, Objekte zu handhaben, zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen. Auf der Grundlage der gemachten Erfahrungen entwickeln sie Hypothesen, "konstruieren" sie Wissen. Diese Vorstellungen werden dann reflektiert und "experimentell" oder im Gespräch mit Erwachsenen bzw. anderen Kindern überprüft, wobei auf deren Kenntnisse zurückgegriffen wird. Da viele ihrer Hypothesen und Ideen zunächst nicht mit der Realität übereinstimmen, werden sie hinterfragt und immer mehr der Wirklichkeit bzw. dem tradierten Wissen angepasst. Schließlich können Kinder ihr neues Wissen sinnvoll und zweckentsprechend nutzen. Zugleich werden während der skizzierten Prozesse höhere kognitive Strukturen ausgebildet.

Das Ausmaß, in dem kindliches Lernen ermöglicht und angemessen gefördert wird, bestimmt, wie die intellektuelle Entwicklung weiter verläuft, welche Einstellungen gegenüber dem Lernen entwickelt werden, ob das jeweilige Kind neugierig und motiviert bleibt, wie es sich selbst wahrnimmt und ob es Selbstvertrauen entwickelt. Erzieher/innen sollten deshalb nach der rechten Balance zwischen selbsttätigem bzw. eigenständigem Lernen der Kinder und ihren Förderangeboten trachten. Sie müssen Kleinkinder nicht zum Lernen zwingen, sondern sollten deren Forscherdrang und Lernmotivation durch neue Objekte, Materialien, Informationen und Erfahrungen fördern. Es ist wichtig, dass sie ihnen genügend Zeit geben, Dinge und Phänomene eigenständig und detailliert zu untersuchen und dabei möglichst alle ihre Sinne einzusetzen. Wenn Ideen und Hypothesen von Kleinkindern falsch oder fehlerhaft sind, dürfen Erzieher/innen sie nicht tadeln und korrigieren, da solche Fehler altersgemäß sind (s.o.). Stattdessen ist es sinnvoll, sie durch Fragen, die Konfrontation mit neuen Informationen, weiteren Objekten bzw. Materialien oder die Initiierung von Gesprächen mit anderen Personen anzuhalten, ihre Vorstellungen an der Realität oder an dem Wissen anderer zu überprüfen. Dann kann es zu spannenden Diskussionen in der Gruppe kommen.

(8) Entwicklung und Lernen resultieren aus dem Zusammenwirken von biologischer Reifung und der Umgebung. Sie werden beeinflusst von Faktoren im Kind (z.B. Temperament, Intelligenz, Behinderungen), in seiner unmittelbaren Umgebung (z.B. Qualität der Eltern-Kind-Beziehung, Situation in der Kindertageseinrichtung) und im weiteren Umfeld (z.B. Nachbarschaft, Gesellschaft, Kultur). Diese Variablen wirken auf sehr komplexe Weise zusammen und müssen von den Erzieher/innen beachtet werden. Beispielsweise sollten sie Kinder nicht mit Aufgaben und Aktivitäten konfrontieren, für die sie noch nicht "reif" sind.

(9) Kinder lernen im Spiel; durch dieses wird ihre soziale, emotionale, motorische und kognitive Entwicklung gefördert. Im Spiel erkunden Kinder die Umwelt, experimentieren mit Objekten, erwerben Wissen, praktizieren neu erworbene Fertigkeiten, erproben verschiedene Rollen, entwickeln Kreativität und Vorstellungskraft. Sie lernen, neue Aufgaben auszuführen, komplexe Probleme zu lösen, mit anderen Menschen auf angemessene Weise zu interagieren, Konflikte zu bewältigen, Gefühle auszudrücken und zu kontrollieren. Erzieher/innen können durch die Beobachtung spielender Kinder deren Entwicklungsstand erschließen. Sie können sie fördern, indem sie ihnen viel Zeit und Raum zum selbst gelenkten Spielen (alleine oder mit anderen Kindern) geben, neue Spiele, Themen und Spielmaterialien einführen und insbesondere die (weitere) Ausgestaltung von Rollenspielen durch Bereitstellen entsprechender Kleidungsstücke und Gegenstände stimulieren. Auch können sie sich selbst in (Rollen-) Spiele einbringen und dann die Ideen, Begriffe und Vorstellungen der Kinder hinterfragen.

