Helmut Heiland
I. Das Problem
Beim Kölner PFV-Fachgespräch über Fröbels Pädagogik im Februar 2007 habe ich in meinem Referat über "Fröbels Spielpädagogik" zentrale Teile der Pädagogik Fröbels in ihrer sphärephilosophischen Begründung herausgearbeitet (Werk, Verfälschungen, Spielmaterialien und Kindergarten, Erzieher/ Erzieherin bei Fröbel). Das Element der Individualität trat dabei zugunsten der "Natur" beim Kind und der "Struktur" beim Spielmaterial zurück. Direkt ausgeklammert wurde es allerdings nicht (vgl. Heiland 2007, S. 35). Ludwig Liegle ging in seinem Ko-Referat ausführlicher der Frage nach, wieweit Fröbels Pädagogik auch die persönliche Situation des Kindes in genügender Weise berücksichtige und gelangte zu einem etwas ambivalenten Ergebnis. Seiner Feststellung, Fröbels Pädagogik sei philosophisch, d.h. auf allgemeine Aussagen zum Kind und zum Spielmaterial ausgerichtet, folgte die Einschränkung (mit Rückgriff auf Quellenbelege), Fröbel selbst erkenne durchaus die Bedeutung der Individualität (bei Fröbel häufig "Eigenthümlichkeit") an. Damit relativiert Liegle seine erste Feststellung:
"Fröbel sieht das Kind nicht so sehr als unverwechselbare Person. Die Erziehung hat - so verstehe ich Fröbels Auffassung - die Aufgabe, entwicklungsgemäß zu verfahren, das heißt: die Eigenart und der Eigenwert der Lebensphase Kindheit sollen von den erziehenden Erwachsenen beachtet werden. Die Aufgabe hingegen, die Erziehung an der Individualität des Kindes zu orientieren, bleibt im Hintergrund" (Liegle 2007, S. 29). Denn Liegle stellt nun fest: "Mit dieser kritischen Feststellung bzw. Bewertung bin ich freilich schon etwas zu weit gegangen. Denn die neuerliche Befassung mit den Schriften und Briefen von Fröbel hat mir gezeigt: Er hat zum Thema Individualität [...] Fragen gestellt und Hinweise gegeben, die auch heute noch für eine allgemeine Orientierung wegweisend sind" (ebd.).
Im Ergebnisprotokoll der Kölner Tagung heißt es dann aber:
"Bezogen auf das Kind als individuellen Menschen habe Fröbel jedoch kaum ausreichende Antworten zu geben; wenn auch es in seinen Schriften Befunde gibt, in den[en] er den Zusammenhang von Menschheit als Ganzes und Individualität der Person reflektiert" (Pesch 2007, S. 26).
In der Diskussion wurde das Thema "Individualität bei Fröbel" erneut angesprochen. Dabei habe ich die bei Liegle sichtbar werdende Widersprüchlichkeit von Fröbels Umgang mit der Kategorie "Individualität" durchaus bejaht. Im Ergebnisprotokoll der Kölner Tagung klingt das ganz anders:
"In einer ersten Replik bestätigte Helmut Heiland die Kernaussagen Liegles: Die Eigentümlichkeit des Kindes bleibe bei Fröbel in der Tat als Begriff formal und werde ebenso wenig konkret wie es seine Vision von einem demokratischen Europa war. Als Sphärenphilosoph [sc.: "Sphärephilosoph"] kenne Fröbel keine eigene Kinderwelt" (Pesch 2007, S. 26).
In dieser Pointierung ist diese Aussage irreführend und wurde und wird von mir so nicht vertreten. Fröbel kannte sehr wohl die Kinderwelt seiner Zeit und nahm als Hauserzieher in Frankfurt/Main wie als Schulpädagoge in Keilhau und in der Schweiz, sowie später als Organisator von Spielkreisen in vielfacher Weise das Leben kleiner und größerer Kinder wahr. Und auch als Vertreter der "sphärischen Erziehung" ging es ihm doch gerade darum, die "Natur" des jeweiligen Zöglings bzw. Schülers kennen zu lernen und sie freizusetzen, sie sich entfalten zu lassen. Es wäre ein völliges Missverständnis, sowohl der Schulpädagogik als auch der Spielpädagogik Fröbels zu unterstellen, Fröbel fordere die totale Überformung des Persönlichen (Besonderen) durch das Universelle (Allgemeine). "Individualität" (Person) ist eine relative Größe in der neuhumanistischen Trias von Bildung als Totalität, Universalität und Individualität, die auch Fröbel vertritt, wenngleich häufig die Bedeutung des "Allgemeinen" (Totalität, Universalität) in seinen Texten zu dominieren scheint.
Es gilt also, Fröbels Werk in zweifacher Weise auf Belege hin durchzusehen. Es gilt Texte aufzuspüren, die zeigen, dass Fröbel die konkrete Kinderwirklichkeit kannte. Zum anderen soll in Fröbels Texten nachgewiesen werden, dass Fröbel die neuhumanistische Trias der Bildung kannte und diese auch vertreten hat. Für den ersten Bereich gibt es viele eindeutige Belege. Hier zunächst nur ein Hinweis. Im Dezember 1831 schreibt Fröbel als Antwort auf Briefe der Keilhauer Zöglinge jedem Keilhauer Kind bzw. Heranwachsenden einen individuell gehaltenen Brief, in dem er jeweils auch auf die Lebenssituation des Briefpartners eingeht, aber vor allem dann seine eigene Lage schildert (Ein Großteil dieser Briefe ist von Hoffmann 1944/1952 ediert worden, vgl. Hoffmann 1952, bes. S. 70 ff., s. auch Abschnitt II). Zum zweiten Bereich: Als ein erster vorläufiger Beleg und Nachweis der neuhumanistischen Bildungsidee bei Fröbel soll ein Zitat aus einem Brief Fröbels an Heinrich Langethal vom 29./30.12.1831 (KN 32, 23, ed. Heiland 2008, S. 108-114) stehen. Auf diesen Brief werden wir noch ausführlicher eingehen. Das Zitat lautet:
(1R) "Wohl ist die Festhaltung alles des Individuellen und Persönlichen gut und nothwendig, denn es ist der Grund und die Quelle der Erfassung und Festhaltung des Allgemeinen und des Lebens; aber nur bis auf einen bestimmten Punkt ist diese Festhaltung gut, dieser Punkt nun ist die Erfassung, das Kennen der eigenen Persönlichkeit und Individualität; ist dieser Punkt errungen so muß die Persönlichkeit die Individualität wieder hin- und aufgegeben werden um sie in der Allgemeinheit und Universalität wieder zu finden und darinne und gleichsam durch dieselbe wieder darzustellen, denn die ächte Individualität und Persönlichkeit ist eben so unendlich als die Allgemeinheit und Universalität und bedarf dieser beyden zu ihrer Darstellungsform" (Heiland 2008, S. 109 f.).
Man muss in jedem Falle aber im Auge behalten, dass eine ganz erhebliche Bedeutungsdifferenz zwischen dem postmodernen subjektivistisch-egozentrischen Begriff von "Individualität" unserer Tage und Fröbels sphärephilosophisch-idealistisch bestimmtem Begriff der "Eigenthümlichkeit" des einzelnen Menschen, des Individuellen besteht. Diesen Unterschied sollte man nicht einebnen.
II. Fröbels Kenntnis der Kinderwelt
Bei der Lektüre der "Menschenerziehung" Fröbels stößt man im ersten Teil auf einige für unser Thema bemerkenswerte Abschnitte (§ 40-49, Hoffmann 1951, S. 52-71). In ihnen schildert Fröbel phänomennahe die ländliche Kinderwelt der Keilhauer Zeit. Es handelt sich um das "reine Knabenleben dieses Alters" (Beginn der Elementar-Schulzeit) (S. 71), um das "Begleiten von Vater und Mutter, Bruder oder Schwester bei den häuslichen Geschäften, bei den Geschäften ihres Berufes" (S. 51) und das "Nachahmen des häuslichen Lebens" im Spiel, sowie weitergehend mit erstarkender Kraft
"das Teilen des häuslichen Geschäftes, Heben, Ziehen, Tragen, Graben, Spalten; an allem will sich der Knabe seine Kraft üben, wägen und messen, daß sein Körper erstarke, seine Kraft wachse und er ein Maß derselben erhalte. Überall, nach dem Felde und in den Garten, nach der Werkstätte und in die Bücherei, zu den Geschäften des Waldes und der Wiese, bei der Pflege der Haustiere und zur Hervorbringung der kleineren Hausgeräte, zum Holzsägen, Holzspalten und Holzlegen, zu und bei allen den verschiedenen Geschäften des Vaters nach dessen verschiedenem Gewerbe begleitet der Sohn den Vater; Frage auf Frage drängen sich aus der nach Erkenntnis strebenden Seele des Knaben hervor. Wie? - Warum? - Wodurch? - Wann? - Weshalb? - Wovon? - Wozu? - Und jede nur einigermaßen genügende Antwort eröffnet dem Knaben eine neue Welt" (S. 62).
"Machte die Tätigkeit dem Kinde Freude, so macht und schafft das Tun dem Knaben jetzt Lust; daher die Erscheinungen der kühnen, wagenden Kraft des Knabenalters: das Steigen in Höhlen und Klüfte, das Klettern auf Bäume und auf Berge, das Suchen in Höhen und / Tiefen, das Schweifen in Wäldern und Feldern. Leicht ist das Schwerste, gefahrlos das Kühnste; denn die Aufforderung dazu kommt aus dem Innersten; geht aus dem Gemüte, dem Willen hervor. Doch nicht das Wiegen und Prüfen, Üben und Messen der Kraft allein ist es, welche den Knaben schon dieses Alters in Höhe und Tiefe, in Weite und Breite treibt, sondern besonders die Eigentümlichkeit und das Bedürfnis seines sich jetzt entfaltenden, innersten Lebens, das Mannigfaltige zu überschauen, das Vereinzelte in einem Ganzen zu sehen, besonders das Entfernte sich nahe zu bringen, die Weite und Vielheit, das Ganze in sich aufzunehmen. Das Streben, seinen Blick, seinen Gesichtskreis von Stufe zu Stufe zu erweitern. Das Ersteigen eines neuen Baumes ist für den Knaben zugleich die Entdeckung einer neuen Welt; alles zeigt der Blick von oben, doch ganz anders, als unsere gewöhnliche, zusammenschiebende und verschiedene Seitenansicht; wie liegt da alles so klar unter dem Knaben" (S. 62 f.).
