Silke Krabbe
1. Die aktuelle Situation in der deutschen Kita -Landschaft
Qualität und Teilhabe von Kindern in der institutionellen Betreuungslandschaft zu sichern und zu fördern ist schon lange ein Thema, welches in Öffentlichkeit und Politik diskutiert wird. Schon mit dem „Gute-KiTa-Gesetz“ und auch mit der Fortsetzung, dem „KiTa-Qualitätsgesetz“ von 2023 wird versucht, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Qualität der Betreuung greifbarer wird. Investiert werden soll vorrangig in sieben Handlungsfelder:
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- Bedarfsgerechtes Angebot
- Fachkraft-Kind-Schlüssel
- Gewinnung und Sicherung von qualifizierten Fachkräften
- Starke Leitung
- Förderung der kindlichen Entwicklung, Gesundheit, Ernährung und Bewegung
- Sprachliche Bildung
- Stärkung der Kindertagespflege
Und trotz aller Bemühungen sind „Überlastung“, „Burn-Out“, „Personalmangel“, „Gewalt in Kitas“ Schlagworte, die wir aktuell den Medien entnehmen können, wenn wir auf die Kita-Landschaft in Deutschland schauen. Kita-Fachkräfte berichten von z.T. katastrophalen Zuständen und davon, dass qualitativ hochwertige Arbeit immer öfter auf der Strecke bleibt, um mit dezimierter Anzahl der Fachkräfte die nötigen Öffnungszeiten leisten zu können.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Maßnahmen im Kita-Bereich sind an vielen Stellen belegt (z.B. DJI und RKI, Kurzbericht zur Corona-KiTa-Studie, 2022[i]):
„Im Frühjahr 2022 identifizierten (…) 43 % der Leitungen gestiegene Förderbedarfe in der sprachlichen Entwicklung, 46 % in der motorischen Entwicklung und 58 % in der sozio-emotionalen Entwicklung ihrer betreuten Kinder. In Einrichtungen mit einem größeren Anteil an Kindern aus benachteiligten Verhältnissen war der Anteil höher. Etwa 40 bis 50 % der Leitungen gaben im Frühjahr 2022 an, zusätzliche Förderangebote im Bereich der sprachlichen Bildung, der Bewegungsförderung, der Förderung der sozio-emotionalen Entwicklung sowie der psychischen Gesundheit von Kindern geschaffen zu haben.“ (S.1)
„Kita-Leitungen äußerten Spannungen mit Eltern und Schwierigkeiten bei der Umsetzung von pandemiebedingten Aufgaben, die zu zunehmenden Belastungen führten. (…) Dies war für einige Leitungen mit Schwierigkeiten und Konflikten bei der Neuorganisation des Alltags und dem Kontakt mit Eltern verbunden. Zusätzlich zu den Ansteckungsängsten der pädagogisch Tätigen führten diese erlebten Schwierigkeiten im Zeitraum der zweiten und dritten Pandemiewelle zu gesteigerten Belastungen bei Beschäftigten und Leitungen sowie zu verschlechterten Beziehungen zu den Eltern.“ (ebd.)
