Der Pædagog - Allround-Erzieher aus Dänemark

Christian Weymayr

Hinter der buntbemalten Eisentür tut sich eine eigene Welt auf, ein Universum für Kinder: "Galaxen" heißt die Kita in Kopenhagens schmuckem Stadtteil Amagerbro zwischen Oresundbrücke und Flughafen. Im gelbgetünchten Pavillon, der von der Straße aus gesehen hinter einem hohen Zaun fast ganz verschwindet, verzweigt sich ein geräumiger Flur in kleine und kleinste Räume. Dem Besucher präsentieren sich unendlich viele Sehenswürdigkeiten, Selbstgebasteltes und Selbstgemaltes an allen Decken und Wänden - wie etwa das große, detailgetreue Mobile unseres Sonnensystems.

Das ist also eine der hochangesehenen Kindertagesstätte Dänemarks. Die Wertschätzung, die man Kindern in den skandinavischen Ländern entgegenbringt, die Mühe, die man auf ihre Entwicklung verwendet, und die Freiheiten, die man ihnen lässt, sind legendär. Der nordischen Tradition zufolge sollen Kinder nicht erst an die demokratische Gemeinschaft herangeführt, sondern bereits als Teil von ihr verstanden werden. Und doch wäre es grundfalsch, die Systeme der nordischen Nachbarn über eine Kamm zu scheren. Vom deutschen System aus betrachtet liegen die Systeme in mancher Hinsicht sogar an entgegengesetzten Polen - mit Deutschland irgendwo dazwischen.

Schweden am einen Pol hat die Schule in den Kindergarten geholt. Dort gibt es konsequenterweise zwei Sorten von Erziehern: Lehrer und Betreuer. Den anderen Pol markiert Dänemark. Die Eigenständigkeit, die man Kindern zubilligt, wird in keinem anderen skandinavischen Land so konsequent hochgehalten wie dort. Noch heute empfinden dänische Erzieher, die offiziell "Pædagogs" heißen, die Bezeichnung "Teacher" oder "Lehrer" als Verunglimpfung. Sie wollen die Kinder nicht lehren, sondern ihnen Anreize bieten; sie wollen sie nicht lenken, sondern begleiten. Damit verfolgen die Dänen, sagt Mathias Urban vom International Center for Research, Studies and Development an der Universität Halle, im Grunde den ganzheitlichen deutschen Ansatz, nur dass sie ihn konsequent weiterdenken. Urban bescheinigt der dänischen Erzieherin ein "deutlich höheres Niveau".

Das hat zwei Auswirkungen: Damit es funktioniert, stattet das dänische Erziehungssystem seine Kindergärten großzügig aus und schreibt vergleichsweise üppige Betreuer-Spiegel vor: Während in Deutschland vielerorts eine Erzieherin auf 14 Kinder kommt, kümmert sich in Dänemark ein Pædagog um 6 Ein- bis Dreijährige oder um 10 Drei- bis Sechsjährige. Die zweite Auswirkung ist gesellschaftlicher Art: Die Dänen nehmen das Angebot, trotz der rund 300 Euro Monatsgebühr, dankend an. 90 Prozent der älteren Kinder besuchen eine Kita - mit dem Effekt, dass 85 Prozent aller Däninnen arbeiten. Meist bringt einer der Eltern das Kind, der andere holt es ab.

Die Ausbildung der dänischen Pædagogs ist, dem Ideal des selbstbestimmten Kindes folgend, entsprechend wenig direktiv - den ersten Schritt soll schließlich das Kind machen. Obendrein ist die Ausbildung - als weitere dänische Besonderheit - enorm breit: Sie vermeidet bewusst den starren Blick auf das Kind. Von den rund 50.000 Pædagogs arbeiten nur 35.000 in Kitas und ähnlichen Einrichtungen. Knapp 5.000 betreuen Kinder in Vorschulklassen, und die restlichen 10.000 kümmern sich um Alte, Schwererziehbare, Behinderte und Obdachlose.

