Aus: Klaus Schüttler-Janikulla (Hrsg.): Handbuch für ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. Neuausgabe. München: mvg-verlag 1997, 21. Lieferung
Martin R. Textor
In den letzten Jahren haben immer mehr Kindertageseinrichtungen Formen der weiten Altersmischung eingeführt. Zum einen haben sich manche Kindergartengruppen für einzelne Zweijährige geöffnet oder betreuen ein bzw. mehrere Kinder weiter, obwohl diese bereits eingeschult wurden. Zum anderen haben einige Tagesstätten die sogenannte "kleine" Altersmischung durch die Aufnahme von Kindern vom Säuglingsalter bis zur Einschulung und andere die "große" Altersmischung durch die Aufnahme von Kindern vom Säuglings- oder Kleinkindalter bis hin zu deren 10. oder 12. Lebensjahr eingeführt. Im Folgenden geht es nur um die "kleine" und die "große" Altersmischung - um ihre Vor- und Nachteile. Dazu liegen sowohl Erfahrungsberichte als auch wissenschaftliche Forschungsergebnisse vor.
Erfahrungen mit der weiten Altersmischung
Die vorliegenden Erfahrungsberichte [Ich beziehe mich im folgenden vor allem auf: Erath (1991, 1992); Haberkorn (1994); Gründel (1995); Klein/Vogt (1995); Krappmann/Peukert (1995); Maar (1984); Merker/Schlüter-Kröll (1991); Metzinger (1996); Ministerium für Kultur, Jugend, Familie und Frauen des Landes Rheinland-Pfalz (1994); Petersen (1988/89); Schäfer (1993); Sozialpädagogische Fortbildungsstätte Haus am Rupenhorn/Der Senator für Schulwesen, Jugend und Sport Berlin (1993); Thiersch (1995); Will (1991)] wurden zumeist von ausgewiesenen Vertretern einer weiten Altersmischung verfasst. So überwiegen positive Aussagen. Beim genauen Durchlesen fallen einem aber auch negative Äußerungen auf. Die in den Erfahrungsberichten genannten Vor- und Nachteile einer weiten Altersmischung beziehen sich auf die betreuten Kinder, die Fachkräfte, die Eltern und die Rahmenbedingungen. Sie sollen nun in dieser Reihenfolge vorgestellt werden. Dabei wird die Form der tabellarischen Gegenüberstellung gewählt.
Kategorie
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Vorteile/Chancen
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Nachteile/Gefahren
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Allgemeines
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Altersmischung entspricht dem Leben: nur selten altershomogene Gruppen
weniger Übergänge/ Wechsel von Einrichtungen; mehr Kontinuität
Geschwister können gemeinsam eine Einrichtung besuchen
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aufwendigere Rahmenbedingungen: höherer Personalbedarf, differenziertere Raumgestaltung, höhere Anforderungen an das Personal, mehr Beratung und Fortbildung notwendig
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Kinder
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Kinder haben über Jahre hinweg konstante Bezugspersonen
ältere Kinder sind Verhaltensmodelle für jüngere
Kinder mit Entwicklungsrückständen werden nicht zu Außenseitern
längerfristige Freundschaften unter Kindern sind möglich
mehr Kooperation statt Konkurrenz; weniger Konflikte; weniger Streit um dieselben Spielsachen
jüngere Kinder lernen Modelle der Konfliktlösung von älteren
ältere Kinder sind rücksichtsvoll und hilfsbereit gegenüber jüngeren, bieten Trost und emotionale Unterstützung, lernen Empathie
insbesondere Einzelkinder können in der Gruppe "Ersatz"-Geschwister finden
bessere Selbständigkeitsentwicklung bei jüngeren Kindern aufgrund von Modelllernen und Entwicklungsanreize durch ältere
geringe Fluktuation vermittelt mehr Sicherheit und Geborgenheit
Anwesenheit älterer Kinder gibt Kleinstkindern Sicherheit bei Abwesenheit/Wechsel des Personals
jüngere Kinder profitieren von Interaktionen mit älteren, da sich diese in ihrem Sprachstil besser auf deren Aufnahmefähigkeit einstellen
jüngere Kinder lernen von älteren: mehr Anregungen und Entwicklungsanreize
ältere Kinder lernen durch Lehren und "Tutoring"; sie sichern ihr Wissen durch Weitergabe und Wiederholung
weniger Leistungsdruck, da weniger Konkurrenz durch Gleichaltrige
intensivere schulische Förderung, da nur wenige Schulkinder betreut werden
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bei einer "schlechten" Erzieherin unterliegen Kinder viele Jahre lang ihrem "negativen" Einfluss