Auch in seinem letzten großen Werk, den "Mutter- und Koseliedern" (1844), einer Kleinstkindpädagogik, findet man in den Themen der Fingerspiele und auf den begleitenden Bildtafeln die ländliche Lebenswirklichkeit von Blankenburg und Keilhau, damit aber auch die Welt der Kinder dieser Zeit (vgl. Heiland 1998, S.119 ff.). Als Beispiel die Szenerie zum "Thurmhähnchen" (Bildtafel):
"An einem etwas windigen, fast stürmischen Tage begleiten Dich Deine lieben Kinder auf den Trockenplatz vor Deinem Wohnorte; denn wohin begleiten die Kinder nicht gern ihre, der Thätigkeit stets hingegebene Mutter? - Horch! wie knarrt das Hähnchen auf dem Thurme, der Wind bewegt's hin und her; hier kommt auch eine Henne, begleitet von ihrem stolzen Hahne, aber so schnell wie das Thurmhähnchen können sie sich nicht des Windes Wellen fügen, und so dreht wenigstens der Wind ihre Schwänze bald hin und bald her. Aber höre, wie der Wind in der Wäsche plattert, laut plaudernd scheint sie sich vom starken Winde zu erzählen; wie freut dieß Plattern und Plaudern das Kind! flugs hat der Knabe das Handtuch, welches er eben beim Bade, woran ihn aber der Wind verhinderte, gebrauchen wollte, an einen Stock gebunden und hoch weht und plaudert es in der Luft; des Mädchens Taschentuch und ausgebreiteter Arm muß ihr gleiche Freude bereiten. Mehr Freiheit als das Mädchen ihrem Taschentuche und der eine Knabe seinem Handtuche, giebt ein zweiter seinem Drachen; hoch muß er ihm aber auch dafür in die Höhe steigen und größere Lust ihm bringen. "Klapp, klapp, klapp," geht's dort, was ist's denn? der Wind treibt die Windmühlenflügel rasch herum, daß schnell der Trilling sein klapp, klapp schlägt; was thäten aber die Großen, welches die Kleinen nicht gleich nachmachten! (darum sei sorglich in dem, was Du Erwachsener im Angesicht und vor den Augen der Kleinen thuest). Sieh, hier kommt schon ein Knabe mit seiner papiernen Windmühle daher, schau wie sie sich um so schneller dreht, als schnell der Knabe läuft. Dort kann die Mutter ihr Töchterchen kaum vor der Gewalt des Sturmes bewahren, und der Mann muß sich recht im Gleichgewicht halten, daß er durch ihn nicht strauchle.
"Mutter es ist aber auch heut ein starker Wind, der alles und alles beugt; sieh nur, wie dort der Schwester Haare flattern wie Deine Wäsche; woher kommt nur der Wind, der alles so bewegt?" - Ja, mein Kind, wenn ich es Dir auch nach meiner Einsicht sagten wollte, so würdest Du es doch nicht verstehen; es würde Dir, wie eine fremde Sprache klingen, wenn ich Dir sagte: der Druck der Luft, oder veränderte Luftdichtigkeit, oder eine Veränderung in dem Wärmezustand der Luft hat es hervorgebracht; Du würdest von alle dem kein Wort verstehen. Aber das verstehst Du vielleicht schon: eine einige große Kraft, und sei es auch nur Wind, kann vieles bewirken, Kleines und Großes, wenn Du sie auch nicht sehen kannst. So giebt es viele Dinge, mein Kind, die wir zwar wahrnehmen, aber nicht sehen; wohl wahrnehmen und sehen, allein die ich Dir noch nicht mit Worten erklären, deutlich machen kann. Sieh Deine Hand bewegt sich, die Kraft aber, die es thut, kannst Du doch nicht sehen. Beachte und pflege darum nur die Kraft, wo Du sie jetzt findest, später wirst Du auch immer mehr einsehen, woher sie kommt, auch wenn Du sie nicht siehest""(Fröbel 1844, S. 63).
Den Begriff der "Eigenthümlichkeit", den Fröbel oft synonym für "Individualität" gebraucht (s. die folgenden Abschnitte III-VIII), findet man hier übrigens auch:
"Ahnungen, die Dich, Mutter! mit Seeligkeit erfüllen, daß dieses Wesen in reichster Mannigfaltigkeit, in Einzelheiten und Eigenthümlichkeit, sich Dir zur / Freude wie zum Spiegel Deines eigenen Wesens entwickeln werde, durchströmen Dein Gemüth" (Fröbel 1844, 60/60R, vgl. auch 76).
Einbeziehen muss man hier ferner einige lebensweltlich-phänomenale Beiträge Fröbels in seiner ersten Wochenschrift, den "Erziehenden Familien" von 1826, insbesondere die Aufsätze: "Das Schlittenfahren und Eisgleiten der Kinder", "Knaben-Frühlingsspiele" und "Das kleine Kind". Im ersten Text schildert Fröbel die Keilhauer Jugend beim Schlittenfahren und Eisgleiten:
"Darum sehen wir nun, wie das Kind, den Knaben, so auch den schon sich und seine Kraft, sein geistiges Wesen bestimmt fühlenden Jüngling auf der Gleit- und Schlittenbahn (...) fast nie müde werdend; darum würden Kind und Knabe, verstattete es die Ordnung des Tages, frühe am Morgen mit dem Schlitten zur Bahne ziehen, und, erlaubten es die Arbeiten, das Schlittenfahren von der Höhe herab würde die letzte Thätigkeit des Tages seyn; so das Gleiten auf der spiegelglatten zehen und zwanzig in einer Reihe aufnehmenden Gleitbahn. Und doch muß immer hier der längere oder kürzere Weg wieder auf gewöhnliche Weise zurückgelegt, auch wohl gewartet werden, bis das natürliche Gesetz der Reihefolge Jedem die Erlaubniß giebt, hin- und wieder hinzugleiten; so wie dort immer mit Mühe und langsam der lange, steile, ermüdende Weg zur Anhöhe erstiegen werden muß, ehe pfeilschnell der Schlitten und der Fahrende wieder zum Ziele eilen kann; und nie müde werdend wiederholt sich bey beyden das alte Spiel. Selbst der Erwachsene steht dort des kühnen Fahrers, hier des sanft dahin Gleitenden sich freuend" (Fröbel 1826, Sp. 62 f.).
In den "Knaben-Frühlingsspielen" heißt es:
"Kaum ruft die laue Luft im Frühling die Knaben ins Freye, so seht ihr sie auch fröhlich folgen dem fröhlichen Rufe: in geschäftiger Eile wandert hinaus dort munter ein Zug. Aber was halten freudig und hoch sie in ihren Händen empor? - Schiffe und Schiffchen sind es und Flöße, geschnitten aus schwimmender Rinde [...] und Räder von Spänen sind es, und Mühlen. [...] Damit das Leben gefesselt ihm kund thue sein Wesen, deßhalb sind jetzt Wasser und Quellen und Bäche der Sammelpunkt spielender Knaben; darum legt der Knabe hier ein Rädchen aus Spänen und rundlichen Stäben in des Quellchens silbernen Strahl, daß es ihm kund thue des Wassers bewegenden Druck; und stellt dort eine Mühle in den Bach, der wippend und blinkend ihm sagt: Kraft und Leben ruht in mir, Leben und Kraft bewegt mich; daß das Rad ihm hebe Stämpfel und Hammer und er erkenne des Wassers hebende Kraft" (Fröbel 1826, Sp. 175 f.)
Und im "kleinen Kind" steht:
"Darum keinesweges nur der Ausdruck des körperlichen Wohlbefindens und leiblichen Wohlbehagens ist das Lächeln [...] Das Lächeln, das Kindeslächeln ist also der Ausdruck eines selbstständigen, mindestens schon auf der Stufe des Bewusstwerdens stehenden Menschengeistes, das erste Lächeln, das Kindeslächeln ist der Ausdruck des sich Können verständlich machen einem andern zweyten Menschenwesen und das Können verstanden werden von einem anderen" (Sp. 84 f.). "Darum seht, jemehr der Mutterliebe Gekose zu des Kleinen Innerstem zu sprechen, jemehr dasselbe davon erregt zu seyn scheint, und nun auch dieses Innere, das rege Leben desselben sich kund thun möchte, sich aber durch die Schranken der noch unbehülflichen, ungelenkigen Sprachwerkzeuge daran verhindert sieht; um so mehr auch hier jenes gewaltsame Erzittern am Körper; es ist der Ausdruck des strebenden Geistes. [...] Darum soll auch diese Kindererscheinung als die des sich frey und selbstständig zu machen strebenden Menschengeistes beachtet und als solche gewürdigt werden. Nicht weniger ausdrucks- und bedeutungsvoll ist bey kleinen, noch sehr kleinen Kindern das scharfe und feste ins Augefassen, besonders durch Glanz oder Farbe auffallender, vorzüglich ihnen neuer unbekannten Gegenstände. Ist es nicht oft, als wenn der Blick des Kleinen den Gegenstand durchdringen, ihn zu sich oder sich zu ihm ziehen wollte? - Welch ein Fragen, Prüfen, Wägen, Vergleichen spricht sich in dem Blicke des Kindes aus!" (Fröbel 1826, Sp. 86 f.).
In seiner polemischen Abhandlung "Echo" von 1831 schreibt Fröbel zusammenfassend über die Keilhauer Jugend und ihre Lebenswelt:
"Nun denn! In diesem Thälchen ist ein reges menschliches Leben unter Klein und Groß. Sie fangen damit an zu schaffen und zu thun, und was sie geschafft und gethan haben das nehmen sie seinem ganzen Wesen nach durch Gefühl und Empfindung in sich auf, und suchen es nach und in diesem seinem Wesen zu erkennen, weil sie meinen der liebe Gott habe auch erst geschaffen und getan ehe er sich dem unendlichen Eindruck der unendlichen Einheit hingegeben ehe er es betrachtend angeschaut und in seinem innersten Wesen das Geschaffene erkannt habe, und der Mensch müsse in all seinem Thun nach Gottes Bilde leben. Was sie nun so in sich erkannt haben und erkennen suchen sie wieder in That und als That außer sich darzustellen und vergleichen es mit dem was sie in That und als That schon außer sich dargestellt und da seyend finden um sich durch diese Vergleichung auch zur Erkenntniß des Wesens, zur Einsicht in das Wesen der Dinge und Sachen zu erheben die nicht durch sie da sind u.s.w.
Wie sie den Geist und Körper als eine Gottesgabe behüten und pflegen, so pflegen sie auch den Grund und Boden auf welchem ihr Körper wandelt und ihr Leib schafft, und pflegen die in ihm ruhenden Kräfte rc. als ein Gottesgeschenk.
Was sie in der Schule, im Unterricht mit regem Eifer, ausdauerndem Fleiß und großem Ernste und oft mit Anstrengung lernen, das führen sie im Leben, ja, im Spiele und zum Spiele mit Lust und Freude wieder aus.
