Psychoanalytische Pädagogik – eine Annäherung

Noëlle Behringer, Robert Langnickel, Pierre-Carl Link

Psychoanalytische Pädagogik geht von der grundlegenden Annahme aus, dass es 1.) eine ‚innere Welt‘ gibt, die nur teilweise bewusst wahrnehmbar ist und dass 2.) unbewusste Prozesse die Wahrnehmung, das Empfinden und das Verhalten eines Menschen beeinflussen. Diese unbewussten Prozesse sind von früheren Interaktionserfahrungen geprägt und wirken in Beziehungen im Hier und Jetzt hinein (Datler, 2019). Psychoanalytische Pädagogik versucht sich ausgehend von psychoanalytischen Theorietraditionen an das Unbewusste im pädagogischen Alltag anzunähern und es zum Ausgangspunkt des Fallverstehens zu machen. Damit ist die Psychoanalytische Pädagogik ein (sinn-) verstehender und beziehungsorientierter intersubjektiver Ansatz, der nach der Wechselwirkung zwischen unbewussten Prozessen bei der Fachperson und solchen des Kindes fragt (Staats, 2014). Es werden auch unbewusste Dynamiken und Strukturen der Institution und der gesellschaftlichen Gegebenheiten mitreflektiert, denn psychoanalytische Pädagogik ist bestrebt, immer auch eine sozialpsychologische Gesellschaftskritik zu sein. Sie fragte daher z.B. nach Bedingungen des Aufwachens und den sie (unbewusst) prägenden gesellschaftlichen Familien- und Rollenbildern sowie Machtverhältnissen (Weber, 2015, S. 191). Aufgrund der Zentralität des Unbewussten ist psychoanalytisch-pädagogisches Arbeiten davon geprägt, Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen sowie Ab- und Unsinn von Verhalten auszuhalten (Langnickel, 2021) und es als szenischen Ausdruck bzw. Botschaft des Unbewussten, die (noch) nicht versprachlicht werden kann zu entschlüsseln (Gerspach, 2020).

Psychoanalytische Pädagogik vertritt einen grundlegenden theoretischen Anspruch, der sich weigert, pädagogische Interventionen als ‚Rezepte‘ technisch-instrumentell anzubieten (Ahrbeck, 2008, S. 497). Kindern und Jugendliche, die herausforderndes Verhalten zeigen, leiden aus psychoanalytisch-pädagogischer Sicht „an ungelösten inneren Konflikten und strukturellen Besonderheiten“ (Ahrbeck, 2008, S. 497). Das Verhalten und Erleben, mitunter seine Auffälligkeiten entwickeln sich in Beziehungen und lassen sich in und durch Bildungs-, Erziehungs- und Beziehungserfahrungen korrigieren. Die pädagogische Fachperson ist „ein entscheidendes Medium im pädagogischen Prozess“ (Ahrbeck, 2008, S. 497). Bernd Ahrbeck (2008, S. 498 f.) beschreibt als konstituierende Dimensionen psychoanalytischer Pädagogik folgende Elemente:

  • Die Existenz des Unbewussten
  • Die Determination im Psychischen
  • Die starke Gewichtung frühkindlicher Entwicklungsprozesse
  • Die Abwehr
  • Der Wiederholungszwang
  • Die Annahme eines Kontinuums zwischen Gesundheit und Krankheit.

Folgt man Ahrbeck (2008, S. 501) dann bilden gerade sozialpädagogische Beiträge Psychoanalytischer Pädagogik „Meilensteine der historischen Entwicklung“. Aichhorn (1925) war einer der ersten, der eine verstehende Haltung gegenüber aggressiven und sog. ‚dissozialen‘ Kindern aus psychoanalytisch-pädagogischer Sicht heraus auch institutionell zu etablieren suchte (Fatke, 1987, S. 19). Aichhorn verteidigte die Perspektive des Kindes als Subjekt auch angesichts dieser subjektlogischen Perspektive divergierender gesellschaftlicher Positionen (Ahrbeck, 2008, S. 501 f.). Der psychoanalytische Pädagoge Aichhorn zielte auf „eine innere Veränderung im Rahmen neuer Beziehungserfahrungen“ (Ahrbeck, 2008, S. 501).           

Ist von der Psychoanalytischen Pädagogik die Rede, darf man von Fritz Redl (1987) bzw. von Redl und Wineman (1984) nicht schweigen. Redl war einer der ersten psychoanalytischen Pädagogen, die sich um die Ich-Psychologie der psychoanalytischen Theoriegeschichte bereits früh bemüht gemacht hat (Ahrbeck, 2008, S. 502). Nach Redl ist die Ich-Stärkung im Sinne der Förderung von Selbstwirksamkeitserleben wesentlich, denn ein Ich-Ideal kann motivierend wirken in der Beziehungsgestaltung und im Bildungsprozess, auch wenn es am Realitätsprinzip ausgerichtet sein sollte (Ahrbeck, 2010, S. 145). Sind Ich-Funktionen der Kinder und Jugendlichen, aber auch der Fachpersonen beeinträchtigt, zeigt dies Konsequenzen für die pädagogische Beziehungsgestaltung (Ahrbeck, 2008, S. 502). Für Ahrbeck bieten die Überlegungen von Redl und Wineman (1984) konkrete „pädagogische Handlungsoptionen, vor allem, weil die vorgeschlagenen Interventionen unmittelbar an aktuellen Konflikten und Verhaltensproblemen ansetzen“ (Ahrbeck, 2008, S. 502; vgl. hierzu Fatke, 1991).

