Aus: klein & groß 2000, Heft 2
Peter Blase-Geiger
Nein? Dann wird es aber Zeit. Unsere Staatsform verkommt zusehends zu einer Pseudodemokratie. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wird aber vielfach ignoriert. Eine neue Kultur von "Demokratie leben" (Demokratie = griechisch; Volksherrschaft) ist hingegen dringend vonnöten.
Wo beginnt Demokratie? Im alten Griechenland, sicherlich. Und, wir verkaufen es regelmäßig als wohlfeile Binsenweisheit, bei jedem einzelnen. Wo sie endet, haben wir schmerzlich erfahren müssen: In der Wirtschaft ist von ihr kein Hauch mehr zu erspüren - und selbst in unseren Parlamenten bleibt es windstill. In den Köpfen allzu vieler, das darf dabei nicht vergessen werden, sieht es auch nicht besser aus.
Lassen Sie mich einen weiten Bogen spannen: von der Antike in unsere Gegenwart, von unserer gesellschaftlichen und politischen Realität zu unseren Kindern, unserem Erziehungssystem, wo sie am Ende beginnt oder aber im Keim erstickt wird: die Demokratie von unten.
Aller Anfang
Aristoteles, ja beinahe alle antiken Philosophen, hielten sie für eine entartete Regierungsform. Unter diesem Gesichtspunkt grenzt es beinahe an ein Wunder, dass heute in Europa die Demokratie als das Nonplusultra der Regierungsformen gilt. Für unsere Diskussion ist es nun nicht ganz so wichtig, ob es sechshundert Jahre vor Christus schon Solon war, auf den unsere Demokratie zurückzuführen ist, oder knapp hundert Jahre danach Kleisthenes. Fest steht, dass Demokratie wie Philosophie ihren Ursprung in Griechenland haben. Zugegeben, es gab damals noch kleine Schönheitsfehler. So blieb die Mehrheit der Bevölkerung, wie beispielsweise Frauen, Sklaven und Ausländer, ausgeschlossen. Die Sklaverei ist heute abgeschafft, Frauen sind selbstverständlich gleichberechtigt, doch bei unseren ausländischen Mitbürgern tun wir uns bekanntlich immer noch schwer.
Alle Dinge enden,
wenn ihre Anfänge nicht intakt gehalten werden.
Lasst uns nicht Blumen züchten,
sondern Knospen.
(Charlotte Wolff)
In Deutschland mussten wir besonders lange warten: Deutschland war der letzte europäische Industriestaat, der die Demokratie einführte, und das weit mehr als zweitausend Jahre nach ihren Anfängen in Athen. Die Wiege der Demokratie, gemeint ist die griechische Pelleponnes, wiegte eben schon lange vor uns. Ob sie auch lange nach uns noch in Bewegung sein wird, hängt wesentlich davon ab, was wir für den Erhalt unserer Regierungsform zu tun bereit sind.
Menschliche Probleme
Nicht erst seit gestern beklagen Gruppen aus allen Winkeln unserer Gesellschaft mangelndes Engagement der Mitmenschen. Da sind allen voran die Kirchen, dann die Gewerkschaften, die Umweltverbände, Vereine jeglicher Couleur, amnesty international, die Parteien und etliche andere Gruppierungen mehr. Nirgends, so scheint es, fühlt sich der Bürger angesprochen, nirgends möchte er sich engagieren. Er bezahlt Steuern, und dafür erwartet er, dass der Staat sein Leben organisiert.
Weggucken entspricht dem Zeitgeist. Ob bei der fast schon alltäglichen Prügelei im Schulbus (Ich meine hier nicht das alltägliche, sicherlich harmlose, Gerangel um Sitzplätze, sondern die darüber hinausgehende Gewaltanwendung, welche bezüglich ihrer Brutalität in den letzten Jahren geradezu explodiert ist) oder der Vergewaltigung in der U-Bahn: Der Mitmensch fühlt sich nicht beteiligt oder aber macht- und hilflos. Zivilcourage wird von vielen Seiten verzweifelt angemahnt. Doch scheint dieses Mahnen allein nichts verändern zu können.
Und aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir:
Lächle und sei froh,
denn es hätte schlimmer kommen können.
Und ich lächelte und war froh,
und es kam schlimmer.
