Partnerschaftliches Arbeiten zwischen deutschen und ausländischen Fachkräften

Almut Reidelhuber

Seit nunmehr nahezu 15 Jahren wird in Bayern die Maßnahme "Türkische Erzieherinnen in bayerischen Kindertagesstätten" durchgeführt. Sie basiert auf einer Vereinbarung zwischen dem türkischen Staat (Erziehungsministerium in Ankara) und dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit. Bis zum Jahr 1997 hat Staatsinstitut für Frühpädagogik in München die Kooperationsmaßnahme begleitet, ab 1998 liegt diese Aufgabe bei der Regierung von Oberbayern.

Ein Merkmal und Ziel der Kooperation ist die gleichberechtigte, partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den deutschen und den türkischen Erzieherinnen.

Ich bin der Meinung, dass sich aus der Partnerschaft zwischen so unterschiedlichen Kulturen wie Türkei und Deutschland Erfahrungen ableiten lassen, die auf andere Nationen übertragbar sind. Und weiter: Auch wenn ein deutsches Team keine ausländische Kollegin zur Seite hat, können die Erfahrungen hilfreich sein.

1. Partnerschaft muss sich entwickeln können und verläuft in der Regel in bestimmten Schritten

Keine Partnerschaft gelingt auf Abhieb, sondern sie braucht Zeit, um sich entwickeln zu können. Die Zeit dafür sollte von beiden Seiten bewusst eingeplant und gleichzeitig genutzt werden, um den Prozess aktiv mit zugestalten. Beide, die deutsche und die ausländische Kollegin sind gefragt, den Spielraum für ihr eigenes Zutun zum Gelingen einer Partnerschaft zu nutzen. Kenntnisse über die Entwicklung der Partnerschaft können dazu hilfreich sein.

In dem Prozess lassen sich drei Schritte erkennen, die hier als 3 Phasen benannt werden:

Erste Phase: Der Beginn der Tätigkeit der neuen, ausländischen Kollegin ist durch ein Nebeneinander gekennzeichnet. In der Regel verhält sich die ausländische Kollegin dabei deutlich passiver und abwartender als die deutsche. Häufig ist die ausländische Erzieherin zusätzlich zu ihrer neuen beruflichen Aufgabe mit anderen, privaten Angelegenheiten belastet, die mit ihrem Umzug, ihrer vorübergehenden Trennung von ihrer Familie, mit Behördengängen oder anderem mehr zusammenhängen können. Mit Sicherheit tut es ihr gut, wenn sie von den deutschen Kolleginnen zumindest gefühlsmäßige Anteilnahme erlebt. Ihre Aktivitäten in der Einrichtung beschränken sich im allgemeinen auf die muttersprachliche Hinwendung zu den Kindern ihrer Nationalität.

Im wesentlichen handelt es sich bei dieser Phase um ein Beobachten, Aufnehmen und Verarbeiten vieler neuer Eindrücke. Das gilt für beide Seiten (auch die deutsche Erzieherin beobachtet das Verhalten und das Auftreten der ausländischen Kollegin), jedoch deutlich ausgeprägter für die ausländische Fachkraft. Daher ist hier vor allem die einfühlsame Unterstützung der deutschen Kolleginnen gefragt. Sie lassen ihrer neuen Kollegin einerseits viel Zeit zum Beobachten, besprechen mit ihr jedoch gezielt ihre eigenen Aufgaben, die sich in einem überschaubaren Rahmen bewegen (aber sich auf keinen Fall nur auf den pflegerischen Teil beschränken dürfen!) und zeigen und erklären ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit den beruflichen Alltag.

Die Phase des eher neben- als miteinander Arbeitens kann 3 oder mehr Monate dauern.

In der zweiten Phase steht die Wichtigkeit der gemeinsamen Gesprächszeiten im Vordergrund. Es empfiehlt sich, dazu die Teamorganisation zu überprüfen: Können wir aus unserem Team eine Hauptansprechpartnerin für die neue Kollegin benennen? Die Frage der gegenseitigen Sympathie spielt dabei eine Rolle. Können wir Zeiten für Gespräche, in denen es insbesondere um die Fragen der neuen Kollegin geht, festlegen? Können wir für besonders diffizile Themen eine Dolmetscherin gewinnen?

