Aus: BMW Group (Hrsg.):
Kleine Kinder - Große Begabung. Hoch begabte Kinder erkennen und fördern. Möglichkeiten und Grenzen des Kindergartens. München: BMW Group 2000, S. 85-100
Peter Winter
Die knapp viereinhalbjährige Niki wird von ihrer Erzieherin als "zunehmend schwierigeres Kind" bezeichnet. Eine "richtige Nervensäge, die fragt einem Löcher in den Bauch, mit keiner Antwort gibt sie sich zufrieden, immer will sie alles noch genauer wissen". Da das Mädchen sehr schnell auffasst und motorisch geschickt ist, löst sie Aufgaben viel rascher als die übrigen Kinder, weist diese deshalb häufig zurecht und "weiß alles besser". Solches Verhalten empfindet die Erzieherin als unangemessen und "anmaßend". Wird Niki deshalb ermahnt, zieht sie sich "schmollend" zurück, ist nicht mehr ansprechbar, lässt keinen an sich heran. Die Erzieherin hat den Eindruck, dass Niki dann "völlig abwesend ist, mit offenen Augen träumt". Gelegentlich führt das Mädchen auch Selbstgespräche. Will man sie in die Gruppe zurückholen, verhält sie sich oftmals abweisend, widerspenstig, zum Teil auch aggressiv. Zu Hause erzählt Niki "Lügengeschichten" darüber, was sie im Kindergarten alles erlebt habe. Dies belaste das Verhältnis zum Elternhaus zunehmend. Das Mädchen sei einfach anders als die Gleichaltrigen: "Wir kommen nicht mehr klar". Dies wird von der Erzieherin umso bedrückender erlebt, als sie das Mädchen sehr differenziert. wahrnimmt und so die positiven Seiten bei ihr nicht übersieht. So wird festgestellt, dass Niki außerordentlich sprachgewandt ist, nicht nur an Bilder- und Kinderbüchern, sondern auch an Fachbüchern interessiert ist. Sie kann sich an Erzählungen konkret erinnern und bemerkt selbst geringfügige Veränderungen in ihrer Umgebung oder bei Erzählungen. Großes Interesse zeigt sie an Zeit und Zeitabläufen, an der Uhr und am Kalender; kennt bereits die Wochentage und Monate. In letzter Zeit zeige sie verstärkt Interesse am Zählen und an Zahlen.
Bereits nach dieser kurzen Beschreibung kann man nachvollziehen: Niki ist fürwahr kein pflegeleichtes Kind. Das Anderssein wird häufig abwehrend als "verhaltensauffällig" bezeichnet. Niki hat Glück; ihre Erzieherin wertet nicht, sondern bemüht sich - bei aller Belastung - um genaue Beobachtung und spürt die reiche Persönlichkeitsfacette des Mädchens.
Die zunehmenden Schwierigkeiten veranlassen die Erzieherin den "Fall" bei der nächsten Teamsitzung ihren Kolleginnen vorzutragen und deren Meinung dazu einzuholen.
Die Komplexheit der Situation veranlasst das Team, die Erzieherin zu ermutigen, ihre Besorgnis und ihre Nöte ausführlich mit den Eltern zu besprechen im Sinne eines Erfahrungsaustausches über das Verhalten von Niki im Elternhaus und im Kindergarten. Außerdem sollte zur Klärung der o.g. Fragen und der Erarbeitung von Entscheidungen ein außenstehender Experte - Diplom-Psychologe und Psychotherapeut, der regelmäßig den Kindergarten aufsucht - in Anspruch genommen werden.
Im Gespräch mit der Mutter erfährt die Erzieherin, dass auch diese ihre Tochter als anstrengend erlebt, und zwar bereits "seit Niki auf der Welt ist". Im Laufe der Entwicklung hatte die Mutter zunehmend das Gefühl, immer etwas langsamer zu sein als ihre Tochter. Deren Neugierde führte sie in die entlegensten Winkel, sie wollte immer herausfinden, was hinter dem Sofa, hinter der Ecke, in der Spielzeugkiste steckt. Ihre Energie war und ist unermüdlich. Die Mutter bestätigt, dass die von der Erzieherin gemachten Beobachtungen im Kindergarten auch im häuslichen Bereich auftreten. Da der Mutter Vergleichsmöglichkeiten fehlen - Niki ist Einzelkind - hatte sie angenommen, dass die Entwicklung bei Kindern eben so verlaufe. Die Gespräche, die frei sind von Vorwürfen und Schuldzuweisungen, erleben sowohl die Mutter wie auch die Erzieherin als befreiend und erleichternd. Als die Erzieherin die Einbeziehung eines außenstehenden Fachmannes zur weiteren Klärung der noch offenen Fragen anregt, ist die Mutter dazu gerne bereit; ist dieser doch der Mutter namentlich dadurch bekannt, dass er im Kindergarten nicht nur die Supervision für Erzieherinnen, sondern auch Sprechstunden und Gesprächskreise für Eltern durchführt.
