Wie sehen Leiter/innen von Kindertageseinrichtungen ihr Berufsfeld?Ergebnisse einer explorativen Studie im Raum Bochum/ Wuppertal in NRW

Christian Gleser und Ivana Olic

I. Hintergrund

In der Regel verfügt jede Tageseinrichtung für Kinder über eine/n Leiter/in. Der Leiterin kommt die Rolle einer Führungskraft zu, der je nach Größe der Einrichtung ca. 2 bis zu ca. 18 Mitarbeiter/innen und Mitarbeiter unterstellt sind. Die Position und das Aufgabenfeld als Führungskraft machen es deshalb erforderlich, dass die Leiterin über hohe fachliche und soziale Kompetenzen verfügt, damit sie ihre Position langfristig erfolgreich ausüben kann.

Die klassische empirische Führungsforschung hat sich bisher vorwiegend mit dem Führungsverhalten in Wirtschaftsunternehmen und öffentlichen Verwaltungen beschäftigt (vgl. Wunderer, 1997). In Hinblick auf den Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder wurden bisher noch keine eigenständigen empirischen Untersuchungen zum Führungsverhalten von Leiter/innen durchgeführt. Ganz anders sieht es hingegen mit der Vielzahl von Handreichungen aus, in denen Empfehlungen für ein erfolgreiches Führungsverhalten in der Kindertagesstätte gegeben werden (vgl. z.B. Huppertz 1986; Jakubeit 2000; Künkel & Watermann 1993).

Aufgrund dieser Ausgangslage erschien es sinnvoll, im Rahmen einer explorativen empirischen Studie Leiter/innen nach ihren Einschätzungen zu ihrem Berufsfeld zu befragen. Neben Fragen nach der allgemeinen Beurteilungen des Berufsfeldes und Auskünften zum eigenen Führungsverhalten interessierte außerdem, welche Prioritäten Leiter/innen setzen, womit sie im Rahmen ihrer Tätigkeit besonders zufrieden sind und welche Kritikpunkte und Entwicklungsmöglichkeiten sie aus ihren beruflichen Erfahrungen heraus benennen können.

II. Explorative Studie

Im Herbst 2001 wurden insgesamt 120 Leiter/innen von Tageseinrichtungen für Kinder in Bochum und Wuppertal postalisch und persönlich darum gebeten, mittels eines Fragebogens Auskunft über ihre Einstellungen zu ihrem Berufsfeld als Leiter/in zu geben. Insgesamt haben 44 Leiter/innen an der Studie teilgenommen. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse dieser explorativen Untersuchung dargestellt und einige mögliche Implikationen daraus abgeleitet.

Stichprobe

Von den 44 befragten Leitungskräften (s. Tab. 1) sind 34 weiblich und 10 männlich, wobei das Alter der Befragten hauptsächlich zwischen 30 und 65 Jahren liegt. Die größte Gruppe ist die der 40-49jährigen.

Tab. 1: Geschlecht und Alter

  20-29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-65 Jahre
weiblich 2,9% 23,5% 52,9% 20,6%
männlich - 40,0% 30,0% 30,0%

Angaben in Prozent; Anzahl der Befragten: n = 44

Berufserfahrung

Größtenteils arbeiten die befragten Leiter/innen schon zwischen 6 und 20 Jahren als Erzieherr/innen und sind zum Teil schon bis zu 15 Jahre als Leiter/in tätig.

Arbeitszeiten

Die wöchentliche Arbeitszeit in der Einrichtung reicht je nach Leitungsperson von ca. 20 Stunden bis zu 50 Stunden pro Woche. Ca. 10% arbeiten zwischen 20 und 35 Stunden. Weitere 20% geben an, zwischen 40 und 50 Stunden in der Woche tätig zu sein. Der Großteil der Befragten (70%) arbeitet zwischen 35 und 40 Stunden wöchentlich im Kindergarten. Nahezu alle Führungskräfte nehmen darüber hinaus Arbeit auch mit nach Hause und arbeiten dort zur Vor- und Nachbereitung im Schnitt um die 2-6 Stunden pro Woche, einige sogar bis zu 10 Stunden.

Arbeitszufriedenheit

Der Großteil der Befragten genießt die Entscheidungsfreiheit, die mit ihrer Position verbunden ist. Als weitere positive Effekte heben die Führungskräfte den Gesamtüberblick über den Kindergarten hervor und die Möglichkeit, der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen.

