Hans-Joachim Rohnke
"Und dann hat das Team zwei Stunden über die Gemüsesuppe für den Elternabend diskutiert."
Diese Beobachtung einer Praktikantin ist nicht ungewöhnlich. Sie zeigt, wie guinessbuchverdächtige "teuerste Eintöpfe der Welt" entstehen, leider aber nicht, wie vernünftige Gespräche im Team über die gemeinsamen Zielsetzungen und Aufgaben zustande kommen.
Das Beispiel macht deutlich, dass eine Gruppe von Menschen, die sich selbst "Team" nennt, noch lange nicht den mit der Wahl des Begriffs implizierten Anforderungen und selbstgewählten Ansprüchen gerecht wird. Vielmehr trägt das geschilderte Bild Züge desorganisierter Ratlosigkeit von irritierten Einzelkämpfern. Die kostbare Ressource Zeit verpufft und wird für die Erörterung von Belanglosigkeiten vergeudet. Vorhandene Geistes- und Arbeitskraft wird der Diskussion von Macht- und Geschmacksfragen geopfert. Geistiges Potential und Energien können auf diese Weise nicht produktiv wirksam werden, Entwicklung nicht in Gang und vorwärts kommen. Die Chance, real bestehende Probleme zu lösen, wird vertan.
Es zeigt sich, dass mit der Bezeichnung Team in der alltäglichen Praxis nicht selten recht sorglos, wenn nicht gar leichtfertig hantiert wird. Unabsichtlich und ganz nebenbei werden diejenigen KollegInnen diskreditiert, die der Entwicklung und Pflege einer gedeihlichen "Teamkultur" Zeit und Energie zumessen, die sich mühen - weniger anspruchsvoll ausgedrückt -, ein gutes, den gemeinsamen Arbeitszielen förderliches Arbeits- und Betriebsklima herzustellen.
Das letzteres erforderlich ist, liegt auf der Hand, wird aber nicht überall mit der erforderlichen Sorgfalt beachtet. Verwunderung und Überraschung zeigt sich meist dann, wenn Fluktuation, Unzufriedenheit, innere Kündigung und murrende Eltern oder Träger in Erscheinung treten, Motivation und Arbeitsfreude weichen, das öffentliche Ansehen einer Einrichtung zu schwinden beginnt...
Die Bezeichnung "Team" ist ein Qualitätsmerkmal!
Ich schlage daher vor, gegenseitige unausgesprochene Erwartungen und Ansprüche von MitarbeiterInnen in Arbeitsgruppen nicht vorschnell in schick und mit einem gehörigen Schuss Appellcharakter klingende Begriffe zu packen, sondern die nötige Beziehungs- und Aufgabenklärung vor eine Etikettierung der MitarbeiterInnengruppe zu stellen. Die Bezeichnung einer Gruppe als "Team" ist schließlich eine Klassifizierung, die Qualität und Güte verheißt, die Maßstäbe und Kriterien setzt, aber auch Ansprüche weckt. Dem vorgelagert ist ein arbeitsintensiver Prozess des Austauschs, der Verständigung und der Auseinandersetzung. Hier sind neben Wissen Geduld, Darstellungs- und Verhandlungskompetenz, Diplomatie, Kooperationsgeschick und Konsensfähigkeit gefragt.
Was aber sind solche Kriterien und warum ist Teamarbeit von Bedeutung?
Erfolgreiche Teamarbeit in der Kindertagesstätte setzt zunächst das Wissen über den gesetzlichen und institutionellen Auftrag und die darin enthaltene Aufgabenstellung voraus. Dies bedeutet, sich zu vergewissern, welche Aussagen und Bestimmungen als grundlegende Bezugspunkte in den Blickwinkel zu nehmen sind und welche Operationalisierungen, das heißt konkretisierbaren Arbeitsschritte, -prozesse, -ziele und Teilziele wie zu bewältigen sind.
Zuvorderst zu nennen sind das Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1990, hier insbesondere die Paragraphen 1 und 22, die diversen Landesgesetzgebungen, Erlasse und die gemäß dem Subsidiaritätsprinzip erstellten Leitbilder, -linien und -orientierungen freier Träger. Auf der Ebene des Kindergartens finden die pädagogischen Allgemein- und Feinziele ihre Prioritätensetzung und Präzisierung, ihre Abrundung sowie ihren Niederschlag im sogenannten pädagogischen Konzept.
