Heinz Schlinkert
Seit dem Herbst 2016 gibt es "Tonies", ein neues Medium für kleinere Kinder, das auf den ersten Blick eine technische Neuheit zu sein scheint. Es handelt sich aber im Grunde um einen digitalen mp3-Player mit analogem Outfit. Das Gerät ist auch leicht von kleinen Kindern zu bedienen, da es in der Abspielfunktion nur wenige Bedienelemente enthält und nur geringe feinmotorische Fertigkeiten voraussetzt.
Technische Beurteilung: knifflige Installation - leichte Bedienung
Die "Toniebox" besteht aus einer robust gebauten Lautsprecherbox, die durch eine Spielfigur in Gang gesetzt wird. Man stellt einfach die Figur auf die Box, und los geht's. Lautstärke und An/Aus-Funktion sind über "Öhrchen" leicht zu regeln. Auch ein Kopfhöreranschluss, ein Akku und ein Ladegerät sind vorhanden.
Mit ca. 80 Euro ist das Einsteigerpaket (Box und eine Hörfigur) ziemlich teuer - einen einfachen Kassettenrekorder für Kinder bekommt man schon für ca. 25 Euro. Zusätzliche Figuren kosten ca. 15 Euro.
Die Einrichtung der Box ist allerdings etwas aufwendig. Auspacken und sofort Abspielen ist out; ohne Internet geht gar nichts. Wichtige Schritte sind die Information über Youtube, die Einrichtung eines Acounts im Internet, die Bestätigung per Mail, die Anmeldung im eigenen WLAN, die Einrichtung der Box und einiges mehr.
Wenn man das alles erfolgreich hinter sich gebracht hat, funktioniert die Box auch ohne Internet. Auf den angebotenen Spielfiguren gibt es vor allem Hörspiele. Alle Tonie-Figuren verkörpern bekannte Medien-Helden wie Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg, Prinzessin Lillifee, die Maus u.a. Durch einen "Klaps" auf die rechte bzw. linke Seite der Box schaltet man weiter zum nächsten bzw. vorhergehenden Kapitel, das klappt aber nicht immer sofort. Über die App kann man zwar eine Liste der Kapitel bzw. Lieder, die in der Box gespeichert sind, ansehen, man kann aber nicht ein Kapitel bzw. ein Lied gezielt damit ansteuern; jeder billige mp3-Player kann da mehr.
Vielseitiger sind die "Kreativ-Tonies", auf die man selber bis zu 90 min Musik- oder Sprachdateien verschiedener Formate aufspielen kann. Eine USB-Schnittstelle gibt es nicht; alle Schritte laufen über das Internet bzw. über die zugehörige App. Auch eigene Sprachaufnahmen sind möglich. Jedoch muss man zunächst den Kreativ-Tonie online registrieren, Dateien auf den Cloud-Server von tonie.de hochladen und dann an der Box synchronisieren. Danach ist alles offline erreichbar. Unklar ist aufgrund der schwammigen AGB, ob man beim Upload selbst gekaufte Dateien auf den "fremden" Tonie-Server hochladen darf.
Pädagogische Beurteilung: Medienpädagogik ist nach wie vor gefragt
Der Hersteller wirbt auf seiner Website tonies.de: "Mit unserem kindgerechten Bedienkonzept möchten wir in einer immer hektischer werdenden Zeit dem konzentrierten Zuhören wieder mehr Raum geben. Zuhören ist gerade für die frühkindliche Entwicklung enorm wichtig: Hören stellt die Basis dar für Spracherwerb, Lese- und Ausdrucksfähigkeit. Daneben regen Hörspiele die Fantasie und Kreativität an, laden zum Träumen ein und eröffnen Kindern einen Zugang zu fremden Welten."