„Die aktuellen Daten zur Arbeitslosigkeit zeigen, wie angespannt die Personalsituation in der Frühen Bildung gegenwärtig ist. So wurde insbesondere aufgrund des massiven Ungleichgewichts zwischen gemeldeten Stellen und arbeitslos gemeldeten Personen mit dem entsprechenden Zielberuf nun erstmals von der Bundesagentur für Arbeit ein Fachkräfteengpass in der Berufsgruppe Kinderbetreuung und -erziehung für Erzieherinnen und Erzieher sowie Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger diagnostiziert. (…) Angesichts dieser Situation wird auch die langfristige Mitarbeiterbindung aus Arbeitgebersicht – neben der Akquise neuer Fachkräfte – künftig an Bedeutung gewinnen, um den vorhandenen Personalbedarf in den Einrichtungen zu decken.“ (S. 154)
Die Konsequenzen der aktuellen Situation können sich sowohl in der individuellen Gesundheit niederschlagen wie z.B. in psychosomatisch bedingten Beschwerden wie Verspannungen und Kopfschmerzen, psychischen Erkrankungen, der Unterdrückung eigener Stimmungen oder einer Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch und realisiertem Verhalten, als auch im Kontakt mit den Kindern (keine ausreichende Zeit für die Kinder und eingeschränkte Kommunikation und Responsivität). Vgl. hier auch die Ausführungen im Artikel Kita-Handbuch: Professionelles Handeln im System. Perspektiven pädagogischer Akteur*innen auf die Personalsituation in Kindertageseinrichtungen (HiSKiTa) [ii].
Auch auf Einrichtungsebene kann die Situation Konsequenzen haben, wie z.B. Fehlzeiten, Spannungen im Team und letztlich eine hohe Fluktuation der Mitarbeitenden.
Streiks, außerordentliche Schließungen, Warnungen von Forschenden; irgendeinen Hinweis auf die Situation findet man täglich – angespannte Lage trifft es wohl nicht mehr, einige Medien sehen das System bereits kurz vor einem Kollaps (vgl. hierzu ZDF heute: „Wir sind mitten im Kollaps“ vom 23.09.23[iii]).
2. Was die Fachkräfte belastet
„Weiblich pädagogische Fach- und Leitungskräfte in NRW weisen häufiger dauerhafte gesundheitliche Einschränkungen auf als ihre Referenzgruppe der gleichaltrigen Frauen in Deutschland mit gleich hoher Bildung.“ (STEGE Studie, 2012[iv])
Zu den alltäglichen Belastungen der Fachkräfte gehören neben Lärm und rückenbelastenden Tätigkeiten auch steigende Anforderungen durch mehr Dokumentation und Vorgaben seitens der Träger, wie sie durch steigende Professionalisierung entstehen. (vgl. hierzu auch Kunz, T., Gesundheit in Kindertageseinrichtungen, 2007[v])
Aus dem Abschlussbericht der Aqua-Studie[vi] von 2014:
„Zu den genannten vielfältigen Anforderungen der Fachkräfte kommen oftmals stressbedingte, gesundheitliche Probleme wie Rückenprobleme, Kopfschmerzen etc. hinzu. Darüber hinaus belastet eine hohe Arbeitsdichte bei niedrigen zeitlichen Ressourcen. Auch erweiterte Öffnungszeiten und damit einhergehende Schichtarbeit, flexible Buchungsmodelle, häufig nur kurzfristig planbare Arbeitszeiten und ein erhöhter Einsparungsdruck werden als zusätzliche Belastung erlebt.“
Weitere Belastungen werden an unterschiedlichen Stellen ausführlich beschrieben, wie z.B. mangelnde Kooperation zwischen Träger und Leitungen oder gestiegene Ansprüche der Eltern an die betreuenden Personen ihrer Kinder.
„Die Forschung der vergangenen Jahre hat deutlich gezeigt, dass die Qualität des Teamklimas und der professionelle Austausch zwischen den Teammitgliedern – und damit auch die Zusammenarbeit im Team – einen direkten Einfluss auf die Qualität der Betreuung haben (Resa, Groeneveld, Turani & Anders, 2018; Wertfein, Müller & Danay, 2013). In dieser Studie konnte nun die Unzufriedenheit mit der Teamzusammenarbeit mit höheren Burnout-Werten in Verbindung gebracht werden.“ (Trauernicht et al., 2022[vii])
Im Rahmen einer Wiff Studie[viii] hat sich Kristina Geiger (2019) die Situation der Kitas unter den Gesichtspunkten der Personalentwicklung, Personalgewinnung und Bindung angesehen und kommt zu folgendem Fazit:
„Die Personalgewinnungsprobleme haben konkrete Auswirkungen auf die Personal- und Organisationsentwicklung in den betroffenen Einrichtungen. Einschränkungen betreffen die inhaltliche Ausgestaltung der Angebote, die Erweiterung von Angeboten und die Weiterentwicklung der Einrichtung als Ganzes. Jede vierte Kindertageseinrichtung mit Personalgewinnungsproblemen musste Personal ohne die gewünschten Qualifikationen einstellen. Und in über drei von zehn Einrichtungen mit Personalgewinnungsproblemen fehlt die nötige Zeit, um das bestehende Personal weiterzubilden. Mit einer reduzierten Auswahl qualifizierter Fachkräfte ist demnach auch die Qualität der pädagogischen Arbeit infrage gestellt."
