Bianka Reichardt
Drei Fragen leiten durch den Text:
- Wie entsteht Stress und ein Burnout?
- Wie hängen Stress und der Bildungsauftrag in der Kindertagespflege zusammen?
- Wie können Sie als Tagespflegeperson einem Burnout vorbeugen?
1. Wie kann das, was wir als Stress und Burnout bezeichnen, entstehen?
Als systemisch handelnde Erziehungswissenschaftlerin folge ich der Annahme, dass die Begriffe Stress, Burnout, Depression und auch Bildung keine absoluten und die Wahrheit wiedergebenden Begriffe sind. Die Begriffe werden durch das individuelle Erleben, das Empfinden, den jeweiligen Kontext und die Kommunikation darüber konstruiert - und können auch so verändert werden. In diesem Sinne verwende ich die Begriffe und verzichte der Einfachheit halber auf die Formulierung: "Was wir als Stress/Burnout etc. bezeichnen."
Stress ist ein Zustand, in dem der Körper für eine bestimmte Zeit besonders aktiviert ist. Stress entsteht durch äußere Reize und ermöglicht es, auf außergewöhnliche Situationen schneller zu reagieren. Spitzer (2006) unterscheidet akuten und chronischen Stress. Akuter Stress war, evolutionär betrachtet, ein besonders hilfreiches Mittel zum Überleben. Chronischer Stress entsteht dagegen, wenn Anforderungen und Reize zu groß oder lang anhaltend sind. Folgen können körperliche Leiden wie Kopfschmerzen, Hörsturz oder Bluthochdruck sein oder psychische Leiden wie Burnout und Depression.
Auslöser für Stressempfinden können vermehrte Sinnesreizung durch Lärm oder Licht sein, aber auch die Nicht-Befriedigung von lebensnotwendigen Bedürfnissen wie Schlaf, Bewegung oder Nahrung. Stress auslösend ist dabei nicht, was objektiv passiert, sondern wie beeinträchtigend der einzelne Mensch die jeweilige Situation bewertet. "Stress ist das, was ich für Stress halte" (ebd.).
In der Kindertagespflege sind es vor allem Leistungsanforderungen und andere Belastungen wie Verwischen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, häufige Umstrukturierungen, Angst vor Arbeitsplatzverlust, fehlende Handlungsspielräume und isoliertes Arbeiten ohne Möglichkeit zu sozialen Kontakten, die sich negativ auf das Wohlbefinden auswirken und krank machen können (Arbeitsinspektion 2012).
Burnout ist ein andauernder Erschöpfungszustand, der sich über Wochen, Monate oder Jahre bemerkbar machen kann. Die Betroffenen sind unterschiedlich stark antriebs- und kraftlos. Nicht selten führt ein Burnout in eine Depression - im Extremfall bis zum Suizid.
Burnout, ein Begriff, den Herbert Freudenberger 1974 geprägt hat, hat keine Klassifikation in den Leitlinien der psychischen Krankheiten der ICD10. Seine Symptome werden aber als Konzentrationsstörungen, Versagensängste, chronische Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Herzrasen, erhöhter Blutdruck, Magen-Darm Probleme sowie Libidoverlust beschrieben (Ludwig-Sidow 2011).
Burnout kommt nicht von außen auf uns zu, wie ein stürmisches Unwetter. Burnout entsteht durch den Blick, den ich selber auf die Situation und auf mich als handelnde Person in dieser Situation habe. Fühle ich mich handlungsunfähig, ist das Risiko auszubrennen größer (vgl. Foerster/ Glasersfeld/ Hejl 2010).
Was könnte in der Kindertagespflege eine Burnout fördernde Blickweise sein?
- Sie bieten eine 7-Tage Woche mit Übernachtung und Abhol- und Bringdiensten an - und es ist immer noch nicht genug?
- Sie bieten eine exzellente Betreuung - und bekommen keine Anerkennung?
- Sie haben gelernt: Du kannst es nicht besser, Du machst es nicht gut genug. Du bist nur gut, wenn Du gut funktionierst?
In unserer Leistungsgesellschaft ist es anerkannt, bis zur Erschöpfung zu arbeiten. Sich zu entspannen, Urlaub zu machen, die Batterie des Körpers aufzutanken wird nicht selten mit Kommentaren versehen wie "Na, du musst ja Zeit haben", "So gut wie du hätte ich es auch gerne mal", "Hast du sonst nichts zu tun?". Dabei werden Sie allen Leistungsanforderungen nie gerecht werden können, egal was Sie tun. Erwachsene Frauen und Männer haben noch das Gefühl, es der Mutter oder dem Vater nie wirklich recht machen zu können, und laufen der Anerkennung quasi hinterher. Dabei fühlen sie sich unter ständigem Druck und hindern ihren Körper daran, sich die Leistungsfähigkeit zu erhalten.
Eine Form der Stressminderung besteht u.a. auch darin, herauszufinden, was der Grund ist, dass wir ständig unsere Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Wem müssen wir etwas beweisen? Gab es in der Kindheit nur Zuwendung durch Leistung? Der Blick auf die eigene Lebensgeschichte kann dabei sehr erhellend sein.
- Sie vergleichen sich mit anderen - "Die schafft das doch auch!"?
- Sie haben Ziele, die Sie nicht erreichen können: Sie wollen allen gerecht werden, Sie wollen immer perfekt sein?
