Flüchtlingskinder in der Kita

Martin R. Textor

Vom Januar 2015 bis November 2016 wurde für 157.790 Kleinkinder ein Asylantrag gestellt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016a, S. 22, 2016b, S. 7). Bedenkt man, dass ein hoher Anteil der Asylanträge abgelehnt wird und dass Flüchtlingsfamilien vor allem unter Dreijährige überwiegend zu Hause betreuen (weil dies der Tradition entspricht, weil die Mutter nicht erwerbstätig und der Vater oft arbeitslos ist, weil ihnen Kitas aus ihrem Herkunftsland unbekannt sind und sie nicht wissen, was dort passiert), werden meiner Schätzung nach nur ein Drittel oder maximal die Hälfte dieser Kinder einen Betreuungsplatz beanspruchen. Da sich zum 01.03.2016 genau 3.566.543 Kinder in Kindertagesbetreuung befanden (Statistisches Bundesamt 2016), entsprächen selbst 80.000 zusätzlich aufgenommene Flüchtlingskinder nur einem Anteil von 2,2%.

Unter den zum 01.03.2016 betreuten Kindern waren 929.170 Kinder (26,1%), bei denen mindestens ein Elternteil aus dem Ausland stammte; bei 617.522 Kindern (17,3%) wurde in der Familie nicht vorrangig Deutsch gesprochen (Statistisches Bundesamt 2016). Aus diesen Zahlen kann gefolgert werden, dass die meisten sozialpädagogischen Fachkräfte bereits Erfahrungen mit Kindern gemacht haben, deren Eltern aus einem anderen Land zugewandert waren und die nur wenig Deutsch sprachen. Allerdings handelt es sich dabei vor allem um Erzieher/innen, die in Westdeutschland bzw. in Großstädten und Ballungsräumen arbeiten, da hier die meisten Familien mit Migrationshintergrund leben (Textor 2016a). Flüchtlingsfamilien wurden zum Teil aber auch in Ostdeutschland bzw. in ländlichen Regionen untergebracht, da hier Wohnraum leichter zu finden war. Hier hatten in manchen Kreisen weniger als 5% der betreuten Kinder einen im Ausland geborenen Elternteil (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2016).

Insbesondere Kita-Teams, die bisher nur wenige Erfahrungen mit Familien mit Migrationshintergrund gesammelt hatten, fühlten sich zunächst verunsichert und überfordert, vor allem wenn sie gleich mehrere Flüchtlingskinder aufnehmen sollten. Es war ihnen unklar, ob sie sich mit den geflüchteten Eltern und Kindern überhaupt verständigen können, wie sie mit deren "Fremdheit" umgehen sollen (Berührungsängste) und wie sie traumatisierten Kindern helfen können. Andere Teams waren hingegen neugierig und offen für Neues. Sie gingen mit der Erwartung "Wir schaffen das!" an die neuen Herausforderungen heran, obwohl auch sie mit Missverständnissen und falschen Reaktionen aufgrund der großen kulturellen Unterschiede rechneten.

Inzwischen hat sich die Situation grundlegend geändert: Nach dem Jahr 2016 ist die Zahl der Asylsuchenden stark zurückgegangen. So wurden 2019 nur noch 142.509 Asylerstanträge gestellt, und zwar 4.603 für Kinder von vier bis unter sechs Jahren sowie 41.713 für Kinder unter vier Jahren (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2020). Dass 29,3% aller Erstanträge auf unter Vierjährige entfallen, hängt damit zusammen, dass in den vorausgegangenen Jahren zugewanderte Asylsuchende Kinder bekommen hatten und für diese einen Asylantrag stellten. So waren 31.415 der Kinder unter vier Jahren in Deutschland geboren worden. Es werden also immer noch viele Kinder aus Flüchtlingsfamilien in Kitas kommen, aber inzwischen wissen Erzieher/innen, wie sie auf solche Kinder zugehen sollten.

Sich auf Flüchtlingskinder vorbereiten

Es hat sich bewährt, wenn vor der Aufnahme des ersten Flüchtlingskindes die sozialpädagogischen Fachkräfte ihre Erwartungen und Befürchtungen im Team besprechen. Haben sie bisher kaum Erfahrungen mit Kindern mit Migrationshintergrund gemacht, gilt es, sich kurzfristig Kenntnisse z.B. zur Sprachförderung oder zur kultursensiblen Erziehung anzueignen. Ferner muss geklärt werden, ob es in der Nähe Dolmetscher/innen oder Personen gibt, die die Sprache der Flüchtlinge sprechen, welche Behörden für sie zuständig sind und welche psychosozialen Dienste Flüchtlingsfamilien und traumatisierten Kindern vor Ort helfen. In Kitas, in denen bisher nur wenige Kinder mit Migrationshintergrund betreut wurden, gilt es auch, die Eltern über die anstehende Aufnahme eines Flüchtlingskindes zu informieren und eventuelle Vorbehalte zu diskutieren.

Insbesondere in Kindertageseinrichtungen, in denen es bisher keine oder nur wenige Kinder mit Migrationshintergrund gab, sollten auch die Kinder auf die Aufnahme eines Flüchtlingskindes vorbereitet werden. Hendrich (2016) empfiehlt, dies anhand des Themas "Fremdsein" zu tun: "Folgende Fragen können beispielsweise im Stuhlkreis behandelt werden: Wo haben sich die Kinder selbst schon einmal fremd gefühlt? Wie geht es ihnen, wenn sie im Urlaub die Sprache nicht verstehen? Wie fühlen sie sich, wenn sie in eine neue Gruppe hineinkommen, in der sie keinen kennen und in der keiner auf sie zugeht?" (S. 60). Sicherlich werden auch die Kinder viele Fragen haben, zumal das Thema "Flüchtlinge" wahrscheinlich immer wieder in ihren Familien angesprochen wird. Weniger Gesprächsbedarf dürfte es in Kitas geben, in denen schon häufiger Kinder mit Migrationshintergrund aufgenommen wurden, die nur wenig Deutsch sprachen. In manchen Kindertageseinrichtungen werden (ältere) Kinder gefragt, ob sie die "Patenschaft" für ein Flüchtlingskind übernehmen und sich in den ersten Wochen um es kümmern wollen.