Kind sein in Galaxen

Der erste Eindruck in Galaxen: Hier Kind sein dürfen, das wär's. Von frühmorgens bis fünf Uhr nachmittags ist der Kosmos bevölkert von 105 Kindern, begleitet, geführt und behütet von 15 ausgebildeten Erzieherinnen und einigen Hilfskräften. Heimatplanet für jedes Kind ist sein Gruppenraum. Von dort kann es die Weiten der Kindergalaxie erobern: Im zentralen Atrium mit Klavier und kleiner Bühne versammelt es sich mit anderen Kindern und Erzieherinnen, um Neuigkeiten und Pläne zu besprechen und gelegentlich kleine Stücke aufzuführen. Im neu eingerichteten Kuschelraum für die Kleinsten mit seinem beheizbaren Boden kann es ganz entspannt Dinge ertasten. Im Theaterraum, bestens ausgestattet mit einem Bühnenvorhang und Kostümen, schlüpft es in andere Rollen. Im Vorlesezimmer mit den orientalischen Wandmotiven und dem Matratzenlager taucht es in Märchenwelten ein. Im Werkraum schraubt und hämmert, malt und bastelt es. Dort darf es die angefangenen Kunstwerke auch über Nacht liegen lassen, "damit es lernt, sich die Zeit zu nehmen, die etwas braucht", sagt Jens Iversen, der Leiter von Galaxen.

Draußen im sechseckigen Gartenschuppen findet das Kind alles, was es für die Erkundung der Natur benötigt: von der Becherlupe bis hin zum riesigen Poster aus strapazierfähigem Kunststoff für das Bestimmen von Insekten. Der Naturpavillon dient ihm auch als Gewächshaus: In Reihen von Minitöpfchen stehen Pflanzen bereit, um im Beet ausgesetzt zu werden. Manches Kraut lässt die Köpfe hängen - vielleicht ist auch das eine wertvolle Erfahrung.

Eine der sechs Kindergruppen fährt jeden Tag mit dem Bus aufs Land in ein Kita-eigenes Häuschen. Doch auch im Haupthaus ist für Bewegung im Freien gesorgt: Toben, klettern und im Sand spielen kann das Kind auf zwei separaten Spielplätzen, bolzen und kicken auf der großen Wiese hinter dem Gebäude. Selbst auf der Kommandobrücke von Kapitän Jens Iversen scheinen Kinder willkommen zu sein - unter den Papieren auf seinem Tisch knirschen Spuren von Sand.

Für jedes Kind wird eine Art Logbuch geführt: Die Eltern notieren ihre Gedanken zum Kindergarten, zum Namen ihres Sprösslings, stellen in Wort und Bild die Familie vor und dokumentieren Ausflüge, Feste und Urlaube. Später führen die Erzieherinnen zusammen mit den Eltern die Bücher weiter. Wechselt ein Kind aus der Gruppe der Ein- bis Dreijährigen in die der Drei- bis Sechsjährigen, geht sein Buch mit ihm. Dass etliche Kladden so abgegriffen wie alte Kochbücher sind, lässt erahnen, wie viel die Kinder erlebt haben. Wenn sie Galaxen endgültig verlassen, sagt Jens Iversen, "ist hier ihr ganzes Leben aufgeschrieben, das wir mit ihnen verbracht haben".

In Galaxen scheint die Idee, dass die Kinder selbst bestimmen sollen, was gemacht wird, auf fruchtbaren Boden zu fallen: Als beispielsweise die Kinder einer Gruppe von Ein- bis Dreijährigen von einer Exkursion Schnecken mitbrachten, nahmen die Erzieherin das als Hinweis, dass die Kinder gerne etwas mit Schnecken machen würden. Das Thema wurde mit weiteren Ausflügen und Basteleien vertieft. Augenfälligstes Ergebnis der immerhin sechswöchigen Beschäftigung mit den schleimigen Mitgeschöpfen: ein Terrarium mit Blättern, Stöcken und mehreren Pappmaché-Schnecken, eine fast so groß wie die Kinder selbst.