Diese individuellen Sichtweisen werden verstärkt durch weniger gute Strukturen wie
- keine Kollegin zu haben,
- sich fachlich selten austauschen zu können,
- nicht angemessen bezahlt zu werden,
- wenig gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen,
- allen Anforderungen von Eltern, Kindern, Partner, Institutionen gleichermaßen gerecht werden zu wollen.
2. Wie hängen Bindung und der Bildungsauftrag zusammen?
Eltern sind in ihrer Rolle positiv bestärkt, wenn ihr Kind sich zu einer erfolgreichen Persönlichkeit entwickelt. Was unter erfolgreich verstanden wird hängt von der individuellen Lebenssituation und den Wertevorstellungen ab. Eine gute Bildung, oft (und leider) gemessen am Erfolg in der Schule mit guten Noten, steht nicht selten an erster Stelle. Die Umsetzung dieses Wertes wird dann auch von anderen Erziehungspersonen gefordert.
Pädagogen und Philosophen des 18. Jahrhunderts wie Rousseau, Humboldt und Pestalozzi haben dafür gekämpft, dass Kindheit als eine eigenständige Zeit der Entwicklung anerkannt wird. Kindheit als eigenständiger Begriff war bis dahin etwas Unbekanntes. Sie waren mit anderen die ersten Philosophen, die sich Gedanken darüber gemacht haben, wozu ein Kind gebildet werden und was es lernen soll (Stumpf 2007). In meiner Interpretation haben sie darunter die Bildung des Menschen zu einer eigenverantwortlichen, selbständigen und glücklichen Persönlichkeit verstanden. Eine Persönlichkeit, die sich ihrer Talente und Stärken bewusst ist und ein hohes Selbstwertgefühl hat.
Kinder brauchen Zeit und Gelassenheit, um Talente und Fähigkeiten entwickeln zu können, Zeit zum Ausprobieren und Spielen. Diese Zeit bekommen sie bei und mit ihrer Tagesmutter.
Offiziell heißen Sie Tagespflegeperson. Aber ich kenne kein Kind, das sagt: "Ich gehe nachher noch zu meiner Tagespflegeperson". Daher verwende ich abwechselnd den umgangssprachlichen und praxistauglichen Begriff Tagesmutter/ Tagesvater und Tagespflegeperson. Da Tagespflege in mehr als 90% der Betreuungen durch Frauen geleistet wird, verwende ich die weibliche Form. Tagesväter fühlen sich bitte auch angesprochen.
Sie sind nicht einfach nur Betreuungsperson, sondern haben als qualifizierte Tagespflegeperson u.a. die Aufgabe, dem Bildungsanspruch gerecht zu werden. Er ist gesetzlich in § 22 SGB VIII verankert.
§ 22 SGB VIII
Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen
(1) In Kindergärten, Horten und anderen Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztags aufhalten (Tageseinrichtungen), soll die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden.
(2) Die Aufgabe umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren.
(3) Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollen die in den Einrichtungen tätigen Fachkräfte und anderen Mitarbeiter mit den Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder zusammenarbeiten. Die Erziehungsberechtigten sind an den Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu beteiligen.
Wenn Sie einmal daran denken, dass 80% der Kinder, die in Tagespflege betreut werden. unter drei Jahre alt sind, dann kann die Förderung des Kindes nicht darin bestehen, lesen und schreiben zu lernen. Ihr Auftrag heißt: Förderung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
Je länger ein Kind bei Ihnen in der Betreuung ist, umso mehr Anteil haben Sie an der Entwicklung des Kindes und tragen dazu bei, was das Ihnen anvertraute Kind erfährt und lernt.
Ein gesundes und ausgeprägtes Selbstwertgefühl zu haben beinhaltet:
- die Herausbildung der inneren Haltung,
- die Aneignung von Werten und Normen,
- Bildung, Zufriedenheit, Glück,
- sich selbst und andere lieben und achten,
- sich der eigenen Gefühle und der anderer Menschen bewusst sein,
- mit eigenen Kräften und Fähigkeiten und denen anderer Menschen positiv umgehen,
- sich der eigenen Stärken und Talente bewusst zu sein und dafür von anderen Menschen anerkannt werden, und
- ebenso andere Menschen für ihre Stärken und Talente anerkennen.
Diese Fähigkeiten erlernt das Kind in einer gesunden und stabilen Beziehung zu einer Bindungsperson. Sie als zuverlässige Beziehungsperson legen damit die Grundlage, auf der alles andere aufbauen kann: kognitives Lernen, wie es in der Schule gefordert wird, ein gutes Sozialverhalten und Empathie.
Übrigens: Fachwissen erneuert sich heutzutage ständig. Ausbildungsbetriebe und Arbeitgeber bevorzugen daher Mitarbeiter mit Sozialkompetenzen, statt Fachkompetenzen. Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Empathie und Verantwortung für sich und andere übernehmen zu können sind in allen Stellenausschreibungen gefragt. Und diese Grundlagen werden in den ersten Lebensjahren gelegt, und zwar nicht mit dem Erlernen von (Fach-) Wissen, sondern in der Qualität der Beziehung zwischen Kind und Erwachsenen.
