Theresia Gerhard und Beate Schmidt
Vorüberlegungen
Begründung und Organisation der Aufnahme von Kindern unter drei Jahre
- Die Strukturen im Kitabereich verändern sich.
- Im Kindergartenjahr 1997/98 ist der Bedarf für Kinder ab drei Jahre nicht mehr so groß (freie Plätze machen die Öffnung für andere Altersgruppen möglich).
- In der Vergangenheit gab es immer wieder Anfragen für die Aufnahme von Kindern unter drei Jahre.
- Genug Kapazität für Schulkindbetreuung im Stadtteil, aber kein Angebot für Kleinkinder.
Bedarfsumfrage
- Im Rahmen einer Bedarfsumfrage bei Eltern - im Frühjahr 1998 - konnten wir großen Bedarf für eine Kleinkindbetreuung feststellen.
- Gespräche mit Fachdiensten (z.B. Frühförderung, Aufsuchende Beratung) unterstrichen den Bedarf.
- Gründe: z.B. stundenweise Berufstätigkeit der Mutter; Behörden- und Ämtergänge u.v.a.m.
Gespräch mit Verantwortlichen der Stadt Würzburg
- In einem Gespräch, im Sommer 1998, stellten Kindergartenleitung und Träger die konzeptionellen Überlegungen den Verantwortlichen der Stadt Würzburg (u.a. Sozialreferent, Jugendamtsleitung) vor.
- Die Stadt genehmigte die Aufnahme von Kindern ab zwei Jahren und überprüfte, ob eine Kostenübernahme auch für die unter-3-jährigen Kinder möglich ist.
- Ende Oktober 1998 bekamen wir Bescheid, dass in sozialen Härtefällen die Kosten ebenfalls übernommen werden können.
Informationselternabend
Inhalte waren:
- Bedürfnisse und Wünsche der Eltern in bezug auf die Notwendigkeit der Betreuung.
- Wünsche der Eltern für das Kind im Kindergartenalltag.
- Vorstellung bzw. Konzept des Kindergartens.
(zum Elternabend siehe Anlagen 1 und 2)
Literatur zur Vorbereitung
Däschner, G.: Miteinander im Kleinstkindalter. Luther-Verlag, Bielefeld 1992
Däschner, G.: Konzept für die Arbeit mit (Klein-) Kindern. Paritätische Familien-Bildungsstätte, München 1997
Däschner, G.: Bananenschale und Löwenzahn. Paritätische Familien-Bildungsstätte, München 1995
Die Anmeldung
Aufnahmegespräch und Formalitäten
Die Aufnahmemodalitäten entsprechen denen der Kinder ab 3 Jahre. Es findet ein Aufnahmegespräch statt, ein ärztliches Attest ist vorzulegen und ebenso die Einverständniserklärung für Aktivitäten außerhalb des Kindergartens, denn auch die Kleinen dürfen an Spaziergängen und kleinen Unternehmungen außerhalb der Einrichtung teilnehmen.
Gespräch über das Kind und seine bisherige Entwicklung
Einen besonderen Stellenwert hat das Anmeldegespräch. Mit Hilfe eines Formblattes informieren wir uns z.B. über mögliche Ablöseschwierigkeiten, über die bisherige Entwicklung des Kindes, über seine Lieblingsspielsachen, über das Spielverhalten sowie sprachliche Besonderheiten. Gleichzeitig lassen wir Informationen über unseren Kindergartenalltag in das Gespräch einfließen.
Thematisiert wird hier auch immer die Sauberkeitserziehung, wobei die Aufnahme eines Kindes auch mit Windeln möglich ist.
Anmeldeunterlagen
- Wie bei der Aufnahme in den Kindergarten (Attest, Aufnahmevertrag, etc.).
- Die Eltern bekommen ein Infoheft.
- Infos über Ferienzeiten, Kosten u.v.m.
Formales u.a.
- Kindergartenbesuchszeiten für die unter-3-jährigen Kinder
- Kindergartenbeitrag
- Kostenübernahme
- Abholerlaubnis für Fremdpersonen
Pädagogische und konzeptionelle Inhalte
Besondere Ziele und Schwerpunkte
- Die langsame und individuelle Ablösephase von bisherigen Bezugspersonen.
- Die individuelle Eingewöhnungszeit.
- Sprachliche Anregungen für die Kinder durch kleine, spielerische Angebote im Tagesablauf.
