Katrin Correll
Max schlägt, Lea schubst, Tim beißt, Anna boxt oder Jakob tritt.
Jede Krippenmitarbeiterin kann dies täglich beobachten. Diese Situationen sind keine Seltenheit. Einzelne Kinder können durch ihr unkontrolliertes Verhalten jegliche pädagogische Arbeit unmöglich machen, da die ganze Kraft für ihre "Bändigung" vonnöten ist. Auch wenn dies oft nur kurze Phasen sind, so leiden doch alle.
Ich möchte mich mit der Frage beschäftigen: Wie reagiere ich als Betreuerin auf aggressives Verhalten von Krippenkindern? Wie greife ich im konkreten Konfliktfall ein? Sind Bestrafungen sinnvoll? Und soll sich der "Täter" entschuldigen?
Um den Umgang mit Aggressionen im Kleinkindalter näher zu beleuchten, möchte ich auf die Konfliktmotive von Kleinkindern eingehen, da diese sich deutlich von denen älterer Kinder unterscheiden und ein geeignetes Eingreifen das Verstehen der kindlichen Sichtweise voraussetzt. Im Anschluss folgt die richtige Intervention bei aggressivem Verhalten. Hier erläutere ich zum einen klare Regeln, wie man sich verhalten sollte, zum anderen aber auch, dass nicht alle Situationen gleichermaßen gelöst werden können. Wie wichtig Prävention ist, füge ich als Abschluss hinzu.
Weshalb kommt es bei Kleinkindern zu Konflikten?
Eine Studie von Schweizer Entwicklungsforschern (Simoni u.a. 2008 in Haug-Schnabel 2009, S. 53) hat sich mit dem Konfliktverhalten bei Kindern im Alter von 8 bis 22 Monaten beschäftigt. In den Untersuchungen hat sich deutlich gezeigt, dass sich Konflikte aus ganz anderen Motiven ergeben als dies bei älteren Kindern der Fall ist. In dem Buch "Aggressionen bei Kindern" werden die zentralen Ergebnisse der Schweizer Studie zusammengefasst.
- Bei acht Monate alten Kindern waren zwei Hauptmotive festzustellen, zum einen die unterbrochene Handlung: Hier war es für die Kinder nicht möglich, die gewollte Aktivität weiter auszuführen. Kinder wollen das Objekt, mit dem sie gespielt haben, zurückbekommen. Hierbei kommt es aber nicht zu aggressivem Verhalten dem Spielpartner gegenüber, es ging den Kindern ausnahmslos darum "nur ihr Objekt wiederzuerlangen, um ihre unterbrochene Aktivität fortzusetzen" (Haug-Schnabel 2009, S. 54). Auch wurde das Spielzeug im Anschluss immer selbst benutzt. Hatte das Kind das Interesse am Objekt verloren, war somit auch der Konflikt beendet. Besitzverständnis spielt in diesem Alter noch keine Rolle, da hierzu eine "bewusste Ich-Andere-Unterscheidung (Selbstrepräsentation) vorausgesetzt wird, mit der erst im Alter ab 18 Monaten zu rechnen ist" (Haug-Schnabel 2009, S. 54). Das Objekt ist zentrales Interesse. Das Kind hat gelernt, bestimmte Dinge zu sehen und gezielt danach zu greifen. Hier geht es darum, die "visuelle Welt mit der taktilen Welt zu koordinieren" (Hédervári-Heller 2011, S. 38).
- Zum anderen die Neugierde und das Explorationsverhalten: Kinder entdecken Dinge bei Anderen - Dinge, die ihr Interesse wecken. Sie versuchen, es den anderen wegzunehmen. Hier geht es wiederum aber nicht um Besitzbedürfnis oder Eifersucht, diese "würden höhere kognitive und sozialemotionale Fähigkeiten voraussetzen, während Exploration nachweislich eine Basismotivation bedeutet, die von Geburt an vorhanden ist" (Haug-Schnabel 2009, S. 55). Ein Objekt, das ein anderes Kind in der Hand hat, ist besonders attraktiv, weil es bewegt wird. Dabei ist die Aufmerksamkeit auf sich Bewegendes entwicklungspsychologisch gesehen zweifellos eine Anpassungsleistung, die notwendig für das Überleben war (vgl. Bensel/ Haug-Schnabel 2008, S. 17). Dies heißt nicht, dass nicht bereits im Säuglingsalter ein "soziales Interesse an anderen Kinder besteht" (Haug-Schnabel/ Bensel 2007, S. 24), sondern hier geht es vielmehr um gegenseitige Nachahmung, die nicht selten ein Objekt betrifft, das beide Kinder explorieren möchten.