Und, das brauche ich Ihnen sicherlich nicht zu erklären, wenn Sie ausgebrannt oder gestresst sind, werden Sie keine zuverlässige Beziehungsperson sein und diesen Auftrag nicht erfüllen können.
Was beinhaltet Bildung für Kinder unter drei Jahren?
- Bindung.
- emotionale Zugewandtheit,
- Strukturen,
- Zeit,
- Kommunikationsbereitschaft mit einem Erwachsenen.
Je jünger, umso mehr von alledem!
Was bietet eine Beziehungsperson?
Von Geburt an ist es die Aufgabe des Säuglings zu wachsen und sich zu entwickeln. Dafür ist eine enge Bindung zu einer festen Bezugsperson unbedingt nötig. Bindung und Beziehung werden u.a. durch Nahrungsaufnahme, Körperkontakt und Zuwendung hergestellt. Das führt beim Säugling zum Sättigungsgefühl, baut das Selbstwertgefühl auf und stiftet Zuversicht.
Harlow (1961) hat in seinen Studien bereits in den 1960er Jahren herausgefunden, dass Kinder für ihre gesunde Entwicklung mehr brauchen als Nahrung und körperliche Pflege. Er bewies in Tierversuchen, dass für die Aufzucht nicht die Nahrung, sondern das Kontaktbedürfnis entscheidend ist. Er baute zwei künstliche, leblose Rhesusaffenersatzmütter, in der Größe des Muttertieres. Ein Drahtgestell wurde mit Schaumgummi und einem weichen Frottee-Baumwollstoff überzogen und spendete Milch. Das andere Gestell bestand aus einem Drahtgeflecht, spendete Milch, erlaubte aber keine angenehmen und bequemen Kontaktberührungen. Die neugeborenen Affenbabys näherten sich schnell der weichen Ersatzmutter und bauten lebhafte Gefühlsbeziehungen auf. Anschließend wurde die Milchflasche der flauschigen Ersatzmutter entfernt. Die Rhesusaffen bevorzugten eindeutig die Stoffmutter für den Körperkontakt, gingen nur zum Trinken an das Drahtgestell und kehrten schnell zur Stoffmutter zurück.
Dieser Versuch bewies, dass das Kontaktbedürfnis von Neugeborenen von außerordentlicher Bedeutung und das Nahrungsbedürfnis zweitrangig ist. Bei Neugier, Angst und Schrecken wandten sich die Affenbabys ausschließlich der flauschigen Ersatzmutter zu. Sie klammerten sich an die Stoffmutter, die ihnen durch dieses Kontakterlebnis Sicherheit bot. An die Drahtmütter schmiegten sich die Affenbabys auch in Gefahrensituationen nicht an. Ohne körperliche Berührung entsteht nur eine sehr schwache Bindung und Gefühlsentwicklung.
Auch Kinder brauchen zum Überleben Nahrung und Pflege. Genauso wichtig - wenn nicht wichtiger - sind Emotionalität, körperliche Zuwendung, eine verlässliche Bindungsperson und eine gute Gefühlsbeziehung zu den Menschen, die sie umgeben. In der Entwicklungspsychologie herrscht weitgehende Einigung darüber, dass mit den ersten menschlichen Beziehungen des Kindes und den damit verbundenen sozialen Interaktionen die Grundlage für seine spätere Persönlichkeitsentwicklung gelegt wird (Siegler/ Deloache/ Eisenberg 2008).
Bowlby (1969) ist in seinen Studien noch davon ausgegangen, dass die Bindungsperson auf jeden Fall die leibliche Mutter sein muss. Diese Ansicht wird heute nicht mehr geteilt. Für die gesunde Entwicklung des Kindes ist eine zuverlässige Bindungsperson notwendig. Das kann eine leibliche Mutter, eine Pflegemutter, der Vater, die Oma und jede andere Person sein - auch eine zuverlässige Tagespflegeperson. Ausschlaggebend ist die Qualität der Bindung (mindestens) im ersten Lebensjahr.
Eine geglückte Bindung zeigt sich in der so genannten Fremdelphase, die meist in einem Alter von neun Monaten beginnt und mit ca. einem Jahr abgeschlossen ist. Wie intensiv das Kind seine Bindung und damit sein Fremdelverhalten zeigt, variiert mit der Individualität des Kindes.
Ich rate verzweifelten Eltern, die verunsichert sind, weil das Kind plötzlich beim Vater oder bei der vertrauten Oma anfängt zu weinen, sich zu freuen und dieses in dem Satz "Sieh mal, unser Kind fremdelt. Das heißt, es hat eine innige Bindung aufgenommen", zum Ausdruck zu bringen. Mutter oder Schwiegermutter werden es sicherlich besser verstehen und sich mitfreuen können, anstatt das Weinen zu missverstehen und gekränkt zu reagieren.
Die Symbiose mit der Mutter
In den ersten drei Lebensmonaten werden alle Sinneseindrücke des Säuglings als neu und fremdartig empfunden. Der Säugling unterscheidet nicht zwischen sich und der Mutter, zwischen Ich und Du. Die Mutter wird als Teil des Säuglings erfahren. Durch den Körperkontakt und die Nahrungsaufnahme werden beide, Mutter und Kind, als Einheit empfunden. Ein Kind kann seine Gefühle, ausgelöst durch Hunger, Schmerz oder Müdigkeit, nicht selber regulieren. Dafür braucht es die enge Bindungsperson, die ihm seine Gefühle vermittelt und adäquat darauf reagiert (Du bist müde - ich wiege dich in den Schlaf. Du hast Hunger - ich füttere dich. Du fühlst dich allein - ich tröste dich usw.). Fehlt diese Erfahrung, ist die Eigenwahrnehmung des Kindes nachhaltig gestört. Das kann z.B. durch eine depressive oder desinteressierte Beziehungsperson entstehen (Rudolf 2010).
