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Zitiervorschlag

Kinder aus Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete in Kitas

Uta Maria Sandhop

 

Familien, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, benötigen für die Kinder einen Kitaplatz. Wie ist die aktuelle Situation, welche Herausforderungen stellen sich für die Eltern, Sozialarbeiter*innen im Beratungskontext, für die Kommunen und die pädagogischen Mitarbeiter*innen? Dies soll in dem vorliegenden Text umrissen werden. Die Autorin hat in den drei Bundesländern Mitteldeutschlands: Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen konkret bei Akteuren und Kostenträgern nachgefragt.

Kita-Angebote – gibt es genügend Plätze?

Im Rahmen von Interviews und konkreten Befragungen zur aktuellen Kita-Platz-Situation stellt sich ein differenziertes Bild dar.

In Großstädten und städtisch geprägter Infrastruktur sind Platzkapazitäten vorhanden und können den Eltern und Kindern angeboten und erfolgreich vermittelt werden. Hier gibt es aber auch die Schwierigkeiten der Wohnortnähe zum Kitaplatz. Derweil die Familie in den Unterkünften wohnt, ist der Platz vielleicht günstig zu erreichen, das ändert sich aber häufig, wenn die Familie in eine eigene Wohnung umziehen kann und diese dann nicht mehr nah zur Kita ist, weitere Wege entstehen, das Zeitmanagement muss anders gestaltet werden.

In ländlichen Regionen ist ein Kita-Platz häufig Mangelware. Hier sind auch deutsche Familien von der knappen Kita-Situation betroffen und es bedeutet unter diesen Umständen, dass die Kinder nicht in eine Kita kommen und bei den Eltern/Müttern verbleiben. Einige Landkreise haben aber auch berichtet, dass sie die fehlende Kita-Betreuung mittels Projekte, wie das Bundesprojekt „Kita-Einstieg“[1]  kompensierten oder nach den ersten Mindeststandards von UNICEF „Childfriendly Spaces“[2]  in den Unterkünften schufen.

Auswirkungen bei Nichtinanspruchnahme

Im Vorschulbereich werden häufig Kompetenzen nicht erworben, die Schulfähigkeit in mehreren Bildungsbereichen sind fragwürdig. Hier seien exemplarisch die sozialen, kognitiven und sprachlichen Bereiche genannt. Eltern dagegen können bei Eigenbetreuung keine Kurse wie Sprachkurse, Berufsangleichungen u.a. besuchen oder andere Termine wie Behördengänge und Arztbesuche unbeschwerter erledigen. Netzwerke mit deutschen Familien können nicht entstehen, um sich besser so vielleicht in dem System leichter zurechtzufinden und vielleicht auch Freundschaften zu schließen.

Regelangebote im therapeutischen Bereich können nicht zeitnah und nach Bedarfsfeststellung vermittelt werden und würden aus Unkenntnis evtl. abgelehnt (Logotherapie, Ergotherapie, Frühförderung, Schwimmen, etc.). Aber auch die Anbindung an Angebote der Familienhilfe des Jugendamtes bei Problemlagen können oft nur zeitverzögert erfolgen.

Akzeptanz durch die Eltern

Ob eine Familie einen Kita-Platz in Anspruch nimmt, ist recht unterschiedlich, traditionelle und stark konservativ lebende Familien lehnen häufiger eine Fremdbetreuung ab, besonders wenn Großfamiliencharakter gelebt wird. Einige Familien erkennen die Vorteile der Betreuung an, nutzen die gewonnene Zeit, um an Bildungsangeboten teilzunehmen und auch Arzttermine sowie weitere Verpflichtungen und Aufgaben wahrzunehmen. Es gibt aber auch bewusste Entscheidungen gegen eine Betreuung aus unbekannten Gründen, aber auch aus Befürchtungen, die nicht nachvollziehbar erscheinen.

Leider erfahren einige Familien während des Anmeldeprozederes auch Diskriminierung oder misstrauen der Kita und ihren Pädagogen. Für Eltern, die lange auf einen Kita-Platz gewartet haben, kann der Platz auch einen Luxus-Charakter haben, andere Familien schauen missgünstig auf diesen Vorzug. Das kann dann in einer Gemeinschaftsunterkunft und das Zusammenleben negative Auswirkungen haben und sind von äußerer Betrachtung schwer von allgemeinen Konflikten abzugrenzen.