- Ab einem Alter von 14 Monaten kommen weitere Konfliktmotive hinzu, allen voran die erweckten Bedürfnisse: Eine typische Situation wäre in diesem Fall, dass ein Kind, das ein Anderes beobachtet, wie es aus seiner Trinkflasche trinkt, und dann versucht, die Flasche selbst zu bekommen. Es geht hier in erster Linie darum, "das Nächstliegende zu tun, um sein Bedürfnis möglichst schnell zu befriedigen" (Haug-Schnabel 2009, S. 55). Sobald das Bedürfnis befriedigt ist, wird das Objekt uninteressant.
- Jetzt kommt auch der Wunsch auf, etwas zu bewirken: Die ersten Ansätze der Selbstrepräsentation lassen sich erkennen. Kinder sehen sich selbst als Verursacher. "Das Kind entwickelt ein neues Empfinden davon, wer es selbst und wer sein Gegenüber ist und welche Interaktionen nun stattfinden können" (Steudel 2008, S. 62). Langsam beginnt das Kind, Interesse am Konfliktpartner zu bekommen. Die Reaktion des Anderen wird beobachtet und erforscht und die mögliche Einflussnahme geprüft.
- Im Alter von etwa 22 Monaten kommen weitere Konfliktthemen hinzu: In diesem Alter fangen Kinder an, ihren Besitz einzufordern und zu verteidigen. Viele Kinder verwenden zunehmend das Pronomen "mein" (vgl. Haug-Schnabel/ Bensel 2007, S. 18). Sie umarmen Objekte oder horten Spielsachen, auch ohne mit ihnen zu spielen. Jetzt ist es den Kindern wichtig, bestimmte Dinge zu haben.
- Etwa zum gleichen Zeitpunkt haben die Schweizer Forscher das Thema Hierarchie bei Kindern festgestellt; Kinder kämpfen teils erbittert um Gegenstände. Sie wollen die alleinige Entscheidung über ihre Spielsachen. "Hier beginnt aggressive soziale Exploration, denn das eigentliche soziale Ziel solcher Konflikte ist es, sich einen besseren Platz in der Rangordnung zu sichern, der dadurch gekennzeichnet ist, möglichst viel zu sagen zu haben" (Haug-Schnabel 2009, S. 37).
- Ein weiteres Konfliktmotiv ist die Kontakt- und Erregungssuche: Die aggressiven Verhaltensweisen dienen dazu, auf sich aufmerksam zu machen und somit mit anderen Kindern und Erzieher/innen in Kontakt zu kommen. Einsamkeit oder auch Langeweile können der einfache Grund dafür sein. So erhalten Kinder zumindest irgendeine Art der Zuwendung, die ihnen in manchen Fällen besser erscheint als gar keine Reaktion (vgl. Schmidt-Lack 2000, S. 88).
Das interessante Ergebnis dieser Studie ist, dass das Eingreifen von Seiten der Betreuer nicht berücksichtigt wird, dass das Bedürfnis nach Exploration oft Motiv für Konflikte ist. Um adäquat mit dem Verhalten von Kleinkindern umzugehen und die richtigen Maßnahmen zu treffen, sollte man sich über die Motive bewusst werden und nicht - schlimmstenfalls - Kinder für ihre Neugierde bestrafen.
Entwicklungspsychologischer Hintergrund: die Theory of Mind
Hierbei handelt es sich um die Theorie, ab wann Kinder verstehen, dass andere Menschen Unterschiedliches fühlen, denken oder wissen. Es geht um grundlegende kognitive Fähigkeiten bei Kindern, die ein Verständnis für Konflikte und deren Bewältigung voraussetzen. "Unter der Theory of Mind wird die Fähigkeit verstanden, die eigenen geistigen Zustände und die anderer zu verstehen" (Kain u.a. 2006, S. 21). In welchem Maße sind nun aber Kinder unter drei überhaupt in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen, geschweige denn zu verstehen, dass das, was sie denken, fühlen und wollen, sich von ihrer Umwelt unterscheidet?
