Frank Stumpe
Ich bin in einer wohlbehüteten Familie groß geworden. Mein Vater war im öffentlichen Dienst und meine Mutter sorgte für das Wohl der Familie. Dabei war sie stetig bedacht, für uns das Beste zu wollen. Morgens weckte sie uns und lächelte uns an. Mittags gab es nach der Schule das warme Mittagessen und die Hausaufgaben wurden von ihr betreut. Abends um 16:00 Uhr, wenn mein Vater nach Hause kam, gab es die tradierte "Tea-Time" und um 18:00 Uhr Abendessen. Ich wuchs also als mittlerer von drei Söhnen in einer durchschnittlichen Familie auf.
Nach dem Abitur und dem Studium begann ich an eine Familie zu denken. Ich wollte noch die Promotion abschließen und dann, so stellte ich es mir vor, möchte ich auch eine so schöne Familie haben, in der eine Frau für das Wohl der Familie sorgt. Ich würde arbeiten gehen und wenn ich dann abends nach Hause komme, sind die Kinder versorgt und das Essen ist vorbereitet. Ach was waren das für schöne Aussichten!
Es kam allerdings anders, als erwartet. Ich lernte auf einer Tagung in der Schweiz meine heutige Frau kennen. Sie studierte Jura in Leuven, Belgien, und war mit einer Delegation aus Belgien anwesend. Ich selber war ebenfalls Mitglied einer Delegation, aber aus Deutschland. Da wir beide die gleichen Funktionen vertraten, kamen wir in einer Arbeitsgruppe zusammen - und es war für uns beide zu spät.
Nun, nachdem wir uns einig waren, dass wir zusammen eine Familie gründen wollten, begann die Diskussion. Mein Argument stand fest, die Frau bleibt bei den Kindern zuhause. Dieses war ebenfalls die Situation in der Familie meiner Frau, also warum nicht auch bei uns. Vehement stritt meine Frau dieses ab. Sie würde doch nicht jahrelang studieren, um dann am Herd zu enden. Außerdem sei das nicht ihre beste Seite.
Nach einiger Zeit wich ich von meiner Position ab. Ich konnte einsehen, dass es nicht nachvollziehbar ist, wenn jemand eine Ausbildung abschließt und dann ohne argumentierbaren Grund zuhause bleiben soll. Daher änderte ich meine Meinung dahin, dass die Person zuhause bleiben soll, die am wenigsten Geld verdient. Dieses Argument war leicht gesagt als angehender promovierter Ingenieur.
Im Laufe der Zeit konnte ich dann die Entwicklung meiner Nichten und Neffen sowohl auf deutscher als auch auf belgischer Seite betrachten. Ich konnte keinen Unterschied in der Bindung zu den Eltern sehen, keinen Unterschied in dem Glück. Allerdings waren meine belgischen Nichten und Neffen viel mehr daran interessiert, die Spielsachen zu teilen, gemeinsam zu spielen und offen auf Personen zuzugehen. Sie konnten schon mit ca. 27 Monaten tagsüber auf das "Töpfchen" gehen und waren in einigen Bereichen motorisch weiter entwickelt (z.B. Tanzen).
Der einzige Unterschied, denn ich feststellen konnte, war die Tagesbetreuung. In Deutschland war meine Schwägerin für die Betreuung zuständig, in Belgien eine Tageskrippe. Lange dachte ich nach, ob das der einzige Grund für diesen Unterschied sein kann. Da ich kein Pädagoge bin, ließ ich es bei dieser Feststellung.
Im Laufe der Zeit änderte sich dann meine Abneigung gegen die Vorstellung, dass ich mein Kind außer Haus geben muss. Ich betrachtete die Problematik von zwei Seiten. Wenn ich aufbauend auf meine Ausbildung eine Karriere starten möchte, wie kann ich dann erwarten, dass meine Frau dieses nicht möchte? Möchte ich auf meine Karriere verzichten?
Ich kam zu dem Schluss, dass es jeder Person und jedem Paar selber überlassen werden muss, wie die Familie gestaltet werden soll. Hierzu muss allerdings die Möglichkeit bestehen, wie z.B. in Belgien. Leider muss ich feststellen, dass, wenn wir in Deutschland wohnen würden, wir diese Entscheidung nicht treffen könnten. Dann muss eine Person zuhause bleiben - was für mich ein Armutszeugnis für die deutsche Gesellschaft ist.
Der zweite Gesichtspunkt ist die Entwicklung des Kindes. Ich habe viel gelesen und mich über die Vor- und Nachteile informiert. Nicht umsonst sind alle Länder, die in der PISA-Studie vorne lagen, mit Ganztagsbetreuung der Kinder schon ab dem frühen Kindesalter ausgestattet. Auch ist eine frühe Integration in eine Gruppe zum Lernen des eigenen Sozialverhaltens vorteilhaft.
Was hat sich nun daraus für uns ergeben? Meine Frau und ich gehen beide arbeiten. Wir genießen beide unsere Möglichkeiten und sind daher vollkommen erfüllt. Wir sind beide zufriedener und ausgeglichener, haben jedoch beide auf eine extreme Karriere verzichtet. Fest steht jedoch, dass morgens und abends die Zeit unserem Sohn gehört. Und unser Sohn, nun, der wächst zum einen zweisprachig auf, kann schon mit 12 Monaten laufen und macht uns deutlich, dass "etwas" in der Hose ist. Er geht gerne zur Krippe. Das sehen wir an seinem Engagement, wenn wir ihm dort auf den Boden setzen: Schwupp, ist er bei den anderen Kindern zum Spielen. Genauso ist seine Reaktion, wenn wir ihn holen: Schwupp, kommt er angelaufen und winkt den anderen Kindern zum Abschied zu.
Ich bin froh, dass wir diese Möglichkeit haben. So können wir unser Leben gemeinsam und das von jedem Einzelnen nach unseren Wünschen gestalten. Nachteile gibt es natürlich auch. Da sind gute Freunde, die uns vorwerfen, dass wir unseren Sohn lieber nicht haben sollen, dass wir "grausame Eltern" sind und dass sie Fürchterliches für unseren Sohn erwarten. Ehemalige Kollegen aus Deutschland finden uns "barbarisch".
Aber ist dieses nicht nur die Unwissenheit? Ich bin froh, dass ich Informationen im Internet gefunden habe, die diese Vorurteile entkräften. Und ich bin froh, dass ich meine Meinung geändert habe, denn meine Frau hat lange Zeit als Staatsanwältin mehr verdient als ich als Doktorand. Dann hätte mich meine "großzügige" Entscheidung (der weniger Verdienende bleibt zu Hause) selber eingeholt.