Zur Vorbereitung auf die Aufnahme eines Flüchtlingskindes sollten Erzieher/innen so viele Informationen wie möglich über sein Herkunftsland, die Kultur, die Religion, die Lebensweise der Menschen, den vorherrschenden Erziehungsstil usw. sammeln. Dies geht am schnellsten im Internet. Oft sind hier auch Fotos aus dem Heimatort des jeweiligen Kindes, zumindest aber aus der Umgebung bzw. dem Kulturraum zu finden. Die Bilder werden ausgedruckt, im Gruppenraum aufgehängt oder zu einem Fotobuch zusammengestellt. Zum einen kann dies die Eingewöhnung des Flüchtlingskindes erleichtern, zum anderen werden die anderen Kinder über seine Heimat informiert. Außerdem können die ausgedruckten Fotos auf Karton aufgeklebt und zu Puzzles weiterverarbeitet werden.

Ferner können Bilderbücher, Spiele, Puppen (-kleider), Rollenspielutensilien und Dekorationsgegenstände aus dem Herkunftsland bzw. Kulturkreis besorgt werden, damit sich das Flüchtlingskind gleich etwas heimisch fühlt. Viele Kitas haben im Eingangsbereich ein Plakat aufgehängt, auf dem Familien in ihrer Erstsprache begrüßt werden, oder - bei vielen Kindern mit Migrationshintergrund - eine Weltkarte, auf der die Herkunftsländer markiert wurden. Im Buchhandel sind auch multilinguale Lernposter erhältlich (z.B. Keller 2015).

Die Eingewöhnung individuell gestalten

In einigen Fällen können Flüchtlingseltern die Eingewöhnung ihres Kindes nicht begleiten, da sie direkt nach dem Bringen zum Integrationskurs gehen müssen. In anderen Fällen verstehen sie nicht, weshalb sie während der ersten Tage im Gruppenraum und später in der Nähe bleiben sollen - in ihrem Herkunftsland werden Kinder am ersten Schultag in der Schule abgegeben, und da viele Flüchtlingseltern die Kindertagesstätte als eine Art "Vorschule" verstehen, erwarten sie, dass der erste Kita-Tag genauso abläuft wie der erste Schultag.

Zumeist kann die Eingewöhnung aber so ähnlich wie bei deutschen Kindern erfolgen. Allerdings mag sie länger dauern, da Eltern und Kinder während der Flucht und in den (Massen-) Unterkünften sehr enge Beziehungen ausgebildet haben und nun auf beiden Seiten starke Trennungsängste auftreten. Falls eine Kindertageseinrichtung gleichzeitig mehrere Flüchtlingskinder aufnehmen soll, ist es deshalb überlegenswert, ob nicht der Aufnahme in die Regelgruppe eine Eltern-Kind-Gruppe vorgeschaltet werden könnte. Dann gewöhnen sich die Kinder schon an die neue Umgebung, und ihre Eltern können beobachten, was üblicherweise in der Freispielzeit passiert.

Ein großer Unterschied gegenüber der Eingewöhnung deutscher Kinder ist, dass Flüchtlingskinder häufiger bei anderen Kindern Trost suchen oder sich von diesen z.B. auf die Toilette begleiten lassen. Hier zeigt sich, dass sie weniger erwachsenenorientiert sind, da sie in ihrem Herkunftsland überwiegend von älteren Geschwistern oder Nachbarskindern beaufsichtigt und betreut wurden.

Solange das Flüchtlingskind kein oder kaum Deutsch spricht, muss die Verständigung mit ihm weitgehend über Mimik, Gestik und Pantomime erfolgen. Dabei kann das Kind auf ein großes Repertoire an nonverbalen Äußerungen zurückgreifen, mit denen es sich in den ersten beiden Lebensjahren verständigt hat. Gelegentlich können auch selbst hergestellte Bildkarten oder hilfreiche Werke wie das "Bildwörterbuch Deutsch" (2016) genutzt werden. Ferner gibt es Dolmetscher-Apps, die kurze und einfache Sätze relativ gut übersetzen und in der richtigen Aussprache ausgeben. Im Ausnahmefall kann das Handy bzw. Smartphone verwendet werden, um z.B. einem untröstlich weinenden Kind den Kontakt zu einem Elternteil oder einer anderen vertrauten Person zu ermöglichen.

Zur Vertrauensbildung trägt auch bei, wenn die Bezugserzieherin Interesse an der Erstsprache des Flüchtlingskindes zeigt und sich von ihm einige Worte oder vielleicht sogar ein Lied beibringen lässt. Außerdem kann sie sich von ihm Spiele aus seinem Herkunftsland zeigen lassen und dann mitspielen. Bei sehr schüchternen und verängstigten Kindern gelingt die Kontaktaufnahme oftmals leichter über eine Handpuppe oder ein Stofftier.

Die wichtigste Rolle bei der Eingewöhnung eines Flüchtlingskindes spielen aber die anderen Kinder. Sie gehen unvoreingenommen auf es zu, beziehen es in ihre Spiele und Aktivitäten ein und helfen ihm spontan bei Problemen. Da auch sie fortwährend neue Wörter und Redewendungen lernen, können sie sich in seine Lage hineinversetzen und ihm beim Spracherwerb helfen. Selbst in Kindertagesstätten, in denen bisher nur wenige Kinder mit Migrationshintergrund betreut wurden, ist ein Flüchtlingskind für die Kinder ein Kind wie alle anderen auch und wird entsprechend behandelt.