Konzentriert zuhören und Fantasie entwickeln kann man auch bei Gesprächen, bei der Bilderbuchbetrachtung oder mithilfe anderer Medien. Die Toniebox als Audio-Medium eröffnet den Kindern aber den selbstständigen Zugang, erschließt ihnen erstes mediales Handlungswissen und macht sie von den Erwachsenen ein Stück unabhängig. Der freie Zugang zur Box bietet Chancen und Gefahren, die schon oft im Zusammenhang mit anderen Medien wie Kassettenrekordern und Tablets beschrieben bzw. diskutiert wurden (z.B. in Bezug auf die Bilderbuch-Apps bei H. Schlinkert: Literacy im 21. Jahrhundert - Bilderbücher-Apps im Einsatz, http://www.kindergartenpaedagogik.de/2354.pdf).
Es kommt also auf den pädagogischen Umgang an. Bei übermäßigem Gebrauch - der oft abnimmt, wenn andere neue Dinge die Aufmerksamkeit beanspruchen - sollte die "Konsumzeit" begrenzt werden. Vor allem ist wichtig, dass nicht andere wichtige Aktivitäten darunter leiden. Das freie Singen mit Kindern darf nicht fehlen, und auch die Gutnachtgeschichte sollte normalerweise ganz "analog" gestaltet werden, denn soziale Nähe und Zuwendung kann die Toniebox nicht ersetzen.
Sicher werden die Figuren von Kindern auch anders als vom Hersteller geplant in Rollenspielen eingesetzt werden. Da sie robust konstruiert sind, müssten sie das gut überstehen. Sie dann in einer der Spielzeugkisten des Kindes wiederzufinden, wird dann wohl eher die Aufgabe der Eltern sein.
Fazit
Die Toniebox ist recht teuer, besonders wenn man das "Suchtpotential" der immer neu erscheinenden Figuren (Hitparade!) berücksichtigt. Die Installation erfordert einige Internetkenntnisse und manchmal auch einiges an Geduld.
Die Box ist technisch leicht bedienbar und in diesem Sinne gut auf kleine Kinder ausgerichtet. Was man inhaltlich hereingibt bzw. zulässt und in welcher zeitlichen oder situativen Struktur man das Gerät pädagogisch einsetzt, bleibt dem jeweiligen Erziehungsberechtigten überlassen. Interessant wäre zu erfahren, inwieweit die Toniebox auch in Kindertageseinrichtungen eingesetzt wird.
Letztlich ist nicht einzusehen, warum die Funktionalität durchgängig über den Tonie-Server laufen muss. Mit einem eingebauten regulären MP3-Player und einer USB-Schnittstelle wäre die Box leichter zu bedienen; auch der direkte Zugang über das Heimnetz oder über bluetooth wäre eine Lösung. Die Box wäre dann wohl auch billiger und es würden weniger Figuren gebraucht - doch das würde wohl den Umsatz des Herstellers beträchtlich schmälern.
Links
Hersteller-Website mit vielen Videos: https://tonies.de/
Erfahrungsberichte zur Funktionalität: Die Toniebox im Test: Hörspielbox mit Bibi Blocksberg, Benjamin Blümchen & Co. http://www.chip.de/news/Die-Toniebox-im-Test-Hoerspielbox-mit-Figuren-fuer-Kinder_121042232.html (28.11.2017)
Hörspiel-Box Tonies: Geniales Produkt, schwammige AGB. https://www.iphone-ticker.de/hoerspiel-box-tonies-geniales-produkt-schwammige-agb-105689 (28.11.2017)
Testbericht Toniebox - Hörspiel-Würfel mit Ohren. rp-online vom 19.10.2016. http://www.rp-online.de/digitales/neuheiten/testbericht-toniebox-hoerspiel-wuerfel-mit-ohren-fuer-die-kleinen-aid-1.6325910 (28.11.2017)
Autor
Heinz Schlinkert, Bochum, war lange Zeit in der Erzieherinnen-Ausbildung an einem Berufskolleg tätig. Homepage: http://www.schlinkert.eu
Für weitere Anregungen, aber auch für kritische Stellungnahmen, wenden Sie sich bitte an den Autor über schlinkert@web.de