Sein Budget ermöglichst es Iversen, dass er seit sieben Jahren Künstler zu Gast hat, die zusätzlich Kreativität in die Kindergalaxie bringen. Bis vor kurzem war ein Maler da, jetzt ist es ein Musiker. Mit ihm wird jeweils für eine Woche im Voraus besprochen, mit welchen Gruppen er etwas unternehmen möchte.

Gewaltige Unterschiede in der Kita-Qualität

Beeindruckend. Zwei US-Pädagogen, die vor einigen Jahren sechs Länder bereisten, um sich Anregungen für die Kinderbetreuung im eigenen Land zu holen, schrieben über Dänemark: "Durch kognitive, soziale, psychologische und körperliche Stimulation und Entwicklung und eine 'gute Betreuung' wird hier ein hervorragendes Beispiel für das Tagesbetreuungsangebot für das kleine Kind aufgezeigt, wie es besser kaum sein kann." Starke Worte. Auch andere Besucher, die aus aller Welt ins Reich der kleinen Meerjungfrau reisen, sind von den dänischen Kitas aufs Angenehmste überrascht, freut sich Jytte Juul Jensen, die in einem der größten Ausbildungsstätten für angehende Erzieherinnen arbeitet.

Jensen hält das dänische System in Vorträgen und Fachartikeln entsprechend hoch: "Es besteht wohl kaum ein Zweifel daran, dass Dänemark im Vergleich zu anderen Ländern eine hohe Qualität aufzuweisen hat." Obwohl, nein, gerade weil, wie Jensen betont, es in Dänemark keine strengen Direktiven von oben gibt: Die Kinderbetreuung ist zwar Sache des Sozialministeriums, in einem Gesetz über Soziale Dienstleistungen von 1998 skizziert es jedoch nur grob die Ziele. Da heißt es: "Die Kommune setzt Ziele und Rahmenbedingungen für die Tagesbetreuung fest." Und die 275 Kommunen? Die meisten fordern, sagt Jytte Juul Jensen, "dass die Kindertagesstätten selbst Betrieb- und Tätigkeitspläne, Institutionspläne oder Jahrespläne ausarbeiten."

Für Jensen ist das Weiterschieben der Wegweisungskompetenz bis zur untersten Instanz ein großes Plus. "Charakteristisch an dänischen Kindertagesstätten ist, dass der pädagogische Inhalt und die täglich Arbeit vor Ort von den Pädagogen in Zusammenarbeit mit den Eltern und - was am Wichtigsten ist - mit den Kindern festgelegt werden. Und gerade hier ist die dänische Pädagogik zu suchen".

Ein spanischer Student, so Jensen, hat notiert: "Jedes Kind bestimmt das Was und Wann der Dinge, die es machen möchte, selbst. Zum Beispiel kann man einige Kinder sehen, die zeichnen, andere hören Musik, und wieder andere spielen mit Wasser. In Spanien ist es im Allgemeinen so, dass alle Kinder zur gleichen Zeit das Gleiche tun. Also wie in der Schule." Schule kann warten in Dänemark. Jensen ist stolz darauf, wenn Besucher erstaunt sind, dass es weder Buchstaben noch Zahlen an den Wänden gibt und die Kitas eher einem Zuhause als einem Klassenraum gleichen.

Und ein Forscher aus Belgien bemerkte: "Die dänischen Pädagogen, mit denen ich sprach, machten alle den Eindruck von Fachleuten, wenn es um das Verständnis dessen ging, was Kinder wirklich interessiert." Bei aller Begeisterung - das ist ein Punkt, der stutzig macht: Die Pædagogs werden nicht eigentlich zu Kinder-Fachleuten ausgebildet, und sind es trotzdem? Ein Frage für Jens Iversen, denn der Galaxen-Leiter erlebt hautnah, mit welcher Qualifikation die Seminar-Absolventen zu ihm kommen. Seine Antwort fällt ernüchternd aus: Er schätzt, dass etwa 30 Prozent des für die tägliche Arbeit notwendigen Wissens in den Seminaren erworben wird. Die restlichen 70 Prozent lernen die Pædagogs dann in der Praxis und auf Fortbildungen. Zum Glück für Iversen hat seine Kopenhagener Kita Galaxen einen so guten Ruf, dass er sich einen Bewerber unter zehn aussuchen kann. Andere Einrichtungen müssen nehmen, wen sie bekommen.