So werden Flüchtlingskinder zumeist schnell in die Gruppe integriert. Sie können nun wieder "normale" Kinder in einer "normalen" Lebenswelt sein. Hierzu schreibt Abdel Fattah (2016): "Mit dem ersten Kita-Tag betreten Kinder, die durch belastende oder traumatisierende Fluchterfahrungen geprägt sind, eine heile Kinderwelt, die so ganz anders ist als das Leben zwischen zerbombten Häusern, in tristen Flüchtlingslagern, kalten Zelten und Massenunterkünften. Kinder erfahren mit der Aufnahme in der Kindertagesbetreuung ein Leben, das im völligen Gegensatz zu der von Fluchterfahrungen geprägten Zeit der vorangegangenen Monate steht" (S. 65 f.).

Flüchtlingskinder sinnvoll beschäftigen

In der Freispielzeit - egal ob in den Innenräumen oder auf dem Außengelände - werden Flüchtlingskinder von den anderen Kindern "automatisch" in ihre Aktivitäten eingebunden oder können sich alleine mit den Spielgeräten und -materialien befassen. Zum Kita-Alltag gehören aber auch viele kommunikative (Bildungs-) Angebote wie Morgen- bzw. Stuhlkreise, Bilderbuchbetrachtungen, naturwissenschaftliche Experimente usw. An ihnen können Flüchtlingskinder zunächst mangels Deutschkenntnissen nicht teilhaben. Während dieser Zeit sollten ihnen alternative Beschäftigungen ermöglicht werden, mit Puzzles (z.B. auf der Grundlage von Fotos aus ihrem Herkunftsland), mit Bildern zum Ausmalen, Mandalas, Bastelmaterialien usw. Ferner können aus dem Internet Kinderlieder, Märchen und Geschichten in der Heimatsprache des Kindes bzw. über das Satellitenfernsehen entsprechende Kinderfilme abgespeichert und von den Flüchtlingskindern angehört bzw. angesehen werden, wenn mit den anderen Kindern sprachbetonte Aktivitäten durchgeführt werden. Ansonsten gibt es viele Bildungsangebote, an denen sich auch Kinder mit sehr geringen Deutschkenntnissen beteiligen können (siehe z.B. Erkert et al. 2016; Grabbet 2016). Dazu gehören manche Kreisspiele, Rhythmik, Musizieren mit Musikinstrumenten, Malen, Basteln, Werken usw.

Ferner können Erzieher/innen Musik-CDs, Hörbücher oder Märchenbücher in den Sprachen der von ihnen betreuten Flüchtlingskinder besorgen. Inzwischen gibt es auch viele mehrsprachige Bilder- und Vorlesebücher, die sich gut unter Einbindung von Eltern mit Migrationshintergrund nutzen lassen: Diese lesen den Text in ihrer Erstsprache vor und die Fachkräfte auf Deutsch. Dabei können laut Hofbauer (2016) auch Literacy-Erfahrungen gemacht werden: "Eine Erzieherin aus Südtirol erzählt, dass sie für ihre Gruppe, in der vergleichsweise viele arabisch-sprechende Kinder sind, nun zum ersten Mal ein arabisches Bilderbuch ausgeliehen und eine Mutter gebeten hat, daraus vorzulesen. Bevor die Vorlesestunde beginnt, möchte die Erzieherin das Buch schon einmal mit den Kindern anschauen und besprechen. Doch hat sie unerwartet große Probleme damit, aus den Bildern die Geschichte zu konstruieren. Warum, wird klar, als die Mutter zum Vorlesen kommt und das Buch von hinten beginnt..." (S. 89).

Musik-CDs, Märchen- und Bilderbücher in der Erstsprache des Flüchtlingskindes können an seine Eltern ausgeliehen werden, die auf der Flucht dergleichen nicht mitnehmen und oft auch in der Zeit nach ihrer Ankunft in Deutschland nicht besorgen konnten. In einigen Kindertageseinrichtungen können Flüchtlingskinder Spiele und Spielsachen mitnehmen, wenn es in der (Massen-) Unterkunft keine gibt. Können deutschsprachige Medien ausgeliehen werden, wäre dies auch ein Beitrag zur Sprachförderung.

Manche Flüchtlingskinder kommen aber aus so abgelegenen Regionen dieser Erde, dass weder im Handel noch im Internet Bilderbücher oder Musik-CDs aus diesem Sprachraum zu finden sind. Hier können die Eltern gebeten werden, in der Kita Geschichten, Märchen, Lieder, Reime oder Gedichte in der Erstsprache aufzunehmen. Das Kind kann die Aufnahmen anhören, wenn es z.B. an sprachbetonten Bildungsangeboten nicht teilnehmen kann oder Heimweh hat. Zudem können sie von anderen Kindern aus demselben Sprachraum oder mit allen Kindern der Gruppe im Rahmen der interkulturellen Erziehung genutzt werden.

Den Erwerb der deutschen Sprache fördern

Insbesondere in Westdeutschland und in verstädterten Regionen Ostdeutschlands haben sozialpädagogische Fachkräfte bereits viele Erfahrungen mit Kindern gemacht, die kaum Deutsch sprachen, und sich das entsprechende Wissen und die benötigten Kompetenzen angeeignet. Inzwischen plädieren fast alle Fachleute für eine alltagsintegrierte Sprachförderung. Sie umfasst Elemente wie

  • die bewusste Nutzung kommunikativer Situationen im Kita-Alltag,
  • das handlungsbegleitende Sprechen,
  • das Motivieren des Kindes (mehr) zu sprechen (z.B. durch aktives Zuhören, Nachfragen, die Nutzung einer Handpuppe),
  • das korrektive Feedback,
  • das Nutzen von Fingerspielen, Reimen und Liedern sowie
  • die dialogische Bilderbuchbetrachtung.

In vielen Bundesländern müssen die Kinder zusätzlich Sprachkurse besuchen.

Ein Flüchtlingskind profitiert in seiner Sprachentwicklung besonders viel von Kindern, die nur etwas besser Deutsch sprechen. Laut dem ko-konstruktiven Ansatz von Lew Wygotski (Textor 2000) liegt dies daran, dass Letztere beim Flüchtlingskind die "Zone der nächsten Entwicklung" ansprechen: Sie sind ihm nur einen Entwicklungsschritt voraus, und diesen kann es leichter tun, als wenn eine Fachkraft ihm gegenüber längere Sätze mit vielen ihm unbekannten Wörtern und relativ komplexen grammatikalischen Strukturen verwendet. Hier wird erneut die Bedeutung der Kindergruppe deutlich: Wie weiter oben schon angedeutet, sind die anderen Kinder die besten "Sprachlehrer".

