Martina Thum
Pädagog/innen im Kinder- und Jugendbereich haben täglich mit Konflikten zu tun: Sie vermitteln zwischen Kindern und Jugendlichen, schlichten und führen Streithähne wieder zusammen. Aber wie sieht es bei den Erwachsenen aus? Welche Hilfsmittel zum Führen von Konflikten gibt es in den Einrichtungen? Werden Konflikte innerhalb der Einrichtungen thematisiert, ausgehalten, gemanagt, geführt, übergangen oder ausgetragen? Wenn letzteres der Fall ist, mit welchen Folgen?
Mit diesen Fragen zur Konfliktkultur in sozialen Einrichtungen befasst sich nachfolgender Artikel.
Konfliktverständnis
Wo Menschen zusammen kommen, entstehen Konflikte. Die meisten Menschen scheuen Konflikte; sie werden meist als schmerzhaft, anstrengend und als zu umgehendes Übel wahrgenommen. Konflikte machen uns angreifbar, weil wir sehr unmittelbar mit unseren Emotionen und Verletzlichkeiten in Kontakt kommen. Wir bewegen uns auf unsicherem und ein Stück weit unkontrollierbarem Terrain.
Konflikte und Auseinandersetzungen gehören zum Leben dazu. So unangenehm Konflikte manchmal erscheinen mögen, sie bringen uns in unserer Entwicklung immer ein Stück voran, meist in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Manche Menschen beschreiben ausgetragene Konflikte wie ein reinigendes Gewitter, andere sagen mit einem Stoßseufzer "Na, endlich!", wenn eine lange unter der Decke schwelende ungute Situation die Oberfläche erreicht.
Da diese Situationen unausweichlich zu unserem Leben dazu gehören, lohnt es sich, gerade in Einrichtungen, die professionell Kinder betreuen, einen genaueren Blick auf dieses Thema zu werfen.
Die spezielle Situation in Kindertagesstätten
Das Personal in Kindertageseinrichtungen ist in der Regel gut geschult, was Gesprächsführung angeht. Weiterhin haben wir es mit Menschen zu tun, die beruflich tagtäglich soziale Situationen und emotionale Befindlichkeiten einschätzen und bewerten. Und natürlich haben pädagogische Fachkräfte jeden Tag mit Konflikten zu tun: Zwischen den Kindern arbeiten sie ständig als Vermittler und ermutigen die Kinder, für sich und ihre Interessen einzustehen und gleichzeitig empathisch zu agieren. Man könnte daher auf die Idee kommen, man müsse sich um das Konfliktverhalten in pädagogischen Organisationen keine Gedanken machen. Trotz der guten Vorbedingungen ist dem nicht immer so.
Eine Besonderheit in Kindertagesstätten ist, dass die Kinder viel mehr von der Zusammenarbeit und der Stimmung ihrer Erziehenden abhängen. Wenn ich als Privatperson Handwerker im Haus habe, die einen Konflikt miteinander haben, habe ich im besten Fall eine loriotreife Vorstellung im Haus, im schlimmsten aller Fälle (für mich) leidet das Arbeitsergebnis der beiden (Im handwerklichen Bereich lässt sich das glücklicherweise meist über Gewährleistungen abfedern...).
Wenn jedoch im pädagogischen Bereich die Arbeit unter Konflikten im Team leidet - und das tut sie, wenn Konflikte nicht geführt werden, sondern unter der Oberfläche schwelen -, dann leiden die Kinder. Dies geschieht sicherlich nicht in dem Maß, wie Kinder unter Konflikten ihrer Eltern leiden, aber insofern, dass ihnen nicht die volle Energie und Aufmerksamkeit der Erziehenden zur Verfügung steht. Kindertageseinrichtungen haben daher aus meiner Sicht eine besondere Verpflichtung, sich mit dem Thema "Konflikte" in ihren Organisationen auseinanderzusetzen.
Konflikt"management"
Die Fortbildungswelt ist voll von Angeboten zum Thema "Konfliktmanagement". Aber ist es wirklich das, was wir wollen? Sind Konflikte das gleiche wie ein Projekt, das es zu managen gilt? Etwas, das kommt, wie eine Krise zu managen ist, und dann wieder geht? Zum Management gehören per Definition Planung, Organisation, Führung und Kontrolle. Weiterhin ist der Begriff des Managements immer leitenden Funktionen in einer Organisation zugeordnet.
Konflikte lassen sich weder planen noch organisieren und nur in seltenen Fällen kontrollieren. Weiterhin halte ich es für bedenklich, etwas so Wichtiges, wie den Umgang mit Konflikten per Definition schwerpunktmäßig in den Leitungsebenen zu verankern. Die Leitungsebene hat mit Sicherheit eine hohes Maß an Verantwortung für die Konfliktkultur im Haus, wenn aber nur die Leitungsebene die Konflikte nur managt, haben wir es nicht mit einer lernenden Organisation im eigentlichen Sinne zu tun.