(Unbekannt)
Die Wähler entscheiden. Aber es werden immer weniger. Bei den 99er-Wahlen erleben wir nicht nur, wie unsere Regierungspartei abgewatscht wird, sondern auch, wie immer mehr Menschen die Wahl anderen überlassen. Ein Gestaltungs- oder Mitbestimmungswille ist nicht erkennbar. Die Lösung von Problemen wird den Parteien ohnehin nicht zugetraut. Die einzelne Stimme erscheint nicht wesentlich, und die Wahlen sind daher vielen Menschen schlicht und ergreifend egal. Wenn der Umkehrschluss stimmte, dass alle tatsächlichen Wähler vom demokratischen Geist beseelt wären, so sähe die Sache noch nicht gar so schlimm aus. Aber auch dies ist beileibe nicht der Fall.
Menschen gehen wählen, weil man es tut. So wie man in die Kirche geht.
Menschen gehen wählen, weil sie das Drumherum reizt, die Diskussionen, die Atmosphäre, die Show, das Gefühl, dabei gewesen zu sein.
Gehen Menschen wählen, weil sie ihr demokratisches Grundrecht wahrnehmen, damit aktiv die Gesellschaft stützen und ihren Gestaltungswillen zum Ausdruck bringen wollen? Aber mitnichten.
Der Bürger stiehlt sich zunehmend aus der Verantwortung, die über seine Familie herausgeht. Solidarität hat kaum mehr einen Stellenwert. Das Selbstbewusstsein des einzelnen hängt derart tief, dass offenbar immer weniger Menschen auf den Gedanken kommen, dass ausgerechnet sie das Fundament unserer Gesellschaft sein könnten. Also lassen sie sich vom Alltag treiben und verbreiten eine Philosophie nach dem Motto: Es hat ja doch alles keinen Sinn. Oder um es mit den Worten einer deutschen Popgröße zu sagen: "Wir pflegen unsre Depression, das ist die Lage der Nation" (Marius Müller-Westernhagen in dem Lied "Wer hat den Käse zum Bahnhof gerollt?" von der CD Affentheater, 1997).
Wenn der Mensch eines Tages einmal nicht mehr sein wird, dann wird er eine historische Tat vollbracht haben: Als erstes und einziges Wesen wird es ihm gelungen sein, sich selbst zu vernichten. Wissend, dass er es tut - wissend, wie er es hätte verhindern können. Hoimar von Ditfurth beschrieb das Phänomen unter dem Titel "Todesursache: Mangel an Phantasie" (Hoimar von Ditfurth, Rede zu den Internationalen Tagen des ökologischen Films am 20. September 1987 in Freiburg im Breisgau). Es ist in der Tat so, dass sich zumindest in den Industrienationen heute kaum mehr jemand damit herausreden kann, er hätte von nichts gewusst. Eher das Gegenteil ist der Fall: Wir werden von einer enormen Informationsflut geradezu erschlagen. Es fällt zusehends schwer, die wichtigen von den unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Und: Jeder bekommt letztendlich die Information, die er braucht. Studie zu Rauchen ist schädlich ? - kein Problem. Studie zu Rauchen ist unschädlich? - auch kein Problem. Da wir im Informationszeitalter alle, wirklich alle nur erdenklichen Informationen bekommen können, die zu überprüfen der Laie sich die Arbeit nicht machen kann oder will, sind wir der Manipulation ausgeliefert.
Die Wahrnehmungswelt des Menschen ist ganz offensichtlich so strukturiert, dass abstrakte Argumente und verbale Informationen jene Tiefenregion unserer Psyche gar nicht erreichen, in der das Fundament unserer grundsätzlichen Einstellungen und Wertmaßstäbe gelegen ist (Hoimar von Ditfurth).
Politik und Wirtschaft arbeiten längst mit diesen Pseudoinformationen. Es ist nicht weit her mit unserer Informationsgesellschaft. Während Fernsehsender wie Pilze aus dem Kabel wachsen, Internetanschlüsse sich wie die Langohren mehren, wird die Information, nach der wir unser Leben ausrichten, immer mehr zur Glaubensfrage. Jeder holt sich, was er braucht, und steckt den Kopf geflissentlich in den Sand, wann immer nötig. Der uns gegebene Verdrängungsmechanismus funktioniert nach wie vor perfekt.