Wenn sich in der Kindertageseinrichtung erste Freundschaften zwischen einheimischen Kindern und Flüchtlingskindern ergeben haben, können auch die Eltern Ersterer motiviert werden, am Nachmittag oder am Wochenende das jeweilige Flüchtlingskind zu sich nach Hause einzuladen. Vielleicht ergeben sich daraus sogar Kontakte zu dessen Eltern, die deren Integration in die deutsche Gesellschaft erleichtern...

Die Sprachförderung wird erschwert, wenn sich Kinder mit Migrationshintergrund, die in ihren Familien vorrangig eine andere Sprache als Deutsch sprechen, in einer Kindertagesstätte ballen. So befanden sich im Jahr 2015 laut der Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2016) in Westdeutschland 34,1% aller Kinder mit nichtdeutscher Familiensprache in einer Einrichtung, in der mehr als die Hälfte der Kinder aus Familien kam, in denen nicht vorrangig Deutsch gesprochen wurde (in Ostdeutschland waren es nur 2,9%). Dieser Prozentsatz lag besonders hoch in Berlin (53,4%), Bremen (49,7%) und Hamburg (44,3%).

In der Regel erlernen Flüchtlingskinder schnell die deutsche Sprache - viel schneller als ihre Eltern. Selbst wenn es ihr Selbstwertgefühl erhöht, wenn sie dann von den Erzieher/innen als "Dolmetscher" bei Gesprächen mit ihren Eltern eingesetzt werden, sollte von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch gemacht werden, da ein solches Verhalten nicht der Kinderrolle entspricht. Gelegentlich wurde aber auch beobachtet, dass einzelne Flüchtlingskinder sich bis zu einem Jahr lang weigerten, in der Kindertageseinrichtung Deutsch zu sprechen (aber zu Hause z.B. deutsche Lieder vorsangen). Dann redeten sie von einem Tag auf den anderen in ganzen Sätzen.

Auf andersartiges Verhalten angemessen reagieren

Flüchtlingskinder bringen ein ganzes "Päckchen" von Vorbelastungen mit in die Kindertageseinrichtung (vgl. Textor 2016b):

  1. Sie haben in ihrem Herkunftsland und auf der Flucht häufig Schreckliches erlebt. Ihre Eltern konnten ihnen oft nicht beistehen, weil sie von diesen Situationen selbst betroffen waren oder ihnen ohnmächtig und hilflos gegenüber standen.
  2. Die ersten Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland waren recht chaotisch und für die Kinder verwirrend. Die Flüchtlingsfamilien durchliefen Erstaufnahmelager und Massenunterkünfte. Ein Jahr oder sogar mehrere Jahre später haben sie noch keine eigene Wohnung, sondern müssen immer noch mit anderen Flüchtlingen zusammenleben. Selbst wenn die Familie inzwischen ein Apartment gefunden oder zugewiesen bekommen hat, ist es meistens zu klein. Die Kinder schlafen entweder bei den Eltern oder zu mehreren in einem anderen Raum, haben also keine Privatsphäre und keine Rückzugsmöglichkeiten.
  3. Die Flüchtlingskinder leiden unter ihrer "Sprachlosigkeit" - je jünger sie sind, umso weniger können sie verstehen, wieso sie sich auf einmal nicht mehr mit den weitaus meisten Kindern und Erwachsenen verständigen können.
  4. Die Flüchtlingskinder leben in Armut, insbesondere wenn ihre Eltern noch keine Arbeit gefunden haben und von Sozialleistungen abhängig sind. Sie besitzen nur wenig Kleidung, kaum Spielsachen und wenige Bilderbücher. So schämen sie sich, wenn sie Spielkameraden aus der Kindertageseinrichtung nach Hause einladen - oder ihre Eltern wollen dies nicht, damit Deutsche nicht sehen, in was für beengten und primitiven Verhältnissen die Familie lebt.
  5. Flüchtlingsfamilien - und damit auch die Kinder - machen mehr oder minder häufig die Erfahrung, dass sie von anderen Menschen diskriminiert werden.

Flüchtlingskinder unterscheiden sich also von Gleichaltrigen in mehrfacher Hinsicht. So ist es nicht verwunderlich, dass sie in Kindertageseinrichtungen andere Verhaltensweisen zeigen, die zunächst einmal verstanden sein wollen. Dazu gehören beispielsweise:

  • Da Flüchtlingsfamilien zumeist hierarchisch strukturiert sind und die Eltern eine unangefochtene Autorität besitzen, erwarten deren Kinder auch von den Erzieher/innen Anordnungen und feste Regeln. Sie sind gehorsamer als deutsche Kinder.
  • Weil Flüchtlingskinder in ihrem Herkunftsland nur wenige Spielsachen hatten, sind sie von der Unmenge an Spielzeug in der Kindertageseinrichtung zunächst überfordert. Bei vielen Dingen wissen sie nicht, was man damit macht.
  • Da Flüchtlingskinder in ihrer Heimat und auf der Flucht viel Mangel erlebt haben - und in den Unterkünften noch erleben -, horten sie oft Spiel- und Bastelmaterialien. Bald merken sie aber, dass immer genug für alle da ist.
  • Ähnliches gilt für das Essen: Da sie in ihrem Herkunftsland und auf der Flucht häufig hungern oder sehr schnell essen mussten (um noch etwas abzubekommen), verhalten sie sich in der Kindertageseinrichtung zunächst ähnlich. Mit der Zeit erkennen sie aber, dass das Essen für alle Kinder reicht.
  • Weil Flüchtlingskinder zumeist in beengten Unterkünften oder sehr kleinen Wohnungen leben, in denen sie nur selten in Ruhe spielen können, spielen sie in der Kita oft längere Zeit für sich alleine und wollen dann nicht gestört werden.
  • Da sich in Flüchtlingsfamilien aufgrund der vielen Bedrohungen von außen zumeist sehr enge Bindungen ausgebildet haben, verbringen Geschwister die meiste Zeit miteinander und passen aufeinander auf, wenn sie in der gleichen Kita-Gruppe sind (dies sollte somit vermieden werden).
  • Aufgrund der stark voneinander abgegrenzten Geschlechtsrollen, der Unterordnung von Frauen und der geschlechtsspezifischen Erziehung in Flüchtlingsfamilien verweigern die Jungen oft Tätigkeiten, die sie für "Frauenarbeit" halten, oder wollen die Mädchen dominieren.