Redl aber vor allem auch Bruno Bettelheim war das Konzept des ‚therapeutischen Milieus‘ wichtig (Bettelheim, 1975). Mit Bettelheim ist ein dritter Gewährsmann der Geschichte Psychoanalytischer Pädagogik benannt, der in einem assoziativen Streifzug der Psychoanalytischen Pädagogik nicht fehlen darf. Bemüht man sich der Frage um Traumatisierung und der Frage der psychischen Verarbeitung von negativen Lebensereignissen, dann ist auf die ‚Pionierleistungen‘ von Bettelheim zu verweisen (Fatke, 2022). „Bettelheim kümmert sich insbesondere um die Bereitstellung eines therapeutischen Milieus, das es ermöglichen soll, Extremerfahrungen zu überwinden. Als das entscheidende Mittel zur Besserung gilt ihm der mitmenschliche Dialog, auch wenn er mühevoll unter erschwerten Bedingungen angebahnt werden muss [...[ (Ahrbeck, 2008, S. 503).[1]

Psychoanalytisch-pädagogische Theorie zum kindlichen Spiel

Alle Kinder in allen Kulturen spielen auf die eine oder andere Weise, das Spiel ist eine anthropologische Konstante (vgl. Gingelmaier et al., 2020). Zugleich ist das kindliche Spiel Ausdrucksmedium des Kindes, wie schon der Pädagoge und Gründervater des Kindergartens, Friedrich Fröbel, feststellte: »Das Spiel ist ein Spiegel des Lebens, des eignen und des Fremdlebens, des Innen- und Umlebens« (Fröbel, 1982, S. 35). Aus diesem Grund ist das kindliche Spiel der Königsweg zum Unbewussten des Kindes (vgl. Langnickel, 2021). Doch wie genau manifestiert sich das Unbewusste im kindlichen Spiel? Im Spiel zeigt sich jeweils das subjektive Thema des Kindes. So kann das zwei- bis dreijährige Kind im Spiel mit der mütterlichen Abwesenheit und der Angst die Mutter zu verlieren, kreativ umgehen. Das Kind gestaltet diese Fantasien aktiv im Spiel, indem es beispielsweise die Hände vor das Gesicht nimmt und die Mutter verschwinden lässt – aber nur ein bisschen, es spreizt die Finger und schon ist die Mutter wieder da. Oder das Kind versteckt sich und vertraut darauf, dass seine Mutter es suchen und finden wird – ein wichtiger Entwicklungsschritt, denn es ist ein aktives Bewältigen einer Situation.

Trennungserfahrungen und Trennungsängste werden durch Versteckspiele dargestellt und reguliert (Fascher, 1997, S. 670). Neben der Funktion des kindlichen Spiels, Ängste zu verarbeiten, können im Spiel auch Aggressionen abgebaut werden. So kann das Kind, wenn es zum Beispiel mit drei Puppen spielt, Rivalität und Aggression zum Ausdruck bringen: Das Kind ist eifersüchtig auf den Vater, dem die Mutter auch Zeit widmet oder es erlebt Eifersucht gegenüber seinem Schwesterchen. Im Spiel kann das Kind alle seine Aggressionen ausleben, die es in der Realität nicht ausleben darf und erlebt hierbei keine Schuldgefühle. Auf diese Weise verlieren die aggressiven Fantasien an Wirkmacht.

Das freie Kinderspiel unterstützt in hohem Ausmaß die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung des Kindes (Gingelmaier et al., 2020) und kann in seiner Bedeutung für eine gelingende Entwicklung gar nicht überschätzt werden. Das Kinderspiel ist Ausdruck von psychischer Gesundheit des Kindes, wohingegen Spielunlust häufig ein Hinweis auf eine Störung ist (Dolto, 1997, S. 160 ff.) Damit das freie Spiel seine heilenden Kräfte (Zulliger, 2017) entfalten kann, ist es jedoch wichtig, dass die Kinder ihre Spielthemen selbst wählen können. Externe Steuerungen des kindlichen Spiels wie durch vorgegebene Förderangebote können die spezifische Qualität des kindlichen Spiels zerstören (Heimlich, 2014, S. 177). Kindern das Spielen zu untersagen bedeutet, ihre jeweiligen Entwicklungspotenziale zu unterdrücken (Mogel, 2008, S. 26). Almom, der Co-Gründer der Alliance of Childhood in den USA, vertritt sogar die These, dass es in der heutigen Generation eine Spieldeprivation gebe, welche zu einer großen Bandbreite an emotionalen und sozialen Problemen führe (Almon, 2018).