Die politische Klasse
Doch nicht nur unsere menschlichen Schwächen sind die Ursache für das Verschwinden des demokratischen Verständnisses. Unsere Politik tut das Ihrige dazu. Es verhält sich nämlich ganz und gar nicht so, dass Bürger und Bürgerinnen zum Mitregieren eingeladen würden. Die Meinung der Bevölkerung ist allenfalls alle paar Jahre zur Mandatsbestätigung gefragt. Zaghafte Versuche wie die Durchführung von Volksabstimmungen stellen sich oftmals als Farce heraus. So kippten die Bürger des Landes Schleswig-Holstein die Rechtschreibreform per Volksabstimmung. Da das aber nun gar nicht im Sinne der politischen Klasse war, wurde die Rechtschreibreform durch das Parlament dennoch durchgesetzt. Wer bitte schön wird nächstens in Schleswig-Holstein zur Volksabstimmung gehen?
Wir haben kein Erkenntnisproblem,
sondern ein Umsetzungsproblem.
Roman Herzog
Dass unsere Politiker geeignet seien, Probleme zu lösen, glaubt schon lange nur noch eine Minderheit. Es scheint auch ziemlich unwichtig zu sein, welche Farbkonstellation gerade tonangebend ist. Reformen sind jedenfalls nicht zu erwarten. Und wenn doch, dann fallen sie, wie beispielsweise bei der derzeitigen Ökosteuer, so zaghaft aus, dass ihr Sinn nicht mehr erkennbar ist. Es scheint sich bei unseren Politikern mehr und mehr um beliebig austauschbare Figuren zu handeln, die sich ihre Pfründe sichern. Und da gibt es ja tatsächlich auch so einiges zu sichern. In seinem vielbeachteten Buch "Fetter Bauch regiert nicht gern" (Kindler Verlag, München, 1997) zeigt Hans Herbert von Arnim eine Vielzahl von aberwitzigen Beispielen auf, die den demokratisch gesinnten Leser geradezu verzweifeln lassen. Nach Arnim ziehen sich die Eigeninteressen der politischen Klasse nach Macht, Posten, Geld und Status wie eine Lehmschicht über jegliche Reform und drohen alle Innovationsbestrebungen zu ersticken.
Als letztes Beispiel für eine marode Demokratie soll an dieser Stelle unser gemeinsames "Haus Europa" herhalten. Nach den Skandalen um die EU-Kommissarin Cresson (sie war in der Tat nicht die Einzige, deren Stecken nicht ganz reine war), erhofften wir uns eine neue, über alle Zweifel erhabene Europamannschaft. Dies ist bekanntermaßen misslungen. Wieder sitzen in Europas Regierung Kommissare, deren Vergangenheit alles andere als über alle Zweifel erhaben ist. Allen voran der belgische EU-Kommissar Busquin, der durch seine Verbindungen zu diversen Schwarzgeldkassen zweifelhaften Ruhm erlangte.
Wen nimmt es wunder, wenn der Glaube an die Politik schwindet? Eine gute und aussichtsreiche Ausgangsposition für unsere Wirtschaft.
Mercedes & Co.
Unsere Wirtschaft versteht es hervorragend, Menschen gegeneinander auszuspielen. Alles Leben ist Arbeit - wer keine hat, ist nicht wert zu leben, so die unterschwellig vermittelte Maxime. Alles hat sich der Schaffung von Arbeitsplätzen unterzuordnen. Und wie man das macht, wie man Arbeitsplätze schafft, das wollen ausgerechnet unsere Wirtschaftsvertreter wissen, die sich im Zuge der Globalisierung durch Arbeitsplatzabbau schon längst ihre goldenen Nasen verdient haben.
Tatsächlich ist es ein Dilemma, dass ohne Arbeitgeber keine Arbeitsplätze entstehen oder gehalten werden können. Somit ist die politische Klasse jederzeit erpressbar. Jedoch kann und darf es nicht angehen, dass die Politik unter dem Diktat der Wirtschaft steht. Die freie Marktwirtschaft nutzt ausschließlich sich selbst - und allenfalls als Nebeneffekt dem Menschen. Wobei selbst das noch zu beweisen wäre. Die Politik aber ist in erster Linie dem Menschen verpflichtet.
Unsere Wirtschaftsbosse haben die politische Klasse also fest im Griff. Von der Kontrolle über etliche Medien ganz zu schweigen. Steuern werden von den Großkonzernen, wird denn nur genug verdient, schon lange nicht mehr gezahlt. Unser frischgebackener Literaturnobelpreisträger Günter Grass spricht in diesem Zusammenhang vom Privileg der legitimierten Steuerhinterziehung.