Stellen wir uns daher lieber die Fragen: Wie arbeiten wir an der Konfliktkultur in unserem Haus? Wie kann die gesamte Organisation konfliktfähiger werden?
Gibt es eine Konfliktkultur?
Eine Kultur für Konflikte? Ja, aber nicht um Konflikte zu pflegen und zu nähren! Was wir dagegen hegen und pflegen sollten, ist unsere Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen: unsere Konfliktfähigkeit.
Wahrnehmung
Erste Voraussetzung für diese Fähigkeit ist die Wahrnehmung: Sind wir in unserer Organisation überhaupt in der Lage, Konflikte wahrzunehmen? Mir begegnen immer wieder Teams, in denen die Meinung vorherrscht, dass bei ihnen ja alles in Ordnung sei, weil sie keine Konflikte haben. Es gibt sie, solche Teams, sie arbeiten schon viele Jahre zusammen, kennen sich sehr gut und haben eine ausgeprägte Konfliktfähigkeit.
Häufig jedoch, wenn es keine Konflikte zu geben scheint, herrscht eine ausgeprägte Kultur des "unter den Teppich Kehrens" und des stillschweigend Aushaltens. Das geht so lange gut, so lange keine äußeren Einflüsse wie neue Teammitglieder oder Änderungen der Rahmenbedingungen dieses kraftzehrende System ins Ungleichgewicht bringen und aufbrechen. Dann ist das Erwachen aber oft umso schmerzhafter.
Konflikte austragen
Dann ist sie da, die Situation, in der Grenzen verletzt wurden und Positionen aufeinanderprallen. Was passiert dann?
- Verfügt das Team über Techniken, damit umzugehen?
- Gibt es Eskalationsstufen, die allen bekannt sind und die die Teammitglieder einschätzen können?
- Gibt es Menschen, die unterstützend wirken können?
- Sind diese bekannt?
- Sind die gemeinsamen Grundsätze und Werte innerhalb des Teams so verinnerlicht, dass das Umgehen mit Konflikten auf dieser Basis gelingen kann?
- Gelingt es, den Konflikt zu Ende zu führen und dabei die Beziehungen untereinander zu wahren und zu schützen?
Die Beantwortung dieser Fragen gibt einen ersten Hinweis auf die Konfliktkultur innerhalb einer Organisation.
Konfliktfähigkeit von Organisationen
Organisationen, die sich durch eine hohe Konfliktfähigkeit auszeichnen, haben eine ausgeprägte Wahrnehmung dafür, wenn "etwas in der Luft hängt". Die Menschen in diesen Organisationen fürchten sich auch vergleichsweise wenig, dieses "Etwas" aus der Luft auf den Boden zu bringen, weil sie in der Mehrheit die Fähigkeit in sich fühlen, mit der Situation umzugehen.
Konfliktfähige Teams beschäftigen sich immer wieder mit den oben stehenden Fragen und reflektieren so ihr Verhalten im Konfliktfall. Sie sind sich bewusst, dass die Pflege des Sozialen im Team einen hohen Stellenwert hat. Mit "Pflege des Sozialen" ist keinesfalls ein gemeinsamer Kaffeeklatsch gemeint, sondern der wertschätzende, einfühlsame und aufmerksame Umgang miteinander. Auch bei den Erwachsenen muss Beziehungspflege auf professioneller Basis stattfinden. In Zeiten hoher Arbeitsbelastung oder großer Veränderungen sind diese Beziehungen dann so stabil, dass Konflikte gut geführt werden können und die Beziehungen dabei erhalten bleiben.
Unabdingbar für eine hohe Konfliktfähigkeit ist ein gemeinsames Grundsätze- und Werteverständnis. Es reicht hier nicht, sich an pädagogischen Tagen am Rand darüber auszutauschen - hier ist intensive Arbeit gefragt, um die Begriffe von gemeinsamen Werten mit gleichem und reflektiertem Vokabular im Team zu beschreiben, zu hinterfragen und zu verinnerlichen.
Weitere Voraussetzungen sind neben Techniken der Gesprächsführung ein im Team vorhandenes Basiswissen über
- Mechanismen in Konfliktsituationen,
- verschiedene Konflikttypen,
- Möglichkeiten und Grenzen der Intervention.
Dieses Wissen sollte, wie oben angeführt, nicht nur auf der Leitungsebene vorhanden sein. Je breiter diese Kompetenzen im Team gestreut sind, umso sicherer kann jeder einzelne in der Organisation im Konfliktfall agieren. Die Etablierung und Pflege einer gesunden Konfliktkultur ist daher eine der wichtigsten Führungsaufgaben.