Die Entwicklungspsychogen Bartsch und Wellmann gehen davon aus, dass Kinder erst im Alter von vier bis fünf Jahren über die Fähigkeit verfügen zu erkennen, dass andere Menschen einen eigenen Kopf und eigene Gedanken besitzen (zitiert nach Smith u.a. 2007, S. 109). Allerdings gibt es hierzu widersprüchliche Aussagen. Der Hessische Bildungsplan verweist auf andere Untersuchungen, die davon ausgehen, ein Kind wäre schon viel früher in der Lage, seinem Gegenüber eigene Gefühle zuzuordnen (vgl. Bildungs- und Erziehungsplan, 2010, S. 61). Hartmut Kasten (2008, S. 83) schreibt in seinem Buch "Soziale Kompetenzen", dass verstandesmäßige Perspektivenübernahmen erst in der zweiten Hälfte des vierten Lebensjahres möglich sind, da erst zu diesem Zeitpunkt entsprechende Großhirnbereiche ausgebildet sind. Empathie, also Gefühlansteckung, ist allerdings bereits wesentlich früher möglich.
Deshalb ist es wichtig, sich bei der Lösung von Konflikten in der Krippe immer wieder zu vergegenwärtigen, dass Kinder im Kleinkindalter über viele Fähigkeiten noch nicht verfügen: etwa, die Wirkung des eigenen Verhaltens auf andere vorauszusehen, Missverständnisse zu verstehen oder Handlungen Anderer auf zugrunde liegende Absichten zurückzuführen. Dieses Wissen ist die entscheidende Grundlage des pädagogischen Verhaltens im Konfliktfall.
Wie intervenieren im Konfliktfall?
Die meisten Kinder kommen im Alter zwischen neun Monaten und dem ersten Geburtstag in die Krabbelstube. Diese Zeit ist vor allem durch die rasant wachsende Bewegungsentwicklung gekennzeichnet. Ein Kind, das anfangs nur robbend und drehend wenige Meter weiter kommt, kann wenige Monate später aufrecht gehen und, wenn auch oft noch unsicher, schnell laufen. Jetzt ist es dem Kind möglich, seine Umwelt selbst zu erkunden. Dies führt dazu, dass "aufgrund der gestiegenen Beweglichkeit, der stärkeren Kraftentfaltung, der größeren Fingerfertigkeit sowie des immer gewitzteren Einsatzes von Hilfsmitteln zum Ende des ersten Lebensjahres Verbotsübertritte und Aggressionen immer häufiger werden" (von Salisch 2000, S. 64).
Schnelles Eingreifen im Konfliktfall
Aber wie gehe ich damit um, wenn die Kinder aufeinander einschlagen, sich die Sachen gegenseitig aus der Hand reißen und zeitweise zur Gefahr für ihr gesamtes Umfeld werden? Wie kann man ihnen helfen, schnell und bestenfalls ohne Schaden für sich und die Anderen wieder in den Krippenalltag zurückzufinden?
Die wichtigste Regel hierfür ist: Fehlverhalten hat Konsequenzen. Kinder erwarten, dass der Erwachsene stärker ist und die Situation im Griff hat. "Bei Unsicherheit benutzen Kinder das emotionale Signal ihrer Bezugspersonen als Orientierung für ihr eigenes Verhalten. Dies dient dazu, am Wissen der Erwachsenen teilzuhaben und dies für die Steuerung des eigenen Verhaltens zu nutzen" (von Salisch 2000, S. 62). Das heißt also, schnell und eindeutig von Erwachsenenseite einzugreifen: die Kampfhandlung zu beenden, indem man sich zwischen die beiden Kinder stellt. Und am besten auf Augenhöhe mit ihnen deutlich und bestimmt, aber doch ruhig zu sprechen. Am besten ist es, sie dabei zu halten oder zumindest zu berühren. Auch ist es sinnvoll, die Kinder mit Namen anzusprechen. Dies signalisiert, dass man genau dieses Kind meint. Es ist wichtig, den Kindern zu zeigen, dass man als Erwachsener die Sache überblickt und einen Ausweg kennt (vgl. Haug-Schnabel 2009, S. 118).