In dem Spiele finden sie wie im Leben Bedeutung und Lehre./ (4R) In ihren Gärtchen und unter ihren Bäumen und Wäldern, auf Spaziergängen über Berge und im Thale, in Geschäften auf Feld und Wiese wie im Hause und auf dem Hofe, da wächst und kommt ihnen freudig die Bestätigung dessen entgegen was ihnen ihre Brüder, Freunde, Väter, Erzieher, Lehrer, Eltern und Geschwister von Gott und Natur, von Menschen und Sprache, von Geschichte und Leben in ihrem Gemüthe und Geiste aufkeimend gemacht und gepflegt haben. Man weiß nicht ist für diese Knaben und Kinder Natur Leben und Spiel Schule, Lehre und Unterricht, oder ist für sie, ihren Geist, ihr Gemüthe, ihre Kraft Unterricht, Lehre und Schule ihnen zu ihrer zweyten Natur, zu ihrem Leben und zum Spiel, aber nicht zum Spielwerk und nicht zur Spielerey geworden. [...]
Vom Morgen bis zum Abend können diese Zöglinge nicht ruhen; haben sie gelernt und hat der Unterricht ihren Geist etwas abgespannt, so müssen sie mit ihrer Körperkraft die steilsten, felsigsten Berge (jener Gegend) wegbar, und rohes Land urbar machen, und dieß alles aus Lust und aus Liebe, aus reiner Liebe; denn die Geschichte alles dessen was von der jungen Welt jenes Kreises auf die Weise in der Umgebung der Anstalt geschaffen worden ist nur die Geschichte der gegenseitigen Liebe des gegenseitigen Zutrauens zwischen den Jüngeren und den Erwachsenen und jeder wieder unter sich" (KN 108,5 ed. Heiland/ Gebel 2004, S. 119 f.).
Aber Fröbel hat nicht nur die Welt der Kinder seiner Zeit aus Keilhauer bzw. Blankenburger Perspektive wahrgenommen und in seinem Werk wiedergegeben. Fröbel geht auch in zahlreichen Briefen kommunikativ auf den Verstehenshorizont seiner Briefpartner, also auf diese Kinder ein. Erika Hoffmann hat 1940 eine zeitbedingt zunächst wenig wirksame Sammlung solcher Briefe vorgelegt, die dann 1952 mit einigen Erweiterungen und einem plakativen Titel "Mein Herzenskind. Fröbels Briefwechsel mit Kindern" erneut aufgelegt wurde. Es handelt sich um 95 Briefe, davon 44 Briefe Fröbels aus verschiedenen Epochen seines Lebens: 1807-1815 mit dem Schwerpunkt der Korrespondenz mit seinen Holzhausen-Zöglingen; 1824-1847 mit dem Schwerpunkt 1831/33, also der Korrespondenz mit den Keilhauer Zöglingen und Verwandten von der Schweiz aus; schließlich 1847-1851 mit Kindern aus dem Kreis der Verwandten. In dieser Briefsammlung finden sich zahlreiche Beispiele der Kindorientiertheit Fröbels. Aus dieser Fülle soll der umfangreiche Bericht Fröbels über seine Besteigung des Pilatus am 29. Juni 1832 hervorgehoben werden (KN 42,1):
"Mag nun auch immer für mehrere und besonders für die jüngeren und jüngsten unter Euch meine geliebten Kinder und lieben Söhne und Töchter, das hier mit dem denkenden Worte, mit dem Worte des Gedankens Ausgesprochene noch etwas, ja vielleicht auch ganz unverständlich seyn, so hoffe ich doch mit freudiger Zuversicht, daß Ihr die Sache selbst um die es sich als eine so Wichtige hier handelt aus den Euch nun vorzuführenden Lebensthatsachen selbst hinlänglich klar verstehen, wenigstens lebendig im Leben und für Euer Leben erfassen werdet, wenn / (2R) Euch jüngeren Eure lieben Freunde und Lehrer dabey nur etwas klärend und nähernd zu Hülfe kommen; denn es ist das wirkliche Leben selbst, und die Lebensgeschichte einzelner Menschen beweiset, daß schon Kinder im 3en, 4en Jahre das in Gestalt und That gelegene Leben als sich ihnen daraus aussprechend erkannten, in sich aufnahmen für ihr Leben festhielten und nach späterer tieferer und klarerer Einsicht recht eigentlich der Grund und Eckstein ihres ganzen Lebens, oder wenn es Euch wegen der lebendigen Fortentwicklung mit Recht wohl lieber ist, der Herzpunkt ihres Lebens wurde.
Das zufällig ergriffene Bild eines Spatzierganges, gleichsam einer kleinen Reise, war es an welchem wir uns gegenseitig das LebensWichtige der vorstehenden Mittheilungen klar und einsichtig machen wollten, und ich hoffe klar und einsichtig machten, deßhalb hat man es immer für lehrreich gehalten das Leben mit einer Reise zu vergleichen, es immer für wichtig geachtet, das Leben im Spiegel einer Reise zu schauen. Deßhalb will denn auch ich nun Euch im folgenden einen reisenden Tag meines reisenden Lebens vorführen; möchtet Ihr die vorstehend ausgesprochenen Lebenswahrheiten darin gestaltet im Spiegel des Lebens schauen" (Hoffmann 1952, S. 130 f.).
Und im Brief an die Kinder in Keilhau vom 03.12.1831 (KN 32,1), der in der Sammlung Hoffmanns nicht enthalten ist, heißt es:
"Auch ich, meine Lieben! so alt ich schon bin, so alt, daß Du, lieber Christian Friedrich als ich noch in Keilhau war, mich oft das alte Männchen nanntest - und nun bin ich doch schon wieder ein halbes Jahr älter geworden - auch ich muß noch täglich lernen. Nun lerne ich zwar noch immer recht gern aber oft wird es mir doch auch sehr schwer, und macht mir viel Schmerzen, daß könnt Ihr Euch nun wohl sagen wenn Ihr Euch nur erinnern wollt wie ich in einem ganz fremden Lande und seit einem Vierteljahre hier ganz allein lebe und ich eigentlich Niemand habe bey dem ich mich Raths erholen kann, auch die, wie Ihr vielleicht auch schon gehört habt, welche uns Erwachsene lehren wollen und sollen oft selbst unwissend, oft ungeschickt und sehr oft böswillig sind. - Darum meine herzlieben Söhne und Töchter, benutzt ja so viel als Ihr immer nur könnt Euer jetziges gemeinsames Zusammenleben, durch Gemeinsamheit und Wechselhülfe immer braver, besser und tüchtiger, immer vollkommner zu werden in allen Dingen. Besonders und vor allem beachtet Euch selbst, betrachtet, beachtet die Eindrücke die Euer Handeln, Eure Gesinnungen auf andere machen und bemerkt die Folgen davon; seht, beachtet die Wirkungen, welche die Gesinnungen und die Handlungen anderer in Euch hervorbringen, vergleicht beyde Eindrücke und beyde Folgen und laßt das Ergebniß davon und so sie selbst Euch dienen, Euch selbst und andere immer besser zu erkennen, damit Ihr in Euern Handlungen immer sicherer und freudiger, in Euern Gesinnungen immer tüchtiger und fester werdet. Werdet so Euch selbst in Euch klar, damit es Euch klar und hell außer Euch werde; denn das Innere, das Gemüth und der Geist des Menschen ist der Spiegel, gleichsam der lebendige See in welcher sich alle Dinge der umgebenden Welt abspiegeln und so erkannt werden können; darum haltet diesen Spiegel rein"(Heiland 1989, S. 2 f.).
"(7R) Bey diesen meinen Gesinnungen zu Keilhau und namentlich zu Euch, könnt Ihr Euch nun wohl leicht denken daß ich mir Mühe gegeben habe genau ausfindig zu machen nach welcher Gegend hin und in welcher Richtung bestimmt Keilhau von hier aus liegt; da haben wir denn seit Ferdinand[s] Ankunft gefunden und wir glauben, daß Keilhau von unserer Wohnung und von unserm Wohnzimmer aus ganz gerad dem Blicke gegen über, über die Sempacher Schlachtkapelle hinweg in der Richtung nach der Capella schaue; wenn ich also an meinem Arbeitstische (:zugleich wie Anfangs in Griesheim und Keilhau unserm Eßtische:) sitze und meinen Blick über den See, bey Sempach vorbey, nach der Schlachtkapelle und über alle Berghöhen hinweg schweifen lasse, so ist mein letzter Ruhepunkt gerad auf dem Steiger wo Ihr, wie Du herzliebe Ludowika mir schon in Deinem lieben Briefe geschrieben und Ferdinand mir nur noch bestimmter gezeichnet hat - eine Ruhebank gemacht habt. Wenn Ihr nun dagegen von dort ohngefähr über die Marktanne auf der Barichauer Höhe, über Eisfeld und Vei[l]sdorf, Stuttgard, Schaffhausen Zürich u.s.w. hinweg schauet, so könnet Ihr, wenn Ihr scharfes Geistesauge habt über die Spitze der Schlachtkapelle hinweg gerad durch unser Drilli[n]gsfenster hindurch in unser Wohnzimmer und mich, Eurem Blicke begegnend, am Arbeitstische sehen. Wenn es sehr schöne Abende sind, denke ich mir Euch öfters auf dieser Bank, und dann trifft sich gerad Blick in Blick, Aug in Aug und möchte sich dann auch Herz in Herz und Sinn in Sinn treffen und finden" (Heiland 1989, S. 5 f.).
Exemplarisch soll hier noch auf zwei Briefwechsel hingewiesen werden, auf die Korrespondenz Fröbels von 1807-1816 mit seinem Frankfurter Zögling Carl von Holzhausen und auf den Briefwechsel mit dem Keilhauer Zögling Felix von Minerow, Zögling von 1831/32. Die Korrespondenz mit Carl von Holzhausen ist in der Sammlung Hoffmanns ausführlich wiedergegeben (s. Hoffmann 1952, S. 7 f., 12-14, 17, 19-21, 24-26, 30-36). Einbezogen werden müssen in diesen Zusammenhang Fröbels Notizen zu einem Briefentwurf an Carl von 1816, in dem er nochmals deutliche Empfindungen der Reue wegen der harten Bestrafung Carls 1807 zu erkennen gibt (vgl. BN 277, Bl 149 f. s. Datenbank Fröbels Briefe / Brief v. <20.8./8.9.> 1816). Im Zitat dazu Carls emotional anrührendes Briefchen vom 24.04.1807 an Fröbel und Fröbels Rechtfertigung:
"Ich will recht ordentlich werden um ihnen Freude zu machen, damit sie mich eben so lieb gewinnen, wie den Fritz und Adolph [Brüder Carls], den[n] diese haben sie sehr lieb. Darf ich ihnen mein liebes Brüderchen August nennen, so endige ich diese paar Woerter, Lebe wohl liebes Brüderchen u. denke an deinen Bruder Carl" (BN 271/ Hoffmann 1952, S. 8) - Fröbel verwendete in diesen Jahren ausschließlich den Vornamen "August". Sein belasteter Oberweißbacher Rufname "Fritz" (Friedrich) wurde von ihm zeitweise tabuisiert bzw. negiert. - 1811 schreibt Fröbel an Carl:
"Lieb innig lieb hatte ich Dich doch immer davon habe ich recht oft in mir, in meinem Innern <Beweise>gehabt; ich bin ob ich gleich mit mir / (26R) selbst in Zweifel darüber war ich bin mit mir selbst ins reine gekommen daß ich nicht in mir gegen Dich eingenommen war, sondern daß es blos die 2 Fehler an Dir waren die mich zurückstoßen die ich hassen mußte je mehr ich Dich liebte. Denn jene Fehler glaub guter Karl waren es ja, die Dich mir raubten; jenen mußte ich also billig böse seyn / (27) mußte sie hassen" (BN 271).