Vor allem durch den Verlust des Körperkontakts entstehen beim Kind Ängste, die sich im Schreien äußern. Schreien in dieser Phase hat nicht den Zweck, die Beziehungsperson heranzurufen, da das Kind noch kein Ich-Du-Bewusstsein hat, sondern sind Ausdruck seiner Ängste, die durch die Herstellung von Körperkontakt genommen werden. Durch das Geborgenheitsgefühl, intensiv aufgebaut durch den Körperkontakt, werden Verlustängste vermieden und Urvertrauen aufgebaut.
Säuglinge imitieren, was ihnen angeboten und vorgelebt wird. Das erste Lächeln, ein Gesichtsausdruck, erste Laute. Das Lernen von Sprache ist ohne das Vorbildverhalten einer Bindungsperson nicht möglich. Sprache lernen ist kein genetisches Programm; Sprache wird durch Imitation gelernt.
Im zweiten Lebensjahr sind die Kinder durch ihre zunehmende Mobilität in der Lage, sich mehr und mehr von der Bindungsperson zu lösen. Je intensiver die Verbindung zu einer Beziehungsperson im ersten Lebensjahr war, desto schneller kann das Kind anfangen, sich zu lösen.
Die Umwelt wird erst krabbelnd und später laufend erkundet, die Symbiose mehr und mehr gelöst. Dieser Trennungsprozess ist notwendig, aber auch schmerzhaft, und oft mit Schrei- oder Wutausbrüchen verbunden. Das Kind war, im besten Fall, bis dahin völlig daran gewöhnt, dass die Beziehungsperson quasi rund um die Uhr zur Verfügung gestanden hat, ein schöner Zustand.
Haben Sie schon einmal einen Wellnessurlaub gemacht? Rund um die Uhr Verwöhnung: fertig gekochtes Essen, Massagen, Gesichtspackung und ein Moorbad. So könnte es immer weiter gehen. Aber irgendwann kommt jemand und will etwas von Ihnen: "Ich habe Hunger, wann gibt es Essen? Wo sind meine Socken? Hast du mein Biobuch gesehen?" Dabei würden Sie sich am liebsten immer an einen gedeckten Tisch setzen. Und so geht es Ihrem Kind auch. Es möchte immer dann, wenn es ihm gefällt, auf die allumfassende Beziehung zur Bindungsperson zurückgreifen, sich den Luxus gönnen. Aber genauso wenig wie das Leben ein ewiger Wellnessurlaub ist, kann das Kind für immer in dieser engen Beziehung bleiben. Beides ist auf Dauer nicht gesund. Der Unterschied ist nur, dass Sie wissen, dass der Urlaub nach ein paar Tagen zu Ende ist. Ihr Kind weiß nicht, dass diese innige, immer abrufbereite Zuwendung auch einmal nicht verfügbar ist. Und dieser Lernprozess ist schmerzhaft, aber nicht unmöglich und auch notwendig.
Sie haben die Verantwortung, das Kind diese wichtige Erfahrung machen zu lassen. Es wird weinen, schreien, klammern, aber es wird lernen, dass die Liebe nicht aufhört, wenn sich die Beziehungsperson für eine gewisse Zeit um etwas anderes kümmert. Das Kind lernt: Ich werde auch geliebt, wenn ich nicht die uneingeschränkte Aufmerksamkeit bekomme. Ich bin liebenswert, auch wenn sich gerade niemand um mich kümmert - eine wichtige Erfahrung für sein Selbstwertgefühl (vgl. Juul 2010).
Ungefähr ab dem zweiten Geburtstag fängt das Kind an, die eigene Identität mehr und mehr zu entwickeln. Das wird deutlich, wenn das Kind seine Sätze mit dem Personalpronomen ICH anfängt. Es wird beispielsweise nicht mehr "Sofie hat Durst" sagen, sondern "Ich habe Durst". Diese Phase wird vielfach als Trotzphase bezeichnet (Siegler/ DeLaoche/ Eisenberg 2008). Das Kind ist nicht trotzig, sondern möchte das Leben auf seine individuelle Art und Weise erleben. Die Vorstellungen des Kindes gehen nicht immer konform mit den Vorstellungen und Regeln der Erziehungspersonen. Je mehr die Wünsche des Kindes und die Wünsche der Erziehungspersonen auseinander gehen, desto mehr Konfliktpotenzial wird vorhanden sein. Auf keinen Fall möchte das Kind Sie bewusst ärgern oder verletzen. Das Kind folgt lediglich seinem Drang nach Wachstum und Autonomie. Gleichzeitig braucht es die bedingungslose Zuwendung und Liebe von Ihnen.