In einem ausführlichen Anamnesegespräch mit den Eltern, einer Hospitation in der Gruppe des Kindergartens, in der das Verhalten des Mädchens beobachtet, erfasst und mit der Erzieherin gemeinsam ausgewertet wurde, und einer psychologischen Untersuchung des Kindes, unter Einbeziehung der Exploration und unterschiedlicher psychodiagnostischer Verfahren, zeigte sich, dass die Gedanken und Erfahrungen, die Niki im Kopf herumgehen für sie viel wichtiger und interessanter sind, als das was um sie herum passiert. Altersgenossen werden für sie schnell "langweilig". Deshalb gestaltet sie mit imaginären Spielkameraden "ihre Welt". Die o.g. "Lügengeschichten" aus dem Kindergarten erwiesen sich als Geschichten ihrer Fantasiewelt. Dabei kann Niki nur schwer verstehen, dass die Anderen ihre Interessen, ihre Neigungen und ihre Sicht der Welt nicht selbstverständlich mit ihr teilen.
Die Synopse aller Befunde (einschließlich der eingeholten pädiatrischen) bestätigte schließlich - trotz der bekannten Schwierigkeiten, in diesem Alter eine zweifelsfreie individuelle Diagnose zu stellen - den gewonnenen Gesamteindruck, dass Niki den hochbegabten Kindern zuzurechnen ist. Dabei ging es nicht darum, dem Mädchen ein besonderes "Etikett" zu verpassen, sondern darum, die individuellen und speziellen Bedürfnisse des Kindes zu erkennen, die Eltern und Erzieher mit dieser Besonderheit vertraut machen, um Fehlentwicklungen zu vermeiden, um die Unterstützung einer optimalen Persönlichkeitsentwicklung zu ermöglichen und um eine breite Palette unterschiedlicher Angebote an Fördermaßnahmen in Angriff zu nehmen.
Dieses Beispiel zeigt, dass das Zusammenwirken verschiedener Berufsgruppen, die Vernetzung verschiedener Institutionen und Dienste mit der Kindertagesstätte zu einer Bereicherung und v. a. zur besseren Validierung einzelner Befunde führt. Damit trägt diese Kooperation ganz wesentlich zur Förderung, Stützung und Stabilisierung der Familie und (hochbegabter) Kinder bei.
Kooperationspartner
In der deutschsprachigen Literatur finden sich vergleichsweise wenig Hinweise auf Kooperationsformen und Vernetzungen zwischen Kindergärten und anderen Institutionen und Diensten. Auf dem Hintergrund einer seit über 20 Jahren bestehenden sehr engen und fruchtbaren Kooperation zwischen Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle und Kindertagesstätten wird für diese Zusammenarbeit geworben und gleichzeitig dafür plädiert, diese Vernetzung auszudehnen und den Pädiater und Kinder- und Jugendpsychiater mit zu integrieren, zur angemessenen Betreuung und Förderung nicht der bisher eher vernachlässigten hochbegabten Kinder. Denn interdisziplinäre Kooperation gewährleistet am ehesten, dass ein Höchstmaß des Aufgabenfeldes Früherkennung, Beratung, Betreuung, Förderung und ggf. Behandlung abgedeckt wird.
Hauptursachen, weshalb Zusammenarbeit vermieden wird, unbefriedigend läuft und sogar scheitert, sind Probleme auf der persönlichen Ebene, d. h. oft auch Vorbehalte, Stereotypien und Unsicherheiten gegenüber den möglichen Parteien. Partnerschaftliches Zusammenwirken erfordert daher ein Minimum an Informationsgrundlage. Deshalb wird zunächst skizzenhaft die Situation der einzelnen Kooperationspartner, Eltern, Kinderarzt, pädagogische Fachkräfte im Kindergarten, Diplom-Psychologe beschrieben.