Die zweite exemplarische Korrespondenz ist Fröbels Briefwechsel mit Felix von Minerow aus den Jahren 1831/32 mit dem dazugehörigen pädagogischen Brief Fröbels vom 28.06.1829 an Frau von Arnim, die Pflegemutter von Felix. Da dieser Zusammenhang bereits ausführlich in einer breiteren bildungstheoretischen Analyse "Ein Brief Friedrich Fröbels über Bildung" (2003) dargestellt wurde (vgl. Heiland 2008, S. 37-51), werden hier nur ein Briefchen von Felix an Fröbel vom 19.02.1831, in dem die Lebenswelt des 12jährigen Felix sichtbar wird, und ein Ausschnitt aus einem Brief Fröbels wiedergegeben. - Felix Minerow schreibt an Fröbel:
"Mein lieber Herr Fröbel und Pflegevater! - Da du immer so gut bist, und uns alles erlaubst was keine nachteiligen Folgen hat, so komme ich auch jetzt mit einer Bitte zu Dir. Ich möchte mir nähmlich gerne ein Paar Tauben halten, und dazu um deine Erlaubnis bitten. Ich hoffe du wirst es mir zugeben, da ich hier noch nie einen Vogel oder ein anderes Tier gehabt habe. Du sollst sehen ich will mich ganz und gar nicht dadurch zerstreuen lassen. - Erlaube mir es doch ich möchte sie sehr gern haben. Sie kosten nur 4 Groschen. Felix" (BlM III, 32, 165-166 / Hoffmann 1952, S. 61).
Fröbel schreibt an Felix am 08.12.1831 (BN 570, 1): "Mein lieber Felix. - Ein, zwei, dreimal seyd Ihr mir im Monat Juni mit Sträußen und Gesang entgegen gegangen und niemals bin ich gekommen; endlich am dritten Tage hast Du Deinen Strauß auf den Weg gestreut, daß ich doch wenigstens, wenn ich noch käme, diesen mit Blumen geschmückt fände. Und - nichts von allen dem hab ich vernommen, bin auch des Weges nicht gekommen und habe sonach auf demselben die von Liebe gestreuten Blumen [kursiv H.H.] nicht gefunden; - so war denn alles umsonst, denn käme ich auch noch jetzt des Weges, wo wären da die Blumen!-- Ists denn wirklich so?- Wäre wirklich alles so umsonst?-- Nein, keineswegs! Und käme ich nie jenes Weges wieder, wie ich nie mehr die von Deiner sinnigen Liebe gestreuten, wie die von der sinnigen, treuen Liebe Deiner lieben Genossen gepflücketen und in Sträuschen geordnete[n] Blumen mehr sehe, so ist dennoch nichts, gar nichts verlohren. Wer mag wissen, wann und wo mir jene gestreuten Blumen in, um am Lebenswege wieder aufblühen, um mich an demselben und während desselben zu erfreuen, wie ich alle jene Sträuße, welche mir Deine Genossen gepflückt und mir in ihren lieben Briefen gleichsam abgemalt haben, in eine Quelle gestellt habe, welche auch das kleinste sonst leicht verwelklichste Blümchen in ewig unvergänglicher Schönheit fortblühend macht: es ist die Quelle und das Wasser der Dankbarkeit und des Dankes der unvergänglichen Seele [kursiv H.H.]. Du mein Sohn hast Deine Blumen auf den Weg gestreuet, daß, wenn ich ihn wandelte, diesen Steg, ich sie, Deine Blumen fände" (Heiland 2008, S. 40 f.).
III. "Individualität" in den Göttinger Tageblättern zur Sphäre (1811)
Nach dem pädagogischen Resümee der Pädagogik Pestalozzis in der "Kurzen Abhandlung"(1809) und ersten wissenschaftstheoretischen Überlegungen in Briefen an den Bruder Christoph (1808/09) reflektiert Fröbel umfassender wissenschaftstheoretisch-transzendentalphilosophisch seine sphärische Sicht der Wirklichkeit in den Göttinger Tagebuchblättern von August/ September 1811 (ed. Hoffmann/ Wächter 1986). Die Abstraktheit dieser Reflexionen zur "Sphäre", die Fröbel mathematisch-schematisch darzustellen versucht, bedeutet zugleich auch eine Ausdünnung der Grundbegriffe, so auch der "Individualität". Die neuhumanistische Trias von "Individualität", "Totalität" und "Universalität" kennt Fröbel zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er verwendet zwar "Individualität" (Hoffmann/ Wächter 1986, S. 317, 329) und "individuell" (S. 351 f., 377, 381), auch "Individuum" (S. 353), aber in sehr abstrakter Weise. So heißt es:
"Beide ["geistige" und "physische Natur"] streben sie recht eigentlich ihre Individualität rein zu erhalten, deshalb müssen sie sich in gleichen Radien um x als den kürzesten Weg - und gegeneinander bewegen" (S. 317). Und an anderer Stelle schreibt Fröbel: "Welche Unendlichkeiten der Gestaltungen liegen schon zwischen dem Aequationspunkte der physischen und dem Äquationspunkte der geistigen Natur nur bei dem einzig von uns herausgehobenen Moment ab und ba, dem so die Bahn ab - x - ba freigegeben ist!!!
Welcher Geist faßt sie, bestimmt ihre Zahl, die Individualität, Charakter jedes einzelnen Wesens???" (S. 329).
Fasslicher wird "Individualität" bei Fröbels Kennzeichnung seiner Gönnerin Caroline von Holzhausen, über deren Charakter er schreibt:
"NB C. v. H. - warum fand sie [nicht] früher und nicht gleich von allem Anfang, als sie sich verheiratete, ihren wahren Gegensatz? - Weil sie a) erstlich nicht strebte, ihre[r] Individualität sich selbst klar bewußt zu werden, b) weil sie nicht unverwandt strebte, ihre Individualität immer ganz rein zu halten, so schwankte sie von Neigung zu Neigung." (S. 373)
Zu diesem Zeitpunkt einer radikalen wissenschaftstheoretischen Begründung menschlicher Existenz mit den Denkformen der Philosophie des Deutschen Idealismus ("Transzendentalphilosophie") zeigt Fröbel noch kein Gespür für konkret-alltägliche, persönliche Züge des Menschen. Er befindet sich im Studium, in der Hochphase seiner Selbsterkundung als denkend-wissenschaftlicher Mensch. Die pädagogische Aufgabe scheint er vergessen zu haben. Kontakte zu Gefährten während der Feldzüge gegen Napoleon (1812/13), die Anstellung als Kustos für Mineralogie/ Geognosie an der Berliner Universität (1813-16) und der Gedanke einer eignen Erziehungsanstalt für seine Neffen führen dann zu einer ersten Neuformulierung des "sphärischen Gesetzes" in Tagebuchreflexionen (1816).
IV. "Individualität" im "Sentenzenbuch" (1816/23)
"Er soll streben, in seinem Erkennen und Tun darzustellen die Einheit und Allheit, das Ein und das Alles, die Individualität und Universalität, die Partialität und Totalität und somit c und x." [14.Mai 1816] (Boldt/ Knechtel/ König 1982 I, S. 123).
"Da der Mensch, jeder Mensch eigentlich nur einen einzigen, gleichsam den / Grundgedanken seines Lebens denken kann, zu welchem sich alle seine inneren Gedanken wie abgeleitet verhalten, da jeder Mensch eigentlich nur ein Gedanke ist und durch sein ganzes Leben nur diesen einen Gedanken ausbildet, darstellt, so muß seine nächste, größte Sorge sein, diesen einen Gedanken (: der nur einzig sein wahres einzigstes Selbst ausmacht :) sich zur klaren Erkenntnis, sich zur klaren Einsicht zu bringen. In Hinsicht der Menschenkeime (Kinder) ist Pflicht, diesen Haupt- oder Grundgedanken jedes Kindes erst im Kinde, gleich einer zarten Pflanze, durch die vollste Lebensäußerung (: Kinderfreuden, Kinderspiele, Kinderleben etc. :) erstarken zu lassen, durch einfache Kinderpflege erstarkend zu machen, dann zweitens diesen Grundgedanken des Kindes dem Knaben, dem Jüngling zur Auffassung, zur Erkenntnis zu bringen; dies geschieht, daß ihn der Knabe, der Jüngling als etwas Individuelles in und durch das Allgemeine finde. Dieses Allgemeine ist einmal der Raum als solcher, dann die Natur als strebend alle Individualität umfassend. Jene Raumesverhältnisse nun werden von dem Kinde erkannt durch die Zahl, die Form, die Größe (die Gestalt) und durch die Rede. Durch und in dem Raume werden die Empfindungen erkannt. Die Rede und die Gestaltung ist das verknüpfende Band der Empfindung mit dem Raume, und die Rede, Sprache und Gestaltung erhebt die unbestimmte Empfindung zum Gefühl, und so wird auch von dieser Seite durch und in dem Gefühle der individuelle Grundgedanke zur Anschauung, zur Erkenntnis, zum Bewußtsein erhoben.
Wegen dieses in sich tragenden Charakters der Allgemeinheit ist das Märchen für das Kind, den Knaben so wichtig und wirkt so mächtig auf das Kind, so wie überhaupt Geschichten, die jedes Kind sich nach seiner Person individualisiert. Kinder sollten dagegen nichts hören und lesen, was irgendeine Meinung, eine Ansicht felsen- und mauerfest hinstellt, weil an einer so schroff hingestellten Individualität die noch nicht gebildete Individualität des Kindes, des Knaben sich zersplittert, abstumpft. Ist die Individualität, der Grundgedanke erst erstarkt, dann sich bewußt, so wird er ausgebildet, dies geschieht nun mit und durch das Individuelle" (Boldt/ Knechtel/ König 1982, S. 144 f.).