Bei dem Weg des Kindes in seine Selbständigkeit sind Sie als Beziehungsperson für die Qualität der Beziehung verantwortlich. Lassen Sie Ihrem Kind in dieser Zeit so viel Zeit und Raum wie nötig. Alles, was das Kind selber ausprobieren und bewältigen darf, trägt dazu bei, die Selbständigkeit zu erlangen. Die bedingungslose Zuwendung durch Sie, auch bei Fehlversuchen und missglückten Experimenten, sind ein Baustein im Fundament des Selbstwertgefühls.
Bis dahin zeigen Kinder keine geschlechterspezifischen Verhaltensweisen. Beide Geschlechter, Jungen und Mädchen, wenden sich zum Trösten häufiger an die Mutter und zum Spielen häufiger an den Vater (Maccoby 2000). Das ändert sich im dritten Lebensjahr sehr.
Warum eine gute Beziehung so wichtig ist
Ein Mensch braucht einen anderen Menschen, um sich selber zu erkennen. Michael Pauen (G&G, 11/2010) schreibt dazu in einem Essay: "Haben Sie sich eigentlich schon einmal überlegt, warum Menschen weiße Augäpfel haben? Tiere haben das nicht, bei ihnen besitzen Augäpfel, Iris und Pupille meist die gleiche Farbe. Tiere verbergen damit die Blickrichtung vor möglichen Opfern oder Feinden. Warum ist das bei Menschen anders? Warum geben sie ihre Blickrichtung zu erkennen? Offenbar tun sie das, um sich besser zu verständigen. Und dieser Vorteil für das Zusammenleben scheint so wichtig zu sein, dass er das damit verbundene individuelle Risiko überwiegt.
Dieses kleine Detail zeigt beispielhaft, wie die Natur den Menschen auf ein Leben in Gemeinschaft vorbereitet... Viele unserer sozialen Bedürfnisse sind so tiefgreifend, dass unsere Entwicklung und unsere Gesundheit gefährdet sind, wenn sie nicht befriedigt werden. Einsamkeit macht krank: Alleinstehende haben nicht nur eine geringere Lebenserwartung als Verheiratete (und in festen Beziehungen lebende Menschen, Anm. der Autorin), auch ihr Krankheitsrisiko, insbesondere, was psychiatrische Erkrankungen angeht, ist erheblich höher. Umgekehrt fördern stabile soziale Beziehungen die intellektuelle Entwicklung, insbesondere bei kleinen Kindern."
Ein Kind braucht für eine gesunde emotionale Entwicklung eine gesunde Beziehung. Es möchte in den Beziehungen mit den Menschen, die es liebt und von denen es geliebt wird, als wertvoll angesehen werden. Es möchte mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu einer guten Beziehung beitragen. Auch in Beziehungen zwischen Erwachsenen ist uns daran gelegen, von dem anderen als liebevoll und wertvoll betrachtet zu werden. Da macht uns - mit anderen Faktoren zusammen - zu glücklichen Erwachsenen. Beziehungen werden uns ein Leben lang begleiten, denn der Mensch ist nicht fähig, ohne Beziehungen gesund zu leben.
In den ersten Beziehungen ist im Zusammenspiel von Bindung und Wachstum das gesunde Maß von beiden der goldene Weg. Eine zu enge Bindung verhindert das Wachstum. Zu wenig Bindung lässt Wachstum in zu großem Maße zu, das Kind findet keinen Halt. Die individuellen Bedürfnisse des Kindes sind hierbei zu berücksichtigen, denn kein Kind gleicht dem anderen und jedes hat seine ganz persönlichen Bedürfnisse hinsichtlich der Intensität von Bindung und Wachstum.
Erziehungspersonen haben manchmal nicht die Geduld, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, und auf eine gute Entwicklung zu vertrauen. Ein Kind entwickelt sich nicht nach dem Terminkalender, sondern wenn es von seiner Veranlagung dazu bereit ist. Dafür gibt es ein passendes Wort: "Kairos", aus dem Altgriechischen, bezeichnet den richtigen Augenblick. Dinge passieren und entwickeln sich zu dem Zeitpunkt, der dafür richtig ist. Wenn die Dinge nicht passieren, ist aus irgendeinem Grund, den wir vielleicht nicht kennen, noch nicht Kairos. Eltern haben oft nicht mehr das Vertrauen, auf diesen Zeitpunkt zu warten. Damit setzen sie sich und die Kinder unter starken Druck.
Gene oder Umwelt? Beziehungspersonen legen den Nährboden
Biologische Anlagen und Umweltbedingungen beeinflussen sich wechselseitig. Die sehr anschauliche Metapher von einem Samenkorn macht es deutlich. Das Samenkorn enthält alle biologischen Voraussetzungen, um zu einer Sonnenblume heranzuwachsen. Fällt das Samenkorn auf eine Asphaltstraße, wird es sich nicht entwickeln können. Fällt es dagegen auf fruchtbaren Nährboden, wird es zu einer Sonnenblume heranwachsen (vgl. Spitzer 2006).
Ähnlich verhält es sich mit unseren Kindern. Die besten Anlagen können sich nur in optimalen Verhältnissen entwickeln. Unter weniger guten Bedingungen werden sich nicht alle Anlagen zeigen.
Auch hier gibt es Ausnahmen. Einige Kinder entwickeln sich trotz widriger Umstände zu einer Person mit hohem Selbstwertgefühl. Das bezeichnet der Begriff "Resilienz". Dieses spannende Thema wird aktuell erforscht, da die Wissenschaft und sicherlich auch Praktiker und Eltern daran interessiert sind, was die Gründe dafür sind, dass sich einige Kinder trotz widriger Umstände gut entwickeln.
