Soziometrie - Teil 2

Kerstin Paulussen

 

Anwendungen

Soziale Beziehungen unterliegen einer Dynamik, die sich aus der Art der Beziehungen, der emotionalen Befindlichkeit, der Bedürfnislage von Individuen, als auch durch das Rollensetting und auch durch die Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Kontexte, ergibt. So, die mehr oder weniger aus der Feldtheorie abzuleitenden Bedingungen, welche die Komplexität des Zustandekommens von Verhalten im Bezug zu sozialen Beziehungen erahnen lassen. Diese zu erfassen und zu analysieren erfordert hilfreiche und visualisierende Methoden.

Eine der entwickelten Methoden zur Datenerfassung und -analyse wird als Soziomatrix bezeichnet. Mit ihr werden anhand von (Kreuz-)Tabellen, Werte, die aufgrund unterschiedlicher Verfahren (Beobachtungen, Interview, usw.) ermittelt wurden, abgebildet und statistisch - mathematisch dargestellt. So kann zum Bsp. eine intensivere Freundschaft angenommen werden, wenn zwischen zwei Personen eine Vielzahl von Gesprächen beobachtbar war und eine weniger intensive Beziehung, wenn wenig oder kein Austausch zwischen zwei Personen stattgefunden hat (quantitative Feststellung). Eine qualitative Erfassung wäre es, wenn neben der Häufigkeit auch die Art und Qualität des Kontaktes einbezogen würde, was sinnvoll ist, da eine Vielzahl von Kontakten auch auf einen intensiv geführten Streit hindeuten kann. Erst die Einbeziehung der Art und Qualität eines Kontaktes lässt einen zuverlässigen Rückschluss auf die Bedeutung eines intensiven Kontaktes zu.

Tabelle 1: Kreuztabelle

Peter

Paul

Karl

Susanne

Ute

Marianne

Summe

Peter

 

-

++

o

-

-

1 ++; 3 -

Paul

-

+

+

-

-

2 +; 3-

Karl

++

+

+

-

+

1 ++, 3 +; 1-

Susanne

o

+

+

+

-       -

3+; 1 --

Ute

-

-

-

+

+

2+; 3 -

Marianne

-       -

-       -

-       -

-       -

+

1+; 4 --

Legende:
+ + intensives Spiel und Gespräch in Harmonie; + intensives Spiel und gelegentlicher Austausch;
o gelegentliches gemeinsames Spiel mit gelegentlichen Konflikten; - seltenes gem. Spiel mit häufigen Konflikten; - - explizite Ablehnung, auch bei Mangel an Spielpartneralternativen.

Die Darstellung einer solchen Kreuztabelle zählt zur Soziomatrix, eine Tabelle sozialer Daten. Dem logischen Prinzip folgend, müsste sich bei den Paarungen einen identischer Wert ergeben. Wenn beispielsweise Susanne gerne mit Paul spielt, ist es umgekehrt genauso (in der Tabelle kenntlich gemacht durch die hellgraue Unterlegung). Diese Übereinstimmung ergibt sich in der Tabelle jedoch nicht bei allen Paarungen, was zunächst unlogisch wirkt. Jedoch sind soziale Beziehungen nicht immer von beiden Seiten gleichermaßen angestrebt. Es kann sich auch ergeben, dass er von einem er beiden Spielpartner besonders gesucht, jedoch nicht gleichermaßen erwidert wird. Im oben dargestelltem Beispiel ist für es bei fast allen Kontakten gegenseitig ergänzend, nur bei Marianne weicht es häufiger ab. Offensichtlich wird die von ihr gesuchte Nähe nicht gleichermaßen erwidert. Lediglich der Kontakt zu Ute ist von beiden Seiten gleichermaßen gesucht und gestaltet. Insgesamt wird deutlich, dass die Situation für Marianne in der Gruppe problematisch ist, da sie neben den einseitig gesuchten Kontakten nur sehr wenige, bzw. nur einen erwiderten Kontakt hat. Ein weiteres schlussfolgerndes Element ist die überwiegende geschlechtshomogene Kontaktgestaltung, außer bei Susanne, Paul und Karl.