(10) Die Entwicklung schreitet schneller fort, wenn Kinder oft die Möglichkeit haben, gerade erworbene Fertigkeiten zu praktizieren und Erkenntnisse miteinander zu verknüpfen, bevor sie etwas Neues lernen müssen. Lernanreize sollten nur ein wenig über dem von Kindern bereits Erreichten liegen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass sie die meisten Aufgaben erfolgreich lösen können - was ihre Lernmotivation und ihr Durchhaltevermögen erhöht.

(11) Kinder unterscheiden sich hinsichtlich ihres Lernstils und ihrer Lernvorlieben. Erzieher/innen sollten deshalb bei Beschäftigungen und anderen Aktivitäten mehr als einen Sinn der Kinder ansprechen bzw. ihnen die Möglichkeit geben, die jeweilige Aufgabe mit dem von ihnen jeweils bevorzugten Sinn anzugehen. Auch ist es sinnvoll, Kinder Gelerntes auf unterschiedliche Weise wiedergeben zu lassen (z.B. durch Gesprächsbeiträge, Bilder, Zeichnungen, Bastelarbeiten oder Rollenspiele).

(12) Kinder entwickeln sich am besten in einer Umgebung, in der sie sich wohl und geborgen fühlen, wo sie Wertschätzung erfahren und wo ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Von besonderer Bedeutung ist die Qualität der Beziehung zwischen Erzieherin und Kind bzw. zwischen Eltern und Kind. Schließlich entwickeln sich Kinder besser, wenn sie positive Beziehungen zu anderen Kindern aufgebaut haben. Erzieher/innen sollten somit auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen, die Tage möglichst gleichartig strukturieren (gibt Kindern das Gefühl der Sicherheit), den Kindern gegenüber Respekt, Wärme, Empathie und Zuneigung zeigen, ihr Selbstwertgefühl fördern und für positive soziale Beziehungen in ihrer Gruppe sorgen. Auch sollten sie eng mit den Eltern zusammenarbeiten.

Zur Rolle der Erzieherin

Nach dem entwicklungsgemäßen Ansatz sind Schwerpunkte der Tätigkeit von Erzieher/innen die Beobachtung der einzigartigen Entwicklung eines jeden Kindes und die Beurteilung des allgemeinen Entwicklungsstandes in ihrer Gruppe sowie - auf dieser Grundlage - die Auswahl und Bereitstellung entwicklungsfördernder Spielmaterialien und Beschäftigungen. Ihr Reflexionsprozess findet seinen Niederschlag in Monats- oder Wochenplänen (Curricula). Diese sollten kindorientiert und erfahrungsbezogen sein. Besonders wichtig ist, dass die "richtige" Balance zwischen von den Erzieher/innen eingebrachten und von den Kindern initiierten Aktivitäten gefunden wird - wobei letzteren laut der NAEYC die größere Bedeutung zukommen.

Lerninhalte und zu erwerbende Kompetenzen sollten für Kinder interessant und persönlich relevant sein, zu ihrer Weiterentwicklung beitragen und ihnen helfen, in der Welt zurechtzukommen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Kleinkinder zunächst reale Objekte konkret (und möglichst spielerisch) kennen lernen und lebensnahe Erfahrungen machen müssen, damit sie später in der Schule abstrakte und symbolische Informationen verstehen können. Das bedeutet auch, dass Arbeitsbücher, Arbeitsblätter, Malbücher und von Erwachsenen gemachte Kunstobjekte, die Kinder kopieren sollen, nicht entwicklungsgemäß sind.

Die den Kindern gestellten Aufgaben, die von ihnen zu lösenden Probleme, die eingebrachten Informationen und die initiierten Projekte sollten hinsichtlich ihrer Komplexität und ihres Schwierigkeitsgrades die Kinder nicht überfordern, aber für sie reizvoll sein, ihnen sinnvoll erscheinen und mit einer gewissen Herausforderung verbunden sein. Bewältigen die Kinder die Aufgaben, kommen sie mit den Spielmaterialien zurecht und beherrschen sie die Aktivitäten, dann werden sie mit schwierigeren oder ganz neuen Aufgaben konfrontiert. Dementsprechend werden im Verlauf eines Kindergartenjahres die Ausstattung der Gruppenräume, die Materialien und Aktivitäten immer komplexer bzw. komplizierter.