Aufgrund der längeren Arbeitszeiten und der großen Vielfalt an Aufgaben, empfindet sich die Mehrheit der Befragten andererseits allerdings als unzureichend für ihre Aufgabe entlohnt.

Tab. 2: Zufriedenheit mit der Bezahlung

völlig einigermaßen teilweise eher nicht gar nicht
9,1% 27,3% 25% 29,5% 9,1%

Angaben in Prozent; Anzahl der Befragten: n = 44

Die Mehrheit beschreibt ihre Arbeit z.T. als sehr anstrengend, da sie den Eindruck gewonnen haben, die gesamte Verantwortung für die Einrichtung zu tragen. Besonders wurde von zahlreichen Befragten betont, dass sie häufig die konträren Wünsche und Meinungen von Kindern, Eltern, Kollegen/innen und Trägern harmonisieren müssen und dafür Verantwortung tragen, alle beteiligten Erwachsenen zu einer gemeinsamen produktiven Arbeit im Sinne der Kinder anzuhalten.

Leitungsverständnis

Gefragt nach ihrem Leitungsverständnis, sehen sich die Leiter/innen in der Regel nicht explizit nur als Vorgesetzte, sondern zugleich auch als Teammitglied und Kolleg/in (s. Tab. 3). Es gibt auch einige, die sich explizit nur als gleichberechtigtes Gruppenmitglied sehen. Dies scheint auch der Grund zu sein, weshalb die meisten Führungskräfte zu einem eher mitarbeiterorientiertem Führungsstil tendieren. Sie empfinden die Zusammenarbeit mit ihrem Team als positiv und sind mit ihren Mitarbeiter/innen bzw. Kollegen/innen zufrieden. Auch der Kontakt zu anderen Leitungskräften wird als sehr rege angegeben und als überaus hilfreich und positiv bewertet. Etwas weniger ausgeprägt wird der Kontakt zur Fachberatung beurteilt, der nach Meinung der Mehrzahl der Befragten eher nur gelegentlich stattfindet.

Tab. 3: Selbstverständnis der Leiter/innen

  trifft völlig zu trifft zu teils/teils trifft eher nicht zu trifft überhaupt nicht zu
Selbstverständnis als Vorgesetzte/r 36,4% 27,3% 20,5% 13,6% 2,3%
Selbstverständnis als gleichberechtigtes Teammitglied 45,5% 27,7% 20,5% 9,1% 2,3%

Angaben in Prozent; Anzahl der Befragten: n = 44

Ausbildung

Im Rahmen der Erzieher/innenausbildung spielen Aspekte der Leitung einer Tageseinrichtung für Kinder offensichtlich fast keine Rolle. Auf die Frage, ob sie in ihrer Ausbildung auf die Leitung einer Tageseinrichtung für Kinder vorbereitet worden seien, antworteten die meisten der Befragten mit "nein" (s. Tab. 4).

Tab. 4: Vorbereitung auf die Leitungsposition durch Ausbildung

ja nein
7% 93%

Angaben in Prozent; Anzahl der Befragten: n = 44

Da es keine sonstige spezifische Ausbildung gibt, die zur Leitung einer Kindertagesstätte befähigt, scheint die überwiegende Mehrheit der Befragten in ihre Führungsposition "hineingewachsen" zu sein. Aus Sicht der Qualitätssicherung und -verbesserung in Kindertagesstätten scheint hier ein gravierendes Qualitätsdefizit vorzuliegen. Es stellt sich deshalb die weitergehende Frage, inwieweit die Leiter/innen Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema Leitung nutzen und wie sie die Angebote zur Weiterbildung allgemein beurteilen.

Weiterbildung

Von den Befragten gaben nur 35% an, in den letzten 2 Jahren ein Fortbildungsseminar zum Themenbereich "Leitung einer Tageseinrichtung für Kinder" besucht zu haben, und nur ein Viertel gab an, dass es genügend interessante Weiterbildungsangebote auf diesem Gebiet gibt. Nahezu 40% hingegen äußerten ihre Unzufriedenheit über die derzeitigen Möglichkeiten zur Weiterbildung im Bereich Leitungskompetenzen.