Die zuletzt genannten Verhaltensweisen sollten keinesfalls von den Erzieher/innen toleriert werden, da sie gegen die Grundwerte unserer Gesellschaft verstoßen (Gleichheit, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter).

Traumatisierten Kindern im Rahmen des Möglichen helfen

Viele Kleinkinder haben in ihrem Herkunftsland, auf der Flucht und vereinzelt auch nach ihrer Ankunft in Deutschland (mehrere) traumatische Erfahrungen gemacht und konnten diese nicht verarbeiten, weil sie von ihren verängstigten, gestressten, sich als ohnmächtig erlebenden und oft ebenfalls traumatisierten Eltern dabei nicht unterstützt werden konnten. Hinzu kommt, dass viele Eltern weitgehend mit sich selbst beschäftigt sind, weil sie z.B. den Kulturschock, die lange Untätigkeit in Massenunterkünften, ihre Arbeitslosigkeit und den Statusverlust verkraften müssen und unter Umständen psychische Probleme entwickelt haben (vgl. Textor 2016b). Traumatisierte Flüchtlingskinder zeigen in der Tagesstätte häufig Verhaltensweisen wie die folgenden:

  • Sie haben Angst vor Dunkelheit und schlafen schlecht, da dann manchmal schreckliche Erinnerungen auftauchen oder gar Albträume erlebt werden. Deshalb wollen sie oft keinen Mittagsschlaf halten oder sich nur in einem hellen Raum entspannen.
  • Sie reagieren auf plötzliche laute Geräusche panisch (z.B. auf das Zuschlagen einer Tür oder einen vorbeifliegenden Hubschrauber). Manchmal suchen sie dann Schutz oder verstecken sich.
  • Sie erleben traumatische Erfahrungen in der Form von Flashbacks wieder. Manchmal erstarren sie dann, blicken ins Leere und sind nicht ansprechbar. Herzrasen und Schweißausbrüche treten auf.
  • Sie wiederholen traumatische Erlebnisse, aber auch Kriegs- und Fluchtszenen, im (solitären) Spiel oder malen sie.

Vielfach ist aber kein direkter Bezug zu früheren Traumata ersichtlich. So sind viele der betroffenen Kinder unruhig, hyperaktiv, schreckhaft, reizbar und aggressiv. Andere Kinder wirken eher apathisch, niedergedrückt, traurig und depressiv. Wieder andere scheinen immer gestresst und erschöpft zu sein. Manche Kinder sind auf eine frühere Entwicklungsstufe zurückgefallen (Regression), nässen und koten wieder ein oder leiden unter psychosomatischen Störungen. Oft gehen traumatisierte Kinder nur oberflächliche Beziehungen ein und zeigen "flachere" Gefühle, haben sich auf der emotionalen Ebene von anderen Menschen und sich selbst entfremdet ("emotionale Taubheit"). Andere zeigen hingegen starke Trennungsängste; sie weinen und wimmern, wenn sie sich von ihren Bezugspersonen trennen sollen.

Aufgrund der ganz unterschiedlichen Symptomatik können posttraumatische Belastungsstörungen nur von Fachleuten diagnostiziert und behandelt werden. Bei einem entsprechenden Verdacht sollten entsprechende Dienste so früh wie möglich eingeschaltet werden. Allerdings ist es manchmal nicht leicht, die Zustimmung der Eltern zu bekommen, insbesondere wenn diese noch nie von posttraumatischen Belastungsstörungen und den entsprechenden Therapien gehört haben. Hinzu kommt, dass generell und insbesondere in ländlichen Regionen Traumatherapeut/innen fehlen oder - falls eine/r die Behandlung übernehmen kann - diese durch die mangelnden Deutschkenntnisse des Flüchtlingskindes und seiner Eltern erschwert wird.

Das Wichtigste, was Erzieher/innen traumatisierten Kindern bieten können, sind Zuwendung, Feinfühligkeit sowie körperliche und emotionale Nähe in einer haltgebenden, bindungsähnlichen Beziehung. Sie können dazu beitragen, dass sich die Kinder in der Kita sicher und geborgen fühlen, zu innerer Ruhe finden und sich wieder der eigenen Weiterentwicklung widmen können. Wie wichtig auch strukturierte Tagesabläufe, feste Regeln und gleichbleibende Rituale sind, wird deutlich, wenn davon abgewichen wird oder unerwartete Ereignisse eintreten: Manche Kinder sind dann gleich verunsichert und ängstlich. Sie benötigen so etwas wie eine beständige, kontinuierliche und damit vorhersehbare "Normalität".

Da Flashbacks und Traumaerinnerungen oft in Ruhesituationen oder im Schlaf auftreten, sollten es sozialpädagogische Fachkräfte akzeptieren, wenn betroffene Kinder keinen Mittagsschlaf machen oder z.B. an Entspannungsübungen nicht teilnehmen wollen (obwohl Letztere bei motorischer Unruhe und Hyperaktivität oftmals sinnvoll wären). Auch die hektische Betriebsamkeit vieler Flüchtlingskinder muss als Schutz vor Erinnerungen an traumatische Erfahrungen verstanden werden - am besten lässt man sie sich auspowern. Kommt es zu Flashbacks, holen Erzieher/innen die Kinder in die Gegenwart zurück, indem sie sie ansprechen und berühren, in den Arm oder auf den Schoß nehmen, beruhigen und dann auf andere Aktivitäten hinlenken.