Auch wenn eine so geartete Teamorganisation eine Besonderheit darstellt und von manchen Erzieherinnen womöglich als Zusatzbelastung empfunden wird, lohnt sich der Aufwand und wird die angestrebte Partnerschaftlichkeit mit Sicherheit positiv beeinflussen - vorausgesetzt, die deutschen Kolleginnen stehen mit Überzeugung hinter der besonderen Form der Teamarbeit. Es sollte allen Beteiligten bekannt sein, dass es sich dabei um eine zeitlich begrenzte, nach hinten jedoch offene Organisationsform ihrer Teamarbeit handelt. Ziel der Gespräche ist, dass die ausländische Erzieherin zunehmend Sicherheit über den pädagogischen Alltag der Einrichtung erlangt und dann mehr und mehr die Aufgaben übernimmt, die auch jede deutsche Kollegin erledigt. Sie soll sich also nach und nach auch für die Gesamtgruppe und für alle anderen Eltern der Kinder (nicht nur derjenigen ihrer eigenen Nation) verantwortlich fühlen.

Ein Kennzeichen dieser Phase ist zudem, dass die deutschen Kolleginnen ihr Interesse für die Herkunftskultur ihrer Kollegin offen aussprechen und nach Möglichkeit auch dafür Gesprächstermine vorsehen. Die Fragen dazu behandeln z. B.

  • die Bedeutung und die landestypische, inhaltliche Gestaltung von nationalen Festen,
  • die Erziehungsvorstellungen ausländischer Familien hier in Deutschland und im Herkunftsland,
  • den Ausbildungsweg und die beruflichen Tätigkeitsfelder der ausländischen Erzieherin.

Die Aufgeschlossenheit und die Neugier der deutschen Fachkräfte für die Herkunft der neuen Kollegin sind ein wesentlicher Aspekt zum Entwickeln einer respektvollen Anerkennung fremder Kulturen.

Diese Phase kann sich zusammen mit der ersten über ein Jahr hinziehen.

In dieser Zeit wird sich auch gezeigt haben, welche besonderen Vorlieben, Fähigkeiten und Fertigkeiten jede Fachkraft - die deutsche und die ausländische - mitbringt, die in die Arbeit einfließen können.

Die deutschen Erzieherinnen sind sich bewusst, dass sie im Laufe dieser Zeit einige ihrer Kompetenzen abgeben und bestimmte Aufgaben vertrauensvoll ihrer Kollegin überlassen, auch wenn sie sie nicht immer unter Kontrolle haben, z. B. wenn sie die Sprache nicht verstehen können.

Natürlich ist auch mit Konflikten oder Missverständnissen zu rechnen. Jedes Team hat im Laufe der Zeit seinen eigenen Weg gefunden, damit umgehen zu können. Je offener über die Bewältigungsmethoden gesprochen werden kann, desto höher sind die Chancen, Konflikte konstruktiv verarbeiten zu können. Auch dies ist ein Thema, das mit der ausländischen Kollegin diskutiert werden muss.

In der letzten Phase drückt sich die gute Kooperation zum einen

  • in einer differenzierten Arbeitsteilung aus und zum anderen
  • in der Fähigkeit, miteinander gemeinsame Aufgaben zu erledigen.

Jede Erzieherin kennt die Zielrichtung oder das Profil der eigenen Einrichtung und unterstützt sie auf ihre Weise, wobei die Inhalte durchaus voneinander abweichen können. Zum Beispiel bringt die türkische Fachkraft zu einem bestimmten Projekt Spielvorschläge aus ihrer Heimat ein, oder die deutsche Erzieherin bereitet mit interessierten Kindern zum Zuckerfest eine deutsche Süßspeise zu, oder beide entwickeln ein Konzept zur Sprachförderung mit unterschiedlichen Zuständigkeiten: Die deutsche Erzieherin für die deutsche Sprache, die ausländische Erzieherin für ihre Muttersprache.