Bedeutung von biographischer Selbstreflexion

Auf die Bedeutung der innerpsychischen Prozesse aufseiten der Fachkraft machte unter anderem der psychoanalytische Pädagoge Sigfried Bernfeld (1892-1953) mit seinem bekannten ‚Diktum der zwei Kinder aufmerksam‘ aufmerksam: „So steht der Erzieher vor zwei Kindern: dem zu erziehenden vor ihm und dem verdrängten in ihm. Er kann gar nicht anders, als jenes zu behandeln wie er dieses erlebte.“ (Bernfeld, 1925/2019, S. 141) Aufgrund der Bedeutung eigener unbewusster Dynamiken aufseiten der Fachpersonen kommt in der Psychoanalytischen Pädagogik der biographischen Selbstreflexion eine bedeutende Rolle zu. Zentral ist dabei die Dekonstruktion eigener biographischer und berufsbiographischer Momente des Geworden-Seins, des Seins und des Werdens (Schütze, 2021). Biografie kann in Anlehnung an Marotzki, Nohl und Ortlepp (2021) verstanden werden als „ein vom Subjekt hervorgebrachtes Konstrukt, das als eine Einheit die Fülle von Erfahrungen und Ereignissen des gelebten Lebens zu einem Zusammenhang organisiert“ (S. 16).

Einer biographischen Selbstreflexion können sich Fachkräfte neben Settings wie Supervision und unterschiedlichen Formen von Selbsterfahrung auch mithilfe verschiedener Übungen, wie sie z.B. Herbert Gudjons, Birgit Wagener-Gudjons und Marianne Pieper (2020) in ihrem Buch ‚Auf meinen Spuren‘ vorschlagen, annähern. Dort gibt es etwa die Übung ‚Mein Name‘, die zur Exploration von (Un-)Zufriedenheit mit dem eigenen Namen und den damit zusammenhängen biographischen Erfahrungen anregt und für die Bedeutung des Eigennamens in pädagogischen Beziehungen sensibilisieren kann. Andere Übungen fragen nach biographischen und weiter gefassten sozialisatorischen Erfahrungen mit Aggression, Freude, Abschied und Trauer sowie Körperlichkeit und Sexualität. Auch folgende Fragen von Uta Walter (2017, S. 23) können dazu anregen, eine erste Annäherung zur eigenen emotionalen Beteiligung in pädagogischen Kontexten (Zimmermann, 2019, S. 14 f.) anzuregen:

  • Inwiefern sind (meine) Verhaltensweisen (in einer gegebenen Situation) von emotionalen Faktoren geprägt?
  • Welche emotionale Reaktion habe ich?
  • Wie gehe ich mit meinen Emotionen um?
  • Wie reagiere ich auf die Emotionen anderer?
  • Welche Art Beziehung biete ich meinem Gegenüber an?
  • In welche Rolle (Retter, Mutter, Freund,...) begebe ich mich?
  • Woher (aus meinen früheren Beziehungen) kenne ich diese Rolle?

Gegenwärtig untersucht eine internationale Forschungsgruppe in einem von der Evangelischen Hochschule Darmstadt geförderten Anschubprojekt ‚ReProBiK – Reflexion, Professionalisierung, Biografie und Kasuistik‘ Erlebens- und Erkenntnisprozesse von Studierenden während Seminaren zur biographischen Selbstreflexion im Hochschulkontext. Ziel dabei ist es, neben Erkenntnissen zu den Erlebensprozessen ein Curriculum zur biographischen Selbstreflexion für Studierende und Fachpersonen unterschiedlicher pädagogischer Disziplinen zu entwickeln und dieses in Ausbildungskontexten zu verankern. Erste Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt zeigen, dass Studierende insbesondere durch die Gruppe und die dortige Erfahrung des Zuhörens, Getragen- und Ausgehaltenwerdens sowie des ‚geteilten Leids‘ im Hinblick auf schmerzhafte biographische Erlebnisse profitieren und dass Zusammenhänge zwischen der eigenen Biografie, der Biografie von Kindern und Jugendlichen und der jetzigen pädagogischen Beziehung differenzierter erkannt werden können. Die gezielte Reflexion dieser Zusammenhänge, die beidseitige Anerkennung von Verwundbarkeit sowie ‚gerechtfertigte Selbstenthüllungen’ (Allen, Fonagy & Bateman, 2016, S. 219) eröffnen ein Raum der reziproken Begegnung. Dadurch lassen Fachpersonen die Kinder und Jugendlichen „an der eigenen Psyche teilhaben“ (Ramberg, 2018, S. 113).

Szenisches Verstehen und fördernder Dialog

Ein methodischer Zugang zum Unbewussten und den szenischen Ausdrücken eines Verhaltens ist das szenische Verstehen, das auf Alfred Lorenzer zurückgeht. Für die Pädagogik hat vor allem Aloys Leber, als Lorenzer-Schüler, das Konzept etabliert (Ahrbeck, 2008, S. 504). Die Grundannahme hier ist, dass zentrale (unbewusste) Themen der Biografie und der Lebenswelt eines Kindes oder Jugendlichen in aktuellen Interaktionen in symbolischer Form ausgedrückt werden. Die aktuellen Szenen geben daher immer auch Auskunft über biographische Verläufe, die zum Verstehen des aktuellen Verhaltens beitragen können (Lorenzer, 1973). Das Konzept des szenischen Verstehens nimmt also an, „dass sich innere Konflikte in der Beziehung zu anderen Personen zeigen und dort in einer ganz bestimmten Weise inszeniert werden“ (Ahrbeck, 2008, S. 504). Für Ahrbeck ist es Ziel des szenischen Verstehens, „eine schwierige Beziehungsgestaltung zu analysieren. Es kann so verstanden werden, warum sich Kinder und Jugendliche – ihren inneren Notwendigkeiten folgend – in einer bestimmten Weise verhalten“ (Ahrbeck, 2008, S. 504).