Bei traumatisierten Kindern, die schon besser Deutsch sprechen, sollten es die Erzieher/innen akzeptieren, wenn diese nicht über ihre Kriegs- und Fluchterlebnisse reden wollen, sondern sie verdrängen bzw. vergessen möchten. Auch hier sollten notwendige Informationen bei den Eltern eingeholt werden.

Mit den Eltern kooperieren

Ein Gespräch mit den Eltern eines Flüchtlingskindes ist zu Beginn ihres Aufenthalts in Deutschland zumeist nur mit Hilfe eines Dolmetschers möglich. Gelegentlich finden sich wohl auch andere Kita-Eltern, die deren Sprache sprechen und übersetzen könnten, aber gerade bei Themen wie Traumata und deren psychischen Folgen, Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Probleme der Eltern kommen sie nicht in Frage, weil die Vertraulichkeit des Gesprächs nicht gewährleistet werden kann.

Dolmetscher/innen sind aber nicht nur bei Beratungs-, sondern auch bei Aufnahmegesprächen unverzichtbar. Hier muss nämlich schon nach den Gründen für die Flucht und deren Verlauf, nach dem bisherigen Leben in Deutschland, nach Traumata und deren Folgen sowie nach besonderen Belastungen der Familie gefragt werden (vgl. Textor 2016b). Aber auch andere wichtige Themen verlangen nach einer professionellen Übersetzung:

  • Das Kind: Wie bei allen Aufnahmegesprächen muss nach der bisherigen Entwicklung des Kindes, seinen Stärken und Schwächen, seinen Eigenarten und Vorlieben gefragt werden.
  • Die Erziehung: Hier geht es zum einen um die Erziehungsvorstellungen und den Erziehungsstil der Flüchtlingseltern und zum anderen um deren Erwartungen an seine Erziehung in der Kita. Während in Flüchtlingsfamilien Eltern Autoritätspersonen sind, den Gehorsam ihrer Kinder erwarten sowie Mädchen und Jungen unterschiedlich erziehen, wird in Kindertageseinrichtungen ein autoritativer Erziehungsstil und die Gleichberechtigung der Geschlechter praktiziert. Es ist offensichtlich, dass in diesen Unterschieden viel Konfliktstoff schlummert. Sie sollten schon im Aufnahmegespräch angesprochen werden.
  • Die Ernährung: Insbesondere muslimische Eltern befürchten, dass ihre Kinder in der Kindertagesstätte Schweinefleisch oder aus Schweinen hergestellte Produkte (z.B. Gummibärchen) zu essen bekommen könnten. Hier muss den Eltern verdeutlicht werden, dass die Fachkräfte religiöse Ernährungsvorschriften befolgen werden und dass auch andere Kinder in der Kita ein speziell für sie zubereitetes Essen erhalten (z.B. bei Allergien oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten).
  • Die Religion: Nicht nur bei Kindertageseinrichtungen mit einem kirchlichen Träger befürchten die Flüchtlingseltern, dass diese zum Christentum bekehrt werden sollen. Solche zumeist verheimlichte Befürchtungen sollten offen angesprochen werden. Wenn in Tagesstätten mit einem hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund auch nichtchristliche Feste gefeiert werden, beruhigt das die Eltern zusätzlich. Ist dies nicht der Fall, könnte im Kita-Team überlegt werden, ob man das nicht gelegentlich - unter Einbeziehung zugewanderter Familien - tun sollte, auch um deutschen Kindern interkulturelle Erfahrungen zu vermitteln.
  • Die Betreuung: Sind in der Kita männliche Fachkräfte tätig, die üblicherweise auch Mädchen wickeln oder auf die Toilette begleiten, ist darüber mit den Eltern zu sprechen. Hier muss vorab im Team geklärt werden, wie weit traditionellen Vorstellungen entgegengekommen werden soll.
  • Die Bildung: In den Herkunftsländern der meisten Flüchtlingsfamilien gibt es keine Kindertageseinrichtungen. Dementsprechend haben die Eltern keine Vorstellungen von der pädagogischen Arbeit der Fachkräfte - oder falsche, wenn sie eine Art "Vorschule" erwarten, in der die Kinder unterrichtet werden und ihnen vorgegeben wird, was sie zu tun haben. Deshalb sollte über den Wechsel von Freispiel und Bildungsangeboten, den Tagesablauf, die Selbstbestimmung und Partizipation der Kinder und andere Charakteristika der Kita-Arbeit gesprochen werden. Auch ein Rundgang durch die Gruppen- und Funktionsräume darf nicht fehlen, weil sie anders als Klassenzimmer aussehen.

Diese Auflistung macht deutlich, dass bei Flüchtlingseltern bei weitem mehr Zeit für das Aufnahmegespräch anzusetzen ist als bei deutschen Eltern - und dies nicht nur, weil das Dolmetschen ebenfalls Zeit beansprucht. Die Erzieher/innen sollten sich bewusst machen, dass sie so schnell nicht wieder ein Gespräch mit den Eltern führen werden, bei denen ein Dolmetscher anwesend ist, und dass im Vorfeld angesprochene unterschiedliche Vorstellungen nicht so leicht zu späteren Konflikten führen.

Hinzu kommt, dass beim Aufnahmegespräch auch über die Konzeption der Kindertageseinrichtung, den Betreuungsvertrag, die Gesundheit des Kindes und die Mitwirkung der Eltern gesprochen werden muss - relativ komplexe Themen. Ferner geht es um den Ablauf und die Gestaltung der Eingewöhnung (s.o.), wobei zu verdeutlichen ist, dass diese in allen deutschen Tagesstätten ähnlich praktiziert wird. So kann Missverständnissen vorgebeugt werden. Die Eingewöhnungszeit ist auch für die Eltern sehr wichtig, da sie hier einen Einblick in die pädagogische Arbeit bekommen und z.B. beobachten können, wie sich Erzieher/innen und Kinder in der Kita verhalten, wie sie miteinander interagieren und wie Konflikte gelöst werden.