Der Wochenplan sollte Kindern die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Aktivitäten und Materialien ermöglichen, ein selbsttätiges Forschen und eigenaktives Lernen fördern sowie viel Raum für soziale Interaktionen mit anderen Kindern und Erwachsenen lassen (z.B. durch viel Kleingruppenarbeit). Dies kann dadurch erleichtert werden, dass die Erzieherin verschiedene "Lernzentren" einrichtet, die z.B. für Schattenexperimente, die Beobachtung zuvor gefangener oder selbst gezüchteter Insekten, das Werken mit bestimmten Materialien, das Malen mit besonderen Farben, das Sortieren von Perlen u. Ä. ausgestattet sind. Lernzentren werden von Zeit zu Zeit umorganisiert, sodass - zumindest über einen längeren Zeitraum hinweg - alle Interessensbereiche von Kleinkindern abgedeckt werden und eine allseitige Förderung ihrer Entwicklung gewährleistet wird. In diesen Zentren lernen Kinder weitgehend selbstständig: durch Spiel und Beschäftigung mit den bereitgestellten Materialien, durch Bauen und Basteln, durch Nachdenken und Diskutieren, durch die Übernahme verschiedener Rollen und kreative Tätigkeiten, durch Untersuchen, Zerlegen, Zusammensetzen und Ausmessen von Objekten.

Wenn die Kinder in Lernzentren, in Klein- bzw. Interessengruppen beschäftigt sind, gewinnen Erzieher/innen Freiräume, um einzelne Kinder zu beobachten. Oder sie arbeiten mit einem Kind, das einer besonderen Förderung bedarf: Sie regen es beispielsweise an, ein bestimmtes Objekt zu untersuchen oder neue Aktivitäten auszuprobieren, wobei sie es anleiten und unterstützen.

Beim Befolgen des entwicklungsgemäßen Ansatzes ermöglichen Erzieher/innen den Kindern, durch Versuch und Irrtum zu lernen, eigenständig Dinge herauszufinden und selbst nach Erklärungen für ihre Beobachtungen zu suchen. Sind ihre Erkenntnisse fehlerhaft, wird dies akzeptiert, da mangelnde Denkfähigkeiten dem Entwicklungsstand von Kleinkindern entsprechen. Anstatt sie zu kritisieren, bitten die Erzieher/innen sie, ihre Gedanken zu erläutern. Durch Nachfragen, Kommentare oder das Initiieren von Gesprächen mit anderen Kindern (bzw. Erwachsenen) regen sie sie an, fehlerhafte Vorstellungen zu reflektieren und die richtige Erklärung zu finden. Die Kinder werden somit nicht frustriert, sondern können sich selbst ihre Erkenntnisse erarbeiten. Sie sind auf ihren Erfolg stolz und bleiben lernmotiviert, neugierig und experimentierfreudig.

Laut dem Positionspapier der NAEYC sollen Erzieher/innen Kindern mit zunehmender Kompetenz mehr Freiheiten lassen und ihnen so viele Rechte übertragen, wie sie bewältigen können. Sie geben ihnen häufig Gelegenheit, eigene Entscheidungen zu fällen, aber auch über deren Konsequenzen nachzudenken. Die Kinder werden für ihr Verhalten verantwortlich gemacht und sollen lernen, es zu bewerten. Grenzüberschreitungen dürfen aber nicht als Charaktermängel bewertet werden, sondern als einen altersgemäßen Mangel an Selbstbeherrschung oder Konfliktlösungsfähigkeiten. Die Kinder sollten sich unabhängig von ihrem Verhalten akzeptiert fühlen, sodass sie Selbstachtung entwickeln können.