Die Eltern
Beim Menschen ist das pränatale Stadium - im Gegensatz zum Tier - kürzer angelegt zugunsten einer längeren Lernzeit im Laufe des postnatalen Lebens. Der Mensch ist ein "Mängelwesen" (Gehlen, Portmann) und benötigt deshalb besondere Zuwendung und Pflege. Er beginnt von Anbeginn an früher und schneller zu lernen als irgend ein anderes Lebewesen. Seine frühzeitige soziale Exponiertheit ist Chance und Risiko zugleich. Sie eröffnet insbesondere Lernchancen im Hinblick von Beziehungs- und Bedeutungszusammenhängen. Sie lassen ihn aber auch angewiesen sein auf Verlässlichkeit, Sicherheit, Begegnung, emotionale Zuwendung, Erziehung, Bildung, Vermittlung von Werten und sozialer Kompetenz. Erbanlagen bedürfen stimulierender Umweltreize um zur Entfaltung und Höherentwicklung zu kommen. Besondere Bedeutung kommt hier der frühkindlichen Entwicklungszeit zu. Primär müssen sich die Gemütskräfte des Kindes entwickeln können; bei deren Vernachlässigung drohen irreversible psychische Schädigungen (Spitz, Gesell). So ist und bleibt Familie der wichtigste Ort für Kinder.
In der Zeit der Postmoderne, des rasanten gesellschaftlichen Wandels, der Pluralisierung der Lebensformen bieten tradierte Normen, Leitbilder und Werte kaum noch Orientierung für die Gestaltung von Paarbeziehungen und Kindererziehung. Das Zusammenleben mit einem Partner und mit Kind(-ern) muss individuell, eigenverantwortlich erprobt, gelernt und gestaltet werden. Familienleben ist zu einem anstrengenden und schwierigen Geschäft geworden. So ist es nur systemimmanent, dass Deutschland zu den kinderärmsten Ländern der Welt gehört und Väter und Mütter bei Geburt ihres ersten Kindes zunehmend älter (durchschnittlich 28 Jahre) sind. In einer pluralen Gesellschaft zu leben, heißt für Familie, für Erwachsene wie für Kinder, mit Ambiguitäten konfrontiert zu sein, mit Widersprüchlichkeiten und Mehrwertigkeiten leben und zurecht kommen zu müssen. Hierin liegt ein nicht zu unterschätzender Wirkfaktor für die heute so weit verbreitete Irritation, Unsicherheit, Ratlosigkeit, Stress, Überforderung und daraus resultierender Willkür. Wenn Eltern bei diesen "alltäglichen Problemen" keine Gesprächspartner haben, mit denen sie nach Wegen suchen und ihre emotionalen Reaktionen aufklären können, wirkt sich dies belastend auf ihre Beziehung aus und kann sie scheitern lassen. Neben Verwandten und Freunden sind Kinderärzte und Erzieherinnen erste Ansprechpartner bei Fragen und Problemen im Kleinkindalter.
Eltern sind ausgewiesenermaßen die beste Quelle für Informationen über ihr Kind im Vorschulalter, auch wenn ihre Einschätzungen nicht immer objektiv sein dürften. Doch bei genauem Hinterfragen in einem stressfreien zeitlichen Rahmen sind verlässliche Daten über die körperliche, geistige, emotionale und soziale Entwicklung sowie Angaben über besondere bzw. bedeutsame Ereignisse zu eruieren. Gerade für die Ermittlung von vorhandenen Stärken (und Schwächen) ist die Einbeziehung der Eltern unabdingbar.
Der Kinderarzt/Die Kinderärztin
Nach einer Regelstudiendauer von 12 Semestern Humanmedizin an der Universität erfolgt nach Bestehen der ärztlichen Prüfung eine 18-monatige Praxisphase - Arzt im Praktikum - und eine fünf Jahre dauernde Weiterbildung in Kinderheilkunde. Somit kann sich der Pädiater frühestens mit 30 Jahren in freier Praxis niederlassen. Er ist damit aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausbildung, seines Alters und des hohen gesellschaftlichen Ansehens, das der Arzt in unserer Gesellschaft besitzt, für Eltern eine Fachautorität.