Sieht man von dem Aufnahmegespräch unter Mitwirkung eines Dolmetschers einmal ab, so sind nahezu alle weiteren Interaktionen mit den Flüchtlingseltern aufgrund ihrer schlechten Deutschkenntnisse von begrenzter Natur. Zunächst wird wie bei ihren Kindern von der nonverbalen Kommunikation und von der Pantomime, vom Zeigen und Vormachen oder von schnell gemalten Bildern Gebrauch gemacht. Ergänzend kann auf Dolmetscher-Apps, Bildwörterbücher, mehrsprachige Lexika speziell für Erzieher/innen (Sauer/ Weber 2010) oder selbst hergestellte Karten mit wichtigen Sätzen (z.B. "Ihr Kinder hatte heute Durchfall" oder "Bitte bringen Sie morgen ... mit") zurückgegriffen werden. Aushänge oder schriftliche Nachrichten der Erzieher/innen können von den Eltern mit dem Smartphone fotografiert werden, damit der Text später von anderen Personen übersetzt werden kann. Ähnliches gilt für kurze Textbotschaften per SMS oder WhatsApp, die Eltern auch mit Hilfe eines Wörterbuches übersetzen können. Werden gelegentlich andere Kita-Eltern oder Bekannte der Flüchtlingseltern als Dolmetscher/innen eingesetzt, sollte beachtet werden, dass diese nicht alle Aussagen der Fachkräfte in all ihren Nuancen verstehen, sie zumeist frei übersetzen und gelegentlich kommentieren. Prinzipiell sollten immer die Eltern direkt angesprochen werden und nicht die Dolmetscher/innen.

Insbesondere in den ersten Wochen ist es sinnvoll, Fotos oder kurze Videos von dem Kind aufzunehmen, um den Eltern zu zeigen, was es im Verlauf des Tages macht und dass es sich in der Kindertagesstätte wohl fühlt. Solche Filme können auch ein wichtiger Bestandteil von Entwicklungsgesprächen sein, um den Eltern z.B. die Lieblingsbeschäftigungen ihres Kindes, seine Stärken und Schwächen oder problematische Verhaltensweisen zu verdeutlichen. Werden Videos mit einem Tablet aufgenommen, können sie auf diesem auch gezeigt werden; mit der Kamera oder dem Smartphone gemachte Filme müssen hingegen erst auf einen Laptop oder PC überspielt werden.

Selbst wenn beim Aufnahmegespräch der in der Tageseinrichtung praktizierte Erziehungsstil, die gleichartige Behandlung von Mädchen und Jungen, der Umgang mit Religion(en) und ähnliche Themen angesprochen wurden, kann es im Verlauf der Zeit zu diesbezüglichen Konflikten mit den Flüchtlingseltern kommen. Hier ist wichtig, einerseits Verständnis für die Eltern zu zeigen, andererseits aber auf ein Verhalten zu bestehen, wie es in deutschen Gesetzen, dem Bildungsplan des jeweiligen Bundeslandes und der Kita-Konzeption gefordert wird. Die Gleichheit aller Menschen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Kinderrechte usw. sind nicht verhandelbar.

So müssen viele Väter von Flüchtlingskindern erst akzeptieren, dass Frauen in Rollen wie Erzieherin, Kita-Leiterin oder Sozialarbeiterin einen hohen Status in Deutschland haben, von ihnen Respekt erwarten, ihnen etwas zu sagen haben, ihnen durchaus auch widersprechen und sich sogar ihnen gegenüber durchsetzen können. Und sie müssen akzeptieren, dass sich die Fachkräfte bei Elterngesprächen auch direkt an die Mütter wenden, deren Meinung erfragen und sie als gleichberechtigte Personen behandeln. Sollte eine Frau ihr Gesicht verschleiern, ist den Eltern laut Abdel Fattah (2016) zu sagen, dass sie so ihr Kind nicht von der Tagesstätte abholen kann - sie müsste in einem Raum, zu dem Männer dann keinen Zutritt haben, ihr Gesicht einer Erzieherin zeigen.

Gelegentlich erfährt eine Fachkraft, dass ein Flüchtlingskind zu Hause körperlich gezüchtigt wird, oder entdeckt sogar Spuren von Schlägen. Schwere Körperstrafen mögen wohl im Herkunftsland der Flüchtlingsfamilie ein gesellschaftlich akzeptiertes Erziehungsmittel sein, gelten aber in Deutschland als Kindesmisshandlung. In diesen Fällen sollte zunächst das Gespräch mit den Eltern gesucht und auf eine gewaltfreie Familienerziehung bestanden werden, gleichzeitig aber schon das vorgeschriebene Verfahren bei Kindeswohlgefährdung eingeleitet werden - zumindest indem der Vorfall und das darauffolgende Gespräch mit den Eltern dokumentiert werden.

Ein weiteres wichtiges Thema, das z.B. beim ersten Entwicklungsgespräch (möglichst auch mit Dolmetscher/in) angesprochen werden kann, ist die Sprachförderung. Hier gilt es den Eltern zu verdeutlichen, wie wichtig die Erstsprache des Kindes ist. Sie sollten also nicht versuchen, mit ihm Deutsch zu sprechen (zumal es dann die Sprache nur fehlerhaft lernen würde), sondern vielmehr die Erstsprache fördern, indem sie ihm z.B. Märchen und Geschichten erzählen oder Lieder, Reime und Gedichte beibringen.