V. "Individualität" in den Keilhauer Werbeschriften (1820/23)
Fröbel hat in den ersten Keilhauer Jahren die Ergebnisse seiner wissenschaftstheoretischen Reflexionen in Form einer Werbeschrift für die "sphärische Erziehung" in Keilhau bilanziert. Es handelt sich um die kleine Schrift "Durchgreifende, dem deutschen Charakter erschöpfend genügende Erziehung ist das Grund- und Quellbedürfnis des deutschen Volkes" von 1821. Daneben stehen fünf weitere kleine Werbeschriften. Aber lediglich die erste Werbeschrift "An unser deutsches Volk" und dann eben vor allem diese zweite, systematisch-theoretisch wichtigste Schrift enthalten Hinweise auf Fröbels Verständnis von "Individualität", sieht man von einer kurzen Bemerkung Fröbels in der letzten Werbeschrift, der "Fortgesetzten Nachricht" von 1823 ab, wo Fröbel von längeren zeitlichen Pausen in der Jahres-Unterrichtszeit spricht, welche den "persönlichen und individuellen Bedürfnissen" der Schüler entsprechend zur Übung und Vorbereitung dient (Zimmermann 1914, S. 235 f.).
In der Schrift "An unser deutsches Volk" verwendet Fröbel den Begriff der "Eigenthümlichkeit":
"Dieses Gesetz der Entwickelung, der Einheit zur Mannigfaltigkeit oder der Mannigfaltigkeit aus der Einheit, in und durch und an einer Einheit, Einzelnheit und Mannigfaltigkeit erkennen wir auch als Grundgesetz aller menschlichen Entwickelung und Ausbildung. [...] Dieses ist uns das Grundgesetz aller menschlichen Erziehung, ist uns ausschließend das Grundgesetz unserer Erziehung, wie wir sie an uns selbst und an unseren Pfleglingen, Zöglingen auszuführen und darzustellen streben, die Grundlage der Erziehung, welche wir seit vielen Jahren prüfend und sich immer mehr bewährend anwenden. Ebenso ist es uns das Grundgesetz aller Entwickelung, die Grundform, nach welcher wir jedes, was als Lehrgegenstand von uns erkannt wird, behandeln, wodurch eben, weil dies ganz mit der Natur / jedes Unterrichtsgegenstandes in Übereinstimmung ist, die Lehrgegenstände unter sich selbst wieder mit einer sich gegenseitig erklärenden Eintracht und Einklang hervortreten. Und dieses Gesetz, die Anwendung dieses Gesetzes ist es auch, wodurch es uns möglich wird, jeden Zögling selbst, jeden Pflegling seiner Eigentümlichkeit ganz gemäß zu leiten und dieser getreu ihn zu entwickeln und auszubilden" (Zimmermann 1914, S. 130 f.).
In der "Durchgreifenden... Erziehung" finden sich die Begriffe "Individualität" bzw. "Eigenthümlichkeit" nicht, wohl aber die Synonyme "Individuelles" und "individuell". So ist von der "individuellen Anwendbarkeit" der Sphärephilosophie sowie von "den verschiedenen individuellen Sprachen" und vom "individuell-persönlichen Wert" die Rede (Zimmermann 1914, S. 171 f.). Und bei der Beschreibung der "sphärischen Erziehung", die Fröbel in dieser Schrift ja bekanntlich am ausführlichsten vorgenommen hat, wird nun auch deutlich die Kategorie des "Individuellen" gleichwertig verwendet. Es heißt da:
"Das Sphärische ist das Allgemeine und Besondere, das Universelle und Individuelle, die Einheit und Einzelnheit zugleich, und stellt sie dar." (Zimmermann 1914, S. 150).
"Entwicklung, Bildung, Erziehung für das Allgemeine und Besondere, für das Universelle und Individuelle, für die Einheit und Einzelnheit darf und kann eigentlich auch nicht und nie getrennt werden, sie bedingen sich gegenseitig. Auch das Universelle, Allgemeinste wird, sobald es der Mensch denkt, zu einem Individuellen, Besonderen. [...] Aus der wahren Erkenntnis des Einzelnen, Individuellen, Äußeren, Irdischen geht Erkenntnis der Einheit, des Universellen, des / Innern, des Himmlischen hervor und umgekehrt. Die Erkenntnis beider bedingen sich" (Zimmermann 1914, S. 153 f.).
Unverkennbar zeigen diese Sätze und ihre Begriffe in ihrer dialektischen Bezüglichkeit trotz ihrer Abstraktheit zum einen die Grundstruktur der kategorialen Bildung, der wechselseitigen Verwiesenheit von Ich und Welt, Geist und Natur, Kraft (Form) und Stoff, zum anderen die Gleichwertigkeit des "Individuellen" (Individualität) mit dem "Universellen" (Universalität). Das "Individuelle" wird in der Auseinandersetzung mit dem "Allgemeinen" reflektiert, bewusst und damit selbst Teil des Allgemeinen, allerdings ohne in diesem aufzugehen bzw. sich aufzulösen.
VI. "Individualität" in der "Menschenerziehung" (1826)
Fröbels umfassendste Schrift ist die "Menschenerziehung" von 1826, seine Pädagogik der Keilhauer Schule bzw. Erziehungsanstalt. Und doch enthält sie viel mehr, so in ihren ersten Teilen eine philosophische Grundlegung der sphärischen Erziehung, die Fröbel nun "Menschenerziehung", Erziehung des Menschen, seiner (geistigen) Möglichkeiten im Kontext der Natur und der Menschenwerke (Kultur) nennt. Dieser Sphärephilosophie der "Vermittlung" von "Innen" und "Außen" folgt eine Beschreibung der Lebenswelt des kleinen Kindes bzw. des Schulkinds, also die Kennzeichnung des ländlichen Keilhauer Milieus und Umfelds aus kindlicher Sicht (s. Abschnitt II). Hauptteil der "Menschenerziehung" stellen die Lehrgänge in der Keilhauer Elementarstufe dar. In diesem Zusammenhang wird nun auch "Bildung" bzw. "Ausbildung" in der "Menschenerziehung" und damit das Bild vom Menschen selbst wichtig. Es fragt sich, ob Fröbel hier mit den Begriffen "Individualität" und "individuell" argumentiert. Nun, sie kommen in der "Menschenerziehung" nicht vor, dafür mehrmals der synonyme Begriff "Eigentümlichkeit" (vgl. Hoffmann 1951, S. 84 f., 99, 109, 119, 130 f. u. 149). Da ist von der "Eigentümlichkeit" der Sprache die Rede (S. 130 f.), vom "eigentümlichen Wesen" bzw. "Wirkungen" der "Kraft" (S. 119), von den "eigentümlichen Eigenschaften" des Würfels (S. 109). Fröbel spricht von dem "Grundgedanken", den jeder Mensch besitze, dem "einzigen, ihm ganz besonders und vorwaltend eigentümlich angehörigen, eigenen Gedanken" (S. 84). Auch ist vom Beruf des Menschen die Rede, der "seiner ganzen Eigentümlichkeit entspricht" (S. 149). Als Naturwissenschaftler macht Fröbel Aussagen über die Natur in ihren Einzelheiten und stellt fest:
"Bei aller Eigentümlichkeit, Einzelnheit und Getrenntheit der Naturgegenstände ist es immer das Wesen der Kraft, auf die das eigentümliche Wesen und die eigentümliche Erscheinung, Form und Gestalt jedes Dinges als letzten innern Grund, als verknüpfende Einheit in der Erscheinung zurückkommt, von der alle Mannigfaltigkeit und Einzelnheit aus- und hervorgeht, worauf sie beruht" (S. 99). Und zusammenfassend heißt es dann: Das "Grundstreben jedes Dinges und jeder Pflanze aber ist, sich in seiner Eigentümlichkeit allseitig darzustellen" (S. 119).
Hier wird sehr schön die neuhumanistische Trias von Individualität, Universalität und Totalität sichtbar: Das "Streben" (Kraft, telos) "jedes Dinges" (Universalität) besteht darin, sich in seiner "Eigentümlichkeit" (Individualität) "allseitig" (Totalität) darzustellen, zu leben. Und dies ist der Tenor für alle Bereiche und Felder der Keilhauer Schul- und Erziehungsanstalt.
VII. "Individualität" in Fröbels Briefen. Ein Überblick
Fröbels Briefe sind ein noch weitgehend unerkundetes Gebiet der Forschung. So lohnend es wäre, die über 1.700 Briefe Fröbels für unseren Zusammenhang systematisch auszuwerten, - ein entsprechendes Unternehmen würde schon rein quantitativ den Umfang dieser Analyse bei weitem übersteigen. So bleibt nur die Möglichkeit, grob dieses Textmaterial zu überblicken, erste Ergebnisse und Wertungen festzuhalten und dann vor allem einige systematisch bedeutsame Briefdokumente gründlicher auszuwerten. - In jedem Falle wird man sagen können, dass sicherlich über 200 Textstellen in den Briefdokumenten nachgewiesen werden können, bei denen Fröbel "Individualität" oder "Eigenthümlichkeit" oder synonyme Begriffe wie "Persönlichkeit" oder "Individuelles", "Einzelnes" oder "individuell" verwendet. Da "persönlich" sehr häufig, aber meist alltagssprachlich für "ich" steht und wenig an systematischer Definition bei Fröbel erfährt, kann dieser Begriff völlig vernachlässigt werden. Auch "Persönlichkeit" verwendet Fröbel in geringem Maße. Ferner fällt auf, dass es Abschnitte in Fröbels Leben gibt, in denen nur wenige Briefe entstehen und daher in geringem Maße "Individualität" bzw. "Eigenthümlichkeit" oder "Individuelles" als Begriffe verwendet werden. Das betrifft die Zeit bis 1806, sowie die Jahre von 1813-1830, 1844/45, sowie 1848-1850. Hingegen ist die Göttinger Zeit (1811/12) und dann eben die Schweizer Jahre 1831-1836 eine Hoch-Zeit der Briefproduktion überhaupt und so auch von autobiographischen Briefen. Damit verbunden ist eine exzessive Verwendung der genannten Begriffe. In diese Zeit fällt dann die Abfassung von Briefen, in welchen der Begriff "Individualität" selbst systematisch geklärt wird.
VIII. "Individualität" in Fröbels Briefen der Schweizer Zeit
Am intensivsten hat sich Fröbel theoretisch-systematisch mit der "Individualität", mit diesem durchaus wichtigen Begriff seiner Sphärephilosophie (neben dem dominanten der "Menschheit"), in einigen seiner Briefe aus den Jahren 1831/32 auseinandergesetzt. Dies nun ist kein Zufall, sondern ergibt sich aus seiner geistigen Entwicklung, dem Werdegang seines Lebens, ist Resultat seiner Biographie. Wir gelangen daher zwangsläufig in den Bannkreis seiner autobiographisch gefärbten oder gar bestimmten Briefe, die wiederum in einem bestimmten Zeitabschnitt seines Lebens, in der Schweizer Zeit (1831-1836) verstärkt auftreten.
