Jenni Hierer
Einleitung
Gelingende Interaktionen im pädagogischen Alltag geschehen nicht automatisch, sondern erfordern eine aktive Rolle von uns Fachkräften. Gerade Kinder mit herausforderndem Interaktionsverhalten brauchen positive, wertschätzende und verbindende Interaktionen mit Erwachsenen und anderen Kindern. In KiTa-Gruppen treffen eine Vielzahl von Kindern aufeinander, die ganz unterschiedliche Gesprächserfahrungen mitbringen. Fachkräfte müssen diese wahrnehmen und kennen, um individuell darauf eingehen zu können, um die Kinder dort abzuholen, wo sie stehen. Dies ist sehr wichtig für den gesamten Gruppenprozess, da eine gute Interaktions- und Beziehungsqualität positive Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder hat. Kinder mit guten Beziehungen zu einer Fachkraft sind eher bereit, sich an die sozialen Normen und Gruppenregeln in der Kita zu halten, diese zu akzeptieren und sich in die Gruppe zu integrieren. Für die einzelne Fachkraft bedeutet dies, dass sie zu jedem einzelnen Kind eine gute Beziehung aufbauen muss, um die gesamte Gruppe führen zu können.
Merkmale des Beziehungsaufbaus- und abbaus
Der Psychologe Wolfgang Stroebe (2004, 2006) nennt als Kennzeichen des positiven Beziehungsaufbaus folgende Merkmale:
- verbale und nonverbale Anknüpfungen der einzelnen Gruppenmitglieder,
- Gemeinsamkeiten spielen eine große Rolle,
- zum Aufbau der Beziehungen untereinander sind Selbstbotschaften und Beziehungsaspekte wichtig,
- sowie positive Emotionalität.
Typische Merkmale für einen Beziehungsabbau (Stroebe 2004) seien dagegen:
- emotionaler Rückzug,
- Hervorheben von Gegensätzen,
- Zunahme von schwierigen oder konfliktreichen Interaktionen,
- Vermeidung von Interaktionen.
Gerade wenn man sich die Gruppendynamik in Kindertagesstätten anschaut, ist das Bewusstsein über diese Merkmale für Beziehungsaufbau- oder abbau sehr wertvoll, denn es bietet Orientierung, wie es der Gruppe aktuell geht. Gibt es vermehrt Konflikte? Bilden sich kleinere Grüppchen, die weniger bis gar nichts miteinander zu tun haben? Hören sich alle gegenseitig zu oder werden einzelne Kinder ständig unterbrochen? Herrscht eine warmherzige und offene Stimmung oder ist sie oft aufgeladen und aggressiv? (vgl. hierzu Weltzien 2016)
Gruppenstrukturen im Kindergarten
In einem eingliedrigen Kindergarten mit nur zwanzig Kindern, haben die Kinder weniger Auswahl an InteraktionspartnerInnen und FreundInnen, wie beispielsweise in einem Kindergarten mit offenem Konzept, in dem häufig bis zu hundert Kinder betreut werden.
Die Fachkräfte müssen die Gruppenstrukturen in beiden Fällen kennen. Beobachten, wer mit wem spielt und interagiert oder auch gehäuft Konflikte hat, um die Bedürfnisse der einzelnen Kinder sowie der gesamten Gruppe zu erkennen und darauf eingehen zu können. Wichtige Grundlagen der Gruppendynamik, die Fachkräften bewusst sein müssen, um moderierend einzuwirken (in der Großgruppe, aber auch in der Kleingruppenarbeit) sind:
- Gruppen sind ein elementares Lernfeld für den Erwerb vielfältiger sozialer Kompetenzen. Gerade für Kinder sind die Stärkung des Zusammenhalts und ein intensives Lernen über das Miteinander in Gruppen notwendig.
- In jeder Gruppe gibt es verschiedene Rollen der einzelnen Mitglieder (z.B. Anführer, Mitläufer, Clown etc.).
- Eine Gruppe hat eine hohe Attraktivität auf „Nicht-Gruppenmitglieder“. Hat sich eine Gruppe gebildet, ist es für Nicht-Gruppenmitglieder schwerer, sich der Gruppe anzuschließen.