Fähigkeiten und Eigenschaften werden nicht durch ein einzelnes Gen vererbt. Es ist immer das Zusammenspiel von verschiedenen Genen, die Körpergröße, motorische Fähigkeiten oder künstlerische Talente bestimmen. Durch die Zusammensetzung entsteht ein ganz individueller Junge und ein einzigartiges Mädchen. Den Rest bestimmt die Umwelt (vgl. Hüther 2009).
Beziehungen legen die Grundlage für das Wachstum und das Lernen der Kinder. Beziehungen bieten Kindern die Möglichkeiten, soziale Kompetenzen zu entwickeln, sich zu bilden und sich innere Werte und Normen anzueignen, eine innere Haltung zu finden. Selbstwertgefühl zu haben bedeutet: Ich weiß, was ich wert bin. Ich weiß, welche Gefühle mich innerlich bewegen. Ich kann spüren, wann es mir gut oder schlecht geht. Ich kann spüren, wann ich Hunger habe und wann ich satt bin. Ich kann spüren, wenn ich verletzt bin oder wenn mich etwas erfreut und glücklich macht.
Ein gesundes Selbstwertgefühl ist die beste Grundlage für das Leben. Diese Grundlage wird in den ersten Lebensjahren vor allem durch die engste Beziehungsperson gelegt. Gestörte, belastete und oft abgebrochene Beziehungen dagegen können die gesunde emotionale Entwicklung eines Kindes beeinträchtigen, Unsicherheit und Ängste können entstehen. Dieser Nährboden bietet nicht genug Sicherheit, damit das Kind selbstbewusst und mutig die Welt erobert.
Beziehung und Lernen
Sind diese Grundbedürfnisse gestillt, entwickeln sich die Lust zum Lernen, das (geistige) Wachsen, das Denken. Das Denken entwickelt sich in der Interaktion mit einer anderen Person. Es entsteht im emotionalen Dialog mit der Beziehungsperson, verbal und nonverbal. Aufmerksamkeit dafür muss das Kind lernen. Diese Aufmerksamkeit entsteht z.B. im gemeinsamen Betrachten von einem Bilderbuch durch das Zeigen auf etwas mit einer entsprechenden Erklärung. Dafür ist ein älterer Mensch, der über die Bedeutung des Gesehenen Bescheid weiß, nötig, also am Besten ein Erwachsener.
Eine zu enge Bindung, die kein Wachstum zulässt, schränkt das Lernen und die Entwicklung ein. Zu viel Wachstum durch fehlende Bindung führt zu Haltlosigkeit, Grenzenlosigkeit und Entwicklungsunfähigkeit. Eine fehlende Bindung oder häufige Abbrüche von Beziehungen in den ersten zwei Lebensjahren erzeugen ein Gefühl der Vernachlässigung, Ablehnung und Abwertung. Das kann Minderwertigkeitsgefühle und Hoffnungslosigkeit hervorrufen und sich im Erwachsenenalter durch Süchte wie Medikamenten-, Alkohol-, Computer- oder Konsumsucht zeigen (vgl. Bowlby 1969).
Auch die sozialen Interaktionsmuster müssen erkannt und gelernt werden: Wenn ich das ... tue, dann macht xy das ... Wenn xy das ... tut, dann mache/fühle ich das ... Diese sogenannten sozialen Muster lesen und verstehen zu können, gibt Sicherheit im sozialen Miteinander und auch die Sicherheit in der Selbstkompetenz: Ich halte mich für fähig zu ... und wertvoll. Das Kind entwickelt Empathie und kann Verantwortung für sich und andere übernehmen (Rudolf 2010). Das wird als gutes Sozialverhalten verstanden.
Statt auf die Entwicklung dieser wichtigen Fähigkeiten zu schauen, wird oft versucht, der Leistungsgesellschaft gerecht zu werden. Lernen ist aber nur dann erfolgreich, wenn mit der Lernsituation eine besondere Emotionalität verbunden ist. Und Emotionen werden in Beziehungen hervorgerufen: Immer dann, wenn uns jemand ganz besonders berührt hat, negativ wie positiv, bleiben die Situationen im Gedächtnis. Wie viel wissen Sie noch von der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Sie in Mathematik gelernt haben? Und wie viel wissen Sie noch von dem Mathematiklehrer oder der Lehrerin in dieser Zeit? Oder von der Klassenlehrerin, die Deutsch unterrichtet hat und Sie beim Hausaufgaben machen in der Pause erwischt hat? Und wissen Sie noch, was ein Pronomen ist?
Diese Aspekte sollten Sie ganz besonders dann berücksichtigen, wenn Sie sich überlegen, ein Tageskind aufzunehmen:
- Ist das Kind gerade in seiner Fremdelphase?
- Wie stark ist die Symbiose mit der Mutter?
- Kann ich den Anforderungen eines Säuglings gerecht werden?
- Kann ich die eingegangene Beziehung bis zum Übergang in die Kita aufrecht erhalten?