Auch dieser Aspekt kann von den Fachkräften als Belastung empfunden werden.
3. Was die Fachkräfte sich wünschen
Bei aller Belastung überrascht folgendes Ergebnis der AQUA – Studie6 zu der Frage, was Fachkräfte sich vor Allem wünschen:
„Pädagogischen Fachkräften, sowohl Leitungen als auch ihren Kolleg(inn)en ohne Leitungsfunktion, war es (dennoch) am wichtigsten – noch vor der angemessenen Bezahlung - genügend Zeit für gute pädagogische Arbeit zu haben, die jedoch meist nicht wie gewünscht vorhanden ist.“
Top 10 der wichtigsten Arbeitsbedingungen:
- Ausreichend Zeit für gute pädagogische Arbeit
- Gutes Betriebsklima insgesamt
- Gutes Verhältnis zu den Kolleg:innen
- Selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten
- Gerechte und leistungsbezogene Bezahlung
- Persönliche Identifikation mit der Aufgabe
- Identifikation mit dem pädagogischen Konzept der Einrichtung
- Angemessene Zahl von Kindern in der eigenen Zuständigkeit
- Produktive Teamsitzungen
- Gutes Verhältnis zu den Vorgesetzten
Erst auf dem fünften Platz findet sich hier die Bezahlung, die ersten vier Plätze drehen sich sowohl um die Atmosphäre als auch um inhaltliche Aspekte der Arbeit. Auch der Betreuungsschlüssel findet sich erst auf einem der hinteren Plätze.
Kurz gesagt: In vielen Einrichtungen arbeiten Menschen, die ursprünglich angetreten sind, um qualifizierte, liebevoll zugewandte und emotional belohnende Arbeit mit Kindern zu leisten, und die es sich nach wie vor wünschen, so zu arbeiten. So, wie es die Kinder – der größte Schatz, den wir als Gesellschaft haben – verdient hätten.
4. Die Bedeutung qualitativ hochwertiger Interaktionen für die Entwicklung von Kindern – und für das Team
Die immense Tragweite, Macht und Möglichkeiten, die sich aus der asymmetrischen Erzieher:innen – Kind – Beziehung ergeben, werden an vielen Stellen ausführlich beschrieben.
Beispielhaft hier einige Passagen aus dem Artikel: „Kinder sollen sich in der Kita wohlfühlen. Bindung als Grundlage der Erzieherin-Kind-Beziehung“ von Martin R. Textor[ix], in dem er sich ausführlich der Interaktion zwischen Erziehenden und Kindern widmet.