Kinder, die von einer Erzieherin als unsympathisch erlebt, zu Sündenböcken gemacht oder eher ignoriert werden, haben wenig Chancen, mit einer anderen Erzieherin bessere Erfahrungen zu machen
ältere Kinder sind nicht nur "positive" Verhaltensmodelle
bei einer weiten Altersspanne fallen Kinder mit Entwicklungsverzögerungen weniger auf (weniger Hilfe)
nur wenige Kinder stehen für "typische" Freundschaften (ähnlich alter Kinder) zur Verfügung
weniger Gruppenzusammenhalt/ -solidarität, da zu viele unterschiedliche Bedürfnisse/ Interessen
Kinder verbleiben lange in bestimmten einmaligen Rollen (z.B. "Nesthäkchen", der Älteste, die Assistentin der Erzieherin)
ältere Kinder können fortwährend ihre Überlegenheit, Stärke und Macht ausspielen
ältere Kinder werden bei ihren Aktivitäten oft gestört und mögen dann zurückweisend und aggressiv reagieren
sehr kleine Kinder können aufgrund ihrer mangelnden sozialen, Sprach- und Spielfertigkeiten isoliert werden
Kinder unter 6 Jahren werden zu wenig auf die Konkurrenzsituation mit vielen Gleichaltrigen in der Schule vorbereitet
Kinder unter drei Jahren können durch die große Gruppe verunsichert werden bzw. in ihr untergehen (kein Gefühl der Geborgenheit)
die Sprachentwicklung verläuft weniger gut, da es weniger Erzieherin-Kind-Interaktionen und angeleitete, geplante, strukturierte Gruppenaktivitäten gibt
die kognitive Entwicklung wird weniger gefördert, da es weniger Erzieherin-Kind-Interaktionen, weniger geplante und strukturierte Lernaktivitäten sowie weniger Arbeit nach einem Wochenplan bzw. nach ausformulierten Lernzielen gibt
ältere Kinder werden kognitiv zu wenig stimuliert und leicht unterfordert, jüngere Kinder eher überfordert
für ältere Kinder gibt es weniger/ keine Spielkameraden in der Gruppe, von denen sie lernen können oder mit denen sie konkurrieren
da immer nur ein, zwei Kinder vor der Einschulung stehen, werden sie weniger auf die Schule vorbereitet
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Erzieherinnen
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können mit Kindern jeden Alters umgehen
gewinnen umfassende entwicklungspsychologische Kenntnisse
kennen Kinder besser, da diese länger in der Einrichtung sind
aufgrund der weiten Altersspanne vielfältigere, interessantere, abwechslungsreichere Arbeit
weites Spektrum an Aktivitäten, Beschäftigungen, Spielen und Materialien kann eingesetzt werden; die Erzieherin bietet den Kindern ein reichhaltiges Anregungs- und Erfahrungsfeld
ganzheitliche Erziehung aufgrund des Zusammenlebens von Personen verschiedenen Alters
einzelne Kinder können besser gefördert werden, da morgens und spätnachmittags die Gruppe klein ist; mehr Individualisierung
mehr Arbeit in Klein- und Projektgruppen
mehr Kontinuität in der Arbeit, da die Kinder länger in der Gruppe sind
leichtere Integration/ Betreuung neuer Kinder, da jedes Jahr nur wenige aufgenommen werden
weniger pflegerische Tätigkeiten als bei Krippenerzieherinnen, da nur wenige Kleinstkinder in der Gruppe
intensive Zusammenarbeit notwendig, um pädagogische Arbeit mit Kindern verschiedenen Alters zu planen und einzelne Angebote/ Aktivitäten zu koordinieren
Planung ist intellektuell stimulierend
große Flexibilität gefragt
mehr Öffnung von Kindertageseinrichtung und Familie aufgrund der langen Zeit der Zusammenarbeit
Erzieherinnen haben mehr Kenntnis von der Familiensituation der Kinder
mehr Einfluss auf die Familienerziehung aufgrund des längeren und intimeren Kontakts
langfristige Erziehungspartnerschaft: Erzieherinnen und Eltern müssen sich mit Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen der jeweils anderen Seite auseinandersetzen
konstante Elternarbeit über einen langen Zeitraum möglich
neue Familien und solche mit besonderen Bedürfnissen können schneller bzw. besser integriert werden
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Gefahr der Konzentration auf eine bestimmte Altersgruppe (z.B. auf kleinere Kinder, da diese viel Aufmerksamkeit und Zuwendung verlangen; z.B. auf ältere Kinder, da die Arbeit mit ihnen interessanter ist)
erfolgreiches Arbeiten setzt breites entwicklungspsychologisches und pädagogisches Wissen voraus, das in Aus- und Fortbildung nicht vermittelt wird
weniger Berufszufriedenheit: Erzieher/innen haben das Gefühl, nicht allen Kindern gerecht zu werden, benötigen häufiger Beratung
erschwertes Arbeiten mit der Gesamtgruppe aufgrund sehr unterschiedlicher Fähigkeiten, Interessen usw.