Durch Kleingruppenarbeit, Rollenspiele, die intensiven individualisierten Interaktionen u. Ä. sollen Erzieher/innen die Sprachentwicklung der Kinder unterstützen. Durch die intensiven Kontakte zu anderen Kindern und Erwachsenen wird zugleich ihre Sozialentwicklung gefördert. Außerdem wird betont, dass Erzieher/innen die Bedürfnisse der Kinder nach guter Ernährung, Bewegung, frischer Luft und Ruhephasen befriedigen sollten - und deren psychologischen Bedürfnisse nach Geborgenheit, Zuwendung und Anerkennung. Sie sollten in der Kindertagesstätte ein Setting schaffen, in dem jede Person zum Wohlbefinden und zur Weiterentwicklung der anderen beiträgt, deren Individualität wertschätzt und deren Besonderheiten respektiert.

Schließlich verlangt der NAEYC, dass Erzieher/innen häufig Kontakt zu den Eltern suchen und mit ihnen regelmäßig Besprechungstermine vereinbaren sollten, um mit ihnen über das Leben, Lernen und Verhalten ihres Kindes zu Hause und in der Tageseinrichtung zu sprechen. Nur so kann ein umfassendes Bild von der Entwicklung des Kindes gewonnen werden - ein zentrales Ziel des entwicklungsgemäßen Ansatzes. Außerdem geht es bei diesen Gesprächen um die Ermittlung der Perspektiven, Erziehungsziele und -erfahrungen der Eltern, sodass deren Wünsche und Bedenken berücksichtigt werden können. Nur so können beide Seiten ihr erzieherisches Verhalten dem Kind gegenüber abstimmen. Die Erzieher/innen müssten immer nach einer partnerschaftlichen Beziehung zu den Eltern trachten. Diese sollten sich in der Tageseinrichtung wohl fühlen, das pädagogische Programm kennen und Mitbestimmungsrechte haben.

Schlusswort

Der entwicklungsgemäße Ansatz ist nicht nur theoretisch gut fundiert, sondern wurde in den letzten Jahren auch durch empirische Forschungsergebnisse bestätigt (vgl. Charlesworth 1998; Dunn/ Kontos 1997). Sie belegen eindeutig, dass sich so erzogene Kinder kognitiv und sprachlich besser als Kinder in Vergleichsgruppen entwickeln, kreativer sind, mehr Selbstvertrauen haben und selbstständiger handeln. Die Kinder weisen eine bessere Arbeitshaltung auf, sind leistungsorientiert und dem Lernen gegenüber positiv eingestellt. Eindeutige Auswirkungen hinsichtlich ihres Sozialverhaltens wurden jedoch bisher nicht festgestellt.

Literatur

Charlesworth, R.: Developmentally appropriate practice is for everyone. Childhood Education 1998, 74, S. 274-282

Dunn, L./Kontos, S.: What have we learned about developmentally appropriate practice? Young Children 1997, 52 (5), S. 4-13

NAEYC: NAEYC Position Statement on Developmentally Appropriate Practice in Early Childhood Programs Serving Children From Birth Through Age 8. In: Bredekamp, S. (Hrsg.): Developmentally appropriate practice in early childhood programs serving children from birth through age 8. Washington: National Association for the Education of Young Children, 8. Aufl. 1992a, S. 1-16

NAEYC: NAEYC Position Statement on Developmentally Appropriate Practice in Programs for 4- and 5-Year-Olds. In: Bredekamp, S. (Hrsg.): Developmentally appropriate practice in early childhood programs serving children from birth through age 8. Washington: National Association for the Education of Young Children, 8. Aufl. 1992b, S. 51-59

NAEYC: NAEYC Position Statement: Developmentally Appropriate Practice in Early Childhood Programs Serving Children From Birth Through Age 8 – Adopted July 1996. In: Bredekamp, S./Copple, C. (Hrsg.): Developmentally appropriate practice in early childhood programs. Revised edition. Washington: National Association for the Education of Young Children 1997, S. 3-30

Textor, M.R.: Der entwicklungsgemäße Ansatz. In: Fthenakis, W.E./Textor, M.R. (Hrsg.): Pädagogische Ansätze im Kindergarten. Weinheim: Beltz 2000, S. 238-248 (http://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/paedagogische-ansaetze/moderne-paedagogische-ansaetze/1587)

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