Was braucht es in den Kommunen?

Recht häufig sind die Kommunen mit ihren zuständigen Abteilungen gut in Netzwerke eingebunden, sei es im Bereich Flüchtlingssozialarbeit, AG Frühe Hilfen und Kinderschutz, Jugendamt und Allgemeiner Sozialer Dienst, aber auch in die Leitstellen der Kitaplatzverwaltung. Dies hilft, zeitnah und individuell zu reagieren, um die Kinder und Eltern zu informieren und zu verweisen. Netzwerkarbeit braucht es.

Aber auch das Bewusstsein, für die Familien in den Gemeinschaftsunterkünften die Informationen bereitzustellen, sei es in einfacher deutscher Sprache aber auch mehrsprachig. Als Beispiel sei hier der „Wegweiser Kita“ [3] aus Mittelsachen genannt. Oberstes Ziel sollte sein, die Kinder einer Kita zuführen zu können und so frühestmöglich die Bildungschancen zu ermöglichen. Aber auch die Eltern in geeigneter Weise zu informieren und ihnen Orientierung zu geben, ihnen aber auch die Chance zu eröffnen, die Kita als Bereicherung und Bildungsmöglichkeit zu nutzen, vorrangig für die Weiterentwicklung des Kindes und perspektivisch Integration aber auch eine Identifikation mit der Kultur des Aufnahmelandes zu ermöglichen und Sichtweisenvielfalt wie Diversität zu gestalten.

Eine wesentliche Chance in der Umsetzung des Schutzauftrages sehe ich auch in der Sichtbarkeit von Wächterfunktionen in Bezug auf Kind, Familie und Umfeld bei der Wahrung des Kindeswohls. Bei voller Entfaltung aller Potentiale, die durch eine frühzeitige Anbindung an das Kita-Bildungssystem entstehen, kann man davon ausgehen, dass die Familien bei optional erfolgter dezentraler Unterbringung (im eigenen Wohnraum, nach der Gemeinschaftsunterkunft) ihrer erzieherischen Verantwortung leichter gerecht werden können und auch die Kinder eine gesunde Bildungsentwicklung erhalten.

Kommunen können im Rahmen ihrer Entscheidungshoheit auch Einfluss nehmen, die Flüchtlingssozialarbeit intensiv zu schulen und als Orientierungshilfe bei Verweisberatung stärker zu nutzen. Aufgrund steigender Zuweisungszahlen Geflüchteter aus den Erstaufnahmen der Länder ist das Kita-Platz-Management besonders wichtig. Die Bedarfe im Blick zu haben, lässt sich unterschiedlich gestalten. In einigen Kommunen und Landkreisen gab es hierzu Evaluationen zu den aktuellen Zahlen (Kinder im Alter von 0 - 5 Jahren und Platzkapazität, Gründe für Annahme und Verweigerung des Platzes, etc.). Um Wartezeiten zu minimieren, sind auch die Bearbeitungszeiten bei der Kita-Platz-Vergabe frühzeitig zu prüfen.

Auch bei Ablehnung eines Kita-Platzes wird durch die Kommune reagiert, evtl. durch zusätzliche Aufklärung aber auch durch Abbau von negativ gemachten Erfahrungen bei der Kinderbetreuung. Da es keine Kita-Pflicht gibt, muss hier im Einzelfall entschieden und geprüft werden. Bei Kindern, die das Kita-Alter noch nicht erreicht haben, ist zudem eine Warteliste zu empfehlen, hier kann im Einzelfall auch auf einen anstehenden Umzug, gesundheitliche Einschränkungen u.a. eingegangen werden.

Für Eltern sollte es zudem die Möglichkeit geben, Sprach- und Bildungsangebote nutzen zu können, sei es durch das generelle Angebot eines Kurses, Erreichbarkeit der Bildungseinrichtung und Erstattung von Fahrpreisen und der geeigneten Perspektive, um das Angebot anzunehmen. Aus einigen Rückmeldungen wurde deutlich, dass es bei der Anmeldung des Kindes in einer Kita auch Diskriminierungserfahrungen gemacht wurden. Auch hier kann die Kommune entgegenwirken und hier in Abstimmung mit Ausländerbeauftragten sowie Fachberatungen und den beteiligten Einrichtungen ins Gespräch gehen und vermitteln.