bei Beschäftigungen und Projekten ist es sehr schwer, allen Kindern gerecht zu werden; oft Störung durch kleinere Kinder (Unaufmerksamkeit, nicht beherrschte Alltagsroutinen)
Gefahr der Unterforderung älterer und der Überforderung jüngerer Kinder
die Notwendigkeit, für jede Altersgruppe geeignetes Material zur Verfügung zu stellen, bedeutet weniger Auswahlmöglichkeit für das einzelne Kind
Individualisierung und Arbeit in Kleingruppen kosten viel Zeit (ineffizient) und bedeuten in der Summe weniger Interaktion der Erzieherin mit dem einzelnen Kind, weniger Lehren und weniger strukturierte Aktivitäten
sehr komplexe Planung, wenn altershomogene Gruppen für Beschäftigungen/ Aktivitäten gebildet werden
hoher Zeitaufwand für Planung, Abstimmung, Vor- und Nachbereitung
Gefahr unklarer pädagogischer Ziele und, daraus resultierend, mangelnder Planung
sieht die Erzieherin in der Elternarbeit keinen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit, werden Erziehungspartnerschaft, wechselseitige Öffnung, Beeinflussung der Familienerziehung usw. über die gesamte Dauer des Aufenthalts des Kindes in der Einrichtung hinweg nicht/kaum realisiert
wird die Erzieherin bei Kindesmisshandlung, sexuellem Missbrauch, Erziehungsfehlern der Eltern usw. nicht aktiv, erfährt das Kind jahrelang keine Hilfe (bei der "klassischen" Kinderbetreuung wechselt das Kind nach zwei oder drei Jahren die Einrichtung: die neue Erzieherin mag dann aktiv werden)
die Erzieherin muss sich bis zu 10 Jahre lang mit "problematischen" Eltern (z.B. Quertreibern) auseinandersetzen
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Eltern
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aufgrund des langen Verbleibs des Kindes erscheint Eltern ein Engagement in der/für die Einrichtung sinnvoller: mehr Mitarbeit, mehr Einbringen eigener Kompetenzen
Eltern haben länger Kontakt miteinander, kennen einander besser, sind mehr an gemeinsamen (Freizeit-) Aktivitäten, Familienselbsthilfe u.Ä. interessiert
offenerer Gesprächs- und Erfahrungsaustausch, intensiveres Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund langer Kontakte und geringer Fluktuation
müssen nicht für jedes Kind ein separates Betreuungsarrangement suchen
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Eltern, die sehr kleine oder Schulkinder fremdbetreuen lassen, haben oft für Aktivitäten im Rahmen der Elternarbeit wenig/keine Zeit (da vollerwerbstätig, alleinerziehend usw.); kein Engagement
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Wissenschaftliche Forschungsergebnisse
Bisher gibt es in Deutschland nur ganz wenige empirische Untersuchungen zur weiten Altersmischung. Eine von ihnen wurde im Auftrag des Ministeriums für Kultus, Jugend, Familie und Frauen des Landes Rheinland-Pfalz (1994) durchgeführt und bezog sich auf zehn "Häuser für Kinder" mit "großer" Altersmischung. Die befragten 67 pädagogischen Fachkräfte berichteten von einer größeren Zufriedenheit mit ihrer Arbeit, die als anstrengender, aber auch als abwechslungsreicher und anregender als die Tätigkeit in Regeleinrichtungen erlebt wurde. Bildungsangebote (z.B. nach einem Rahmenplan) traten gegenüber pflegerischen und betreuenden Aktivitäten zurück. Auch war viel Differenzierung notwendig; nur selten waren alle Kinder zusammen. Bei den Sechsjährigen wurde weniger "Kindergartenmüdigkeit" erlebt, wenn Schulkinder in der Gruppe waren. Diese suchten jedoch vermehrt altersgleiche Partnerschaften und wollten ihren altersentsprechenden Interessen nicht mehr ausschließlich im "Haus für Kinder" nachgehen. Ein überraschendes Ergebnis war, dass während der Modellphase rund ein Drittel aller betreuten 101 Kinder abgemeldet wurde. Als Gründe wurden vor allem eine Verringerung des Betreuungsbedarfs oder ein Umzug genannt.