Fröbel war bekanntlich Autodidakt aufgrund einer mangelhaften schulischen Bildung. Sein beruflicher Werdegang ist unlinear-chaotisch. Bis 1816 war völlig unklar, ob er (praktischer) Pädagoge würde. Die pädagogischen Impulse, erhalten in Frankfurt/M. durch die Lehrtätigkeit an der Pestalozzi-Musterschule Gruners, durch den Dienst als Hauslehrer und Erzieher im Patrizierhaus von Holzhausen sowie durch den langjährigen Aufenthalt mit den drei Holzhausen-Knaben in Yverdon bei Pestalozzi als dessen studierender und lehrender Mitarbeiter waren nicht so eindeutig, um Fröbel endgültig auf diesen Beruf festzulegen. Klar war für Fröbel nach 1810 nur, dass er weiterhin seine philosophischen Interessen in Form eines intensiven Studium Generale verfolgen müsse. Über das brotberufliche praktische Ergebnis solcher Studien war er sich zu diesem Zeitpunkt noch völlig im Unklaren. Der Umzug nach Göttingen (Mai 1811) und später (1812) nach Berlin war mit drei Zäsuren (Grunderlebnissen) verbunden: Die erste Zäsur war die Niederschrift seiner Gedanken zur "Sphäre", also die Tagebuchreflexionen zur Sphärephilosophie als Grundlage seines Lebens und erzieherischen Handelns. Die zweite Zäsur bestand in der Entdeckung der Kristallographie als des für ihn wichtigsten Gebiets der Naturwissenschaften. Die dritte Zäsur war die Teilnahme als preußischer Freiwilliger (Lützower Jäger) am Befreiungskrieg gegen Napoleon 1813/15 und die damit verbundene Zusage einer Kustosstelle am Mineralogischen Kabinett der Universität Berlin, also die berufliche Versorgung als Naturwissenschaftler nach dem Kriege (s. Fröbels Gesuch an das Preußische Innenministerium v. 4.4.1813). Nach seinem vorzeitigen Ausscheiden aus der Freiwilligenverpflichtung als Lützower Jäger im Juli 1814 stellte Fröbel erneut und erfolgreich den Antrag, die genannte Stelle am Mineralien-Kabinett zu erhalten (s. Brief an das Preußische Innenministerium v. 30.7.1814), aus der er im April 1816 ausschied (s. Brief an das Preußische Innenministerium v.9.4.1816), um sich der Erziehung seiner drei Neffen, Halbwaisen und Söhne des im Krieg Dez. 1813 an Cholera verstorbenen Bruders Christoph, Fröbels engstem Verwandten und Berater in allen Lebensfragen, zu widmen. Erst im April 1816 entscheidet sich Fröbel definitiv für den praktischen freiberuflichen Erzieherberuf und gegen die Laufbahn als Naturwissenschaftler und Hochschullehrer. Die Entscheidung von 1816 führt dann über Griesheim zu Keilhau und dem konkreten Aufbau der dortigen "Allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt" in Verbindung mit der Publikation von sechs Werbeschriften.
Aber weder in Fröbels erster großer Abhandlung über Pestalozzis Pädagogik von 1809 noch in den Tagebuchnotizen von 1811 zur Sphäre oder in den Reflexionen ("Sentenzen") von 1816, noch ausführlich in den sechs Werbeschriften oder der "Menschenerziehung" von 1826 geht es Fröbel zentral um "Individualität". Fröbel ringt zu dieser Zeit noch mit der Formulierung seiner Sphärephilosophie. Die Sache (Sphärephilosophie) dominiert, seine Person (Existenz) tritt zurück, obwohl sie in den Tagebuchreflexionen von 1816 wie auch in den Tagebuch-Entwürfen zur Schrift "Das Streben der Menschen" von 1820/21 durchaus im Vordergrund steht. Offensichtlich genügte Fröbel in den Keilhauer Jahren die Aufbauleistung in Keilhau selbst in Verbindung mit der alltäglichen Realisierung "sphärischer" Erziehung und den damit verbundenen Gesprächen und Auseinandersetzungen mit den Keilhauer Mitarbeitern bzw. der Großfamilie, dem Keilhauer Kreis der "Keilhauer Gemeinsamheit", wie Fröbel sie bezeichnete. Man gewinnt bei der Betrachtung der Keilhauer Existenz Fröbels den Eindruck, die provinzielle Situation, die "Hermetik" Keilhaus habe auch eine gewisse Erstarrung des Keilhauer Lebens zur Folge gehabt.
Der Weggang Fröbels aus Keilhau Mitte April 1831, formal auch verursacht durch die Eheschließung Emilie Fröbels mit Barop - Fröbel liebte Emilie, vermittelte aber diesen Bund und entzog sich der Härte der faktischen Eheschließung - , ist mehr als eine Zäsur. Es ist die Öffnung Keilhaus durch die Öffnung Fröbels, dessen Existenz, dessen "Individualität" in dieser Zeit, den Schweizer Jahren (1831-1836), in einzigartiger Weise sichtbar wird. Er lebt in der Schweiz und gewinnt in der Distanz zu Thüringen, zu Keilhau sich selbst. Seine geistige Existenz, seine Person wird in diesen wenigen Jahren sichtbar in einer, man muss schon sagen, "Flut" von Selbstbekenntnissen in Form von zahlreichen Briefen - 353 an der Zahl in den Jahren 1831-36, direkt aus der Schweiz etwa 300 -, die teilweise sehr umfangreich sind und häufig autobiographischen Charakter tragen. Unbestreitbar gehen dieser autobiographischen Briefproduktion zahlreiche Äußerungen Fröbels über sich voraus, so in den "Sentenzen" von 1816 und in den Entwürfen zur Schrift "Das Streben der Menschen" (1820/21), noch viel deutlicher in den beiden Lebenslauf-Briefdokumenten von 1827 und 1828 über seinen pädagogischen bzw. philosophischen Werdegang (Brief an Herzog von Meiningen Juni 1827 und Brief an Krause vom Mai 1828). Aber sowohl die Tageblattreflexionen wie die beiden umfassenden biographischen Dokumente zeigen zugleich deutliche Glättungstendenzen. Das gilt nun für die Briefe aus der Schweiz nicht mehr.
In diesen Briefen will Fröbel sich rückhaltlos dem Keilhauer Kreis öffnen und zugleich diesen zu gleicher radikaler Öffnung Fröbel gegenüber in seiner Reaktion herausfordern. In diesen Briefen will Fröbel zeigen, wer er selbst ist und zugleich, in gleicher Radikalität, seine Briefpartner in ihrer Existenz sichtbar werden lassen. Dass Fröbel nun in anderer Weise brieflich kommuniziert, zeigt wiederum der Rückblick auf die vorausgehende autobiographische Dokumentation. Die Tagebuchnotizen über sich selbst von 1816 und 1820/21 blieben in der Verborgenheit seines Zimmers. Die beiden Biographieentwürfe von 1827/28 hatten Öffentlichkeits- und Werbecharakter, waren Mittel zum Zweck. Die Biographie-Briefabhandlung an den Herzog von Meiningen (Juni 1827) war ohnedies nur Entwurf, blieb also in der Schublade liegen. Der (abgesandte) Brief an Krause wollte diesen Philosophen zum Verbündeten für die Durchsetzung der "sphärischen Erziehung", der "Menschenerziehung" gewinnen, machte daher begrifflich-systematisch erhebliche Zugeständnisse. Das bedeutet aber, dass die geistige Existenz Fröbels in ihrer ganzen Breite in allen diesen bisherigen autobiographischen Dokumenten nicht beschrieben war, nicht sichtbar gemacht wurde.
In den Briefen aus der Schweiz ist alles anders. Dieser Briefwechsel mit dem Keilhauer Kreis, der "Gemeinsamheit", der Großfamilie, ist risikofreudig, hemmungslos, radikal, an die "Wurzeln" der gemeinsamen Keilhauer Existenz gehend. Was ist "Keilhau" überhaupt? fragt Fröbel. Sicherlich mehr als eine Handvoll Gebäude und eine Gruppe von 60-80 Menschen, mehr als eine Situation, mehr als eine "Arche", mehr als ein gesicherter, hermetisch abgeschlossener Zustand, auf der "Sündflut" des Lebens. Was dann? Sicherlich auch mehr als das biblische Wort meint: "Wir haben keine bleibende Stadt, doch die zukünftige suchen wir" (Hebr. 13,14). Fröbels Briefproduktion ist eine gesicherte Suche, aber es ist ein Suchen, keine sichere Bleibe. Keilhau ist daher kein Ort, kein statischer Zustand, sondern Idee, Leben, Veränderung, Dynamik, eine Bewegung.
Wie risikofreudig Fröbel in dieser Zeit ist, zeigt nicht nur die Quantität seiner Briefe. Er schreibt Tag und Nacht, er schreibt die umfangreichsten Briefe seines Lebens überhaupt. Und er schreibt Briefe, die weggeschickt werden, die beantwortet werden, deren Beantwortung er fordert, Briefe, von denen er weiß, dass sie auch manchmal zähneknirschend gelesen und diskutiert werden. Fröbel weiß und fordert, dass über ihn, über seine Briefe diskutiert werden soll und diskutiert wird, dass auf diese Briefe reagiert werden soll durch die Keilhauer. Wie risikofreudig er ist, zeigt er mit einem seiner umfangreichsten Briefe, den er an die "Frauen in Keilhau", an alle weiblichen Mitglieder der Keilhauer Großfamilie Fröbel-Barop-Middendorff-Langethal schreibt. Dieser Brief ist die Geschichte seines "Gemüths", seiner Emotionalität, seiner Triebe, Bericht seiner Sehnsucht nach dem weiblichen Geschlecht. In jedem Mädchen, jeder Frau hofft er die früh verstorbene, verlorene Mutter wiederzufinden. Alles findet sich in diesem 34 Bogen umfassenden 137seitigen Brief: Fröbels Liebesbeziehung zu Caroline von Holzhausen, der Frankfurter "Seelenfreundin", seine Beziehung zu den Nichten, insbesondere zu Emilie (die konfliktreiche Beziehung zu Elise sollte erst noch kommen), und die zahlreichen Begegnungen der "Augen" und der "Seelen". Auch seine nicht spannungsfreie Beziehung zu Henriette Wilhelmine, seiner Ehefrau, wird hier in ihrer ganzen Breite sichtbar. Und er schreibt an alle Mitglieder des Keilhauer Kreises, an die Verwandten wie an alle Zöglinge der Anstalt im November/ Dezember 1831 einen Gesamtzusammenhang von 32 Briefen, säuberlich nummeriert, den letzten an Wilhelmine. Er geht auf jeden Briefpartner ein, bringt aber in jedem Brief auch sich selbst ein als Sphärephilosoph auf der Suche nach der "zukünftigen Stadt" mit der Gewissheit um ihre Existenz. - Darüber hinaus setzt er sich auch mit Freunden Keilhaus wie etwa dem Gönner Xaver Schnyder von Wartensee auseinander, der ihm sein Schlösschen Wartensee als Gebäude für Fröbels erste Privatschule in der Schweiz, in Wartensee bei Sempach zur Verfügung gestellt hatte. Schnyder verlangte von Fröbel, auf den anonymen Angriff auf Fröbels Anstalt in Wartensee in der "Appenzeller Zeitung" vom 01.10.1831 (vgl. Heiland/ Gebel 2004, S. 111-183) öffentlich zu reagieren. Zwar schrieb Fröbel seine polemisch gehaltene Verteidigungsschrift "Echo das heißt Widerhall" in zwei Wochen (Oktober 1831). Aber er veröffentlichte sie gegen Schnyders Wunsch nicht. Und in diesem Zusammenhang hat Fröbel jede Festlegung seiner Person und seiner Handlungen durch Schnyder zurückgewiesen.