„Kleinkinder haben aber aufgrund ihres Status und ihrer mangelnden sozialen Fertigkeiten nur sehr begrenzte Möglichkeiten, die Beziehung zu ihrer Erzieherin zu beeinflussen. Hingegen besitzt die Fachkraft nicht nur eine große Gestaltungskraft bezüglich der Beziehung zu jedem einzelnen Kind, sondern sie besitzt auch die Macht, sein Verhalten und sein Erleben, seine Persönlichkeit und sein Selbstbild, seine kognitive und soziale Entwicklung in hohem Maße zu prägen.“
Er beschreibt, wie wichtig die aus Interaktion entstehende Beziehung für die Entwicklung der Kinder ist und auch, wie schwierig es ist, sich mit der Thematik wissenschaftlich zu befassen, da „Beziehung“ schwer messbar ist. In einem eigenen Kapitel beschreibt der Autor relevante Aspekte der Kommunikation und gibt damit eine sehr brauchbare Vorlage für die Gestaltung der Interaktion im Kitabereich:
„So sollten Erzieherin-Kind-Beziehungen reich an Interaktionen sein. Diese fördern am ehesten Bindungen, wenn die Fachkräfte
- sich auf Augenhöhe der Kinder begeben, sodass die Machtunterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern weniger wirksam sind.
- das Bedürfnis der Kinder nach Aufmerksamkeit befriedigen, also nicht nur ansprechbar sind, sondern auch interessiert zuhören, nachfragen und eventuell das Gesagte in eigenen Worten zusammenfassen.
- sensibel und verständnisvoll sind, also die oft noch unbeholfenen und unklaren Äußerungen von Kleinkindern sowie die dahinterstehenden Bedürfnisse, Intentionen und Befindlichkeiten zu erkennen und zu verstehen versuchen.
- sich in die Kinder, ihre Gefühls- und Gedankenwelt, ihre ganz eigene Logik und Sicht der Dinge hineinversetzen und sie ernst nehmen.
- responsiv sind, also unmittelbar auf (verbale und nonverbale) Äußerungen der Kinder reagieren und Anteilnahme zeigen – ohne aber gleich zu werten, es (immer) besser zu wissen, Ratschläge zu erteilen, mit Informationen zu überschütten usw.
- angemessen reagieren, also das Alter, den Entwicklungsstand und die Individualität eines Kindes, seinen momentanen Zustand und die aktuelle Situation berücksichtigen.
- Kinder als gleichberechtigten Gesprächspartner akzeptieren, die offen ihre Gedanken und Gefühle äußern dürfen, die nicht unterbrochen werden und deren Aussagen als bedeutsam betrachtet werden.
- verständlich, direkt und kongruent kommunizieren – verbale und nonverbale Botschaften sollten immer übereinstimmen.
- konsistent sind und sich für Kleinkinder vorhersehbar (verhalten, Anm. d.Autorin)
- authentisch kommunizieren, also z.B. den eigenen Gefühlszustand nicht verheimlichen.
- Kritik an Kindern in der Form von Ich-Botschaften senden, sodass sich diese nicht angegriffen bzw. in ihrem Selbstwert verletzt fühlen.
- auch Kritik seitens der Kinder zulassen und diese ernst nehmen.“
Mit diesen Hinweisen legt der Autor die Messlatte für Situationen, die im schnellen Kita -Alltag geschehen, relativ hoch und betont ebenso eine hohe Verantwortung für Fachkräfte, die mit Kindern beruflich zu tun haben. Deutlich wird, wie sehr eine qualitativ hochwertige Interaktion die Entwicklung der Kinder, vor allem in Bezug auf Bindungserfahrungen, soziales Verhalten, Partizipation und Selbstkonzepte unterstützen kann und muss. Die qualitativ hochwertige Interaktion ist etwas, von dem am Ende alle Beteiligten profitieren – auch die Fachkräfte.