Die Kinderheilkunde hat als Maßnahmen der ärztlichen Krankenversorgung neben Diagnostik und Therapie von Krankheitsbildern sehr früh auf die Bedeutung der Prävention, also der Vorbeugung, hingewiesen. Die Vorsorgeuntersuchungen (U1 - U9) sind so terminiert und angelegt, dass evtl. Abweichungen beim Kind rechtzeitig erkannt und vorbeugend behandelt werden können. Regelmäßige Besuche beim Arzt sind anzuraten; so lernt der Mediziner das Kind (und die Familie) kennen und das Kind fasst eher Vertrauen zum Arzt. Solange das Kind klein ist, ist der Kinderarzt oft erster Ansprechpartner der Eltern auch für Erziehungsfragen und bei Problemen. Gerade in solchen Situationen kann in der Hektik des Praxisalltags den hohen Erwartungshaltungen der Eltern - "der Doktor hat schon ein Rezept" - häufig naturgemäß nicht entsprochen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass der Pädiater als Vertragsarzt mit Kassenzulassung durch das Gesundheitsstrukturgesetz formal in manchen Bereichen eingeschränkt ist (z.B. Werbeverbot). Die Kooperation mit und ggf. Überweisung an fachpsychologische/psychotherapeutische Einrichtungen (z.B. Erziehungs-, Jugend-, Familienberatungsstelle) bei Fragen zur psychischen und geistigen Entwicklung hat sich hierfür bewährt. Dann kann sichergestellt werden, dass der Komplexheit der kindlichen bzw. familiären Lebenssituation, möglichst unter Einbeziehung der Beobachtung der Erzieherinnen, in einer synoptischen Zusammenschau Rechnung getragen wird unter Beibehaltung der jeweiligen fachspezifischen Eigenheit. Dies gilt um so mehr für Kinder, die "von der Norm abweichen", also auch für Kinder, die eine besondere Begabung oder eine Hochbegabung aufweisen.
Die pädagogischen Fachkräfte im Kindergarten
Der Kindergarten ist eine familienergänzende Erziehungs- und Bildungseinrichtung der Jugendhilfe, die von fast allen Kindern einer Jahrgangsstufe besucht wird. Die hohe Zahl verdeutlicht, dass außerhäusliche Erziehung und Betreuung der Kinder ab einem bestimmten Lebensalter in Deutschland zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Mit dem Eintritt in den Kindergarten beginnt für das Kind ein Wechsel zwischen zwei sehr verschiedenen Lebensumwelten. Die Bewältigung der Situation stellt hohe Anforderungen an das Kind und wird deshalb in der Fachliteratur als "Schwellensituation" bezeichnet, d.h. dieses Ereignis birgt Chancen und Risiken. Das Kind muss auf die Verfügbarkeit vertrauter Bezugspersonen jetzt zumindest temporär verzichten, ist konfrontiert mit einer neuen Umgebung, einer neuen erwachsenen Bezugsperson, einer zunächst kaum überschaubaren Anzahl von Kindern in seiner Gruppe, neuen sozialen Regeln und mit einer Vielzahl neuer Möglichkeiten. Dieser Neubeginn wird von Kindern unterschiedlich erlebt z.B. als aufregend, toll, stressig, belastend. Im Alter von drei bis vier Jahren werden Kinder somit erstmalig in ihrer Gesamtheit als Person an der "Messlatte der Gesellschaft gemessen. Im Kindergarten wird somit zum ersten Mal "öffentlich" sichtbar, wo das Kind Stärken und Potenzen, aber auch Schwächen und Schwierigkeiten hat.
Die Erzieherin ist für viele Kinder die erste erwachsene Bezugsperson außerhalb des familiären Systems. Nicht selten wird ihr vom Kind eine Mutterrolle zugemutet. Das Reden, Agieren, Reagieren der Erzieherin regt die Kinder zu Identifikation an. Die pädagogische Fachkraft initiiert und strukturiert Lernprozesse und Unternehmungen, vermittelt Sachinhalte und Fähigkeiten, stellt Beziehungen her und gestaltet sie, nimmt beobachtend - d.h. mit einer gewissen Distanz - am Gruppenleben teil ohne sich zu distanzieren, ist ruhender Pol, dem sich Kinder anvertrauen können, berät Kinder und Eltern. Ihre fachliche Ausbildung befähigt sie, u.a. frühe Indikatoren einer besonderen Begabung bzw. Hochbegabung zu entdecken und durch die Einbeziehung weiterer Berufsgruppen mit zu validieren, Die Erzieherin leistet durch ihre berufliche Tätigkeit einen wichtigen professionellen Beitrag für die Gesellschaft, wenngleich das Paradigma, das jeder erziehen könne, sich nachteilig auf die gesellschaftliche Anerkennung auswirkt und so nicht nur die berufliche Identifikation erschwert, sondern auch Ängste auslöst, die eigene berufliche Reputation könne im Zusammenwirken mit Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzten deutlich leiden.