... die Verfassungswirklichkeit jedoch sieht bis in die Chefetage der Großfirma Henkel und Hundt asozial aus. Nicht mehr die gewählte Regierung, kein Kanzler bestimmt die Richtlinien der Politik: anstelle herrschen unlegitimierte Vorstände der gebündelten und sich global verflüchtigenden Wirtschaftsmacht, das Privileg der Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe ist ihnen unbenommen (Günter Grass, Rede 1999).
Es scheint in der Tat so zu sein: Unser Land beugt sich dem Diktat der Wirtschaftsbosse, wird von nicht gewählten, also nicht demokratisch legitimierten Menschen unter dem Aspekt der Marktwirtschaft regiert.
Pseudodemokratie in unseren KiTas?
Angesichts meines beruflichen Werdegangs stellt sich mir immer wieder die Frage, inwieweit ein demokratischen Bewusstsein in unseren Kindertagesstätten herrscht. Da die meisten Kindertagesstättenteams diese Frage nicht bewusst thematisieren, ist es nur logisch, dass sich alle Bedingungen zum einen nach den gesetzlichen Richtlinien und zum anderen nach der betrieblichen Übung richten.
Alles beginnt mit der Leiterin. Versteht sie sich als Sprachrohr ihres Teams und damit selber als ein Teammitglied von vielen? Wenn das der Fall ist, dann ist die erste und grundlegendste Voraussetzung für eine auf einem demokratischen Grundverständnis aufgebaute Kindertagesstätte geschaffen. Und in diesem Bereich sieht es auch gar nicht so schlecht aus. Immer mehr Leiterinnen bilden sich fort und entwickeln ein demokratisches Leitungsverständnis.
Doch weitere Fragen schließen sich an: Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Träger und Personal? Hat das Personal Beteiligungsrechte? Bei realistischer Betrachtung gelangen wir zu dem Schluss, dass dies bei den wenigsten Einrichtungen der Fall ist. Allzu häufig werden gar die minimalen gesetzlichen Beteiligungsrechte, etwa über den Betriebs-, den Personalrat, oder bei den kirchlichen Einrichtungen über die Mitarbeitervertretung, durch den Träger nicht eingeräumt. Träger, die ihr Team ausreichend - dass heißt in allen, wirklich allen Bereichen - beteiligen, wissen, dass sie gerade deshalb auf ein engagiertes und zufriedenes Kollegium bauen können, das seine ganze Kraft in den Dienst der Kindertagesstätte stellt.
Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten, wo kämen wir hin,
und niemand ginge, um einmal zu schauen,
wohin man käme, wenn man ginge.
Karl Marti
Und wie gestaltet sich die Sache, ein unter Pädagogen sehr kritisches Thema, mit den Eltern? Das Gesetz und die jeweiligen Länderverordnungen zur Elternmitarbeit lassen keine echte Elternmitbestimmung zu. In den Elternausschussverordnungen werden viel mehr die Modalitäten für einen Palaververein geregelt. Es gibt keine echte Mitbestimmung, und die Anhörungsrechte, die wirklich gegeben sind, werden oftmals von den Kindertagesstättenteams beschnitten. Elternausschüsse sind somit ein gutes Beispiel für eine gelungene Pseudodemokratie. Wir tun so als ob und lassen die Eltern an Festen das Geld heranschaffen. Wahrlich, es gibt Ausnahmen, aber sie bestätigen nur die Regel. Einigen guten Ansätzen, wie beispielsweise den Basis-Elternausschusswahlen (Es handelt sich bei den Basiswahlen um ein besonders demokratisches Wahlverfahren. Hierbei wird über längere Zeit, auch während der Öffnungszeiten der Einrichtungen, gewählt. Die Kandidaten stellen sich selbst zuvor auf einem Aushang dar. So entsteht unter den Wählern eine Diskussion und ein Austausch über die Kandidaten. Die Wahlbeteiligung ist stets besonders hoch, und die Akzeptanz dieses Wahlverfahrens bei den Erziehungsberechtigten ist sehr groß; Peter Blase-Geiger: "Eltern ohne Rechte" in KiTa-Aktuell HRS 1/99) droht schnell die Luft auszugehen, da sie offensichtlich vom Gesetzgeber nicht gewollt sind oder aber die gesetzlichen Grundlagen so unglücklich formuliert sind, dass sie diese Art der Wahlen zumindest in Frage stellen.
Und die Kinder? Na, es gibt Einrichtungen, die beginnen damit, ihre Kinder zu beteiligen. Demokratie für Dreijährige? Das scheint ein geradezu aberwitziges Unterfangen zu sein.