5. These: Zur Verbesserung in den gewünschten Bereichen bedarf es gelingender Interaktionen
Die Versuche der Politik, etwas an der Situation zu verändern, machen zwar sehr konkrete Vorgaben zur Veränderung der Rahmenbedingungen, geben aber wenig zur Ausgestaltung der Aspekte vor. Allen Möglichkeiten und Handlungsfeldern, auf die das Gesetz abzielt, liegt auf irgendeine Art zugrunde, dass die Interaktion zwischen Fachkräften, Eltern und Kindern (bereits) gut läuft und die Kommunikation breit aufgestellt ist. Wenn es in den relevanten Feldern an qualitativ hochwertiger Interaktion mangelt, sind Verbesserungen jedoch unwahrscheinlich. Hier einige Beispiele für diese These anhand der im „KiTa-Qualitätsgesetz“[x] benannten Handlungsfelder:
Fachkraft-Kind-Schlüssel: Viele Fachkräfte, die keinen guten Draht zu den Kindern haben und sie nicht sinnvoll in ihrer Entwicklung unterstützen können, sind auch nicht viel besser als zu wenig Fachkräfte. Mit anderen Worten: Eine Veränderung des Betreuungsschlüssels macht dann richtig Sinn, wenn gleichzeitig die Qualität der Interaktionen in den Blick genommen wird.
Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte: Hier stellen sich Fragen: Ab wann sind Fachkräfte gut genug qualifiziert und wie motiviert man sie, zu bleiben und sich zu engagieren, statt den Arbeitgeber zu wechseln? Was macht Fachkräfte zufrieden mit ihrer Arbeit? Wann wird die Arbeit als belohnend genug empfunden? Gute, gelingende Interaktion aller Beteiligten (Fachkraft – Kind, Einrichtung – Fachkraft, Eltern – Fachkraft etc.) führt zu mehr Zufriedenheit und weniger Fluktuation und schützt die Fachkräfte vor Überlastung. Gewünscht werden Angebote zur persönlichen Weiterentwicklung, Teamentwicklung, Reflexion und Supervision, Konsistenz im Team, Transparenz gegenüber den Eltern und ähnlichen Themen.
„Die Sicherung des Personals – sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht – ist also ein komplexes Geschehen, das der Abstimmung aller Ebenen und Akteure im Kita-System bedarf, um die aufgezeigten Disparitäten und damit letztendlich die ungleichen Teilhabechancen von Kindern in der Frühen Bildung nicht weiter zu befördern, sondern idealerweise auszugleichen.“(Fachkräftebarometer 2021, S.176[xi])
Förderung der kindlichen Entwicklung, Gesundheit, Ernährung und Bewegung: Welche Aspekte der kindlichen Entwicklung sollen hier gefördert werden? Das Gesetz bleibt etwas unklar, ob es an dieser Stelle auch mentale und psychische Aspekte einbezieht. Auch die Vermittlung von Wissen über Ernährung und Bewegung wird beeinflusst durch die Qualität der Interaktion und der Kommunikation.
Sprachliche Bildung: Auf der Website des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)11 heißt es dazu: „Kinder sollten im gesamten Kita-Alltag Sprache erleben und entdecken können.“ Ein sehr wichtiger Punkt. Durch Sprechen entsteht Interaktion, Beziehung und die Voraussetzungen für Lernprozesse werden gelegt. Doch was heißt das genau für Fachkräfte? Welche Gespräche sind besonders wertvoll, wie lernen Kinder daraus?
So lässt auch das „KiTa-Qualitätsgesetz“ viel Spielraum, Dinge zu verändern – oder eben nicht. Im Umkehrschluss ließe sich sagen, wenn qualitativ hochwertige Interaktion in allen Handlungsfeldern eine Rolle spielt, dann hat ein Programm, das sich nachgewiesenermaßen positiv auf die Interaktion der Fachkräfte mit Kindern auswirkt, Einfluss auf die im „KiTa-Qualitätsgesetz“ vorgesehenen Handlungsfelder. Ein solches Programm möchte ich im folgenden gerne vorstellen.
6. Was das Programm „PECE – Positive Erziehung, chancenreiche Entwicklung“ beitragen kann
Ein Programm, das die Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern genauer in den Blick nimmt und Fachkräfte unterstützt, die Kinder zugewandt und zuverlässig zu begleiten und in ihrer Entwicklung zu fördern, ist PECE. PECE zielt darauf ab, Fachkräfte der Bildung, Betreuung und Erziehung zu unterstützen und ihnen Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben, mit denen sie einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder in ihrer Obhut nehmen können. Dies fördert die Entwicklung, sowie das seelische Wohlbefinden der Kinder und verbessert die Beziehung zwischen Fachkräften und Kindern sowie die Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen und Eltern.