Eine übersichtlichere Darstellung kann hergestellt werden, wenn die Ergebnisse einer Soziomatrix als Grundlage für ein Soziogramm verwendet werden. Eine solche Veranschaulichung ermöglicht die Wahrnehmung eines Beziehungsgefüges von Gruppen auf einen Blick. Dazu müssen den Personen und Beziehungsarten Symbole zugewiesen werden; für die Sub-Gruppen verschieden farbige Symbole und für die Geschlechter unterschiedliche Formen. Die Intensität und Qualität der Beziehung zueinander wird durch nähere bzw. entferntere Anordnung, analog zu den real existierenden Beziehung, auf einem Board oder einer Unterlage visualisiert. Mit ergänzenden Symbolen, wie Pfeile oder Linien unterschiedlicher Art, kann die Art der Beziehungen zueinander weiter differenziert dargestellt werden, zum Beispiel können häufige Konflikte durch einen Blitz kenntlich gemacht werden (vgl. Paulussen, 2023).

So die klassische Funktion eines Soziogramms, welches bei kreativer Anwendung auf verschiedene Bedarfssituationen in unterschiedlichen sozialpädagogischen Kontexten angepasst werden kann, z. B. für die Darstellung einer Ankunfts- und Bringsituation in Kitas. Wegen der vielfältigen Anwendungs- und Gestaltungsmöglichkeiten ist das Hinzufügen einer Legende zum Soziogramm notwendig, um die Bedeutung der mglw. variantenreich gestalteten Symbole für die Betrachter nachvollziehbar zu erhalten.

Soziogramme (siehe entsprechenden Artikel in DAS Kita-Handbuch) sind geeignet Gruppensituationen und die aktuell durchlaufenen Gruppenphasen (siehe DAS Kita-Handbuch), zu ermitteln und zu visualisieren, um die passenden und erforderlichen pädagogischen Handlungsbedarfe zu erkennen und entsprechende pädagogische Planungen vornehmen zu können. Für eine komplexere und detailliertere Aufbereitung dieser Themen bezogen auf unterschiedliche Gruppenarten in Kitas, Jugendhilfe und Schulen empfehle ich mein Buch „Was ist los in meiner Gruppe?“ welches im Februar 2023 im Lambertus Verlag erscheinen wird.

Wegen der sich häufig ändernden Situationen in sozialpädagogischen Kontexten ist eine variable, flexible und anschauliche Darstellung, die mit dem Sozio scrum® board vorgenommen werden kann, hilfreich. Dieses wird für mehrere Funktionen, neben dem Soziogramm auch für das Soziale Atom, wie auch für eine Genogramm und weitere, als ein Board mit magnetischen und wiederbeschreibbaren und damit nachhaltigen Symbolen, angeboten.

Literaturverzeichnis

Ash, M. G., & Ebich, S. (2010). Psychologie, Band 5: Geschichte der Universität Unter den Linden 1810-2010. Berlin: Akademie Verlag.

Günzel, S. (2008). Kurt Lewin und die Topologie Schlüsselwerk der Sozialforschung. In F. Kessl, Schlüsselwerke der Sozialraumforschung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Kohn, B. (Regisseur). (2018). Der Psychologe Kurt Lewin - Pionier der Gruppendynamik [Kinofilm]. Von wr.de/swr2/wissen/kurt-lewin abgerufen 14.12.2022.

Lewin, K. (1982). Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. In: Kurt-Lewin-Werkausgabe Bd. 4. Bern: Huber.

Lück, E. (11.01.2021). socialnet. Abgerufen am 13. 12 2022 von Das Netz für Sozialwirtschaft: https://socialnet.de/Soziallexikon/Feldtheorie

Lück, H. E. (2001). Kurt Lewin. Eine Einführung in sein Werk. Weinheim: Beltz.

Moreno, J. L. (1934). Who shall survive? Foundations of Sociometrie, Group Psychotherapy and Sociodrama.

Moreno, J.L. (1974) Grundlagen der Soziometire. Köln: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Moreno, J.L. (2014) Die Grundlagen der Soziometrie: Wege zur Neuordnung der Gesellschaft. Köln: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Paulussen, K. (2023). Was ist los in meiner Gruppe? Begleitung von Gruppenprozessen in Kita Schule und Jugendhilfe. Freiburg: Lambertus Verlag.

Stadler,C. Hg. (2013) Soziometrie: Messung, Darstellung, Analyse und Intervention in sozialen Beziehungen. Berlin: Springer Verlag.

Stützle-Hebel, M., & Antons, K. (2017). Einführung in die Praxis der Feldtheorie. Heidelberg: Carl Auer Verlag.

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