Bereits im Prozess der Erstellung und in der Diskussion zeigen sich manifeste und latente Hinweise auf die Qualität und die Möglichkeiten der Gruppe und ihrer Angehörigen. Spätestens jetzt werden strukturelle Zwänge, unterschiedliche Artikulationsmöglichkeiten, variierende Wissensbestände und konkurrierende biographisch bedingte Werthaltungen und Beurteilungen sichtbar. Hinzu kommen abweichende Kränkungserfahrungen und -toleranzen, fehlende Fähigkeiten zur Selbstkritik und Annahme von Fremdkritik, Tabuthemen und vieles mehr. Hervorbrechen können allseits bekannte Eigenschaften wie Rivalität, Macht- und Unterwerfungsgelüste, Beleidigungen, Neid und Eifersüchteleien, Verweigerungs- und Lagerbildungseffekte, kurz: das gesamte Sammelsurium möglicher Leidenschaften, Niederträchtigkeiten und unschöner Schwachheiten, deren Menschen im Bedarfsfall fähig sind.
Modell- und Vorbildfunktion des Personals
Dies alles wäre hinnehmbar, handelt es sich lediglich um vielfach beobachtbar Menschliches, gewöhnlich Menschliches. Delikat können diese und andere Phänomene jedoch deshalb werden, weil sie sich auch im Berufsstand derjenigen ereignen, die den besonderen Auftrag verfolgen, professionell auf andere erzieherisch wirken zu wollen, die beabsichtigen, grundlegende Werte zu vermitteln und die ihr Handeln in den Dienst einer menschenwürdigen Zukunft zu stellen beabsichtigen.
Diese vielleicht von manchem moralisierend erlebte Betrachtungsweise bliebe naiv, würde sie nicht die pädagogisch relevante lerntheoretische Tatsache betrachten, dass kindliches Lernen unter anderem ein Vorgang ist, der mit Beobachtung, Nachahmung und dem Kopieren erlebter Verhaltensweisen zu tun hat. Lernen am Modell ist und bleibt ein wichtiger Faktor für die Möglichkeit der Herausbildung diverser Fertigkeiten und die Akzeptanz und Bereitschaft zur Übernahme sozialer Orientierungen.
Bei Friedrich Fröbel heißt es sinngemäß, lapidar und dennoch treffend: "Erziehung ist Liebe und Vorbild." Diese Zusammenhänge sind es, die der Formation Team im Kindergarten über das gelebte Einzelbeispiel hinaus Bedeutung verleihen. Das von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelebte Interaktions- und Kommunikationsverhalten findet gleichsam auf einer Bühne statt, wird wahrgenommen und erlebt, ist leibhaftiger Anschauungsunterricht und Angebot für die propagierten sozialen Lernziele und Erziehungsideale des Erziehungspersonals.
Nicht zuletzt aufgrund dieser Verknüpfungen und Wirkungsweisen wird die Tragweite und Brisanz erzieherischen Verhaltens in der MitarbeiterInnengruppe deutlich. Nicht die Ansprüche und hochwertigen Ziele alleine sind es, die für die Niederungen des Kindergartenalltags Wirkung entfalten, genauso bedeutsam ist der bewusste und reflektierte Umgang des Personals mit- und untereinander.
Fragen: Wie offen sprechen wir unsere Gedanken und Gefühle aus? Herrscht ein Klima des Vertrauens und wohlwollender Rücksichtnahme? Dürfen Ängste thematisiert werden? Ist das Eingestehen von Fehlern möglich? Gibt es fairen Streit, Wettbewerb, Auseinandersetzungen und Hinweise auf Modalitäten der Konfliktlösung? Welche Versöhnungs- und Annäherungsstrategien stehen zur Verfügung? Erleben Kinder Konsensfindungs- und Verhandlungskompetenzen? Können Kinder etwas über die Reichhaltigkeit und Vielfalt menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten erfahren? Erleben die Kinder Solidarität und konstruktives Aufeinanderzugehen? Ist der gesamte Kindergarten eine Begegnungsstätte, oder ist die Gruppentür die Demarkationslinie zur eher befremdlichen Nachbargruppe?
Teamleistung ist mehr als die Summe von Einzelleistungen
Solche und ähnliche Fragen weisen in eine Richtung, die veranschaulicht, wie notwendig und interessant es ist, Beziehungs- und Teampflege zu betreiben. Ein Team, das seinen Auftrag geklärt hat, das um seine Aufgaben- und Stellenbeschreibungen Bescheid weiß, das sich in einem kontinuierlichen Prozess des kritischen Nachdenkens um den "Output", sein Produkt, die pädagogische Arbeit bemüht und nicht vergisst, sich selbst regelmäßig kritisch in den Blick zu nehmen, ist in der Lage, jene Synergieeffekte zu erzeugen, die das berühmte Plus bedeuten gegenüber der herkömmlichen, einfachen Summe der Einzelleistungen von Teammitgliedern.