Wie gestaltet sich der Alltag in der Gemeinschaftsunterkunft

Familien, die in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen und ihr Kind in eine Kita bringen, lernen viel und müssen neue Alltagsstrukturen entwickeln. Es entsteht ein eigener Rhythmus, Eltern lernen weitere Eltern kennen, kommen mit den Pädagogen ins Gespräch und erleben neue Impulse in der Erziehung und elterlicher Verantwortung. Sie erfahren bei den Themen im Kita-Alltag wie z.B. witterungsgerechte Kleidung, Ausflugsgestaltung, Bildungs- und Entwicklungsbericht mit den Pädagogen, Mahlzeiten zubereiten, Sprachbildung oder auch eigene Erweiterung der Netzwerke neue Ausrichtungen und Konzepte. Diese Erfahrungen helfen bei der Orientierung in dem Bildungssystem, gemeinsam bereiten sie mit den Pädagogen die Kinder auf die anschließende Bildungsbiografie in der Schule vor und unterstützen die Eltern auch in ihrer Identität in Deutschland.

Fazit

Familien werden stark empowert durch die eigene Bewältigung des Alltags in Bezug auf Kita und allen damit zusammenhängenden Themen. Sie können auch andere Familien ermutigen und Vorbild sein, wenn sie eine Akzeptanz für Kita-Inanspruchnahme entwickelt haben und ebenso Erkenntnisse gewinnen, geschlechtlich unabhängig Bildung zu ermöglichen.

Kitas helfen natürlich auch dabei, konservative Rollenverständnisse zu überdenken, Bildungschancen zu ergreifen und Teilhabe zu ermöglichen. Gesunde Kinder sind gut für ihre Eltern und stärken das Bewusstsein für Identität. Eigene Biografien können neu gedacht werden, aber auch Gewalt kann entdeckt werden und Einfluss zu Schutzmaßnahmen genommen werden. Auch auf Einschränkungen und Fehlentwicklungen/Verzögerungen kann mit geeigneten therapeutischen Angeboten begegnet werden. Diese Chance bietet sich durch eine Kita-Betreuung.

Viele dieser positiven Aspekte werden durch die meisten Familien in einer Gemeinschaftsunterkunft auch anerkannt und genutzt. Ablehnungen sind Einzelfälle. Alle Akteure in der Begleitung der Eltern bei der Inanspruchnahme eines Kita-Platzes, seien es die institutionellen aber auch die beratenden Sozialarbeiter*innen, die im Auftrag agieren, arbeiten eng und multiprofessionell zusammen, nur so lässt sich für die Kinder und Eltern die größte Akzeptanz der Kita-Inanspruchnahme mit Nachhaltigkeit erreichen.

Endnoten

[1] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/bundesprogramm-kita-einstieg-bruecken-bauen-in-fruehe-bildung--118650: entnommen am 06.11.2023

[2] https://www.gewaltschutz-gu.de/publikationen/begleitpublikationen-zu-den-mindeststandards/download/kinderfreundliche-orte-und-angebote-fuer-gefluechtete-und-migrierte-menschen-in-deutschland-unicef-2018: entnommen am 06.11.2023

[3] https://www.landkreis-mittelsachsen.de/fileadmin/Redakteure/Behoerden/2_Geschaeftskreis/Jugend_Familie/Besondere_Soziale_Dienste/Netzwerk/online-aktualisierung-familienwegweiser-01-2021.pdf: entnommen am 06.11.2023.

Autorin

Uta Maria Sandhop, M.A. Soziale Arbeit, arbeitet seit 2016 in der Flüchtlingshilfe, hat im Auftrag des BMFSFJ als Gewaltschutzmultiplikatorin in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Länder und Kommunen aber auch Betreiber bei Gewaltschutzmaßnahmen in den Flüchtlingsunterkünften beraten. Sie ist Kinderschutzfachkraft und hat viele Schutzkonzepte für und mit Einrichtungen für Geflüchtete nach den Mindeststandards von UNICEF erarbeitet, aber auch Schulungen gegeben. Außerdem ist sie systemische Therapeutin und Supervisorin.