In der letzten Phase der gleichberechtigten, partnerschaftlichen Zusammenarbeit kommt noch ein wichtiger Aspekt hinzu. Deutsche Erzieherinnen können die Mitarbeit einer ausländischen Kollegin gezielt als Hilfe zur Reflexion nutzen. Oft richten die Fragen der Menschen mit anderem Hintergrund den Blick auf Dinge, die man selbst einfach nicht mehr kritisch wahrnehmen kann, für die man "betriebsblind" geworden ist. Zum Beispiel war eine ausländische Erzieherin höchst erstaunt, als sie von dem Verbot, Wasser zu trinken (an das sich die Kinder im übrigen nicht hielten), erfuhr. In ihrem Land gilt sauberes, kühles Trinkwasser als selbstverständlicher Durstlöscher. Warum ist das hier nicht so?

Erzieherinnen, die trotz unterschiedlicher Herkunft partnerschaftlich und gleichberechtigt zusammenarbeiten, berichten uneingeschränkt von dem großen Gewinn für ihre gesamte Einrichtung, sprich Team, Kinder und Eltern, aber auch für ihre eigene Persönlichkeit.

2. Einige Beispiele über Gesprächsthemen zwischen deutschen und türkischen Erzieherinnen

Fest- und Feiertage in der Türkei

Deutsche Erzieherinnen konnten z. B. erfahren, dass bestimmte nationale Gedenktage in der Vorschulerziehung in der Türkei eine große Rolle spielen (z. B. Ata Türks Todestag im November, der 23. April als groß gefeierter Tag der Kinder), religiöse Feste dagegen weniger. Ihre Pflege gehört in die Familien. Der Grund dafür liegt in der strikten Trennung zwischen Staat und Kirche (Laizismus), die in der Türkei seit Ata Türk besteht. Eine Konsequenz drückt sich darin aus, dass eine Erzieherin bzw. Lehrerin in der Türkei kein Kopftuch trägt. Bezeichnend ist auch das Erstaunen einiger türkischer Erzieherinnen darüber, dass Feste mit religiösen Hintergrund, wie Nikolaus, Weihnachten und Ostern in unseren Kindergärten eine hohe Bedeutung haben.

Berufsrolle der Erzieherin in der Türkei

Deutsche Erzieherinnen konnten z. B. erfahren, wie fundiert die Ausbildung zur Erzieherin in der Türkei erfolgt (Hochschulstudium) und dass sie den Status einer Kleinkindlehrerin haben. Der Beruf des Lehrers oder der Lehrerin ist zwar nicht sonderlich gut gezahlt, aber er genießt in der Bevölkerung ein hohes Ansehen. Lehrer sind auf Grund ihrer Aufgabe eine Autorität. Das zeigt sich in zwei Beispielen: Kinder reden ihre Lehrerin nicht mit Namen an, sondern mit der respektvollen Anrede ögretmenim ("meine Lehrerin"). Jedes Jahr im Herbst wird der Lehrertag gefeiert, an dem Kinder und Eltern der Lehrerin gratulieren und evtl. eine kleine Aufmerksamkeit überreichen. Ein Kindergartenteam griff diese Tradition, die wiederum auf Ata Türk zurückgeht, auf und bereitete ihrer türkischen Kollegin an diesem Tag einen kleines Fest.

Erziehungsvorstellungen in türkischen Familien

Deutsche Erzieherinnen konnten z. B. erfahren, dass sich in der Regel die Erziehungsvorstellungen der türkischen Familien in Deutschland von denen in der Türkei stark unterscheiden. Der Wandel innerhalb der türkischen Gesellschaft schreitet rasch voran und macht sich auch in den Familien bemerkbar. Zum Beispiel spielt die Erziehung zur Selbständigkeit seit einigen Jahren in der Türkei eine größere Rolle als früher. Ein Großteil der türkischen Familien hier dagegen sind in der Regel sehr von ihrer bäuerlich, ländlichen Herkunft geprägt, und sie halten - ein typisches Verhalten vieler Minoritäten im Ausland - an alten Traditionen und Werten fest und verstärken sie in der ihnen fremden Umwelt womöglich sogar noch.