Was aber bedeutet dies für die Leitungskraft?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Leitungskräfte nur in spezieller Weise Mitglied des Teams sein können. Ihre herausragende und besondere Position ergibt sich aus der bewussten Einsetzung in dieser Rolle durch den Träger. Leitungskräfte verfügen über privilegierte Handlungsmöglichkeiten, die ihren Ausdruck in der Zubilligung besonderer Rechte und Pflichten finden. So zum Beispiel durch die Möglichkeit der Handhabung von Dienstanweisungen, in der Gestaltung von Dienstplänen, durch die Zusammenstellung von Gruppenbetreuungsteams, in der Festlegung von Vertretungsregelungen, bei der Anfertigung von Zeugnissen und Beurteilungen und dergleichen mehr. Eine klare Herausarbeitung der jeweiligen Zuständigkeiten und Definitionen der Reichweite der möglichen Entscheidungsräume ist hilfreich und verhindert, dass illusorische Wolkenkuckucksheime gebaut werden. Es ist ein Zeichen falsch verstandener Solidarität und irreführender Gleichmacherei, häufig auch uneingestandener Schwäche, wenn diese Tatsache verschleiert oder unkenntlich werden.
Wenn vom Träger nichts anderes vorgesehen ist, entscheidet demnach die Leitungskraft über Umfang und Handlungsspielräume der Gruppe und ihrer Mitglieder. Vor Ort heißt dies, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie weit die Entwicklungsreife, Kompetenz und Möglichkeit der einzelnen Gruppenmitglieder gediehen ist, um auf dem Hintergrund einer Gesamteinschätzung und -bewertung den eigenen, adäquaten Führungsstil zu prägen.
Ein solcher "situativer Führungsstil" hat den verschiedenen Charakteren und individuellen Fähigkeiten Rechnung zu tragen, um die optimalen Arbeitsmöglichkeiten der MitarbeiterInnen zu gewährleisten. Mit anderen Worten: die vorläufig vorhandene "Arbeitsgruppe" wird auf dem Weg zu einem guten Team unterstützt, beraten und angeleitet werden. Dabei sind die Stärken, Schwächen und unterschiedlichen Fähigkeiten und Talente der KollegInnen ernst- und anzunehmen. Die Leitungskraft wird ihnen gerecht werden, um der Chance willen, die verborgenen Potentiale zu befördern. Sie wird sich zurücknehmen, wo eigenverantwortliches und gemeinschaftsorientiertes Verhalten als Ausdruck von Überforderung und fehlender Anerkennung zu stark in den Vordergrund treten und die gemeinschaftliche Leistungskraft hierdurch gemindert ist.
Leitungskräfte haben demnach die Aufgabe, gewissermaßen als "Entwicklungshelfer", stützend, aufbauend und ermunternd den Entwicklungsprozess "ihrer" Gruppe zu begleiten. Die Leitungskraft wird sich dafür einsetzen, dass ausreichend Zeit dafür vorhanden ist, neben der Diskussion der pädagogischen und organisatorischen Fragestellungen die Qualität der Arbeitsbeziehungen und die Formen und das Klima des Kommunikationsverhaltens regelmäßig kritisch in den Blick zu nehmen, zu pflegen und zu entwickeln. In dieser Perspektive ist das Ziel, ein Team zu bilden, für die Übernahme von Aufgaben und Verantwortung einzelner systematisch vorzubereiten, um schließlich Delegation zu ermöglichen.
Unterstützung und Hilfe suchen und annehmen
Diese Gedanken machen erneut deutlich, wie anspruchs- und gehaltvoll eine gut ausgefüllte Rolle der Leitungsposition ist und welche Tätigkeitsmerkmale dazugehören. Nicht wenige LeserInnen werden sich fragen, ob sie den solchermaßen skizzierten Anforderungen gerecht werden zu können.
Die hier geschilderten und geforderten sozialen und kommunikativen Kompetenzen sind entwickelbar und können erlernt werden. Es gibt mittlerweile ein reichhaltiges Angebot an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die mehr strukturierte Formen des Wissenserwerbs anbieten, aber auch solche, die stärker die eigene Persönlichkeit zum Gegenstand verstehender und lernender Betrachtung machen. Für Leitungskräfte und ihre Teams sind sicherlich auch einige, neuere Reflexionsinstrumente von Bedeutung. Die Rede ist von Teamsupervision einerseits und Einzel- und Gruppensupervision für Leitungskräfte andererseits. Es liegt an der Situation vor Ort und einer eingehenden Analyse der jeweils herrschenden Gegebenheiten, hier das geeignete Hilfsinstrument auszuwählen. Davon aber ein andermal mehr.
Quelle
Leicht verändert erschienen in Kita-aktuell, Hessen 3/95
Autor
Hans-Joachim Rohnke
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