Fachkräfte nutzen ihre affektive Beteiligung am Beziehungsgeschehen zur Bildung von Hypothesen im Fall und versuchen, die Szene durch Reflexion sowie Inter- und Supervision als nicht-sprachlichen Ausdruck von Wünschen, Ängsten, Bedürfnissen, Zielen des Kindes zu „entschlüsseln“. Dabei wird auch nach der Übertragungsdynamik gefragt, die die Fachpersonen in bestimmte Rollen bringt (s. Abschnitt ‚Übertragung und Gegenübertragung‘). Ziel ist es, die Differenz zwischen der manifesten Szene, der aktuellen Situation und der vom Kind verinnerlichten früheren Szene zu erarbeiten, um so Hypothesen über die ‚Innenwelt‘ des Kindes und die Beziehungsdynamik aufstellen zu können (Wolf, 2008, S. 743). In Lorenzers Konzept des szenischen Verstehens gibt es drei Ebenen des Verstehens, die dynamisch miteinander verbunden sind (Lorenzer, 1973):

  • Auf der Ebene des ‚logischen Verstehens‘ wird zunächst der Inhalt des gesprochenen Wortes erfasst, um Bedeutungszusammenhänge zu erfassen: Worüber wird gesprochen?
  • Die Ebene des ‚psychologischen Verstehens‘ fragt nach der subjektiv-affektiven Bedeutung in der sprachlichen Darstellung, die sich in Mimik, Gestik, Tonfall und Körperhaltung zeigt: Wie wird über etwas gesprochen?
  • Die Ebene des ‚szenischen Verstehens‘ ergänzt die des logischen und psychologischen Verstehens, um im Gesagten und dem Verhalten verschlüsselte Botschaften des Unbewussten erfassen zu können: Was wird also nicht direkt gesagt bzw. nicht direkt getan, aber gemeint?

Baumann et al. (2021) schlagen für das szenische Verstehen in der pädagogischen Arbeit unter anderem vor, in den erlebten Szenen Muster zu suchen, die in wiederkehrenden Verhaltensweisen erkennbar sind sich im Team zu fragen, inwieweit die Handlungen für etwas anderes, verborgenes, stehen wie etwa Ängste, Gefühle von Fremdbestimmung zu eruieren, inwieweit die Szene eine Wiederholung von bekannten Interaktionsmustern darstellt, die dem Kind unbewusst ein Gefühl von Bekanntheit bzw. Vertrautheit vermitteln zu schauen, ob das Kind mit dem Verhalten Regressionsbedürfnisse zu erfüllen versucht, also solche, die aus einem früheren Entwicklungsstadium stammen.

Versteht man das Verhalten und Erleben von Kindern und Jugendlichen psychoanalytisch-pädagogisch jederzeit als subjektiv sinnvolles, der Subjektlogik folgendes Verhalten und Erleben wird die besondere Herausforderung, aber gleichzeitig auch die sinn- und ressourcenorientierte Sicht Psychoanalytischer Pädagogik sichtbar. Die verschiedenen pädagogischen Antworten, die auf das Fragen der Kinder und Jugendlichen in ihren Symptomen, Verhaltens- und Erlebensweisen gegeben werden können, orientieren sich an dieser Subjektlogik. Das szenische Verstehen mündet in den fördernden Dialog. Dieses Konzept geht auf Aloys Leber (1988) zurück. Der fördernde Dialog

„ist kategorial zwischen „Halten“ und „Zumuten“ zu unterscheiden. Beim „Halten“ wird eine entlastende und stützende Funktion ausgeübt. Es gilt, das Kind vor Überforderungen zu schützen. Zum Beispiel dadurch, dass es ohne besondere Anforderungen in einer sichernden Gruppen- oder Einzelbeziehung verbleiben kann, so lange, bis eine innere Beruhigung und psychisch Stabilisierung eintritt“ (Ahrbeck, 2008, S. 505).

Ahrbeck verortet beim Modus des „Haltens“ auch die sog. „Übernahme von Hilfs-Ich-Funktionen, die dafür sorgt, dass Kinder vor äußeren Gefahren und unerträglichen inneren Spannungen bewahrt werden“ (ebd.). Das Zumuten zielt auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung und die „Auseinandersetzung mit sich selbst“ (ebd.).

„Es geht neben (neuen) Beziehungserfahrungen vor allem um eine verstärkte Einsicht in das eigene Verhalten. (…) Eine Konfrontation mit unliebsamen Wahrheiten und unbequemen Anforderungen ist pädagogisch vielfach unerlässlich. Sie muss aber so an das Kind herangetragen werden, dass eine konstruktive Verarbeitung möglich wird. Das ist einer der Gründe dafür, dass im pädagogischen Kontext keine genetischen Deutungen gegeben werden sollten. (…) „Symbolische Konfliktverarbeitung“ und Möglichkeiten einer Wiedergutmachung gehören ebenfalls zum Zumuten, immer unter der Voraussetzung, dass innere Beteiligungen erkannt und entsprechend verarbeitet werden“ (ebd.).

