Rose Götte
Je dringender der Appell an die Kindertagesstätten, mehr für die Sprachförderung der Kinder zu tun, je lauter die Diskussionen um Qualitätsmanagement und Qualitätsstandards, desto größer die Verunsicherung vieler Fachkräfte, die ihre bisherige Arbeit in Frage gestellt sehen. Sollen jetzt spezifisch geschulte Sprachlehrer stundenweise im Kindergarten erscheinen und sich die Migrantenkinder "vornehmen"? Sollen jetzt täglich kleine Lektionen in Deutsch durchgenommen werden? Sollen Sprachtests durchgeführt werden? Falls ja: welche und wie oft? Sollen Bilderbücher und Memorykärtchen jetzt vor allem als Material für Wortschatzübungen genutzt werden? Müssen die Erzieher/innen jetzt alle erst einmal einen Fortbildungskurs belegen, damit sie den Anforderungen der Politiker und der Eltern genügen?
Ich werbe dafür, dass sich die Fachkräfte im Kindergarten zunächst einmal in aller Ruhe auf das besinnen, was sie während ihrer Ausbildung gelernt und an Erfahrungen während ihrer Dienstjahre gesammelt haben. Und ich werbe dafür, dass die Politiker auf Landes- und kommunaler Ebene die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Erzieher/innen ihre Fähigkeiten und Kenntnisse auch umsetzen können: Wo viele Kinder einer besonderen Förderung bedürfen, darf die Gruppe nicht die Maximalgröße haben. Wenn mit einer kleinen Gruppe intensiv gespielt bzw. gelernt wird, muss jemand da sein, der sich um die anderen Kinder kümmert. Wenn Zweijährige auf den Schoß wollen, muss sichergestellt sein, dass eine zweite Kraft den Fünfjährigen zu ihrem Recht verhilft...
Kurz, es muss bei der Diskussion um Qualitätsmanagement zunächst einmal um die Frage der Gruppengröße und des Personalschlüssels gehen. Dann allerdings stellt sich die Frage der optimalen Sprachförderung durchaus.
Das Erlernen der deutschen Sprache gelingt bei kleinen Kindern am schnellsten und nachhaltigsten durch eine ganzheitliche Sprachförderung. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass alles Tun im Kindergarten verbal begleitet und gesteuert wird. Und die Rolle der sprachfördernden Erzieherin besteht ganz einfach darin, dafür zu sorgen, dass Sprechen und Hören überall stattfindet.
Wenn in der Bauecke gebaut oder in der Puppenecke gekocht wird, müssen Dialoge entstehen. Das ist leicht möglich, wenn die Erzieherin eine Zeitlang mitspielt und die nötigen Impulse gibt: Sind die Steine für den neuen Turm schon bestellt? Ist der Architekt mit dem bisher Gebauten einverstanden? Was machen wir, wenn die Puppe schon wieder sagt, sie mag das Gekochte nicht?
Wenn am Basteltisch geschnitten, gefaltet und geklebt wird, kommt es darauf an, die einzelnen Handlungsschritte immer wieder auch verbal zu beschreiben, statt sie pantomimisch vorzugeben.
Wenn gesungen wird, müssen die einzelnen Wörter deutlich zu verstehen sein.
Wenn vorgelesen wird, müssen fremde Wörter erklärt werden.
Wenn geturnt wird, kann Sprache mit dem ganzen Körper erfasst werden: vor, hinter, zwischen den Stühlen...
In den meisten Kindertagesstätten werden im Lauf eines Jahres mehrere Projekte geplant oder Themen je nach Jahreszeit vorgegeben. Es hat sich als sehr nützlich herausgestellt, wenn dabei das Team der Erzieher/innen zunächst für sich selbst eine Wörterliste aus dem geplanten Themenbereich zusammenstellt. Daraus leiten sich dann fast automatisch die Aktionen mit den Kindern ab.
Beispiel: Das Leitungsteam hat beschlossen, ein Projekt über Schuhe durchzuführen. Gemeinsam wird eine Wörterliste erstellt : Schistiefel, Gummistiefel, Pantoffel, Sandalen... Bürste, Lappen, Schuhwichse... Absatz, Schnürsenkel, Öse... Schleife binden, lösen, bürsten, glänzen, reparieren, kaufen, anprobieren... bequem, plump, elegant, zu weit, zu eng... Diese Liste ist nicht für ein Vokabellernen der Kinder gedacht, sondern soll den Raum ausloten, in dem sich die Erlebnisse der Kinder bewegen könnten. Fast zwingend kommt man durch diese Wörterliste auf die Idee, im Kindergarten Schuhe zu putzen, einen Schuster zu besuchen, im Rollenspiel Schuhe einzukaufen - wobei die Kunden natürlich sehr anspruchsvoll sind: Mal sind die Schuhe zu groß, mal drücken sie, mal sind sie schlecht gearbeitet, mal ist das Leder zu hart... (In R. Götte: Sprache und Spiel im Kindergarten, Beltz 2002, werden auf den Seiten 101-109 26 Vorschläge zum Thema "Schuhe" gemacht).
"Qualitätsoptimierung" in der Sprachförderung besteht also häufig darin, die gewohnte und bewährte Arbeit im Kindergarten systematisch und bewusst sprachlich zu begleiten und sich dabei besonders den Kindern zuzuwenden, die sich in der deutschen Sprache nicht zu Hause fühlen.