Eine andere deutsche Untersuchung bezog sich auf das Kinderhaus Sebastianstraße in Ingolstadt (Erath 1994), in dem es vier Gruppen mit "kleiner" Altersmischung gibt. Fast alle befragten Eltern waren der Meinung, dass sich ihre Kinder ohne Probleme in der Einrichtung eingewöhnt hätten, sich dort uneingeschränkt wohl fühlen würden, gerne in die Einrichtung gingen, dort glücklich seien und genügend gefördert würden. Nahezu alle sahen die Altersmischung positiv. Von den 29 Schulanfängern erreichten alle die Schulreife laut dem Reutlinger Test für Schulanfänger. Ferner wurde festgestellt, dass sich die Erzieherinnen mehr zurücknahmen und sich weniger an vorschulischen Kriterien orientierten.
Die dritte deutsche Untersuchung bezog sich auf vier Einrichtungen mit "großer" Altersmischung (190 Kinder) und acht Kooperationseinrichtungen mit normaler Altersmischung in Krippe, Kindergarten und Hort (Minsel 1996). Hier wurden die Interaktionen zwischen den Kindern untersucht, indem die Erzieherinnen zu maximal 22 Messzeitpunkten die Kinder für jeweils eine Woche beobachteten und am Ende der Woche die Häufigkeit der Interaktionen zwischen je zwei Kindern einschätzten. Bei weiter Altersmischung ist "in etwa der Hälfte der untersuchten Fälle zu beobachten, dass die Kinder, die am Rande der Altersverteilung liegen, deutlich weniger Kontakt haben als die Kinder, die in der Mitte der Altersverteilung liegen. Durch die breite Altersmischung und gleichzeitig die kleine Gruppengröße haben die ältesten Kinder nur die Möglichkeit, mit mehr oder weniger jüngeren zu spielen (umgekehrt die jüngsten nur mit mehr oder weniger älteren), wogegen die mittleren Kinder sich sowohl ältere als auch jüngere Kinder suchen können" (S. 27 f.) (In der Vergleichsgruppe (Regeleinrichtungen) hatten die ältesten Kinder mehr Kontakte als die jüngeren). Zugleich wurden mehr Interaktionen zwischen Jungen und Mädchen als in Regeleinrichtungen festgestellt, was mit dem Mangel an gleichaltrigen und gleichgeschlechtlichen Kindern in der Gruppe erklärt wurde (generell spielten Jungen eher mit Jungen, Mädchen eher mit Mädchen). Ferner wurden die Schulkinder nach ihren drei besten Freunden gefragt. Hier wurden zumeist gleichaltrige und gleichgeschlechtliche Kinder genannt. Außerdem wurden die pädagogischen Fachkräfte hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit der weiten Altersmischung befragt. Sie waren überwiegend der Meinung, dass sich jüngere Kinder einen größeren Wortschatz aneignen, dass der Schuleintritt erleichtert würde und dass ältere Kinder rücksichtsvoller mit jüngeren umgehen würden als in Regeleinrichtungen. Generell wurden mehr Vorteile für die jüngeren Kinder gesehen. Die Erzieherinnen berichteten zumeist von positiven Erfahrungen, aber auch davon, dass die Arbeit mit der Gesamtgruppe schwieriger sei.