Sprachförderung

Deutsche Erzieherinnen konnten z. B. erfahren, dass eine ganze Reihe der türkischen Kinder die eigene Muttersprache nur unvollkommen beherrscht. Oft herrschte ein starker Dialekt vor, Satzbau und Grammatik ließen sehr zu wünschen übrig und nicht selten war die Sprache schlicht verroht. Wie sollten diese Kinder jemals ein gutes Deutsch lernen können?

Die Förderung der Sprachen (deutsch und türkisch) war selbstverständlich eines der zentralen Themen. Grundsätzlich galt die Regel: Die türkische Erzieherin ist für die Förderung der Muttersprache zuständig (incl. der Gewinnung der türkischen Eltern für diese Aufgabe), die deutsche Erzieherin für die Förderung der deutschen Sprache.

3. Wie können deutsche Fachkräfte, die keine ausländische Kollegin haben, diese Erfahrungen nutzen?

Sie können nun mit Recht fragen: Was sollen diese Ausführungen? Ich werde wohl nie die Chance haben, mit einer ausländischen Kollegin arbeiten zu können.

Doch allein die im allgemeinen sehr positiven Beurteilungen deutscher Erzieherinnen, die mit einer ausländischen Kollegin längere Zeit zusammenarbeiten konnten, können (und sollten) Sie ermutigen, einen persönlichen Zugang zu ausländischen Eltern oder Fachkräften zu suchen.

Dazu bieten sich die drei oben genannten Schritte zu Übertragungen an: In der ersten Phase herrschen zum Beispiel zwischen einer neu zugezogenen türkischen Mutter und der deutschen Erzieherin in der Regel noch Unsicherheit und Fremdheitsgefühle vor, die vor allem die deutsche Erzieherin behutsam abbaut. In der zweiten Phase werden die Einblicke in die Arbeit immer wichtiger und es werden vermehrt Gespräche geführt, auch über persönliche Lebensumstände der ausländischen Familien. Das gelang in einigen Einrichtungen z. B. über lockere Treffpunkte für türkische Mütter, anfangs noch mit einer Dolmetscherin. In der dritten Phase kann und sollte es zu einer aktiven Beteiligung ausländischer Familien kommen.

Wie können Sie sich, wenn Sie Kinder einer Ihnen fremden Kultur in der Gruppe haben, weiterhin helfen?

  • Interessieren Sie sich für die Erfahrungen anderer Kolleginnen, die eine ausländische Kollegin haben. Zum Beispiel kann das Wissen über die Rolle der Kleinkindlehrerin in der Türkei (hier: Erzieherin) aufschlussreich sein, da es vermutlich das Bild von Erzieherinnen vieler junger türkischer Mütter, die als Bräute aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind, geprägt hat.
  • Seien Sie neugierig und offen für Fremdes. Dabei können die Kinder aus anderen Nationen in Ihrer Gruppe Sie anregen, sich für die jeweiligen Herkunftskulturen zu interessieren. Welche Feste sind dort wichtig? Wie werden sie gefeiert? Können wir davon in unserer Einrichtung profitieren?
  • Welche Werte und Normen werden von den Familien hochgehalten? Was ist mir fremd, aber ich kann es trotzdem - ohne Abwertung - gelten lassen?
  • Stellen Sie eine Verbindung zu Fachdiensten für ausländische Familien oder zu Freundschaftsvereinen her. Oft ergibt sich daraus eine Mitwirkung oder zumindest Unterstützung in Ihrer Einrichtung.
  • Nutzen Sie auch in Ihrem Privatleben die Kontaktmöglichkeiten zu persönlichen Begegnungen mit Angehörigen anderer Kulturen. Oft ergibt sich daraus die Chance, Einblicke in fremde Lebensumstände nehmen zu können. Zum Beispiel hat die Mitarbeit türkischer Erzieherinnen viele deutsche Fachkräfte zu Besuchen in der Türkei angeregt, die zu einem immer differenzierteren Bild türkischer Lebensart geführt haben.
  • Mit dieser Haltung sind Sie für die Kinder das beste Beispiel für eine offene und tolerante Einstellung Fremden gegenüber.

Anmerkung

Dieser Beitrag ist eine geringfügig veränderte Fassung eines Vortrags anlässlich der Fachtagung "Alles eine Frage der Verständigung" des Schul- und Kultusreferats der Landeshauptstadt München am 17.10.2000.

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