Das bedeutet: Beileibe nicht alle Kitas in Dänemark erreichen den Standard von Galaxen. "Die Unterschiede sind gewaltig", sagt Niels Egelund, Professor an der Dänischen Pädagogischen Universität DPU in Kopenhagen. Die DPU bildet zwar keine Erzieher aus, ermöglicht ihnen aber ein aufbauendes Pädagogikstudium. Egelund weiß also aus Erfahrung, welches Niveau manche Pædagogs mitbringen. Mit einigen Kitas geht er hart ins Gericht: Unmotivierte Erzieherinnen missbrauchen die Freiheiten, die den Kindern zugebilligt werden, als Ausrede für die eigene Untätigkeit. Eine Stunde organisiertes Spielen pro Tag, so schätzt Egelund, kommt so vielleicht zustande. Den Rest der Zeit "hängen die Kinder herum". Und das, obwohl ein Kita-Platz wie in Galaxen 5.830 Euro kostet - gut 2.000 mehr als in Deutschland. Egelunds Kollege Stig Broström von der Abteilung für Curriculum-Forschung an der DPU bescheinigt zwei Dritteln der dänischen Kindergärten gute Qualität, aber einem Drittel eben nicht. Er sieht die "extreme Ausrichtung auf das Kind" kritisch: Für ihn ist sie vor allem eine "romantische Idee".

Auch das sind starke Worte. Dabei soll die Ausbildung der Erzieherinnen in Dänemark, so hört man hierzulande allenthalben, Hochschulniveau haben. "Man sagt so", weiß auch Broström. "Doch meiner Ansicht nach gibt es einen Widerspruch zwischen der hübschen Oberfläche und der problematischen Realität". Dabei investiert Dänemark in die Ausbildung eines Erziehers rund 40.000 Euro. Zum Vergleich: ein Journalist kostet nur 34.000, ein Volksschullehrer jedoch gut 50.000, ein Theologe 55.000 und ein Arzt gar 90.000.

Ausbildung auf Hochschulniveau?

Für Broström beginnen die Probleme schon bei den Voraussetzungen, die Anwärter auf eine Pædagog-Ausbildung mitbringen müssen. Vor 1992 genügten dafür neun Jahre Gesamtschule. Anders als im dreigliedrigen deutschen Schulsystem gehen alle dänischen Jugendliche neun Jahre gemeinsam zur Schule. Packen sie, wie etwa die Hälfte der Schüler, noch drei Jahre Gymnasium drauf, dürfen sie sich am Ende "Student" nennen. Nach 1992 wurden die Voraussetzungen schrittweise angehoben. Heute ist der Student-Abschluss vorgeschrieben. Es gibt jedoch großzügige Ausnahmeregeln: Die Minimalschulzeit von neun Jahren genügt, wenn der Bewerber danach im Beruf bereits Erfahrung gesammelt hat. Tatsächlich haben von den diesjährigen Pædagog-Anwärtern eines Seminars, für das Stig Broström Zahlen vorliegen, nur 37 Prozent die volle Schulzeit absolviert. In anderen Seminaren, gibt er zu bedenken, mögen es jedoch mehr sein.

Auch die Ausbildung selbst sehen Broström und seine Kollegen kritisch: Sie findet nicht an einer Hochschule statt, sondern dezentral an rund 30 sogenannten Seminaren. Diese konkurrieren um Schüler nach der einfachen Formel: je mehr Schüler, desto mehr Geld, sagt Anne Maj Nielsen, Mitarbeiterin von Niels Egelund an der DPU. Kaum ein Kandidat wird deshalb zurückgewiesen - das Niveau ist entsprechend "viel viel niedriger als an der Hochschule", bestätigt Egelund. Die dreieinhalb Jahre Ausbildung zum Pædagog mit einem "Berufs-Bachelor" als Abschluss enthalten zweimal sechs Monate und einmal drei Monate Praktikum; für die reine Ausbildung bleiben also zweieinviertel Jahre.