Rauh (2022) versteht das szenische Verstehen unter dem Topos der „Kultivierung einer alltäglichen Kompetenz zur psychoanalytischen Methode“. Dieser (sinn)verstehende Ansatz Psychoanalytischer Pädagogik führt die Professionen zu der Annahme, dass jedem Verhalten - auch herausforderndem Verhalten - ein subjektiv sinnhafter Versuch unterstellt werden darf, ja muss, ein Versuch äußere, aber auch innerpsychische Schwierigkeiten zu bewältigen – subjektiv sinnvoll in der jeweiligen Subjektlogik (Ahrbeck, 2008, S. 504). Um sich den Inszenierungen im pädagogischen Alltag aus einer psychoanalytisch-pädagogischen Perspektive heraus anzunähern, bedarf es einer Analyse des Übertragungsgeschehens. Um szenisch verstehen zu können, ist die Kultivierung einer besonderen Wahrnehmungshaltung wichtig, die

„für Lehrerinnen und Lehrer [und außerschulische pädagogische Fachkräfte, Anm. d. Verf.]. zunächst ungewohnt ist. Beachtet werden muss zum einen die manifeste Beziehungsgestaltung, verbunden mit der Frage, welche früheren Erfahrungen, Phantasien und Wünsche sich darin wiederholen mögen. So kann ein Kind zum Beispiel gegen einen übermächtigen Vater oder Bruder protestieren, sich durch Agieren die Aufmerksamkeit einer mütterlichen Figur sichern wollen oder vor einengenden und kontrollierenden Bezugspersonen flüchten“ (Ahrbeck, 2008, S. 504).

Übertragungs- und Gegenübertragungsbeziehung

Psychoanalytische Pädagogik macht die Wechselwirkung zwischen unbewussten Prozessen der Fachperson und denen des Kindes zu einem Ausgangspunkt des Fallverstehens, denn sie geht von einem „Ping-Pong-Spiel der beiderseitigen Unbewussten“ (Bittner, 2010, S. 51 ff.) aus. Dieses Ping-Pong-Spiel zeigt sich in sogenannten Übertragungsdynamiken. Ein Übertragungsprozess ist „die unbewusste Wiederholung oder Wiederbelebung von erworbenen, verinnerlichten und innerlich modifizierten Beziehungsmustern in der aktuellen Interaktion und Situation“ (Stemmer-Lück, 2014, S. 90). Prozesse dieser Art finden in allen zwischenmenschlichen Beziehungen statt. An Übertragungen in der pädagogischen Beziehung sind nicht nur die Kinder, Jugendlichen und Eltern beteiligt, sondern auch die Fachkräfte, sodass sich ein Übertragungsraum zwischen allen Beteiligten entfaltet.

Mit dem Begriff Übertragung ist ein komplexes Geschehen gemeint, bei dem innere Verhältnisse des jungen Menschen im Hier und Jetzt mit der Fachkraft inszeniert und gewissermaßen ‚übertragen‘ werden. Der junge Mensch interpretiert bei der Übertragung neue Erfahrungen auf einer Folie vorangegangener Erlebnisse und Lernvorgänge (Gerspach, 2009).

Gegenübertragungen hingegen sind die (unbewussten) Reaktionen aufseiten der Fachkräfte. Sie manifestieren sich als Impulse, Emotionen, Einstellungen und Fantasien, wie etwa Besorgnis, Erschöpfung, Hilflosigkeit, Wut, Ekel, Schuld, Verwirrung, die sich als „unbewusste Reaktion auf die den Übertragungen einstellen und so Rückschlüsse auf den Inhalt der Übertragungen zu[lassen]“ (Gerspach, 2018, S. 25). Hierbei unterscheidet man zwischen konkordanter und komplementärer Gegenübertragung.

Bei der komplementären Gegenübertragung erlebt sich eine Fachkraft so, wie das seine primären Bezugspersonen erlebt(e), also z.B. ambivalent zugewandt oder distanziert-desinteressiert (Racker, 1982). Hier kann man sich fragen: Fühle ich mich wie ein Elternteil des Kindes, wenn ich mit dem Kind zusammen bin? Bin ich z.B. angestrengt, fürsorglich, besorgt?

Bei der konkordanten Gegenübertragung identifiziert sich die Fachperson mit den inneren Selbstanteilen des jungen Menschen, sie fühlt sich also gewissermaßen so, wie sich das Kind selbst in frühen Beziehungserfahrungen, aber auch in anderen Beziehungen erlebt(e): Gekränkt, ohnmächtig, Übergriffigkeit ausgeliefert, während der junge Mensch selbst sich in einer aktiv-kontrollierend Situation erlebt (Racker, 1982). Es kommt also „zu einem Rollentausch. Wir [die Fachpersonen; Anmerkungen d. Verf.] erleben uns wie das Kind, das Kind erlebt sich wie seine frühere Beziehungsperson” (Gerspach 2018, S. 114). Hier kann man sich fragen: Fühle ich mich so wie das Kind, wenn es mit einem Elternteil zusammen ist, fühle ich mich also eher so wie das Kind selbst und identifiziere mich mit seinen Bedürfnissen, z.B. in dem ich wütend auf die Eltern bin, mich ungerecht behandelt fühle, mich einsam und unverstanden fühle?