Aber auch bei dieser akuten Notfallversorgung darf man das individuelle Bedürfnis der einzelnen Kinder nicht außer Acht lassen. Nicht alle Kinder ertragen in dieser Situation Berührung, und es würde bei ihnen weitere Aggressionen hervorrufen, wenn man versuchen würde, sie unbedingt festzuhalten. Andere brauchen genau jetzt viel Nähe und suchen den Schoß oder zumindest die Hand der Bezugsperson.
Klares Nein und deutliche Grenzen
Kinder brauchen ein klares, deutliches "Nein", das ihnen Grenzen zeigt - ihre eigenen und die ihrer Spiel- und Interaktionspartner. Ein "Nein" ohne Liebesentzug und ohne geschmälerte Wertschätzung. Kinder im Krabbelstubenalter erweitern durch Neugier und Explorationsfreude ihre Aktionsgrenzen. Sie versuchen, ihren Handlungsspielraum stetig zu vergrößern. Exploration ist Lernen. Gerade im Hinblick darauf ist das "Nein als hochprozentiges 'Medikament' zu verstehen und auch so einzusetzen" (Haug-Schnabel 2009, S. 134). Bekommen die Kinder in jeder Situation - ohne auch nur die Grenze zu kennen, die sie erreicht haben - schon das "Nein" zu hören, gewöhnen sie sich daran, überhören es und reagieren kaum mehr darauf. "Nein" sollte den Situationen vorbehalten sein, die Gefahr bedeuten, oder als Reaktion auf aggressives, nicht zu duldendes Verhalten erfolgen. Kinder sehen dabei ihre Betreuungspersonen in der Regel zunächst an und dann wieder weg. Dabei prüfen sie die Ernsthaftigkeit und Klarheit eines Verbotes, etwa indem sie beispielsweise nochmals zuhauen (vgl. von Salisch 2000, S. 64). Eine deutliche Reaktion von Seiten der Bezugsperson, die namentliche Ansprache und ein reduziert eingesetztes unmissverständliches Nein, erhöht die Wirksamkeit und führt eher zur Einhaltung.
Gabriele Haug-Schnabel (2009, S. 135) verweist in ihrem Buch "Aggressionen bei Kinder" auf Untersuchungsergebnisse, die belegen, dass Bezugspersonen, die weniger verbieten, folgsamere Kinder haben. Grund dafür scheint zu sein, dass Erwachsene, die das eigenständige Erkunden der Kinder nicht als lästig, sondern als altersgemäßes Bedürfnis verstehen, Kindern den nötigen Raum geben, dies auszuleben. Das führt zur positiven Bestärkung - die beste Möglichkeit, Verhalten gezielt zu verändern. Ein kindgerechtes, altersgemäßes Umfeld lässt die Bedürfnisse kleiner Kinder zu, ohne von vornherein überall Grenzen zu setzen. Wenige, dafür aber einfache, eindeutige Regeln geben Orientierung. So können bereits zehn Monate alte Kinder auf Ge- und Verbote reagieren. "Sie willigen ein, sie müssen nicht folgen - ein interessanter Unterschied" (Haug-Schnabel 2009, S. 135).
Individuell eingreifen
Kinder sind unterschiedlich. Der Altersunterschied der Kinder in der Krippe beträgt zwar höchstens 2,5 Jahre, trotzdem können die Differenzen kaum größer sein. Zwischen einem neun Monate alten Säugling und einem Kind, das kurz vor dem Kindergartenstart steht, liegen Welten. Der Säugling kann sich kaum allein vom Fleck bewegen und braucht jemanden, der ihn füttert, trägt und in den Schlaf wiegt - das baldige Kindergartenkind erzählt mittlerweile ganze Geschichten, geht selbständig zur Toilette und spielt erste Brettspiele (vgl. Haug-Schnabel/ Bensel 2008, S. 18 f.). Eines lässt sich aber auf jeden Fall sagen: "Je jünger ein Kind, umso kurzfristiger kalkuliert es und lässt negative Konsequenzen außer Acht" (Schmidt-Lack 2000, S. 113).