Da in den meisten Ländern außerhalb Deutschlands schon eine Altersmischung von drei Jahren - wie im Kindergarten - unüblich ist und in der Fremdbetreuung Jahrgangsgruppen überwiegen, liegen aus dem Ausland kaum Forschungsergebnisse vor. Eine Ausnahme bildet Schweden, wo die "kleine" Altersmischung weit verbreitet ist: 1991 wurden rund 43 % der Kleinkinder in Gruppen von Ein- bis Sechsjährigen betreut (Sundell 1994b). Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren positive Forschungsergebnisse aus der zweiten Hälfte der 1970-er Jahre, die Vorteile einer weiten Altersmischung für die kindliche Sozialentwicklung belegten. In den 1980-er Jahren kritisierten jedoch viele der in solchen Gruppen tätige Fachkräfte diese Praxis, insbesondere den hohen Zeitaufwand für die Kleinstkinder und die Schwierigkeit, für die altersgemischte Gruppe Bildungsangebote durchzuführen. Dies führte gegen Ende der 1980-er und zu Beginn der 1990-er Jahre zu neuen und qualitativ besseren Untersuchungen, die zu eher negativen Ergebnissen führten. So werden in Schweden die Altersgruppen wieder zunehmend getrennt betreut (Pramling in Druck).
Beispielsweise verglich Sundell (1994a) 179 Kinder in 14 Kindertageseinrichtungen mit unterschiedlich weiter Altersmischung anhand von Testergebnissen. Er ermittelte, dass bei einer größeren Altersspanne in der Gruppe (Ein- bis Sechsjährige) die Kinder sowohl eine schlechtere Sprach- als auch kognitive Entwicklung aufwiesen. Dies wurde auf die Schwierigkeit der Fachkräfte zurückgeführt, Kindern so unterschiedlichen Alters und mit so verschiedenen geistigen Fähigkeiten gerecht zu werden, sie angemessen zu bilden und anhand von klaren Zielen zu fördern. Die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder wurde durch Unterschiede in der Altersmischung nicht beeinflusst - also durch die "kleine" Altersmischung nicht verbessert.
Bei einer anderen Untersuchung von Sundell wurden die Fachkräfte in 424 vorschulischen Einrichtungen hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit der Altersmischung befragt (zusammengefasst in Sundell 1994b). Sie meinten, dass sich Kinder - vor allem die älteren in der Gruppe - umso schlechter entwickeln würde, je größer die Altersspanne zwischen jüngstem und ältestem Kind sei. Nach einer schwedischen Untersuchung von Broberg und Kollegen (1989) verliefen die Persönlichkeits- und Sozialentwicklung von Kindern bei weiter Altersmischung weniger positiv. Andere empirische Studien (zusammengefasst bei Pramling in Druck und bei Sundell 1994b) ergaben, dass die Fachkräfte in Gruppen mit kleiner Altersmischung weniger zufrieden mit ihrer Arbeit waren. Insbesondere hatten sie das Gefühl, nicht allen Kindern gerecht zu werden, sie nicht genügend zu fördern und Bildungsangebote zu oft abbrechen zu müssen, weil Kleinstkinder störten. Sie erlebten es als schwierig, ihre Aktivitäten der weiten Altersspanne anzupassen, und benötigten extrem viel Vorbereitungszeit, die stattdessen mit den Kindern hätte verbracht werden können. Auch suchten sie überdurchschnittlich oft Psychologen wegen dieser Probleme auf.
Schlusswort
Insbesondere die schwedischen Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass viele der in vorstehender Tabelle genannten Nachteile einer weiten Altersmischung durchaus real sind. Die in der deutschsprachigen Fachliteratur vorherrschenden sehr positiven Erfahrungsberichte sollten also mit einer gehörigen Portion Skepsis betrachtet werden. Nicht nur sind die in Einrichtungen mit weiter Altersmischung arbeitenden Fachkräfte "Pioniere" mit der entsprechenden Motivation und viel Enthusiasmus, sondern oft sind auch die Rahmenbedingungen überdurchschnittlich gut - beispielsweise umfasst die Gruppe häufig nur 15 Kinder (wobei die Schulkinder bei "großer" Altersmischung erst am Nachmittag anwesend sind), sind vielfach mehr als zwei Fachkräfte pro Gruppe tätig. Wahrscheinlich wären auch Erzieherinnen in Regeleinrichtungen unter solchen Arbeitsbedingungen zufriedener und hätten den Eindruck, mehr bei den Kindern zu bewirken.