Die Wahrnehmung der Gegenübertragungen ermöglicht vertiefte Einsicht in die innere und äußere Welt der jungen Menschen (Stemmer-Lück, 2014, S. 90 f.). Durch die Analyse der Gegenübertragungsbeziehung kann die innere Welt des Kindes, seine inneren psychischen Zustände intersubjektiv erfahrbar werden (Ahrbeck, 2008, S. 504 f.). Zumindest kann das in der Gegenübertragung Wahrgenommene für pädagogische Fachkräfte ein „wichtiger Indikator für innere Zustände des Kindes sein“ (Ahrbeck, 2008, S. 504).

Historisch betrachtet war es in der Psychoanalytischen Pädagogik Aichhorn, der „eine möglichst positiv gefärbte (Übertragungs-)Beziehung“ anstrebte, „die es den Kindern und Jugendlichen ermöglicht, sich auf eine neue und fruchtbringende Weise mit den Erziehern zu identifizieren“ (Ahrbeck, 2008, S. 501). Folgt man der Lesart Ahrbecks, dann war es Ziel dieser möglichst positiven Übertragungsbeziehung, dass „neue Einsichten über die Motive des eigenen Handelns entstehen, mit der Folge, dass schließlich eine nachhaltige Verhaltensänderung gelingt“ (ebd.). Folgt man Ahrbecks Kritik an Aichhorns psychoanalytisch-pädagogischen Position, dann bleibt die Analyse der negativen Übertragungsbeziehung ein Desiderat (2008, S. 501).

Hierdeis schlägt folgende Fragen zu Analyse des Übertragungsgeschehens vor:

    • „Welche psychische Wirklichkeit steckt hinter den Gefühlsäußerungen der Heranwachsenden mir gegenüber?
    • In welchen Zeichen begegnen sie mir, und wie kann ich sie verstehen?
    • Was löst meine Gefühle und Phantasien gegenüber den Heranwachsenden aus?
    • In welcher Weise sind sie handlungsrelevant?
    • Wo stimmen unsere Gefühlwelten überein, wo entwickeln sich Dissonanzen, Entfremdungen und Konflikte?
    • Wie kann ich den anderen als möglichen Teil meiner eigenen Person, seine Geschichte als mögliche eigene Geschichte und seine Bedürfnisse als mögliche eigene Bedürfnisse fühlen und begreifen, ohne dass die Grenze zwischen ihm und mir verschwimmt oder aufgehoben wird?
    • Was an Verstehen und »Gefühlsarbeit« muss ich leisten, damit meine Beziehungen zu den »Jungen« für den Erziehungs- und Bildungsprozess fruchtbar bleiben?“ (Hierdeis, 2016, S. 126)

Ergänzend dazu können folgende fünf Ebenen nach Boessmann und Remmers (2018, S. 255 f.) helfen, eine erste Orientierung bei der Analyse von Übertragungsdynamiken zu erhalten – sie ersetzen ein prozessbegleitendes, perspektivenreiches und supervisionsunterstütztes Fallverstehen jedoch nicht:

  • Körper/Sinne: Welche Körperreaktionen und Affekte habe ich in Bezug auf den jungen Menschen? Sind sie wiederkehrend? Dies können z.B. sein: Erhöhte Aufmerksamkeit, Ermüdung, Wärmegefühle, Berührtheit, Beklemmung, Angst, Aversion.
  • Befürchtungen: Was ist meine größte Befürchtung im Hinblick auf den jungen Menschen und meine Beziehung zu ihm? Was kann im schlimmsten Fall passieren? Dies könnte z.B. sein: Der junge Mensch muss die Einrichtung verlassen; es wird keine Besserung eintreten; ich werde ausbrennen.
  • Denken/Kognition: Was denke ich über den jungen Menschen? Dies könnte z.B. sein: Hoffnungsloser Fall, Rettungsfantasien, langweiliger junger Mensch. Wie wirkt sich dies auf unsere Beziehung aus? Hier sind Resignation, Aufopferung, Ratlosigkeit, Verwirrung denkbar.
  • Erfahrung: Woran erinnert mich der junge Mensch? An welche meiner eigenen Anteile, Erfahrungen, Erinnerungen knüpft das Geschehen zwischen dem jungen Menschen und mir an? Hier sind z.B. eigene Kindheitserfahrungen, Erinnerungen an andere junge Menschen, die betreut wurden, Wünsche oder Sehnsüchte denkbar. Und wichtig: Habe ich die Probleme mit dem jungen Menschen oder die Gegenübertragungen auch mit anderen Personen in meinem privaten Umfeld?
  • Wünsche: Was wünsche ich mir für den jungen Menschen und unsere gemeinsame Beziehung? Was erwarte ich von dem jungen Menschen (z.B. Dankbarkeit, eine mich erfüllende gemeinsame Arbeit? Was würde ich tun, wenn ich keinerlei pädagogische Rücksicht nehmen müsste? Hier sind denkbar: z.B. den jungen Menschen aus der Einrichtung werfen, ihn adoptieren (Rettungsfantasie).
  • Auf Teamebene (in Ergänzung zu Boessmann und Remmers (2018)): Welche unterschiedlichen Gegenübertragungen bestehen im Team? Wie kann das verstanden werden? Welche Fachkraft hat welche „Rolle“/Gegenübertragungen? (z.B.: Wünsche nach Fürsorge repräsentieren die versorgende, aber verstorbene Großmutter des jungen Menschen und Ablehnungsfantasie repräsentieren die überforderte Mutter des jungen Menschen)

Link und Abelein (2022) schlagen vor, Belastungsmomente und Herausforderungen, die mitunter durch heftige Übertragungsprozesse entstehen können, innerhalb von kollegialer Fallberatung zu thematisieren. Dazu konzeptualisieren sie eine psychodynamisch orientierte Form der kollegialen Fallberatung, die durch gruppendynamische Aspekte erweitert wird.