Die Reform von 1992 legte drei bis dahin getrennte Ausbildungen zusammen. Seitdem werden keine Kindergärtner, Alten- oder Behindertenpfleger ausgebildet, sondern Allround-Sozialarbeiter. Das schlägt sich natürlich in den Lehrplänen nieder. So ist es durchaus üblich, dass ein Pædagog kaum etwas über die Arbeit mit Kleinkindern gehört hat, wenn er seine Stelle antritt. Auch seine praktische Erfahrung, sagt Anne Maj Nielsen, sammelt er womöglich in ganz anderen Bereichen. Wenn er dann seinen zukünftigen Schützlingen gegenübertritt, hat er vielleicht noch nie eine Windel gewechselt und nie einen Streit unter Vierjährigen geschlichtet. Unter Umständen merkt er nach einem Monat, dass er mit kleinen Kindern eigentlich nichts anfangen kann.

Das hohe Ansehen, das Erzieher in den nordischen Ländern genießen, zweifelt Egelund zumindest für Dänemark an. Vom Pædagog in der Kita über den Grundschul- und den Gymnasiumslehrer bis hin zum Hochschuldozenten und Professor führt die Treppe nach oben: steigende Qualität der Ausbildung, steigendes Prestige und steigendes Gehalt. Ein Pædagog im Kindergarten verdient 3.000 Euro, ein Volksschullehrer 500 Euro mehr. Auch wenn der Männeranteil ebenso steigt, liegt er mit 5,8 Prozent in den Kindergärten immerhin noch deutlich über den 3 Prozent in Deutschland.

Neben den 5.000 Pædagogs, die die Seminare jedes Jahr ausbilden, werden zusätzlich 2.500 bis 3.000 "alternative" Pædagogs anerkannt. Sie haben keine Seminarausbildung absolviert, sondern lediglich fünf Jahre Erfahrung in einer Einrichtung gesammelt. Was Egelund besonders empört, ist die "kriminelle" Praxis, in Kindergärten auch ungelernte Hilfen einzustellen, die das Sozialamt vermittelt hat. Neben körperlich wenig belastbaren Langzeitarbeitslosen sind darunter auch ehemalige Drogenabhängige und Alkoholiker.

Neben der praktischen Ausbildung, die die Kita übernimmt - sofern das Team so engagiert wie in Galaxen ist -, sorgt sie auch für die Fortbildung ihrer Mitarbeiter. Jens Iversen holt dreimal im Jahr externe Fachleute nach Galaxen, die vor dem versammelten Team referieren. Zusätzlich schickt er drei Kollegen pro Jahr zu einen zwei- oder dreitägigen Kurs. Jeder Pædagog in Galaxen ist also nach fünf Jahren wieder mit einer Fortbildung dran. Das ist nicht gerade viel - und es ist keineswegs Pflicht. Wer neue Anregungen für überflüssig hält, an dem rauschen vierzig Jahre Erziehungsdiskussion vorbei. Es wäre "höchst undänisch", sagt Niels Egelund, so etwas wie Fortbildung vorzuschreiben und zentral zu steuern.

Immerhin sieht das dänische System vor, dass bildungshungrige Pædagogs noch höhere Weihen als der Berufs-Bachelor erwerben können: in zwei Jahren an der DPU den Abschluss zum "Kandidat" oder in einem Jahr an einem Seminar-nahen Fortbildungszentren (CVU) das "Diplom" und nach einem weiteren Jahr an der DPU den "Master". Während die meisten Seminar-Absolventen mit dem Berufs-Bachelor in die Kindergärten gehen, ist bislang schwer abzusehen, was aus den Leuten mit den höheren Abschlüssen Diplom, Master und Kandidat wird. Meist werden sie wohl eine ambitioniertere Laufbahn einschlagen als den Weg des gemeinen Kindergärtners, vermutet Nielsen.