Vorher-Nachher-Interviews im Rahmen der Implementierung von PECE zeigten, dass Fachkräfte durch PECE Entlastung und Entspannung im Team erlebten. Das Coaching durch einen PECE Coach führt zur Reflexion des eigenen Verhaltens und zum Austausch der Fachkräfte untereinander. (Vgl. zur Wichtigkeit des Austausches auch Artikel im Kita-Handbuch: Boogaart, E. 2023, Kollegiale Beratung in Kindertagesstätten. Eine Studie zu Lernen und Belastungsreduktion in heterogenen Teams[xii]) Die Fachkräfte berichteten auch über ein größeres Gefühl der Kontrolle über ihre Arbeit und Arbeitszufriedenheit sowie ein besseres Selbstvertrauen, Gruppen von Kindern betreuen zu können, was zu einer besseren Bindung des Personals an die eigene Einrichtung führen kann.
Das übergeordnete Ziel ist es, Fachkräfte dabei zu unterstützen, mit Kindern auf eine positive und unterstützende Art und Weise umzugehen, die sie ermutigt, ihr Potenzial auszuschöpfen. Die Inhalte des Programms helfen Fachkräften nachgewiesenermaßen (vgl.[xiii]u.[xiv]), sich in folgenden Bereichen sicherer und kompetenter zu fühlen:
- Eine einfühlsame Betreuung und reichhaltige Lernmöglichkeiten anbieten, um die sozialen und emotionalen Fähigkeiten der Kinder zu fördern.
- Kindern helfen, eine positive Einstellung zum Lernen zu entwickeln.
- Auf allgemeine Entwicklungs-, Verhaltens- und emotionale Probleme von Kindern reagieren.
- Effektiver mit Kolleginnen und Kollegen und Eltern kommunizieren.
- Arbeitsstress reduzieren.
7. Verschiedene Möglichkeiten mit PECE zu arbeiten
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auf das PECE-Programm zuzugreifen:
Fachkräfte können die vier Online-Module (à ca. 1 Std.) des PECE-Programms eigenständig absolvieren, um ihre Fähigkeiten zu verbessern, auf die individuellen Bedürfnisse von Kindern im Gruppenkontext einzugehen. Soll PECE im Team durchgeführt werden, bietet es sich an, Mitarbeitende in leitenden oder beratenden Funktionen zu PECE-Coaches auszubilden, um die Fachkräfte in der Einrichtung bei der Durchführung und Umsetzung des persönlichen PECE-Programms im Arbeitsalltag zu unterstützen.
Eine gewisse Konsistenz im Erziehungsverhalten von Fachkräften und Eltern ist für die kindliche Entwicklung förderlich. Um diesem Ziel näherzukommen, können Einrichtungen zusätzlich zu PECE passende Elternangebote wie zum Beispiel Triple P anbieten.
PECE konnte seine Wirksamkeit bereits in mehreren Studien weltweit belegen und wird laufend weiter evaluiert und entwickelt. Seit Kurzem ist es in deutscher Sprache erhältlich und wird in Deutschland aktuell in verschiedenen Institutionen (Kitas, OGS, Berufskolleg) genutzt und evaluiert. Die ersten PECE Coaches wurden fortgebildet. Das Angebot, gemeinsam inhaltlich zu arbeiten und Unterstützung durch einen Coach zu erhalten wurde von vielen Fachkräften dankend angenommen. (vgl. auch Artikel zum ERASMUS+ PECE Projekt auf ErzieherIn.de, Wichmann, K.; Krabbe.S. 2023[1])
8. Kombination von Elternangeboten mit Triple P und PECE für Kitafachkräfte
Das Programm zur positiven frühkindlichen Erziehung, Bildung und Betreuung PECE ist ein professionelles Lernprogramm, das auf das weltweit anerkannte Triple P – Positive Parenting Program abgestimmt ist.