Deutlich wird, dass dringend mehr wissenschaftliche Untersuchungen über die weite Altersmischung durchgeführt werden sollten. Insbesondere ist ein Vergleich der Entwicklung von Kindern in Gruppen mit unterschiedlichen Altersspannen nötig. Dabei sollten auch die in anderen Ländern üblichen Jahrgangsgruppen einbezogen werden. Auch sie dürften Vorteile haben, denn sonst wären sie in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern nicht die Regel.
Literatur
Broberg, A./Hwang, P./Lamb, M.E./Ketterlinus, R.D.: Child care effects on socioemotional and intellectual competence in Swedish preschoolers. In: Lande, J.S./Scarr, S./Gunzenhauser, N. (Hg.): Caring for children: challenge to America. Hillsdale: Erlbaum 1989, S. 49-75
Erath, P.: Kinder in einer altersgemischten Gruppe im Kinderhaus Sebastianstraße. KiTa Bay 1991, S. 91-93
Erath, P.: Abschied von der Kinderkrippe. Plädoyer für altersgemischte Gruppen in Tageseinrichtungen für Kinder. Freiburg: Lambertus 1992
Erath, P.: Abschlußbericht zum Forschungsprojekt "Erprobung pädagogischer Methoden in der Tagesbetreuung von Kindern im Vorschulalter in altersgemischten Gruppen (0-6) unter besonderer Berücksichtigung der Forderungen der Rahmenpläne (Art. 4, 7 BayKig bzw. 4. DVBayKIG)" im Kinderhaus Sebastianstraße der Bürgerhilfe Ingolstadt e.V. 1992-1994. Manuskript. Eichstätt: Katholische Universität Eichstätt 1994
Haberkorn, R.: Altersgemischte Gruppen. Eine Organisationsform mit vielen Chancen und der Aufforderung zu neuen Antworten. In: Deutsches Jugendinstitut (Hg.): Orte für Kinder. Auf der Suche nach neuen Wegen in der Kinderbetreuung. München: DJI Verlag Deutsches Jugendinstitut 1994, S. 129-148
Gründel, S.: Das Modell altersgemischte Kindergruppe. Eine besondere Form der Kindertagesbetreuung. Unsere Kinder 1995, 50 (1), S. 14-15
Klein, L./Vogt, H.: Leben in der Familiengruppe. Ein Praxisbuch über die große Altersmischung. Freiburg: Lambertus 1995
Krappmann, L./Peukert, U. (Hg.): Altersgemischte Gruppen in Kindertagesstätten. Reflexionen und Praxisberichte zu einer neuen Betreuungsform. Freiburg: Lambertus 1995
Maar, G.: Zusammenleben in altersgemischten Gruppen. Tagesbetreuung für Kinder von 0-6 Jahren in Nordrhein-Westfalen. Unsere Jugend 1984, 36, S. 479-490
Merker, H./Schlüter-Kröll, K.: Altersgemischte Gruppen (0,4-6 Jahre) in Tageseinrichtungen - Entwicklungschancen für Kinder. Christ und Bildung 1991, 37, S. 343-345
Metzinger, A.: Das sozialpädagogische Modell "Kinderhaus". KIGA-Magazin '96, S. 106-108
Ministerium für Kultur, Jugend, Familie und Frauen des Landes Rheinland-Pfalz (Hg.): "Haus für Kinder". Abschlußbericht. Mainz: Selbstverlag 1994
Minsel, B.: Modellversuch Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen. Abschlußbericht. Manuskript. München: Staatsinstitut für Frühpädagogik, Juli 1996
Petersen, G.: Auf die Mischung kommt es an. Kinderzeit 1988/89, 1, S.13-17
Pramling, I.: Die Qualität der Kinderbetreuung aus schwedischer Sicht. In: Fthenakis, W.E./Textor, M.R. (Hg.): Qualität von Kinderbetreuung: Konzepte, Forschungsergebnisse, internationale Perspektiven. Weinheim: Beltz, in Druck (erschienen 1998, S. 219-230)
Schäfer, M.: Viele Wege führen zum Ziel. Die Umwandlung von Regeleinrichtungen zu Kindergemeinschaftsgruppen. Kindergarten heute 1993, 23 (5), S. 26-36