Sichtbar wird hier Fröbels "Individualität" in einzigartiger Weise. In seiner ganzen Lebensgeschichte mit all ihrer literarischen Produktivität wird Fröbel nirgends so umfassend und so schillernd als Person, in seiner Existenz, in seiner "Individualität" sichtbar wie in den Dokumenten dieser zwei, drei Jahre. Aber diese "Individualität" ist letztlich für Fröbel doch sehr viel mehr als Egomanie. Sie steht im Banne des "Allgemeinen", der Sphärephilosophie, des "sphärischen" Lebens und "sphärischer" Erziehung. Und verständlich wird nun auch, dass Fröbel in dieser Zeit systematisch nicht publiziert, keine systematischen Aufsätze oder gar Bücher schreibt. Verständlich wird auch, dass es keine Tagebuchnotizen aus dieser Zeit gibt. Alles öffentlich Notwendige, alle weltliche Realität, alles "Allgemeine" wird sichtbar in seinen Briefen, ist Ausdruck seiner Existenz, ist also persönlich, "autobiographisch" und zugleich "sphärisch". "Individualität" ist ein sphärephilosophischer Begriff und autobiographisch legitimiert. Fröbel geht von der wechselseitigen Verwiesenheit und Abhängigkeit, also von der "Dialektik" von "Individualität" und "Allgemeinem" ("Universalität") aus.
IX. Fröbels Brief an Heinrich Langethal von Ende 1831
Im Rahmen dieser Schweizer Briefe nach Keilhau, dieses brieflichen Gesamtzusammenhangs der 32 Briefdokumente, hat Fröbel auch an Heinrich Langethal, seinen Mitarbeiter und Freund aus der Berliner Zeit, Ende des Jahres 1831 geschrieben (ed. Heiland 2008, S. 108-114, Original KN 32,23). Im Zentrum dieses Briefes steht "Individualität" als Begriff und systematischer Zusammenhang. Fröbel diskutiert hier radikal seine eigene Position im Kreis der Keilhauer Großfamilie. Zusammen mit zwei weiteren Briefen an den Keilhauer Kreis von Anfang 1832 (Br. v.14./24.1.1832/KN 34,3; Br. v. 29.2./12.3.1832/KN 36,1) bietet dieser Brief wohl die systematisch gründlichste Bestimmung des Begriffs "Individualität" durch Fröbel. Daher lohnt es sich, diesen Brief in seiner ganzen Breite analytisch-interpretatorisch zu erfassen. (Die beiden genannten Briefe von 1832/KN 34,3 und KN 36,1 stimmen in der systematischen Argumentation mit dem Brief an Langethal von Ende 1831 überein und werden hier nicht weiter herangezogen).
Einleitend dankt Fröbel für alle Briefe des Keilhauer Kreises (von Fröbel als "Ein" hier begrifflich bestimmt), so auch für Langethals Briefe vom laufenden Jahr, deren "Grundton" er hervorhebt:
"Ich freue mich der festen charaktervollen, ja heiteren klaren Person, welche mir aus allen entgegen tritt [...] Ich freue mich so Eurer Freude über Euer eigenes Leben, welcher ich in Euren Briefen zu meiner Freude so oft begegne". Fröbel freut sich über Langethals "Lebensfreude um so mehr als sie durch Aufnahme des Ganzen und Allgemeinen in sich erhöhet und gesteigert ist" (Heiland 2008, S. 109).
Damit ist das entscheidende Thema des gesamten Briefs berührt: Der Zusammenhang von Persönlichem und Allgemeinen, oder theoretisch formuliert: Die Dialektik von "Individualität" und "Universalität". Und Fröbel gibt auch gleich eine Gewichtung der Spannung beider Pole oder Dimensionen. Für das Persönliche ist die "Aufnahme" des "Allgemeinen" eine "Erhöhung", eine "Steigerung". Aber das lässt Fröbel so nicht stehen, sondern gibt folgende kommentierende "Bemerkung" (hier zunächst im Ganzen):
Die "Freuden des eigenen Lebens werden nicht sowohl dadurch erhöhet, daß man das allgemeine Leben in seine Empfindungen und Gedanken aufnimmt, sondern mit seinem Leben und durch sein Leben das Allgemeine, und mit dem Allgemeinen sein eigenes Leben durchdringt. Diese so mehr durchlichteten und unpersönlichen Freuden mildern scheinbar die genießenden Freuden des Gemüthes erhöhen aber ungleich mehr die erkennenden des Geistes und die schaffenden des Handelns. Wohl ist die Festhaltung {alles des Individuellen und Persönlichen gut und nothwendig, denn es ist der Grund und die Quelle der Erfassung und Festhaltung des Allgemeinen und des Lebens; aber nur bis auf einen bestimmten Punkt ist diese Festhaltung gut, dieser Punkt nun ist die Erfassung, das Kennen der eigenen Persönlichkeit und Individualität; ist dieser Punkt errungen so muß die Persönlichkeit die Individualität wieder hin- und aufgegeben werden um sie in der Allgemeinheit und Universalität wieder zu finden und darinne und gleichsam durch dieselbe wieder darzustellen, denn die ächte Individualität und Persönlichkeit ist eben so unendlich als die Allgemeinheit und Universalität und bedarf dieser beyden zu ihrer Darstellungsform" (Heiland 2008, S. 109 f.).
Gehen wir diesen Briefabschnitt Satz für Satz durch. - Der erste Satz lautet:
Die "Freuden des eigenen Lebens werden nicht sowohl dadurch erhöhet, daß man das allgemeine Leben in seine Empfindungen und Gedanken aufnimmt, sondern mit seinem Leben und durch sein Leben das Allgemeine, und mit dem Allgemeinen sein eigenes Leben durchdringt."
Fröbel unterscheidet also zwischen "Aufnehmen" und "Durchdringen". Grundsätzlich ist erstrebenswert, dass die "Freuden des eigenen Lebens" "gesteigert" "erhöht" werden. Eine solche "Steigerung" und "Erhöhung" (das Allgemeine ist abstrakt, daher umfassend-subsummierend) kommt aber nicht durch "Aufnahme", durch "verzehrendes" Hinzufügen (um im verwendeten Bild des "Essens" zu bleiben), durch "Addition" zustande, sondern durch "Durchdringung". Das "eigene Leben" wird also nicht durch Hinzufügen von Allgemeinem "erhöht", "gesteigert". Das ist dann höchstens Anreicherung, aber nicht Bereicherung, Steigerung, Erhöhung. Vielmehr muss man das eigene persönliche Leben in das Allgemeine "hinüberbringen", "mit" dem Persönlichen und "durch" das Persönliche das Allgemeine "durchdringen" und wiederum (dann) mit dem Allgemeinen zurückkehrend das "eigene Leben" "durchdringen". Das sind zwei Bewegungen: Vom Persönlichen hin zum Allgemeinen und mit diesem zurück zum Persönlichen. Beim Zurückkommen hat das persönliche Leben auch "Allgemeines" - aber in welchem Verhältnis? Das Durchdrungen-Haben ist nicht "Persönliches" plus etwas Anderes, "+ Allgemeines", sondern eine Mischung von Beidem, nicht mehr nur-Persönliches, nicht nur nicht-Allgemeines. Aber was ist es dann, das mit "Allgemeinem" durchdrungene persönliche Leben?
Die beiden folgenden Sätze führen weiter. Sie lauten:
"Diese so mehr durchlichteten und unpersönlichen Freuden mildern scheinbar die genießenden Freuden des Gemüthes erhöhen aber ungleich mehr die erkennenden des Geistes und die schaffenden des Handelns. Wohl ist die Festhaltung {alles des Individuellen und Persönlichen gut und nothwendig, denn es ist der Grund und die Quelle der Erfassung und Festhaltung des Allgemeinen und des Lebens; aber nur bis auf einen bestimmten Punkt ist diese Festhaltung gut."
Unbestreitbar bleibt die Größe der konkreten Existenz die entscheidende Konstante bei dieser Verhältnisbestimmung und Kennzeichnung der "Individualität". Dies ergibt sich eindeutig aus dem dritten Satz, wo das "individuelle" und "persönliche" Leben "Grund" und "Quelle" der Erfassung des Allgemeinen ist. Ohne "persönliches Leben" gibt es kein Allgemeines. Wohl aber vermag "persönliches Leben", wenngleich dürftig, ohne Allgemeines zu existieren. Das Allgemeine bedarf stets der Basis des konkreten Lebens. Man kann hier annehmen, Fröbel vertrete philosophisch die Position des Realismus. Man soll am "Persönlichen" "festhalten", wie Fröbel feststellt, aber eben nur bis zu einem bestimmten "Punkt". Was heißt das? Im vorausgehenden Satz ist Fröbel etwas deutlicher, wenn er die Ergebnisse der wechselseitigen "Durchdringung" nochmals benennt. Die "genießenden Freuden des Gemüthes" werden durch die Integration des "Allgemeinen" "durchlichtet" und "unpersönlich" (besser "unpersönlicher") zugunsten der "erkennenden Freuden" des "Geistes" und der "schaffenden Freuden" des "Handelns". Wo ist der Punkt, die Marke, wieweit am Persönlichen festzuhalten ist? Pures "Genießen" des "Gemüthes" (hier auch einschließlich aller Triebkräfte) ist sicherlich nicht gemeint. Aber ebenso geht es auch nicht um den völligen Verzicht auf gemüthvollen Genuss.