Der Großteil der befragten Leitungskräfte klagte außerdem über Geld- und Zeitmangel, der sie am Besuch von Weiterbildungsmaßnahmen hindere. Außerdem wurde von den Befragten die Qualität von vorhandenen Weiterbildungsmaßnahmen kritisiert und der Mangel an speziellen Fortbildungen nur für Führungskräfte angemerkt.

Auf die Frage nach den zukünftigen Fortbildungswünschen nannten die befragten Leiter/innen eine Vielzahl von Themenbereichen. Dazu zählt die Einführung in EDV-Kenntnisse, Methoden des Qualitäts-, Zeit-, Konflikt- und Organisationsmanagements, das Erlernen von Moderationsmethoden und der Erwerb betriebswirtschaftlicher und rechtswissenschaftlicher Kenntnisse.

Offensichtlich scheint also ein hohes Interesse und ein ganz erheblicher Bedarf an Qualifizierungsmaßnahmen aus Sicht von Leiter/innen von Tageseinrichtungen für Kinder zu bestehen.

II. Implikationen

Wie die Ergebnisse der dargestellten Pilotstudie insgesamt zeigen, umfasst die Leiter/innenposition in einer Kindertagesstätte ein vielfältiges Aufgabenspektrum. Hinsichtlich der Arbeitszeit reicht eine 38,5 Stunden Woche vielfach bei Weitem nicht aus, um diese Aufgaben zu bewältigen. Dies entspricht durchaus der gängigen Praxis in einer Führungsposition, wie sie beispielsweise auch in der freien Wirtschaft vorzufinden ist. Wenngleich die Leiter/innen sich aufgrund ihrer Aufgabenvielfalt und Verantwortung oftmals unterbezahlt fühlen, so sehen sie doch den großen Freiraum und die Entscheidungskompetenzen als positiven Anreiz ihrer beruflichen Position.

Wenngleich die vorliegende Stichprobe mit 44 befragten Leiter/innen nur bedingt allgemein Aussagen zulässt, so deutet die Befragung doch vermutlich das generelles Problem vieler Leiter/innen an, dass vielfach keine explizite Vorbereitung auf die Position der Leitung einer Kindertagesstätte stattgefunden hat. Wie die Befragung weiter zeigt, hat in der Ausbildung zur Erzieherin bei den meisten der Befragten die Leitungsposition nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle gespielt. Es gibt auch kein spezifisches Anforderungsprofil im Bereich Kindertagesstättenleitung, wie es z.B. im Handwerk durch die Meisterprüfung vorgegeben ist. Offenbar sind die Leiter/innen von Kindertageseinrichtungen vielfach sich selbst überlassen, und können erst durch Berufserfahrung und autodidaktische Maßnahmen das nötige Wissen und die für die Führungsposition erforderlichen Kompetenzen erwerben. Oder anderes ausgedrückt: Sie wachsen in die Leitungsposition hinein.

Auch in Hinblick auf den regelmäßigen Besuch von Weiterbildungsmaßnahmen zum Bereich Leitung einer Organisation hat nur eine Minderheit der Befragten in den letzten zwei Jahren spezifische Veranstaltungen besucht.

Im Sinne der Qualitätsdebatte erscheint es deshalb wünschenswert, wenn ein Qualifikationssystem geschaffen würde, bei dem die systematische Vorbereitung auf eine Leitungsposition in einer Kindertagesstätte vermittelt würde. Eine sinnvolle Möglichkeit könnte z.B. eine spezielle Ausbildung zur Leiterin einer Kindertageseinrichtung an Fachhochschulen sein. Dort könnten ausgebildete Erzieher/innen dann im Rahmen eines spezifischen Aufbaustudiums das notwendige Wissen und Können über die Leitung einer Tageseinrichtung für Kinder in Theorie und Praxis erwerben.

Literatur

Huppertz, N. (1988). Die Leitung des Kindergartens. Freiburg: Herder.

Jakubeit, G. (2000). Kann denn Leiten Sünde sein...? Bremen: Bremische Evangelische Kirche.

Künkel, A. & Watermann, R. (1993). Management im Kindergarten. Freiburg: Herder.

Wunderer, R. (1997). Führung und Zusammenarbeit in Unternehmen. Stuttgart: Schaeffer-Poeschel.

Autoren

Dr. Christian Gleser
Ivana Olic, M.A. (Pädagogik)
Ruhr-Universität Bochum
Institut für Pädagogik
Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie
44780 Bochum

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