Sozialpädagogische Fortbildungsstätte Haus am Rupenhorn/Der Senator für Schulwesen, Jugend und Sport Berlin: Altersmischung - Materialien und Anregungen für die Arbeit in der Kindertagesstätte. In: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hg.): Kita Debatte, Schwerpunkt Altersmischung. Potsdam: Selbstverlag 1993, S. 42-45
Sundell, K.: Instructional style, age span in child groups and speech, cognitive and socioemotional status. In: Laevers, F. (Hg.): Defining and assessing quality in early childhood education. Leuven: Leuven University Press 1994a, S. 27-37
Sundell, K.: Mixed-age groups in Swedish nursery and compulsory schools. Manuskript. Stockholm: Stockholm Social Welfare Administration, Bureau for Research and Development 1994b
Thiersch, R.: Altersmischung. Klein & Groß 1995, 48 (1), S. 16-19
Will, R.: Altersgemischte Gruppen - Ein neuer Weg in der Erziehung? Christ und Bildung 1991, 37, S. 345-347
Nachtrag zu den Forschungsergebnissen zur Altersmischung (2009)
Im Kontext der Recherchen für einen Buchbeitrag (Textor 2009) stieß ich auf einige neuere Forschungsergebnisse zur Altersmischung, die im Folgenden kurz referiert werden sollen.
In Deutschland untersuchten Wüstenberg und Riemann (2008) 870 Spielkonstellationen in Gruppen mit ein- bis sechsjährigen Kindern. Sie stellten fest, dass in 49% der Fälle Kinder allein spielten. Dies traf vor allem auf jüngere Kinder zu. An 51% der Spielkonstellationen waren mindestens zwei Kinder beteiligt. Hier waren ältere Kinder überrepräsentiert.
Im Gegensatz zu anderen Untersuchungen ermittelten die Forscherinnen, dass die Spielkonstellationen mit 64% zu 36% häufiger altersgemischt als altersgleich waren. "Die differenzierte Analyse zeigt jedoch eine Tendenz zu mehr altersgleichen Spielpartnerschaften, wenn fünf Kinder in der untersuchten Altersgruppe zur Verfügung standen. Das traf für alle Altersstufen, besonders deutlich aber für die fünf- und sechsjährigen Kinder zu" (S. 28). Da jedoch Gruppen mit ein- bis sechsjährigen Kindern in der Regel relativ klein sind (ca. 15 Kinder), tritt diese Situation nur selten auf. Deshalb sollten laut Wüstenberg und Riemann (a.a.O.) jeweils zwei Gruppen miteinander kooperieren, so dass bei gemeinsamen Aktivitäten oder beim Freispiel genügend Gleichaltrige für das soziale Spiel zur Verfügung stehen.
Interessant ist auch das Forschungsergebnis, dass die Qualität des Spiels in altersgleichen und altersgemischten Gruppierungen unterschiedlich war: "In altersgleichen Spielkonstellationen spielten die Kinder zu 83% in Dyaden, also zu zweit, und überwiegend geschlechtshomogen. Diese Spielpartnerschaften wurden häufig in gleicher Formation fortgesetzt. Das heißt, ein Kinderpaar entwickelte seine Spiele über mehrere Tage weiter, was wir unter Gesichtspunkten von Ko-Konstruktion als bedeutsames Entwicklungspotenzial ansehen"
(Wüstenberg und Riemann 2008, S. 39). Hinzu kommt, dass an dem Spiel der Dyade immer wieder andere Kinder für kurze Zeit teilnahmen. "In altersfernen Spielgruppen (Altersabstand ab 18 Monaten) spielten die Kinder ganz überwiegend in Konstellationen zu dritt und häufig in großen Spielgruppen mit vier, fünf oder noch mehr Kindern. In 20% der altersfernen Spielpartnerschaften haben sich sogar Mädchen und Jungen in einer Altersspanne von 1-6 Jahren zusammengetan. Diese Spielgruppen waren Ad-hoc-Gruppen, zeigten eine besondere Organisationsfähigkeit der Kinder untereinander und eine hohe Bereitschaft, die Jüngsten zu integrieren. Aber sie wiederholten sich nicht..." (Wüstenberg und Riemann 2008, S. 39).