Der Diplom-Psychologe/Die Diplom-Psychologin
Die durchschnittliche Dauer des Studiums der Psychologie an der Universität beträgt 12 Semester und schließt mit der Diplom-Hauptprüfung und dem akademischen Grad Diplom-Psychologe/in ab. Danach eröffnet sich ein weites Spektrum von Tätigkeitsfeldern. Die Wichtigsten sind: Forschung und Lehre; Arbeits-, Betriebs-, Organisationspsychologie; Markt- und Kommunikationspsychologie; Verkehrspsychologie; Forensische und Kriminalpsychologie, Schulpsychologie, Klinische Psychologie. Vor allem in den Arbeitsbereichen der klinischen Psychologie sind zusätzliche therapeutische Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen notwendig. Die Bezeichnung Psychotherapeut darf nur nach entsprechender Ausbildung und Approbation geführt werden.
Für die Zusammenarbeit gilt es also, einen entsprechend ausgebildeten und ausgewiesenen Fachmann zu gewinnen. In Bayern gibt es ein gut ausgebautes Netz, von Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstellen. Die dort tätigen Diplom-Psychologen sind vor allem auf den Bereichen Entwicklungs-, Pädagogische, Persönlichkeits-, Sozialpsychologie, Diagnostik und Beratung und Psychotherapie spezialisiert. Sie verstehen Information, Konsultation, Beratung und Therapie als ein Kontinuum von Hilfeleistungen und sind als Mitarbeiter einer Einrichtung der Jugendhilfe mit präventiven Maßnahmen vertraut. Die Komplexheit der Aufgaben an einer Beratungsstelle erfordert zwangsläufig immer wieder grundlegende fachliche Innovationen sowie eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Umfeld, das die Familiensituation mitprägt. Beratungsstellen und Kindergärten sind damit natürliche Kooperationspartner, die mit dazu beitragen können, vorbeugend zu wirken und potentiellen Klienten den Zugang zur Beratung/Therapie zu erleichtern.
Kooperationsformen
Das aus der lateinischen Sprache stammende Wort "co-operare" bedeutet Zusammenarbeit. Zusammenarbeiten macht ein gegenseitiges, aufgabenorientiertes Aufeinanderzugehen erforderlich, geschieht also nach Absprache und auf ein gemeinsam festgelegtes Ziel hin. Damit wird deutlich, dass Kooperationspartner ausreichend Zeit und Raum benötigen sich aufeinander einzustellen und um herauszufinden, wie die Zusammenarbeit - als fortlaufendes prozessuales Geschehen - optimal gestaltet werden kann. Voraussetzung ist dafür die Bereitschaft und Fähigkeit, sich gegenseitig zu respektieren. Wenn es gelingt, im gemeinsamen Gespräch die jeweiligen Kompetenzen in einfacher (!) Sprache zu vermitteln, kommt es nicht zu einem unfruchtbaren Konkurrieren. Dann findet Ergänzung und Arbeitsteilung und somit letztlich Arbeitsentlastung statt.
Als Einrichtungen in der Jugendhilfe sind Kindergärten und Kindertagesstätten bei der Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern grundsätzlich einer integrativen Zielsetzung verpflichtet. Die Kindertagesseinrichtungen sind in einem System vielfältiger Jugendhilfeeinrichtungen eingebettet, das sich mit einem Schaubild am schwarzen Brett anschaulich dokumentieren lässt (Institutionen der öffentlichen und freien Jugendhilfe, psychosoziale Dienste etc.). Nicht erst unter dem Druck eines Ernstfalles sollten mit diesen Einrichtungen persönliche, zumindest telefonische Kontakte bestehen. Dadurch sind vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung gegeben, denn das gemeinsame Ziel ist der "Dienst am Kind" und dessen Familie.
