Aus: KiTa aktuell, Ausgabe ND - Norddeutschland, 2004, Heft 7/8, S. 164-165. Mit Genehmigung des Verlages Wolters Kluwer Deutschland
Petra Grannemann
"Deutsch lernen im Kindergarten - und zwar gezielt durch entsprechend geschulte Erzieher und Erzieherinnen und dazu eine positive Einstellung der Eltern, das sind die Eckpfeiler der schulischen und beruflichen Zukunft ausländischer Kinder!" Mit dieser These konfrontiert der Kölner Kommunikationstrainer Roger Loos seit 10 Jahren Erzieher und Erzieherinnen auf seinen Lehrgängen gegen die Sprachlosigkeit ausländischer Kinder. In seinen Seminaren vermittelt er die wichtigsten Schritte zur Lösung des Problems. Dabei steht eine systematische Übermittlung des Grundwortschatzes in regelmäßig durchzuführenden Sprachfördergruppen im Mittelpunkt. Die Umsetzung der erlernten Inhalte ist in vielen Städten Deutschlands erprobt worden und für das wirkungsvollste Konzept befunden worden.
Über 3.000 Wörter in drei Jahren bis zur Integration
Der Integration und damit einer wirklichen Chancengleichheit ausländischer Kinder in Deutschland werden meist Grenzen durch mangelnde Deutschkenntnisse gesetzt. Für Kinder aus Zuwandererfamilien ist die Sprachkompetenz die entscheidende Hürde in der Bildungskarriere. Ausländische Kinder erlernen zwar einige wenige Elemente der deutschen Sprache, doch im Prinzip wachsen viele von ihnen monolingual - muttersprachlich - auf und kommen erst im Kindergarten wirklich mit der (Zweit-) Sprache Deutsch in Berührung. Zu diesem Zeitpunkt liegt ihr deutscher Sprachschatz deutlich unter 50 oftmals gar bei null Wörtern. Deutsche Kinder hingegen kennen zum Anfang ihrer Kindergartenzeit im Durchschnitt bereits 900 Wörter, wobei sich der Grundwortschatz während der Kindergartenzeit um rund 2.500 bekannte Wörter erweitert.
Aufbauend auf diesen Wortschatz sind die Kinder in der Lage, dem Unterricht im ersten Schuljahr zu folgen und zu lernen. Laut Pisa-Studie verbringen 70% aller ausländischen Kinder ihre gesamte Schulzeit in deutschen Schulen, und trotzdem verstehen gut 50% nicht einmal die einfachsten Texte. Sollen auch Zuwandererkinder dem Unterricht folgen können, so müssen sie während ihrer Zeit in der Kita rund 3.500 deutsche Wörter lernen. Nur wenn sie dies schaffen, haben sie eine echte Chance auf Bildung, Integration und Beruf. Dies ist jedoch eine Leistung, die weder die Kinder noch die Erzieher/innen ohne systematische Hilfestellung leisten können.
Warum ist ein systematischer (Zweit-) Spracherwerb im Elementarbereich notwendig?
An diesem Punkt setzen die Seminare zum Spracherwerb von Loos an. Durch Sprachförderung mit System soll erreicht werden, dass sich die ausländischen Kinder an den Spiel-, Lern- und Kommunikationsprozessen der gesamten Kindergruppe möglichst frühzeitig, kompetent und vollständig beteiligen können. Denn: Sprache lernt nur der, der spricht!
Nun könnte man davon ausgehen, dass wir die Kinder im Kindergarten einfach nur viel sprechen lassen und dann wird das schon. Loos zehnjährige Erfahrung im Bereich der Sprachförderung hat jedoch gezeigt, dass es ohne systematische Sprachförderung nicht geht: Die Zeit, die ein ausländisches Kind in der Kita verbringt, ist zu kurz, um in einem "natürlichen Sprachbad" all das zu lernen, was deutsche Kinder in ihren ersten sechs Lebensjahren normalerweise erlernen. Erschwert wird dies noch durch die Tatsache, dass in vielen Brennpunkt Kindergärten der Anteil der ausländischen Kinder so hoch ist, dass von einem "Sprachbad" sowieso nicht mehr geredet werden kann.
Aufgrund der unterschiedlichen Struktur und Grammatik von Muttersprache und Zweitsprache kommt es zu Fehlern, die - wenn sie nicht frühzeitig korrigiert oder vermieden werden - sich manifestieren und später nur noch schwer rückgängig zu machen sind.
In der Kindergruppe richtet die Erzieherin die meisten Fragen oder Informationen an die Gesamtgruppe oder an Teilgruppen von Kindern. Dabei kann das Sprachstandsniveau und das Mitteilungsbedürfnis der ausländischen Kinder kaum berücksichtigt werden.
Eine variable, differenzierte sprachliche Ausdrucksweise der Erzieher/innen, die vom mittleren Niveau der deutschen Kinder ausgeht, ist für die meisten ausländischen Kinder verwirrend und führt dazu, dass die Informationen nicht aufgenommen werden können. Schränkt die Erzieherin jedoch ihre Sprache ein, führt dies wiederum zur Verzögerung der Sprachentwicklung ausländischer und deutscher Kinder.
Als bester Ausweg aus diesem Dilemma hat sich die regelmäßige und mit System durchgeführte Förderung der Kinder durch die Erzieher/innen in kleinen Gruppen erwiesen.