Der nächste Satz lautet:
Aber "nur bis auf einen bestimmten Punkt ist diese Festhaltung gut, dieser Punkt nun ist die Erfassung, das Kennen der eigenen Persönlichkeit und Individualität; ist dieser Punkt errungen so muß die Persönlichkeit die Individualität wieder hin- und aufgegeben werden um sie in der Allgemeinheit und Universalität wieder zu finden und darinne und gleichsam durch dieselbe wieder darzustellen".
Das entscheidende Wort in diesem Zitat ist das "Kennen". Ich kenne mich nicht, - noch nicht - als ausschließlich genießendes "Gemüth", ich kenne mich nicht mehr als reines, pures Abstraktum. Jetzt kommt auch der wichtige Begriff der "Individualität" bzw. synonym "Persönlichkeit" mit ins Spiel. Ich muss mich als "Individualität" und "Persönlichkeit", als unverwechselbarer Einzelner kennen, um mich "aufgeben", ins "Allgemeine" hinübergehen zu können. Das ist der "Punkt", besser: Standpunkt, den man als Mensch, so Fröbel, erreichen muss. Auf Anhieb wirkt dann der folgende restliche Satzteil etwas unverständlich: Die "Individualität" (Persönlichkeit) "müsse hin- und aufgegeben werden um sie in der Allgemeinheit und Universalität wieder zu finden und darinne und gleichsam durch dieselbe [sie] wieder darzustellen". - Das heißt dann: Die in ihrer "gemüth"-haften Ursprünglichkeit erfasste, erkannte, verstandene "Persönlichkeit", was ein reflexiver Bezug ist: ich genieße, freue mich nicht nur, sondern erkenne mich als genießend, mich freuend, - diese in ihrer Ursprünglichkeit erkannte und bejahte Individualität wird in einer zweiten Reflexionsbewegung in das Allgemeine gebracht, um sich dort in der Universalität wieder zu finden, aber als Individualität. Man beachte auch die Nuance "[sich] gleichsam darzustellen". Das ist nichts anderes als die Aufforderung Fröbels zu einer Symbolisierung der Wirklichkeit schlechthin, am deutlichsten dann später in einigen Briefen, so vor allem 1835 im Brief an Barop (Br. v.12./14.2.1835, vgl. Heiland 1998, S. 249-258). Aber diesen Zusammenhang können wir hier vernachlässigen. Immerhin wird sichtbar, dass bereits Ende 1831 Fröbel die voluntative Symbolisierung , das bewusst gewollte, "gesetzte" Vergeistigen der Wirklichkeit propagiert, die ja im Grunde eine Verdopplung darstellt, da generell Wirklichkeit für Fröbel interpretierte, gedeutete, d.h. durch Sprache, Begriffe, Systeme, kurz: Abstrakta bezeichnete Wirklichkeit ist und eine spezifische Klassifizierung bestimmter Formen als Symbole tautologisch anmutet.
Es folgt der abschließende Satz dieses Briefabschnitts:
"Denn die ächte Individualität und Persönlichkeit ist eben so unendlich als die Allgemeinheit und Universalität und bedarf dieser beyden zu ihrer Darstellungsform."
Das klingt metaphysisch. Fröbel setzt hier transzendentalphilosophisch mit theologischer Glaubensfundierung einen integrierten Zusammenhang von Welt, Ich und Gott. Er unterscheidet in diesem Satz zwischen "Individualität" ("Persönlichkeit") und "ächter" Individualität (Persönlichkeit). Im Gegensatz zu der ans "Gemüth" gebundenen Individualität ist die "ächte" Individualität purer Geist (hier kommt Fröbel Hegels idealistischer Geist-Spekulation sehr nahe), und nur so kann "Individualität" "unendlich" gleich "ewig" (Idee) sein, eben so, wie "Allgemeinheit" und "Universalität" und stellt sich durch die Allgemeinheit (Universalität) wieder dar, - soll heißen, wird in einer weiteren Reflexion als Spekulation definiert.
Fröbel spricht abschließend vom "Kampf" in Keilhau, der seiner Auffassung nach überflüssig bzw. durch ihn gelöst wurde, und fasst seine Analyse dann so zusammen:
"Und der daraus entstandene hartnäckige Kampf er würde gewiß noch bis diesen Augenblick und ohne Zweifel in gesteigerter (Hartnäckigkeit) Heftigkeit bestehen wenn es keinem von uns gelungen wäre sich seiner Individualität, seiner Persönlichkeit auf das vollkommenste zu bemächtigen d.h. klar zu erkennen, sie klar erkannt in sich fest zu halten nemlich sich ihrer völlig bewußt sie mit Freyheit aufzugeben um sie in der Universalität und dem Allgemeinen wieder zu finden, sie in demselben und durch dasselbe als ein Unendliches am Unendlichen und im Unendlichen darzustellen" (Heiland 2008, S. 110).
Versuchen wir abschließend, diesen komplexen Gedankengang Fröbels nochmals auf den Punkt zu bringen: Fröbel versteht "Individualität" zunächst als "persönlichen", "eigenen" Gesamtzusammenhang von Empfindungen und Gedanken, als die Subjektivität des einzelnen Menschen, die einfach gelebt wird. Lebt der einzelne Mensch "sphärisch", lebt er denkend, bewusst und total-universal. Er wird sich seiner "Eigenthümlichkeit" dieser Empfindungen und Gedanken im Netzwerk des "Allgemeinen" bewusst. Er erkennt die Begrenztheit der eigenen Empfindungen und Gedanken. Das heißt, er erkennt zugleich die Notwendigkeit, diese eigene Gefühls- und Gedankenwelt auf das "Allgemeine" hin auszuweiten. Diese Erkenntnis ist Produkt der Sphärephilosophie, des sphärischen Denkens. Das sphärische Leben (gleich Denken) geschieht in "Freyheit". Es macht den Einzelnen frei von seiner Subjektivität, seiner natürlichen Individualität, zeigt ihm diese in ihrer Begrenztheit und bindet ihn zugleich an das "Allgemeine". Das Denken im "sphärischen Leben" führt den Einzelnen in die Welt des Allgemeinen, in den Bereich von Wissenschaft, Philosophie und Theologie, vermittelt ihm das Ganze, das Reich des "Unendlichen", des "Geistes" und zeigt ihm sein eigenes Sein, bietet ihm das "Allgemeine" und zeigt ihm seine "Individualität". Aus der nicht begriffenen, einfach gelebten Subjektivität der eigenen Möglichkeiten wird die begriffene, in Freiheit ergriffene, d.h. bejahte und durch das Geistige ausgeweitete Subjektivität als "Individualität" im sphärischen Sinn.
Insofern ist diese neue, geschaffene Lebenswelt der sphärischen "Individualität" auch als Lokalisation, als Bestimmung des eigenen geistigen "Orts" in der Wirklichkeit beschreibbar. Von solcher "Ortsbestimmung" als Funktion von sphärephilosophischer "Individualität" spricht eine Briefnotiz Fröbels vom 29.02.1832 (Br. v.29.2. /12.3.1832/ KN 36,1; Entwurf BN 566,3):
"Man muß den Kindern das Leben die Gesetze des Lebens, die Lebenslehren und Regeln nicht als Gabe, als Lehre, als Geschenk geben, sondern man muß sie alles, so endlich das Leben, die Gesetze, die Lehren des Lebens u so endlich sich selbst finden lassen[;] höchste Aufgabe der Erziehung u des Unterrichtes dieß besonders an Middendorff zu schreiben NB Figuren Erfinden im Klein[en] Raum mit Wenigem ein in sich geschlossenes G[an]ze darzustellen - das Leben des Menschen sey selbst jeder = Stufe ein in sich geschlossenes Ganze wie Figurenerfindung zeigt; dieser Lehrgegenst[an]d = Raum = Gestaltung = Empfindung d.h. immer auf die Einheit in sich u die Zahl = Zeit = Denken = erkennen beziehen; Erkennen d.h. immer den Ort in der Mannigfaltigkeit wissen d.h. die Sonderheit Individualität wissen."
Das "Erkennen" der "Sonderheit" ("Individualität") als ein "Wissen" um den "Ort" in der "Mannigfaltigkeit" der Wirklichkeit - dies also ist Fröbels sphärephilosophische Quintessenz seiner Bemühungen um die Klärung des Begriffs "Individualität".
Anmerkung
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Nachtrag zum PFV-Fachgespräch in Köln am 09.02.2007.
Literatur
Boldt, Rosemarie/Knechtel, Erika/König, Helmut (1982) (Hrsg.): F. W. A. Fröbel. Aus dem pädagogischen Werk eines Menschenerziehers. 3 Bde. Berlin.
Fröbel, Friedrich (1826): Die erziehenden Familien. Wochenblatt. Keilhau-Leipzig.
Fröbel, Friedrich (1844): Mutter und Koselieder. Blankenburg.
Heiland, Helmut (1989): Die Pädagogik Friedrich Fröbels. Hildesheim.
Heiland, Helmut (1998): Die Spielpädagogik Friedrich Fröbels. Hildesheim.
Heiland, Helmut (2007): Fröbels Spielpädagogik. Erziehungskompetenz bei Fröbel - Spielpflege als Integration von Bildung und Lenkung. In: Hammes-Di Bernardo, Eva (Hrsg.): Kompetente Erziehung. Zwischen Anleitung und Selbstbildung. Weimar, Berlin, S. 33-47.
Heiland, Helmut (2008) (Hrsg.): Friedrich Fröbel in seinen Briefen. Würzburg.
Heiland, Helmut/Gebel, Michael (2004) (Hrsg.): Friedrich Fröbel: Das Streben der Menschen. Würzburg.
Hoffmann, Erika (1951) (Hrsg.): Friedrich Fröbels ausgewählte Schriften. Bd. 2: Die Menschenerziehung. Düsseldorf.
Hoffmann, Erika (1952) (Hrsg.): Mein Herzenskind. Fröbels Briefwechsel mit Kindern. Frankfurt/Main, 2. Aufl.
Hoffmann, Erika/Wächter, Reinhold (1986) (Hrsg.): Friedrich Fröbels ausgewählte Schriften. Bd. 5: Briefe und Dokumente über Keilhau. Stuttgart.
Liegle, Ludwig (2007): Reicht Fröbel? Reflexionen zur Erbschaft eines Klassikers. In: pfv-Rundbrief I/2007, S. 27-31.
Pesch, Ludger (2007): Reicht Fröbel? - Ein Fachgespräch. Bericht. In: pfv-Rundbrief I/2007, S. 25-27.
Zimmermann, Hans (1914) (Hrsg.): Fröbels kleinere Schriften zur Pädagogik. Leipzig.