Fazit

Die Herausforderung auch Psychoanalytischer Pädagogik besteht darin, einen ethisch verantwortlichen Weg zu finden, Kindern und Jugendlichen mit psychosozialen Beeinträchtigungen auch einen (Frei-)Raum für ihre Ängste und Nöte zu geben (Hoanzl, 2017). Gleichzeitig darf nicht aufgrund von Hilflosigkeit pädagogischer Fachkräfte beispielsweise mit Traumabearbeitung im Klassenzimmer ‚experimentiert‘ werden, was retraumatisierend wirken kann. Zu Beginn psychoanalytisch-pädagogischer Arbeit ist es relevant, dass die Fachkräfte einen psychosozialen Rahmen etablieren (Müller & Schwarz, 2016), der den Kindern eine sichere Bindung vermittelt. In diesem Kontext sieht Ahrbeck (2010, S. 145) „begrenzte unterstützende und begleitende Maßnahmen“ als erforderlich an. Abgeleitet aus dem bisher Dargestellten, sollten nach Ahrbeck (2010, S. 145) folgende Ziele in der psychoanalytisch-pädagogischen Arbeit maßgeblich Berücksichtigung finden:

  • Um die innere und äußere Realität konfliktfreier bewältigen zu können, bedarf es der Förderung,
  • zur Entwicklung psychischer Strukturen und damit
  • der Berücksichtigung entsprechender Resilienzfaktoren.

Ansatzpunkte hierfür sind:

  1. Stabilisierung von Ich-Funktionen
  2. Wahrnehmungsdifferenzierung
  3. Entwicklung einer inneren Zeitdimension
  4. Steuerungsfähigkeit von Triebimpulsen und narzisstischen Bedürfnissen
  5. Frustrationstoleranz
  • Durch Moralerziehung und die Etablierung eines transparenten Wertesystems gilt es, ein kritisches, wachsames Über-Ich zu entwickeln, das jedoch keinen bestrafenden Charakter aufweisen soll. Dies geschieht u. a. durch die Regulierung adäquater Ansprüche an sich selbst und jene der Umwelt.
  • In Beziehung dazu steht die Ich-Stärkung im Sinne der Förderung von Selbstwirksamkeitserleben. Ein Ich-Ideal kann dabei motivierend wirken, sollte jedoch gleichermaßen am Realitätsprinzip orientiert sein.
  • Speziell im Fall von dem Erleben traumatischer Ereignisse ist für die Beziehungsdynamik folgende psychoanalytisch-pädagogische Implikation zentral: Ein haltender und stützender Rahmen, der einen pädagogischen Beziehungsraum aufspannt. Dieser soll Sicherheit geben, zur inneren Beruhigung beitragen und vor Retraumatisierung schützen.

Insgesamt kann man zusammenfassend festhalten, dass Psychoanalytische Pädagogik den Fokus nicht auf Lehr-Lern-Prozesse legt, sondern auf das Verhalten und Erleben, das sich u.a. im kindlichen Spiel, in der Phantasie respektive der Symboltätigkeit oder Symptomen/Sinthomen psychisch repräsentieren kann. Aus psychoanalytisch-pädagogischer Sicht wird das Erleben des Subjekts oder einer Gruppe in konflikthaften Primär- und Sekundärprozessen verarbeitet. In einem Satz könnte man Psychoanalytische Pädagogik wie folgt zusammenfassen: Ohne (inneren) Konflikt, keine Entwicklung. Demzufolge liegt der Fokus Psychoanalytischer Pädagogik auf Konflikten, die als innerseelische Notwendigkeit, gar als Bedingung für die psycho-soziale Entwicklung fungieren.

Die Psychoanalytische Pädagogik dient in Theorie und Praxis einer um das Unbewusste bzw. die psycho- und gruppendynamische Weiterentwicklung der Kenntnis vom Menschen, insofern stellt sie auch anthropologische Implikationen für ein Menschenbild dar: Das vom ‚gespaltenen Subjekt‘ – gespalten durch die Sprache und das Unbewusste (Langnickel, 2021). Auf einer relationalen Dimension kann Psychoanalytische Pädagogik eine Unterstützung sein, die Beziehungen zwischen Peers, zwischen Erwachsenen und zwischen Erwachsenen und Kindern ‚vertieft‘ zu verstehen – auch unter Aspekten unbewusster Konfliktdynamiken. Auch stellt Psychoanalytische Pädagogik ein Vokabular zur Verfügung, um den häufig ‚schwammigen‘ Begriff der Haltung und Beziehung in der Pädagogik zu operationalisieren und inhaltlich interdisziplinär zu füllen. Auf Ebene der pädagogischen Fachpersonen stellt sie eine disziplinäre und professionsbezogene Hilfe dar und dient somit als Professionalisierungsstrategie bspw. dem Umgang mit Affekten wie Ohnmacht, Frustration oder Aggression aufseiten der psychosozial Tätigen.