- Mag ich das Kind und die Eltern? (Auf die Handlungen der Eltern haben Sie keinen Einfluss, aber wenn Sie schon beim Erstgespräch ein ungutes Gefühl haben und Sie keine Sympathie für die Mutter hegen, wird das Auswirkungen auf die Beziehung zum Kind haben. Überlegen Sie daher vorher gut.)
Was sollte ein Kind zwischen zwei und drei Jahren können?
Entwicklungstabellen zeigen, in welchem Lebensabschnitt ein Kind eine bestimmte Fertigkeit erlernt haben muss. Die Abschnitte variieren dabei mit einem Unterschied von bis zu einem Jahr. So zeigen einige Kinder die Fähigkeit, 20 Wörter (außer Mama und Papa) zu sagen, bereits mit 17 Monaten und andere erst mit 33 Monaten (Haug-Schnabel/ Bensel 2005).
Kinder zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr werden durch das Erleben ihres Tuns bestimmt und schließen Folgerungen nach ihrem Gefühl und nicht nach der Logik. So glaubt ein Kind in diesem Alter, das in der Badewanne sitzt und zusieht, wie das Wasser herausläuft, dass es mit dem Wasser aus der Wanne herausgesogen wird und fängt vielleicht zu weinen an.
In diesem Alter haben die Kinder ein Gefühl der Allmacht: Sie glauben z.B., Wolken wegpusten zu können, oder glauben, alles alleine machen zu können und die Erwachsenen nicht zu brauchen. Die noch unüberschaubare Realität wird in eine Als-Ob-Realität verwandelt und damit dem Hilflosigkeitsgefühl vorgebeugt.
Beziehungspersonen haben in dieser Zeit die Aufgabe, einen Bezugsrahmen herzustellen, Ordnung zu bieten und Orientierung zu geben. Sie sind die wichtigsten Vorbilder für die Kinder. Kinder lernen durch Vorbilder, sich im Leben zurecht zu finden und zwischen (m) Möglich und (u) Unmöglich zu unterscheiden und diese Erkenntnis auszuhalten (Resch 2010). Kinder lernen ihre Grenzen und die der anderen kennen.
Werte, Grenzen und Beziehung
Kinder brauchen klare Regeln, um sich sicher und geborgen fühlen zu können. Einerseits möchten sie sich an die Regeln halten und konform mit ihnen gehen, andererseits müssen sie die Regeln und Grenzen überschreiten, um ihre eigenen Grenzen auszutesten - um zu erleben, was es für sich und andere bedeutet, Grenzen zu überschreiten.
Kinder müssen sich dabei an den Regeln und Grenzen reiben können, ohne dafür in ihrem Selbstwert als Person bestraft oder erniedrigt zu werden. Als Erziehungsperson lehnen Sie nicht das Kind in seiner Person als solches ab, nur das Verhalten erscheint Ihnen nicht angemessen. Bringen Sie das dem Kind gegenüber deutlich zum Ausdruck, indem Sie nicht sagen: "Du bist ein böses Kind. Du ärgerst mich." Sagen Sie stattdessen: "Dein Verhalten ärgert mich. Ich möchte gerne in Ruhe am Tisch sitzen und bin sauer, dass ich mein Essen nicht in Ruhe essen kann." Vielleicht ändert es nicht sofort etwas am Verhalten des Kindes. Was das Kind aber hört, vielleicht auch nur unbewusst, ist: "Mein Verhalten ärgert die andere. Sie hat mich aber trotzdem lieb." Dadurch wird das Selbstwertgefühl des Kindes nicht beeinträchtigt und es ermöglicht ihm, über das Verhalten zumindest nachzudenken. Nicht das Kind ist schlecht, nur sein Verhalten orientiert sich nicht an Ihren Werten und Regeln.
In den Beziehungen imitieren die Kinder das, was ihnen die verantwortlichen Erziehungspersonen vorleben. Konflikte können entstehen, wenn die Eltern und die Tagespflegeperson unterschiedliche Wertevorstellungen und Grenzen haben. Daher ist es äußerst ratsam, sich darüber zu unterhalten, welche Werte jeder für besonders wichtig hält und welche Regeln damit verbunden sind.
Und denken Sie daran, Kinder lernen vor allem am Vorbildverhalten. Das gesprochene Wort hat, je jünger das Kind ist, desto weniger Bedeutung. Sie leben vor, was Sie für richtig und falsch halten, und das Kind kann sich an Ihnen orientieren. Für Sie als Mutter (oder Vater) heißt das leider nicht, dass ihr Sohn oder Tochter mit 14 Jahren den Abwasch machen wird, nur weil Sie das fleißig vormachen. Aber mit Sicherheit wird es der oder die 25-Jährige tun, vertrauen Sie darauf! Spannend ist dabei auch die Rolle des Vaters oder eines Mannes als Vorbild. Aber das ist ein anderes Thema.
Was ist Ihre (Bildungs-) Aufgabe als Tagespflegeperson?
- dem Förderungsauftrag gerecht werden,
- Bindungs- und Beziehungsperson sein,
- die Vorbildfunktion ausfüllen,
- Kommunikationspartner/in und Ratgeber/in für Eltern sein,
- Konfliktsituationen souverän lösen können,
- Kooperationsbereitschaft allen Beteiligten - wie Eltern und Mitarbeiter/innen von Institutionen - gegenüber haben,
- sich ständig weiterbilden,
- die eigene Familie und den Beruf unter einen Hut bringen,
- die Selbständigkeit rechtlich einwandfrei abwickeln sowie
- Mutter, Ehefrau und Partnerin sein.