Kooperation im Kindergarten
In Kindertageseinrichtungen arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Berufsabschlüssen: Dipl.-SozialpädagogInnen (FH), ErzieherInnen, KinderpflegerInnen. Diese Konstellation stellt gruppenspezifisch eine gute Ergänzung dar; erfordert aber auf das Gesamtteam bezogen häufig einen schwierigen Balanceakt. Entscheidend ist: Nicht alle sind gleich, sondern alle Arbeiten sind gleich wichtig; nicht alle Funktionen sind austauschbar, das Maß der Verantwortung ist unterschiedlich; aber als Mensch sind alle im Team gleich viel wert. Das Team, also die Arbeitsgruppe, ist ein Gespann, das kräftesparend in dem sehr komplexen Arbeitsfeld an der Umsetzung gemeinsamer Ziele (Konzeption) arbeitet. Tagtäglich werden die Mitarbeiterinnen im Kindergarten konfrontiert mit einer Vielzahl von Äußerungen und Verhaltensweisen von Kindern, die sich nach Alter, Geschlecht, Persönlichkeitsstruktur und familiärem Hintergrund unterscheiden. Dabei tauchen öfters Fragen auf wie: Ist dieses Verhalten alters- bzw. normgerecht? Wo könnten die Ursachen für diese Verhaltensmerkmale liegen? Welche Auswirkungen zeigen sich bei den anderen Kindern, der Gruppe insgesamt. Erscheint das Kind "anders", möglicherweise "auffällig" oder handelt es sich um eine subjektive Bewertung. Nur das Zusammenwirken aller MitarbeiterInnen stellt sicher, dass relevante psychische, physische, interaktionale und soziokulturelle Variablen und deren Wechselbeziehung beim einzelnen Kind erfasst und kritisch reflektiert werden. Kooperation der pädagogischen Fachkräfte ist somit tagtäglich ein notwendiger Bestandteil eines Kindergartens.
Kooperation Kindergarten - Eltern
Um dem Auftrag einer familienunterstützenden und -ergänzenden Einrichtung gerecht werden zu können und um adäquate kindgerechte Förderung sicherzustellen, ist darüber hinaus eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen MitarbeiterInnen sind Eltern unabdingbar. Gerade die Anfangsphase des Kindergartenbesuches stellt eine wichtige Weichenstellung für das zukünftige Mit- oder Gegeneinander dar. Gilt es doch zu berücksichtigen, dass im Kindergarten erstmalig Eltern und professionelle ErzieherInnen aufeinandertreffen. Menschen mit unterschiedlicher Lebenserfahrung, unterschiedlichen Charakteren, Einstellungen. Verhaltensweisen, Normen und Werten. Diese Unterschiedlichkeiten gilt es immer wieder miteinander in Beziehung zu bringen, miteinander zu vereinbaren. Nur im Zusammenwirken, in der dialogischen Beziehung aller Beteiligten kann der Kindergarten seine Aufgabe adäquat lösen. Aber das Offen-Aufeinander Zugehen ist nicht einfach und muss erarbeitet werden. ErzieherInnen beklagen zurecht, dass sie in ihrer Ausbildung kaum etwas über Elternarbeit, über Gesprächsführung und über Beratung erfahren haben. Herzklopfen, Bauchweh und Unwohlgefühle der ErzieherInnen vor Elterngesprächen und Elternabenden sind deshalb nur allzu ErzieherInnen äußern oft die Sorge, von den Eltern nicht richtig verstanden zu werden, "besserwisserisch" zu erscheinen und dann Vorwürfe von den Eltern bzw. Schwierigkeiten mit den Eltern zu bekommen. Tatsächlich handelt es sich hier um eine für alle Beteiligten recht schwierige Situation.