In Institutionen, in denen es zusätzlich zu PECE für Fachkräfte bereits Triple P Angebote für Eltern gibt (wie z.B. das Gruppentraining, Triple P Online oder die Triple P Kurzberatung), profitieren in vorderster Linie die Kinder von der entstehenden Konsistenz in Sprache und Verhalten der Erwachsenen. Erwachsene, die sich konsistent verhalten, vermitteln Ruhe, Sicherheit und bieten Orientierung an. Auch Eltern und Fachkräfte profitieren von einer gemeinsamen Sprache und Grundhaltung im Hinblick auf die Unterstützung und Begleitung der Kinder, das Konfliktpotential verringert sich und eine echte „Erziehungspartnerschaft“ wird wahrscheinlicher.
Kurz gesagt: In der aktuell schwierigen und für alle belastenden Situation in der deutschen Kitalandschaft lassen sich Herausforderungen am besten gemeinsam meistern. Ein leicht umzusetzendes, evidenzbasiertes Programm zu nutzen, um die Fachkräfte zu unterstützen und zusammen zu bringen, kann dabei helfen.
Zum gleichen Schluss kommen auch Lombardi et al. im Mai 2023[2]:
"Efforts are needed to more intentionally link parenting and childcare programs at local, national, and global levels. These efforts should explicitly recognize the complementarity of parenting and childcare programming, as well as their mutual reliance on principles of nurturing care."
Zu deutsch: Es müssen Anstrengungen unternommen werden, Programme für Eltern sowie der Bildung, Betreuung und Erziehung auf lokaler, nationaler und globaler Ebene gezielt miteinander zu verknüpfen. Dabei sollte die gemeinsame Grundlage dieser Programme, nämlich die Prinzipien einer „fürsorglichen Betreuung“ (vgl. WHO, principles of nurturing care, 2018[3]), berücksichtigt werden.
Endnoten
[1] Wichmann, K.; Krabbe, S. (2023); Kitafachkräfte stark und sicher für den herausfordernden Arbeitsalltag machen – von Anfang an! https://www.erzieherin.de/kitafachkraefte-stark-und-sicher-fuer-den-herausfordernden-arbeitsalltag-machen.html (22.01.2024)
[2] Lombardi, J.; Mc Coy, D.; Lopez Boo, F.; Huang, T.; Matlhape, G.; Mishra, S.; Moussié, R.; Wadende, P; Yoshikawa, H. (2023): Unfolding Opportunity: Advancing Childcare to Support Children, Families, and Societies PEDIATRICS
[3] World Health Organization (2018): Nurturing care for early childhood development: a framework for helping children survive and thrive to transform health and human potential, ISBN 978-92-4-151406-4 https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/272603/9789241514064-eng.pdf?sequence=1 (06.02.2024)
Literaturverzeichnis
[i] Kuger, S.; Haas, W.; Kalicki, B.; Loss, J.; Buchholz, U.; Fackler, S.; Finkel, B.; Grgic, M.; Jordan, S.; Lehfeld, A.-S.; Maly-Motta, H.; Neuberger, F.; Wurm, J.; Braun, D.; Iwanowski, H.; Kubisch, U.; Maron, J.; Sandoni, A.; Schienkewitz, A.; Wieschke, J. (Hg.) (2022): Die Kindertagesbetreuung während der COVID-19-Pandemie. Ergebnisse einer interdisziplinaren Studie. Bielefeld: wbv Publikation,. https://www.dji.de/veroeffentlichungen/aktuelles/news/article/abschlussbericht-der-corona-kita-studie-liegt-vor.html
[ii] Schütz, J./Klusemann, S./Rosenkranz, L. (2020): Professionelles Handeln im System. Perspektiven pädagogischer Akteur*innen auf die Personalsituation in Kindertageseinrichtungen (HiSKiTa), Professionelles Handeln im System. Perspektiven pädagogischer Akteur*innen auf die Personalsituation in Kindertageseinrichtungen (HiSKiTa) (kindergartenpaedagogik.de) (22.01.2024)