Ein Vorteil Psychoanalytischer Pädagogik ist auch, dass sie nicht Gefahr läuft, Einzelpädagogik vor der Gruppe zu sein, sondern auch gruppendynamische Implikationen mitberücksichtigt. Die Gruppe als Subjekt anzuerkennen und stärker gruppendynamisch-pädagogische Überlegungen zu fokussieren, scheint gerade für inklusive Bildung von Relevanz zu sein (Kissling, 2022). Psychoanalytische Pädagogik in der Tradition von Aichhorn ist auch im 21. Jahrhundert hoch aktuell (Fickler-Stang, 2018). Gerade die Frage nach der Relevanz pädagogischer entwicklungsförderlicher Freiräume und diesen gegenüber auch die Notwendigkeit von Struktur und Grenzen, „von anerkennender Unterstützung und unbequemer Herausforderung, positiver und negativer Übertragung“ (Ahrbeck, 2008, S. 501) sind nach wie vor und pädagogisch grundlegend von Relevanz – auch in Hinblick auf inklusive Teilhabe und Bildung. Psychoanalytische Pädagogik folgt dem Gedanken der korrigierenden Beziehungserfahrung und ermöglicht, das Spannungsfeld von Erziehung und Psychoanalyse disziplinär, professionsbezogen und praktisch offen zu halten. Gemäß Freud ist es ein Anliegen Psychoanalytischer Pädagogik, die Erziehung zwischen Gewährenlassen und Versagen, zwischen den Ungeheuern Scylla und Charybdis.

„Die Erziehung hat also ihren Weg zu suchen zwischen der Scylla des Gewährenlassens und der Charybdis des Versagens. Wenn die Aufgabe nicht überhaupt unlösbar ist, muß ein Optimum für die Erziehung aufzufinden sein, wie sie am meisten leisten und am wenigsten schaden kann. Es wird sich darum handeln, zu entscheiden, wieviel man verbieten darf, zu welchen Zeiten und mit welchen Mitteln“ (Freud, 1933/1982, S. 159.).

Erziehung bleibt auch in und nach der Psychoanalytischen Pädagogik ein Wagnis, eine Abenteuerfahrt. Dann wird auch die Frage von Holger Kirsch interessant „Mentalisierte Odysseus?“ (2022). Mentalisierungsbasierte Pädagogik stellt neben der Pädagogik des gespaltenen Subjekts (strukturale Psychoanalyse und Erziehungswissenschaft; Weber, 2022) eine neuere Strömung in der Geschichte der Psychoanalytischen Pädagogik dar.

Endoten

[1] Die Rückschau auf drei Pioniere Psychoanalytischer Pädagogik erfolgte im Rahmen dieses Streifzugs v.a. unter der Referenz von Bernd Ahrbeck, eines weiteren Vertreters Psychoanalytischer Pädagogik, der dieses Lehr- und Forschungsgebiet an der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) Berlin vertritt. Die jüngere und jüngste Geschichte der Psychoanalytischen Pädagogik, die Vertreter wie bspw. Margret Dörr, Reinhard Fatke, Wilfired und Margret Datler, Manfred Gerspach, Hans-Georg Trescher, Annelinde Eggert-Schmid Noerr, Bernd Ahrbeck selbst, u.v.m., muss an einer anderen Stelle analysiert und (weiter)geschrieben werden. Über die Relevanz der Autorinnen und Autoren und deren Beiträgen zur Psychoanalytischen Pädagogik sind sich die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags durchaus bewusst.

Literatur

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Autorenangaben

Noëlle Behringer

Dr. phil., M.A. Soziale Arbeit, M.Sc. Psychologie, tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Advanced Researcher an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Psychoanalytische Pädagogik, mentalisierungsbasierte Pädagogik, Kinder- und Jugendhilfe, Biographische Selbstreflexion in der Professionalisierung; noelle.behringer@hfh.ch

Robert Langnickel

Dr. phil., Dipl.-Psych., M.A. Philosophie, Psychoanalytiker in eigener Praxis, akademischer Mitarbeiter für den Bereich Pädagogik/Didaktik im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung an der PH Ludwigsburg, Dozent für Heilpädagogik an der PH Luzern; robert.langnickel@ph-ludwigsburg.de

Pierre-Carl Link

Prof., M.A.-Psych., M.A.-Päd., M.A.-Phil., M.A.-Relwiss., M.A.-Theol., analytischer Gestalttherapeut, Gruppenanalytiker i.A., Professor für Erziehung und Bildung im Feld sozio-emotionaler und psychomotorischer Entwicklung an der Hochschule für Heilpädagogik Zürich. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Allgemeine Heilpädagogik, Pädagogik bei Verhaltensstörungen, Pädagogik im Jugendstrafvollzug, reflexive Professionalisierung und psychoanalytische Pädagogik; pierre-carl.link@hfh.ch

 

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