Was können Erzieherinnen tun, um gute Voraussetzungen zu schaffen, um die Mitarbeit von Eltern zu erleichtern? Von Beginn an gilt es sich nicht nur als Partner der Eltern zu definieren, sondern Partnerschaft zu leben und einen tragfähigen, regelmäßigen Kontakt zu den Eltern aufzubauen. In der täglichen Begegnung - wenn das Kind gebracht und abgeholt wird - ergeben sich vielfältige Möglichkeiten des Austausches, wie sich das Kind in den verschiedenen Lebenssituationen Kindergarten und Familie verhält. So kann Vertrauen entstehen und wachsen und bei auftauchenden Fragen oder Problemen ohne "Dramatik" rasch und selbstverständlich Rücksprache genommen werden. Die Erzieherin erlebt das Kind in vielen verschiedenen Situationen des Alltags und kann seine Entwicklung jeden Tag beobachten. Gerade die Beobachtung ist eine besondere Stärke der pädagogischen Fachkraft. Bei einer verstehenden Grundhaltung (Empathie), bei einem beschreibenden, nicht wertenden Skizzieren des kindlichen Tuns können Eltern die Erzieherin als modellhafte Gesprächspartnerin erfahren und erleben, wie eigene Sicht und Verhaltensweisen reflektiert und zur Disposition gestellt werden.
Erzieherinnen sind aber keine Eheberater oder Psychotherapeuten und müssen sich auch gegen unberechtigte Ansprüche der Eltern abgrenzen. Hier hat die Erzieherin die Aufgabe, die Eltern über die im jeweiligen Einzelfall sinnvollen Angebote, im Gesundheitswesen oder in der Jugendhilfe zu informieren und sie zu deren Nutzung zu motivieren (vgl. Schaubild am schwarzen Brett).
Kooperation Kindergarten - externe Berufsgruppen
Bei der Abklärung besonderer Fragestellungen oder bei Problemen (vgl. Beispiel aus der Praxis, S. 1) ist die Einbeziehung von fachpsychologischen Einrichtungen. Kinderärzten, und sofern in der Region vorhanden, Kinder- und Jugendpsychiatern indiziert.
Auf der formalen Ebene handelt es sich bei einer solchen Kooperation zunächst um einen wesentlichen Aspekt der Arbeitskonzeption eines Kindergartens, der zwischen dem Träger, der Kindergartenleitung und dem Elternbeirat abgesprochen werden muss. Für das Zusammenwirken in einem ganz konkreten Einzelfall gilt, dass die Eltern eines Kindes selbstverständlich darüber informiert werden und zustimmen müssen, dass die Einbeziehung weiterer Berufsgruppen vorgesehen ist.
Die geplante Kooperation erfordert die Terminvereinbarung für das durch nichts zu ersetzende persönliche Gespräch mit dem Kooperationspartner. Inhalt des Gesprächs wird die gegenseitige Information über organisatorische, aber auch inhaltliche Aspekte der eigenen Arbeit und ihrer Zielsetzung sein. Von Beginn an muss klar und offen über die gegenseitigen Erwartungen und die eigenen Möglichkeiten und Grenzen (!) gesprochen werden. Dabei muss deutlich werden, dass Erziehung nirgendwo ohne Konflikt möglich ist; deshalb müssen auch Enttäuschungen mit in die Arbeit einkalkuliert werden.
Erfahrungsgemäß hängt die Qualität der Kooperation und die damit verbundene Zufriedenheit wesentlich davon ab, inwieweit es gelingt, diese über fallbezogene Kontaktaufnahme hinaus kontinuierlich zu gestalten. Deshalb gilt es die Regelmäßigkeit der Kontakte und die Kontinuität von Personen sicherzustellen. Die Kooperation "lebt" davon, dass die Personen sich kennen (lernen), aufeinander einstellen können und vertraut werden miteinander. Außerdem ist die Kontaktaufnahme mit den Eltern wesentlich leichter, wenn die "Externen" persönlich im Kindergarten bekannt sind. Die Präsenz der Externen vor Ort im Kindergarten ist kennzeichnend für eine Form der Hilfe, die sich an der Lebenswelt des Kindes orientiert. Sie erleichtert die Erreichbarkeit und sichert ein niederschwelliges Angebot mit kurzen Wegen.
Schluss
Jedes Kind, auch das hochbegabte, soll das bekommen, was es braucht, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachleuten, die sich gegenseitig ergänzen. Nur so entsteht ein Verbund, ein Netz von Hilfen, das tragfähig ist für eine gedeihliche Entwicklung und Erziehung aller Kinder und auffängt, wo Klärung, Begleitung und neue Zielsetzung nötig wird.
Autor
Dr. Peter Winter
Einrichtungsleiter eines Verbundsystems präventiver, ambulanter, teilstationärer Einrichtungen der Jugendhilfe im Landkreis Donau-Ries
Donauwörth