- Beliebte, selbstbewusste Kinder stehen seltener außerhalb einer Gruppe als Kinder, die Probleme im sozialen Miteinander zeigen.
- Es gibt „Zaungäste“, die auf unterschiedliche Art und Weisen versuchen, ein Teil der Gruppe zu werden: Kinder, die die Gruppe „vom Rand aus“ beobachten und versuchen, sich durch vorsichtige Annäherung zu integrieren. Sowie Kinder, die durch ihr Verhalten die Gruppe herausfordern und durch Lautstärke oder Aggressivität Störungen, Konflikte und dadurch Interaktionen zu verursachen.
- Die Atmosphäre innerhalb der Gruppe hängt im Wesentlichen von der Gruppenleitung ab. Im Bewusstsein der Besonderheiten ihrer Gruppe gestaltet sie deren Entwicklung bewusst mit. (vgl. Gartinger & Janssen 2014 S. 227 und Weltzien 2016 S. 15).
Abschließende Betrachtung - Dialog, Kontakt und Beziehung
Auch wenn das Thema Gruppenpädagogik hier nur angerissen werden kann, erkennt man an der Auflistung dieser Punkte, was Gruppen und deren einzelne Gruppenmitglieder sowie die Kinder, die versuchen Teil einer Gruppe werden zu wollen, brauchen – das sind Dialog, Kontakt und Beziehung.
Fachkräfte arbeiten im Spannungsfeld zwischen dem Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Kindes sowie die der Gruppe. Doch schließen sich die beiden Bereiche nicht aus. Wie beschrieben gehen die Bedürfnisse größtenteils Hand in Hand, denn von dialogorientierten, warmherzigen und durch positive Interaktionen geprägtem Alltag profitieren alle.
Geht es den einzelnen Gruppenmitgliedern gut, funktioniert auch das Gruppengeschehen auf entspannte, harmonische Weise. Hierfür sind (innere) Ruhe und Zeit, Gelassenheit und für die Kinder interessante Inhalte sowie wertschätzende, neugierige und offene Interaktionen wichtig. Durch den von der Fachkraft begleiteten und moderierten positiven, partizipatorischen und offenen Umgang untereinander, lernen die einzelnen Kinder den Sinn und die positive Emotionalität von Gesprächen, gegebenenfalls erst einmal mit einem Erwachsenen.
Dabei sind nicht nur gezielte pädagogische Angebote wichtig für Interaktionen, um einzelne Kinder sowie die Gruppe zu fördern und zu begleiten. Mindestens genauso wichtig sind die Interaktionen in den kleinen alltäglichen Momenten in der Arbeit mit Kindern. Diese sind der Grundstein des Beziehungsaufbaus. Die täglichen Routinen, wie Begrüßung und Abschied, Pflegesituationen, Mahlzeiten und Übergänge bieten großes Potenzial zum Aufbau von Bindung und Beziehung.
Es geht darum, „Interaktionsgelegenheiten wahrzunehmen und zu nutzen, indem man Gesprächsbereitschaft zeigt, situations- und personenabhängig auf die Interessen der Kinder eingeht, Interaktionen lebendig gestaltet (kein monotones Frage-Antwort-Spiel) und auch andere Kinder (Zaungäste) feinfühlig mit einbezieht“. (Weltzien 2016 S. 18) Das „sich einlassen“ auf die Erfahrungs- und Lebenswelt der Kinder steht also im Vordergrund, um die gesamte Gruppe gut führen zu können.
Literatur
Gartinger, Silvia & Janssen, Rolf (Hrsg.) (2014): Erzieherinnen + Erzieher – Band 1 + 2, 1. Auflage Berlin: Cornelsen Schulverlag.
Stroebe, Rainer W. (2004): Motivation. 9. Auflage. Verlag Recht und Wirtschaft: Frankfurt am Main.
Stroebe, Rainer W. (2006). Grundlagen der Führung. 12. Auflage. Verlag Recht und Wirtschaft: Frankfurt am Main.
Weltzien, Dörte (2016): wissen kompakt/spezial: Interaktions- und Beziehungsgestaltung mit Kindern, 1. Auflage Freiburg im Breisgau: Herder Verlag.