Jetzt lernen wir Volksherrschaft
Es ist aber alles andere als aberwitzig. Es ist ernst gemeint - und: Es funktioniert. Ausgehend von einer immer größer werdenden Zahl von offenen Einrichtungen, etablieren sich die Vollversammlungen, die Kindergartenräte - oder wie auch immer diese Gremien genannt werden. Die Vorstellung, dass Kinder die Interessen und Bedürfnisse des einzelnen im Gruppenzusammenhang wahrnehmen lernen, dass Kinder den Kindergartenalltag durch Diskussionen mitgestalten können, dass Kinder selbstverantwortlich zwischen Angeboten wählen lernen und somit ihren Tagesablauf selbstverantwortlich gestalten lernen, dass Kinder Konflikte in der Gruppe besprechen und lösen lernen, dass Kinder ein Feedback auch von anderen Kindern erfahren, dass Kinder sich selbst als Gestalter ihrer Kindertagesstätte erleben, liegt diesen Ansätzen zugrunde.
Doch liegt eine riesengroße Gefahr in diesen Bestrebungen. Denn eines darf natürlich nicht passieren: Dass wir unsere Kinder in Pseudodemokratie einüben. Ihr Kinderlein dürft alles sagen, und wir Erzieherinnen und Erzieher tun auch ganz vernünftig und ernst mit euch, aber letztendlich überreden wir euch doch zu den Dingen, die Erwachsene halt so wichtig finden. Nein, so darf es nicht enden. Und wenn die Kinder bei der Planung des Sommerfestes Papas Bier eben nicht so wichtig finden, weil dieser dann vielleicht auch anschließend immer so unangenehm riecht, dann darf es eben auch keines geben.
Es ist also allergrößte Vorsicht geboten. Der gute Wille kann sich schnell als Schuss in den Ofen erweisen, wenn nicht mit viel Umsicht und Bedacht vorgegangen wird. Am Ende wird ansonsten möglicherweise gerade die Hilflosigkeit eingeübt, der wir eigentlich durch unsere Aktivitäten entgegentreten wollten.
Die Demokratie setzt die Vernunft im Volk voraus,
die sie erst hervorbringen muss.
Karl Jaspers
Werden die Kinder älter, schon die Fünf- und Sechsjährigen sind gemeint, muss der Blick über den Tellerrand erfolgen. Der kindertagesstätteninternen Diskussion müssen Auseinandersetzungen mit anderen Gremien folgen. Das gesamte Lebensumfeld der Kinder ist nun gefragt. Was stört mich wo? Ist der öffentliche Spielplatz tatsächlich ein Hundeklo? Sind die Straßen zu gefährlich, und ist kein Fußgängerüberweg in der Nähe? Alles Probleme, die den Rahmen der Kindertagesstätte sprengen. Hier heißt es Ideen entwickeln, sich als Anwalt des Kindes verstehen, die Diskussionsergebnisse den entsprechenden Personen angemessen durch die Kinder zu Gehör bringen.
Wenn es nicht nur beim Gehör bleiben, sondern dies alles in Veränderung münden soll, ist dies sicher kein leichtes Unterfangen. Denn auch hier gilt: Nur gehört zu werden, fördert das demokratische Selbstbewusstsein keinesfalls. Eher noch ist das Gegenteil der Fall: Machtlosigkeit wird demonstriert, und das Gefühl der Frustration mit dem persönlichen Engagement verknüpft.
Haben unsere Kindertagesstätten eine gelungene Vorarbeit erst einmal geleistet, haben es Schulen und Horte leichter, darauf aufzubauen. Jetzt ist mancherorts schon wieder die Kunst des Bremsens gefragt. Die Kinder sind häufig mit ihrer Power und ihren kreativen Ideen den tatsächlichen Möglichkeiten weit voraus. In vielen Kreisen und Städten gibt es jedoch bereits Kinder- und Jugendparlamente. Das ist sicherlich ein Fortschritt und ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wenn, wie leider allgemein üblich, vergessen wird, tatsächliche Mitbestimmungsstrukturen und wirkliche Veränderungsmöglichkeiten einzubauen, dann werden von Kindern und Jugendlichen diese Pseudoangebote schnell durchschaut.
Wir können unseren Kindern einiges zutrauen, was wir Erwachsenen längst verlernt haben. Unsere Kindertagesstätten als Geburtsorte eines neuen Demokratiebewusstseins? Warum nicht?