Aufgeschreckt von PISA

Die kritischen Zwischenrufe von der DPU und manchen Kitas wären vielleicht ungehört verhallt, wären die Dänen nicht von der PISA-Studie aufgeschreckt worden. Sie wurden damals jäh aus dem Glauben gerissen, sagt PISA-Experte Niels Egelund, dass ihr Erziehungssystem seinesgleichen suche: "Wir dachten immer, wir sind die besten." In der ersten Umfragerunde, veröffentlicht im Jahr 2000, lag Dänemark unter 32 getesteten Ländern bestenfalls im Mittelfeld: beim Lesen auf Rang 17, in Mathematik auf Rang 12 und in den Naturwissenschaften nur auf Rang 23, noch zwei Plätze hinter Deutschland. Drei Jahre später hatten sich die dänischen Schüler in den Naturwissenschaften noch einmal um drei Plätze auf Rang 26 verschlechtert - und das bei nur 29 teilnehmenden Ländern. Immerhin zeigten die Schüler in der neu eingeführten Kategorie "Problemlösungskompetenz" mit Rang 11 ein deutlich besseres Niveau als in den Wissensfächern. Im Vergleich mit Finnland, das 2003 drei erste und einen zweiten Platz einheimste, fiel Dänemark jedoch weit ab.

Inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt: Schrittweise wurde auch von zentraler Stelle eine Art Lehrplan für die Kindergärten eingeführt, der Ziele vorgibt. Experten wie Stig Broström wünschen sich zudem verbindliche Richtlinien, die die Ausbildungsqualität sicherstellen und kontrollieren. Auch soll ihrer Ansicht nach das Ideal der Generalistenausbildung aufgeweicht werden. Selbst die Seminare erkennen inzwischen, meint Niels Egelund, dass eine Aufwertung der Ausbildung auch ihrem Ansehen zugute kommen würde. Manche verteidigen jedoch die dänische Generalisten-Ausbildung: Jens Jacob Christensen von der Gewerkschaft BUPL etwa möchte daran nicht rühren, schließlich können die jetzigen Seminar-Absolventen flexibel eingesetzt werden.

Trotz der kontroversen Diskussion, ob und wie weit Dänemark seine Pædagogs schon in der Ausbildung spezialisieren sollte, herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass weder Finnland noch Schweden als Vorbild dienen sollten. Es wäre auch gar nicht möglich, meint Niels Egelund. Zu groß sind die kulturellen Unterschiede. Die Dänen leben seit Jahrzehnten weitgehend krisen- und sorgenfrei. Finnland dagegen, ohnehin nicht mit Reichtümern gesegnet, musste nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Wegfall seines wichtigsten Handelpartners verkraften. Damals setzte das Land ganz auf Innovation. So wandelte sich etwa Nokia vom Gummistiefelhersteller zum Hightech-Kommunikationsspezialisten. Im Zuge dieser Offensive schärfte sich auch das Bewusstsein für einen Leistungswillen in der Vorschule, dem die Dänen bis heute skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Der schwedische Weg mit seiner Trennung der Erzieher in Betreuer und Lehrer kommt ebensowenig in Frage. "Ich hoffe, dass wir einen dänischen Weg finden", sagt Niels Egelund.

Erste Schritte sind jetzt getan: Ende Mai erarbeiteten Vertreter der Kommunen, der Seminare und der Pædagog-Gewerkschaft BUPL ein gemeinsames Papier, das sie dem Erziehungsminister unterbreiteten: Zukünftig sollen sich die Pædagog-Anwärter, so ihr Vorschlag, noch während der Ausbildung an den Seminaren spezialisieren, etwa auf die Betreuung von Vorschulkindern. Der Minister reagierte positiv. Mit der Umsetzung kann es allerdings noch dauern, weil im selben Aufwasch auch Unstimmigkeiten zwischen den Kommunen und dem Ministerium über die Praktika-Finanzierung beigelegt werden sollen. Käme es zu den Reformen, dann würden, so hofft Jens Iversen, die Pædagogs nicht mehr nur 30 Prozent, sondern vielleicht schon 60 Prozent des nötigen Wissens aus der Ausbildung mitbringen.

Anmerkung

Dieser Artikel wurde von Dr. Christian Weymayr, freier Wissenschaftsjournalist in Tübingen, im Sommer 2005 recherchiert und geschrieben.

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