- Die Vorbereitung auf die Großgruppe.
Damit sich die Kinder langsam an den Alltag im Kindergarten gewöhnen können, halten sie sich zunächst die meiste Zeit am Vormittag in der Kleingruppe "Bummistübchen" auf.
Die langsame und individuelle Ablösephase vom Elternhaus
- Wie lange muss eine häusliche Bezugsperson anwesend sein?
- Wie lange bleibt das Kind alleine, wenn die Mutter zwar in der Nähe (in einem anderen Raum im Kindergarten), aber nicht in der Gruppe ist? (Steigerung von ca. 5 Minuten bis 30 Minuten).
- Kann das Kind ca. 1 Stunde problemlos bleiben, wenn die Mutter den Kindergarten verlässt?
- Langsamer Übergang in den Kindergarten: Anwesenheit des Kindes zunächst nur im Freispiel. - Nach der Ablösephase den ganzen Vormittag.
Die Ablösephase muss für jedes Kind individuell gestaltet werden. Für die meisten Kinder bedeutet der Kindergartenbesuch auch gleichzeitig die erste Trennung von der häuslichen Bezugsperson.
Wesentliche Punkte für die Ablösephase:
- Zunächst nur stundenweise Betreuung in Anwesenheit von Mutter/Vater/Oma ...
- Dann langsame Anwesenheit ohne häusliche Bezugsperson (evtl. nur 30 Minuten bis 1 Stunde).
- In der Regel dauert die Ablösephase ca. eine Woche bis maximal zwei Wochen.
Grundsätzlich gilt: Vom Kind verabschieden! - Pünktlich zum Abholen kommen (Vertrauen)!
Individuelle Eingewöhnungszeit
- Wie sicher fühlt sich das Kind in der Gruppe?
- Lässt es sich auf das Spielen ein?
- Akzeptiert es unterschiedliche Bezugspersonen im Kindergarten?
- Beteiligt es sich an Aktivitäten im Kindergartenalltag?
- Kann es sich an Regeln halten?
- Traut es sich selbständig kleine Aufgaben zu (z.B. Brotzeittasche von der Garderobe holen)?
- Isst es mit?
Selbstbestimmung und soziale Kompetenz als Voraussetzungen für den Alltag in der Großgruppe
- Spiele ich alleine oder gehe ich zu anderen Kindern?
- Mit wem spiele ich?
- Welches Spielzeug suche ich mir aus?
- Schaue ich lieber zu?
- Warten können, bis ein Spielzeug, das ich vielleicht haben möchte, frei ist.
- Durch Handzeichen oder verbal meine Wünsche deutlich machen (Spielsachen nicht einfach wegnehmen).
- Körperliche Kontakte dosieren lernen (z.B. nicht so grob sein).
Sprachliche Anregungen für die Kinder durch kleine, spielerische Angebote im Tagesablauf
- Alle Abläufe werden mit Sprache unterstützt.
- Verse/Lieder als Rituale: vor dem Aufräumen, als Überleitung zu einem gemeinsamen Beschäftigungsangebot, zu Beginn des Stuhlkreises, zum Anstellen an der Türe ...
- Plaudereien; einfache Sachgespräche (z.B. zum Thema Regenwurm).
- Einfache Bilderbücher anschauen.
- Im Bummiheft "lesen".
- In der Fotomappe blättern.
- Singen.
- Kniereiterspiele.
- Einfache Kreis- und Bewegungsspiele.
- Mundmotorik- und Blaseübungen (mit Strohhalmen, Salzstangen, Bonbonstäbchen, Seifenblasen u.v.a.m.).
Der Übergang in die Großgruppe
- Regelmäßige Kontakte zu den größeren Kindern und zu allen Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen (z.B. durch gegenseitige Besuche).
- Kurze Anwesenheit in der Großgruppe (z.B. im Frühdienst).
- Beschäftigungsangebote in der Kleingruppe (z.B. im Stuhlkreis).
- Regeln in der Kleingruppe (in Anlehnung an die Großgruppe).
- Feste/Feiern/Mittagessen in der Großgruppe.
- Die Neugier auf die anderen Räume/Kinder (d.h. die Großgruppe) unterstützen.
- Selbständige und eigenverantwortliche Anwesenheit in der Großgruppe (z.B. 30-45 Minuten).
- Soziale Kompetenzen erlangen.
- Teilen können.
- Bedürfnisse äußern.
Wichtig: Langsamer Übergang!