Spracherwerbseinheiten helfen aus der Sprachlosigkeit
Loos Sprachförderkonzept setzt idealerweise direkt mit dem Eintritt der Kinder in die Kita ein. Dafür werden die Kinder zunächst über einen bestimmten Zeitraum beobachtet, und anschließend wird der jeweilige Sprachstand von den Erzieher/innen eingeschätzt. Kinder mit gleichem oder ähnlichem Sprachstand werden dann in Kleingruppen von ca. sechs Kindern eingeteilt und erhalten im Schnitt einmal pro Woche eine so genannte Spracherwerbseinheit, in der sie nach einer vorgegebenen Systematik gefördert werden.
Der inhaltliche Aufbau orientiert sich an der Funktionsweise des kindlichen Gedächtnisses. Dabei gilt es zu beachten, dass die Konzentrations- und Behaltensfähigkeit der Kinder der von Erwachsenen noch deutlich unterlegen ist. Die Einheiten sollten daher nicht länger als 20 Minuten sein. Die vermittelten Begriffe sollten sich mindestens drei Mal wiederholen, und innerhalb einer Einheit sollten nicht mehr als 5-7 neue Wörter erlernt werden.
Der Sprachförderung liegt ein ganzheitlicher Ansatz zugrunde, das heißt, in den Spracheinheiten werden stets die unterschiedlichen Sinne angesprochen. Deshalb besteht eine Einheit immer aus drei Teilen: einem Bewegungsspiel, einem Reim und einem Lied, in dem sich die Wörter immer wiederholen. "Ich heiße Ahmet, wie heißt du?" etwa ist ein Baustein, der den Kindern die Struktur der deutschen Sprache näher bringen soll. Im Spiel gesprochen, in einem Lied und Reim wiederholt, bekommen die Kinder ein selbstverständliches Gefühl für Grammatik und Satzbau. Auf diesem beispielhaften Modul bauen weitere auf - bis zu einem Wortschatz von rund 3.000 Wörtern am Ende der Kindergartenzeit. Der Wortschatz ist, nach Themenfeldern wie Kindergarten, Körper, Lebensmitteln etc. vorgegeben; die Spiele, Reime und Lieder werden von den Erzieher/innen selbst entwickelt und sind somit eng orientiert an den situativen Gegebenheiten der Kinder.
Nach Loos ist wichtig, dass die Einheiten regelmäßig immer am gleichen Tag, am gleichen Ort und zur gleichen Zeit stattfinden. Dadurch bekommt der Spracherwerb für die Erzieher/innen, Kinder und auch die Eltern eine hilfreiche Konstanz. Und "last but not least": der Spracherwerb soll Kindern und Erziehern Spaß machen!
Erste Erfolge zeigen sich schon nach kurzer Zeit
Erste Erfolge zeigen sich meist schon nach drei bis vier Monaten: "Die Kinder verlieren ihre Scheu zu sprechen, denn sie sind in kleinen Gruppen, in denen alle Fehler machen. Sie werden selbstbewusster", berichtet zum Beispiel Susanne Borrosch vom AWO-Kindergarten Abenteuerland in Herten.
1994 begann Loos in Zusammenarbeit mit der Stadt Köln mit dem Projekt "Zweitspracherwerb im Kindergarten". Unterstützung fand er bei dem Münchner Linguisten Prof. Wolfgang Maier, der ihn auch heute noch als Mentor begleitet. Mittlerweile werden seine Seminare in über 15 Städten weitergeführt, seine Eltern-Vorträge füllen Säle, und das im Januar erschienene Buch "Praxisbuch - Spracherwerb" ist ein wahrer Renner. Die Resonanz in den Städten ist durchweg positiv. So weiß man in Duisburg zu berichten, dass die Grundschulen bereits erkennen können, welche Kinder an der Sprachförderung teilgenommen haben und welche nicht. Auch die Rückmeldung der Eltern ist positiv, und viele Erzieher/innen waren von der Anteilnahme und Unterstützung überrascht.
Ohne Eltern geht es nicht
Sprache und Kultur bilden die Identität eines Kindes. Daher gilt: Sprache ist immer auch Kulturerwerb und damit ein wichtiger Schritt zur Integration ausländischer Mitbürger. Nur wenn die Eltern eine positive Einstellung zur deutschen Sprache und Kultur haben, können die Kinder unbeschwert Deutsch lernen.
Loos weist darauf hin, dass die Bereitschaft der Kinder, die deutsche Sprache und Kultur zu erlernen, im Wesentlichen durch die Einstellung ihrer Eltern geprägt wird. "Je größer der kindliche Wortschatz in der Muttersprache ist, umso leichter fällt es, eine zweite Sprache zu erlernen." Loos appellierte deshalb an die Eltern, mit ihren Kindern in ihrer Muttersprache zu sprechen und sie gleichzeitig in ihren Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen, nach allen Kräften zu unterstützen. "Sie geben ihnen damit den besten Start für eine chancengleiche Zukunft!"
Literatur
Roger Loos: Praxisbuch - Spracherwerb. München: Don Bosco Verlag, 3. Auflage 2005
Wolfgang Maier: Deutsch lernen im Kindergarten. München: Don Bosco Verlag, 2. Aufl. 1993
Adresse
G+P, Roger Loos
Tel.: 02173/914897
Email: zentrale@g-p.info
Website: www.zweitspracherwerb.com