[iii] Schmidt, S. (2023): Zu wenig Geld und Personal: Kita-Plätze fehlen: "Sind mitten im Kollaps" Kita-Plätze fehlen: Unpopuläre Ideen gegen "Kollaps" gesucht - ZDFheute (22.01.24)
[iv] Viernickel, S.; Voss,A. (2012): STEGE - Strukturqualität und Erzieher_innengesundheit in Kindertageseinrichtungen, Abschlussbericht studie_stege.pdf (unfallkasse-nrw.de) (06.02.2024)
[v] Kunz, T. (2007) : Gesundheit in Kindertageseinrichtungen Gesundheit in Kindertageseinrichtungen (kindergartenpaedagogik.de) (22.01.24)
[vi] Schreyer, I.; Krause, M.; Brandl, M.; Nicko,O. (2014): AQUA – Arbeitsplatz und Qualität in Kitas Ergebnisse einer bundesweiten Befragung. Home (aqua-studie.de) (22.01.2024)
[vii] Trauernicht, M.; Besser, N.; Anders, Y. (2022): Burnout in der Kita und der Zusammenhang zu Aspekten der Arbeitszufriedenheit. In: Frühe Bildung 11 (2), S. 85–93. https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000566
[viii] Geiger, K. (2019): Personalgewinnung. Personalentwicklung. Personalbindung. Eine bundesweite Befragung von Kindertageseinrichtungen. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Studien, Band 32. München https://www.weiterbildungsinitiative.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/old_uploads/media/WiFF_Studie_32_Geiger.pdf
[ix] Textor, M. R. (2008): Kinder sollen sich in der Kita wohlfühlen. Bindung als Grundlage der Erzieherin-Kind-Beziehung.
https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/gruppenleitung-erzieherin-kind-beziehung-partizipation/beziehungsgestaltung-gespraechsfuehrung-konflikte/kinder-sollen-sich-in-der-kita-wohlfuehlen/ (06.02.2024)
[x] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)(2023): Für gute Kinderbetreuung bundesweit: das KiTa-Qualitätsgesetz. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/kinderbetreuung/fuer-gute-kinderbetreuung-bundesweit-das-kita-qualitaetsgesetz-209046 (22.01.2024)
[xi] Autorengruppe Fachkräftebarometer: Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2021. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. München https://www.weiterbildungsinitiative.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/WiFF_FKB_2021_web.pdf (06.02.2024)
[xii] Boogaart, E. (2023): Kollegiale Beratung in Kindertagesstätten. Eine Studie zu Lernen und Belastungsreduktion in heterogenen Teams. https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/ausbildung-studium-beruf/berufsbild-arbeitssituation/kollegiale-beratung-in-kindertagesstaetten-eine-studie-zu-lernen-und-belastungsreduktion-in-heterogenen-teams/ (22.01.2024)
[xiii] Lee, S. L. (2017): Examining the effects of the Positive Child Care Program In early childhood education environments: A randomized control trial [Doctoral dissertation, The University of Western Ontario]. London, Ontario. https://ir.lib.uwo.ca/etd/5023 (06.02.2024)
[xiv] Turner, K. M., Dittman, C. K., Rusby, J. C., & Lee, S. (2017): Parenting support in an early childhood learning context. In S. M. R & M. T. G (Eds.), The power of positive parenting: Transforming the lives of children, parents, and communities using the Triple P system (pp. 242-251). Oxford University Press.