Wenn die Eltern nicht möchten, dass ihre Kinder christliche Feste mitfeiern, behalten sie ihre Kinder in dieser Zeit oft zu Hause. Das ist natürlich für den Erwerb der deutschen Sprache nicht förderlich. Auf jeden Fall sollte darauf geachtet werden, dass dies nicht allzu oft passiert - manchmal ist ein unregelmäßiger Besuch der Kita oder die Ablehnung von Fördermaßnahmen auch ein Indiz dafür, dass die Bedeutung der frühkindlichen Bildung und der Sprachförderung für die weitere Entwicklung des Kindes nicht erkannt wurde. In anderen Fällen mag ein solches Verhalten für sehr enge Familienbeziehungen stehen (durch all die gemeinsam bewältigten Gefahren sind die Familienmitglieder miteinander "verschmolzen") oder aus der Befürchtung heraus erfolgen, die Familie könne das Kind an die neue Kultur verlieren, weil es bereits besser Deutsch als seine Eltern spricht und in der Kindertageseinrichtung integriert ist. Manchmal reden die Eltern dann auch schlecht über die Erzieher/innen, was die Kinder in Loyalitätskonflikte stürzen kann.

Hier wird erneut die Bedeutung einer kultursensiblen Erziehung offensichtlich: Die Eltern von Flüchtlingskindern sollten wie alle anderen Eltern mit Migrationshintergrund den Eindruck gewinnen, dass ihre Kultur und Religion seitens der Kindertagesstätte wertgeschätzt und respektiert werden. Dies gelingt am leichtesten, wenn die Eltern in die pädagogische Arbeit eingebunden werden, was auch ohne größere Deutschkenntnisse möglich ist. Beispielsweise können sie abwechselnd mit den Erzieher/innen aus mehrsprachigen Bilder-, Märchen- und Kinderbüchern vorlesen, allen Kindern Lieder und Gedichte in ihrer Heimatsprache beibringen, mit ihnen Tänze einüben oder auch nur anwesend sein, wenn z.B. kurze Filme über die Landschaft, die Natur, einzelne Ortschaften oder bedeutende Bauwerke ihres Herkunftslandes gezeigt werden. In Tagesstätten, in denen viele Kinder mit Migrationshintergrund sind, werden oft auch muslimische, buddhistische, hinduistische und andere Feste neben den christlichen gefeiert.

Vernetzungspartner einbinden

Auf der einen Seite ist es hilfreich, wenn die Kindertageseinrichtung Kontakte zu Ausländerbehörden, den Mitarbeiter/innen der Unterkünfte, in denen die Flüchtlingsfamilien wohnen, und den sie betreuenden Ehrenamtlichen aufbauen. So können sie unter Umständen erfahren, wie der Stand des Asylverfahrens ist. Noch wichtiger ist es, die Sprach- und Fachkompetenzen der vorgenannten Mitarbeiter/innen nutzen und auf deren Erfahrungen mit der jeweiligen Familie zurückgreifen zu können. Zudem besitzen sie häufig das Vertrauen der Eltern und können bei Problemen vermitteln. Ehrenamtliche sind oftmals auch bereit, den Eltern beim Ausfüllen von Formularen oder Anträgen zu helfen, wenn das Kita-Team dafür keine Zeit hat oder dies nicht als ihre Aufgabe ansieht. Ferner begleiten sie manchmal die Eltern bei Behördengängen.

Auf der anderen Seite ist die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, Jugendämtern, Frühförderstellen, Psychosozialen Zentren, Gesundheitsämtern und anderen sozialen Einrichtungen vonnöten, wenn Flüchtlingskinder verhaltensauffällig, psychisch gestört, behindert oder von Behinderung bedroht sind oder wenn ihre Eltern beratungs- und hilfebedürftig sind.

Das plötzliche Fehlen von Kindern gemeinsam verarbeiten

Flüchtlingskinder sind oft nur "Kinder auf Zeit". Manchmal haben sie sich gerade erst in der Kindertageseinrichtung eingewöhnt, und schon ziehen ihre Familien an einen anderen Ort, weil ihnen eine andere Unterkunft zugewiesen wurde oder sie dort Arbeit und eine Wohnung gefunden haben. In anderen Fällen bleibt das Kind auf einmal fort, weil der Asylantrag abgelehnt oder die Duldung beendet wurde, die Familie Deutschland sofort verlassen musste und in der Hektik die Abmeldung ihres Kindes vergaß.

In den erstgenannten Fällen ist ein Abschied von dem Kind seitens der Fachkräfte und der anderen Kinder möglich. Dieser kann z.B. in der Form einer kleinen Feier oder eines Rituals erfolgen. Bei einem plötzlichen Fortbleiben des Kindes sollte zumindest in der Gruppe darüber gesprochen werden - auch weshalb dies so abrupt geschah. Hatte das Kind bereits Freunde in seiner Gruppe gefunden, müssen diese eventuell getröstet werden.

Auch für die sozialpädagogischen Fachkräfte ist es belastend, wenn Flüchtlingskinder nach einigen Monaten oder ganz plötzlich der Tageseinrichtung fern bleiben. Die Erzieher/innen haben oft viel Zeit, Verständnis und Zuwendung in diese Kinder investiert und sind jetzt frustriert, weil die Mühe unter Umständen umsonst war. Oft machen sie sich auch Sorgen, ob die Kinder die plötzlichen Beziehungsabbrüche verkraften und nochmals die Kraft aufbringen werden, sich an einem neuen Ort und in einer fremden Kita einzugewöhnen.

Schlusswort

Die Betreuung von Kindern aus Flüchtlingsfamilien und die Zusammenarbeit mit ihren Eltern stellen an Erzieher/innen besondere Anforderungen, die über das übliche Maß hinausgehen. Schon aus Selbstfürsorge müssen sie rechtzeitig Grenzen ziehen, wenn ihnen ein Burnout droht. Zudem bedürfen sie einer besonderen Unterstützung seitens des Trägers und der Fachberatung. Auch sollten die Rahmenbedingungen (z.B. Gruppengröße, Fachkraft-Kind-Relation, Verfügungszeit) überprüft und verbessert werden. Während Fortbildungen zum Umgang mit Flüchtlingsfamilien inzwischen in allen Regionen Deutschlands angeboten wurden, mangelt es an Supervision und Beratung zu Einzelfällen.

Anmerkung

Der Artikel wurde im November 2020 aktualisiert.

Literatur

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