Der Vormittag in der Kleingruppe "Bummistübchen"
Tagesablauf
ab 08.00 bis 09.00 Uhr: Bringzeit (Austausch mit den Eltern)
08.00 bis 09.00 Uhr: Freispiel
ab 09.00 Uhr: Körperpflege (auch Selbständigkeit - z.B. Hände waschen), gemeinsames Frühstück, individuelles Beenden der Brotzeit, Windeln wechseln
bis 10.20 Uhr: Freispiel, Beschäftigungsangebote mit einzelnen Kindern (z.B. Malen)
bis 10.45 Uhr: gemeinsames Aufräumen, Fingerspiel "Pinki" (tägliches Ritual), Obstfrühstück
10.45 bis 11.15 Uhr: gemeinsames Beschäftigungsangebot, z.B. Stuhlkreis, Turnen, Kreis- und Bewegungsspiele, Kneten, Spaziergang, Aufenthalt im Freien
ab 11.15 Uhr: Abholzeit (Austausch mit den Eltern)
Gruppenübergreifende Aktivitäten
- Vor 8.00 Uhr bzw. nach 11.30 Uhr halten sich die Kinder ausschließlich in den Großgruppen auf.
- Im Rahmen der Freispielzeit ist auch der Aufenthalt von einzelnen älteren Kindern in der Kleingruppe möglich.
- Zum gemeinsamen Beschäftigungsangebot kommen zum Teil zusätzlich jüngere Kinder aus den Großgruppen in die Kleingruppe.
- Feste werden grundsätzlich gemeinsam in den Großgruppen gefeiert.
Erste Erfahrungen aus dem Alltag mit den unter-3-jährigen Kindern
Unsere Ziele und Schwerpunkte haben sich im Alltag mit den Kindern unter drei Jahren bewährt und sollen daher auch in Zukunft im Wesentlichen beibehalten werden.
Kinder nicht überfordern
Um die kleinen Kinder nicht zu überfordern, ist der regelmäßige Aufenthalt in der Kleingruppe besonders wichtig. Hier sind Spielangebote, Kinderzahl und äußere Eindrücke überschaubar und speziell auf die Altersgruppe der unter-3-jährigen Kinder abgestimmt. Die Kleingruppe ermöglicht den Kindern, sich leichter zu orientieren.
Für manche Kinder würde die dauernde Anwesenheit in der Großgruppe eine Überforderung bedeuten. Sie verkraften z.B. die Lautstärke oder die Abläufe dort noch nicht.
Diese Überlegungen gewinnen zusätzlich an Bedeutung, wenn man bedenkt, dass bei einem Großteil der Kinder, die unseren Kindergarten besuchen, die Gesamtentwicklung verzögert ist.
Alle Kinder, die den Kindergartenalltag zunächst über die Kleingruppe erleben konnten, haben deutlich weniger Probleme mit den Anforderungen in der Großgruppe. Trotzdem wären die Bedingungen noch günstiger, wenn für die Kleinstkinder auch zusätzliches Personal zur Verfügung stehen würde.
Ablösephase und Eingewöhnung
Um dem Kind die Ablösephase zu erleichtern und das Ziel "individuelle Eingewöhnung" tatsächlich umsetzen zu können, sollten nicht mehrere Kinder gleichzeitig neu aufgenommen werden:
- Die Bezugspersonen im Kindergarten müssen zunächst mit dem neuen Kind vertraut werden und umgekehrt. Dazu ist ausreichend Zeit notwendig.
- Die Anwesenheit mehrerer Elternteile in der Kleingruppe ist ungünstig.
- Die Ablösephase wird erschwert, wenn ein weiteres Kind anwesend ist, das sich ebenfalls noch nicht alleine zurechtfindet und womöglich weint.
- Regeln werden von den neuen Kindern noch nicht eingehalten, dadurch kommt es zu mehr Unruhe in der Gruppe.
Obstfrühstück
Wir konnten beobachten, dass manche Kleinkinder beim gemeinsamen Frühstück nur wenig von ihrer mitgebrachten Brotzeit essen möchten und am späten Vormittag dann wieder hungrig sind. Deshalb haben wir ein zweites Frühstück eingeführt, bei dem wir Obst anbieten, das wir im Kindergarten zur Verfügung haben. Dieses Obstfrühstück wird von den Kindern gerne angenommen und bietet zudem wichtige Erfahrungen für die Sinne: Fühlen, riechen, schmecken ... Es findet jeweils vor dem gemeinsamen Beschäftigungsangebot in der Kleingruppe statt.