Da kann schon Stress aufkommen!
3. Wie können Sie als Tagespflegeperson einem Burnout vorbeugen?
auf diese Frage gibt es viele Antworten. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle nur einen wichtigen Aspekt der Stressprophylaxe aufzeigen: die Vernetzung und Kooperation.
Was macht also eine Tagespflegeperson, die ein für sie schwerwiegendes Problem in ihrer Arbeit hat? Zuerst greift sie zu einem guten Buch oder besucht eine Fortbildung! Je mehr sie weiß, desto sicherer wird sie in ihren Handlungen. Fortbildungen professionalisieren nicht nur die Tätigkeit, sie dienen auch der Vernetzung unter den Tagespflegepersonen; man hat die Gelegenheit, einander kennen zu lernen.
Wenn Fortbildungen nicht zu Verfügung stehen und ein Buch nicht weiterhilft - was macht dann die Tagesmutter? Sie ruft ihre Freundin an. Oder sie erzählt es abends ihrem Ehemann, der sicherlich nur darauf wartet, Neuigkeiten aus der Tagespflege erzählt zu bekommen.
Stress vorbeugend sind sicherlich eigene gute emotionale Bindungen, zum Partner und zur Freundin beispielsweise. Allerdings sollen Sie über alle Belange in der Tagespflege Stillschweigen bewahren. Streng genommen dürfen Sie nicht einmal mit Ihrem Partner über Angelegenheiten der Tagespflege, der betreuten Kinder und ihrer Eltern sprechen. Mit der Freundin schon gar nicht. Eine ganz ausgezeichnete Möglichkeit, sich über Probleme in der Tagespflege - unter der Wahrung der Schweigepflicht - auszutauschen sind deshalb kollegiale Beratungsgruppen.
Kollegiale Beratung
- bietet die Möglichkeit des Austausches sowie der gegenseitigen Unterstützung und Beratung,
- unterstützt die Vernetzung der Tagespflegepersonen,
- schafft ein Gefühl von Kollegialität,
- ist eine Möglichkeit der Kompetenzsteigerung und Professionalisierung,
- bietet die Chance zur Reflexion,
- trägt zur Erhaltung der Motivation, des Engagements und der Arbeitskraft bei.
Damit eine wertschätzende Kommunikation eingehalten wird und die Treffen nicht in Stammtischgeplauder enden, gibt es eine Moderatorin, die dafür sorgt, dass die Strukturen eingehalten werden. Dann ist die professionelle "Ausbeute" am größten.
Die Vorteile der kollegialen Beratung sind:
- Sie verlassen die isolierte Tätigkeit in der Tagespflege.
- Sie bekommen Motivation und Anregungen.
- Sie erleben Unterstützung und Förderung ihrer Persönlichkeit.
- Sie profitieren von der fachlichen Qualifikation aller.
- Sie bringen Ihr eigenes Fachwissen ein.
- Sie entlasten Freunde und Familie.
- Sie bekommen Anerkennung.
- Sie erhalten hilfreiche Handlungsstrategien und Lösungsmöglichkeiten.
- Sie reflektieren Ihr berufliches Handeln.
Eine ausführliche Erläuterung und einen kostenlosen Download finden Sie unter www.beratung-reichardt.de.
Literatur
Bowlby, J. (1969): Bindung. München: Kindler
Ernst, H. (2011): Verkörperte Probleme. Wie Stress den Körper zermürbt in Gehirn und Geist. Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft
Harlow, H. (1961): The development of affectional patterns in infant monkeys. Determinants of infant behaviour. London: Methuen, B.M.Foss
Haug-Schnabel, G./Bensel, J. (2005): Grundlagen der Entwicklungspsychologie. Freiburg: Herder
Arbeitsinspektion: Psychische Belastungen. www.arbeitsinspektion.gv.at/AI/Gesundheit/Belastungen/ default.htm (04.12.2012)
Herbert, M. (1999): Grenzen ziehen. Bern/Göttingen/Toronto/Seattle: Huber
Hüther, G. (2009): Männer. Das schwache Geschlecht und sein Gehirn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Juul, J. (2010): Fünf Grundsteine für eine Familie. Müllheim/Baden: Auditorium Netzwerk
Keimeleder, L./Schumann, M./Stempinski, S./Weiß, K. (2002): Qualifizierung in der Tagespflege. Das DJI-Curriculum "Fortbildung von Tagesmüttern". Seelze: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung
Largo, R.H. ( 2008): Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. München: Piper
Ludwig-Sidow, P. (2011): A-Z der Depression in Spiegel Wissen. Hamburg: Spiegel
Maccoby, E.E.(2000): Psychologie der Geschlechter. Sexuelle Identität in den verschiedenen Lebensphasen. Stuttgart: Klett-Cotta
Pauen, M. (2010): Der empathische Egoist. Gehirn und Geist, S. 73, Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft
Reichardt, B. (2010): Kollegiale Beratung mit fachlicher Anleitung in der Kindertagespflege. Hannover: Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration
Rudolf, G. (2010): Wechselwirkung zwischen Fühlen und Denken: Die persönlichkeitsstrukturellen Störungen. DVD. Müllheim/Baden: Auditorium Netzwerk
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