Ähnliche Forschungsergebnisse wurden in einer englischsprachigen Dissertation vorgestellt. Hier ermittelte Archer (2007), dass in Gruppen mit drei Jahrgängen die vier- und fünfjährigen Jungen und Mädchen sowie die dreijährigen Buben am liebsten mit Kindern des gleichen Geschlechts spielten. Die Dreijährigen spielten am häufigsten mit anderen Dreijährigen, während Vier- und Fünfjährige oft miteinander spielten.
Bailey, Burchinal und McWilliam (1993) waren hingegen mehr an der Entwicklung von Kindern im Alter von 21 Monaten bis sechs Jahren in altersgemischten und altershomogenen Gruppen interessiert. Sie untersuchten die Kinder mit entwicklungspsychologischen Tests und stellten fest, dass in altersgemischten Gruppen bei Kindern im Alter von 22 bis 57 Monaten zunächst eine rasche Zunahme der Punktzahl und dann eine Abflachung zu beobachten war, während bei Kindern derselben Altersgruppe in altershomogenen Gruppen ein eher linearer Anstieg der Punktzahl auftrat. Auch die Studie von Winsler et al. (2002), bei der es jedoch nur um Drei- und Vierjährige ging, ergab, dass bei der Alterstrennung die Entwicklungsunterschiede zwischen den beiden Jahrgängen größer waren, während bei der Altersmischung die Dreijährigen mehr wie die Vierjährigen - und die Vierjährigen mehr wie die Dreijährigen waren.
Die jüngeren Kinder profitierten also zunächst von der Altersmischung. Ihr Vorsprung gegenüber Kindern in altersgleichen Gruppen konnte aber nicht aufrecht erhalten werden - vielleicht weil die älteren Kinder weniger Förderung erhielten, da sich die Fachkräfte auf die jüngeren Kindern mit ihrem größeren Betreuungsbedarf konzentrierten, oder weil die älteren Kinder anspruchsvolle Aktivitäten, Gespräche über sie interessierende Themen oder komplexe Spiele aufgrund der Unterbrechung durch jüngere Kinder häufig nicht fortführen und damit deren Lernpotenzial nicht voll ausnutzen konnten (Bailey, Burchinal und McWilliam 1993).
Die im Nachtrag vorgestellten Forschungsergebnisse bestätigen also viele der im Hauptartikel gemachten Aussagen. Kinder scheinen Beziehungen zu Gleichaltrigen (möglichst mit demselben Geschlecht) gegenüber Beziehungen zu jüngeren oder älteren Kindern zu bevorzugen. Hinsichtlich ihrer Entwicklung profitieren eher jüngere Kinder von altersgemischten Gruppen, während ältere Kinder eher benachteiligt sind.
Literatur
Archer, Lizbeth Ann: Social Strategies Among Preschoolers in a Mixed-Age Setting. Dissertation Abstracts International: Section B: The Sciences and Engineering 2007, 68 (3-B), S. 1958
Bailey, D.B./Burchinal, M.R./McWilliam, R.A.: Age of Peers and Early Childhood Development. Child Development 1993, 64, S. 848-862
Textor, M.R.: Formen von Kindertageseinrichtungen: Chancen und Risiken der Altersmischung. In: Münch, M.-T./Textor, M.R. (Hrsg.): Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige zwischen Ausbau und Bildungsauftrag. Berlin: Eigenverlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 2009, S. 107-120
Winsler, Adam/Caverly, Sarah L./Willson-Quayle, Angela/Carlton, Martha P./Howell, Christina/Long, Grace N.: The Social and Behavioral Ecology of Mixed-Age and Same-Age Preschool Classrooms: A Natural Experiment. Journal of Applied Developmental Psychology 2002, 23 (3), S. 305-330
Wüstenberg, W./Riemann, I.: Spielkontakte in der altersgemischten Gruppe. Ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Studie, TPS – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik 2008, Heft 7, S. 38-39