Sauberkeitserziehung
Für viele Eltern ist schon beim Aufnahmegespräch das Thema Sauberkeitserziehung ein wichtiger Punkt. Oft gibt es Ängste, dass wir ein Kind eventuell nicht aufnehmen könnten, wenn es noch Windeln braucht. Umso überraschter sind die meisten Eltern, wenn sie spüren, dass Windeln für uns kein Problem sind.
Unsere Erfahrungen zeigen, dass sich Kinder, die mit Windeln zu uns kommen, sehr schnell für die (Kinder-) Toiletten interessieren und ohne Druck sauber werden.
In der Regel beginnen wir nach der Eingewöhnungszeit damit, die Kinder beim Windelwechseln auf die Toilette zu setzen. Wenn die Windel schon längere Zeit trocken bleibt, lassen wir sie im Kindergartenalltag weg.
Bezüglich Sauberkeitserziehung gibt es immer wieder Absprachen mit den Eltern (Reservekleidung mitbringen; Windel auch zu Hause abmachen etc.), wobei wir nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass ein Kind innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens sauber ist.
Was tun, wenn die Kleinen es noch nicht schaffen?
Wenn Kindern nach ca. 4 Wochen die Ablösung von der häuslichen Bezugsperson nicht möglich ist und der Aufenthalt im Kindergarten eine Überforderung bedeutet, behalten wir uns vor, den Kindergartenbesuch abzubrechen bzw. zu unterbrechen. Von bisher 23 aufgenommenen Kindern unter drei Jahren (von 2;0 bis 2;10 Jahre) konnten sich zwei Kinder nicht eingewöhnen. In Absprache mit den Eltern wurde der Kindergartenbesuch abgebrochen, und die Kinder werden noch einige Zeit zu Hause bleiben.
Anlage 1: Ergebnisse aus dem Informationsabend für die Aufnahme von Kleinstkindern (September 1998)
Wandbilder
Vorgabe: Ich wünsche mir Betreuung für mein zweijähriges Kind, weil:
Angaben der Eltern:
- Es sprachliche Anregungen bekommen soll.
- Es teilen lernen soll.
- Es soziales Verhalten zu anderen Kindern aufbauen soll.
- Ich wieder berufstätig werden möchte.
- Ich manchmal Entlastung möchte.
- Ich eine Ausbildung beginnen werde.
- Mein Kind mit anderen Kindern zusammen sein soll (Alternative zur Tagesmutter).
Vorgabe: Das wünsche ich mir für mein Kind in der Gruppe:
Angaben der Eltern:
- Liebevolle Betreuung
- Dass es neue Fähigkeiten entwickelt
- Austausch mit den Eltern
Anlage 2: Elternabend September 1998 "Unter-3-jährige Kinder im Kindergarten"
Im Alltag bedeutet das:
Für die Kinder:
- Langsame Ablösungsphase von der häuslichen Bezugsperson (i.d.R. Mutter)
- Eine neue emotionale Beziehung zu einer außerhäuslichen Bezugsperson aufbauen
- Beobachten
- Umgang mit anderen Kindern
- Kontakte knüpfen (Freundschaften)
- Sozialverhalten lernen durch Spiel (Gruppenregeln akzeptieren, Bedürfnisse äußern, Konflikte lösen, Spiele entwickeln, miteinander umgehen)
- Den Tagesablauf in vereinfachter Form kennenlernen
- Selbständig werden
- Erste Erfahrungen mit der Großgruppe machen
Für den Kindergarten:
- Den entsprechenden Rahmen bieten (Kleingruppe, separater Raum)
- Die Kinder beobachten und ihre Interessen herausfinden
- Unterstützung im Alltag geben
Was wir nicht leisten können:
- Sauberkeitserziehung (aber: Unterstützung)
- Zweijährige Kinder von morgens bis abends betreuen (inzwischen geändert!)
- Regelmäßige Mittagsbetreuung für die Kleinstkinder (inzwischen geändert!)
- Kinder, die überfordert sind, unter allen Umständen im Kindergarten behalten
- Unangemeldete Kinder aufnehmen
- Kinder sporadisch betreuen z.B. Babysitting. Wichtig: Regelmäßigkeit!
Adresse
Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Würzburg-Stadt e.V.
Weißenburgstr. 38
97082 Würzburg