Aber nicht nur bezüglich des Alters unterscheiden sich die Kinder gewaltig voneinander. Eine individuelle Besonderheit, die schon früh in der Entwicklung zu beobachten ist und relativ stabil bleibt, ist das Temperament. Die verschiedenen Temperamente gehen unterschiedlich mit Konflikten um, bewältigen sie anders:
- Schüchterne, gehemmte Kinder. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie Konflikten - wann immer möglich - aus dem Weg gehen. Sie werden selten aggressiv und wehren sich seltener. Diese Kinder benötigen Bezugspersonen, die ihnen Mut machen.
- Kinder, die negative Emotionalität an den Tag legen. Die Tendenz zu Konflikten ist hier eher häufig. Kinder reagieren manchmal übermäßig in unbedeutenden Situationen. Diese Kinder brauchen wachsame Bezugspersonen, die notfalls schnell eingreifen (vgl. Kain 2006, S. 18).
- Kinder mit positiver Emotionalität (Soziabilität) sind sehr beziehungsorientiert. Sie sind eher kompromissbereit und einsichtig. Konflikte treten selten auf. Sie benutzen früh verbale Lösungsstrategien. Als Bezugsperson braucht man nicht immer sofort eingreifen (vgl. Weymann 2011, o.S.).
- Kinder mit niedriger Anpassungsfähigkeit sind schnell gereizt und weinen rasch. Konflikte sind hier oft schwer zu lösen. Sie brauchen viel Unterstützung.
- Ein weiteres Temperamentsmerkmal ist die hohe motorische Aktivität bei Kindern. Hier kommt es häufiger zu Konflikten, gerade durch schnelle und unbeabsichtigte Handlungen. Hier ist es Erziehungsaufgabe, die unruhigen, impulsiven Kinder sanft zu bremsen (vgl. Kain u.a. 2006, S. 16).
Die Individualität der Kinder in einer Krippe zu erkennen, erfordert eine intensive Beobachtung, ist aber von entscheidender Bedeutung im Umgang mit kindlichen Konflikten.
Emotionalen Zustand der Kinder erkennen
Eine gute Betreuer-Kind-Beziehung trägt zur Lösung von Konflikten bei. Kinder benutzen die Informationen, die ihnen vermittelt werden, um Ereignisse zu verstehen, die für sie mehrdeutig sind oder ihre eigenen Fähigkeiten der Bewertung übersteigen. Diese soziale Bezugnahme wird "Affektabstimmung" genannt. Voraussetzung für das Funktionieren dieser Art von Abstimmung ist die Fähigkeit der Bezugsperson, den emotionalen Zustand des Kleinkindes am Verhalten abzulesen. Außerdem muss sich sein Verhalten direkt und für das Kind erkennbar auf es beziehen (vgl. von Salisch 2000, S. 63).
Damit diese soziale Bezugnahme funktioniert, ist eine gute und sichere Bindung zu einer Betreuungsperson von Nöten. Feinfühliges Reagieren auf kindliche Bedürfnisse ist hierfür eine gute Voraussetzung. Dazu gehört es, die Signale des Kindes wahrzunehmen, sie richtig zu interpretieren und prompt und angemessen auf sie zu reagieren (vgl. Hessischer Bildungs- und Erziehungsplan, 2010, S. 22). Kinder brauchen die Gewissheit eines kompetenten, ihnen zugewandten Erwachsenen, der sie im Konfliktfall nicht allein lässt. Gerade in der frühen Kindheit bedarf es für die gesunde Entwicklung Nähe, Regelmäßigkeit, Stabilität, Kontinuität und Gegenseitigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen (vgl. Schmidt-Lack 2000, S. 119).
Konsequenz ohne Bestrafung
Disziplinierungsmaßnahmen und negative Sanktionen haben gerade in der Krabbelstube bei Kleinkindern eher den Sinn, den Rest der Gruppe vor einem Kind zu schützen, falls es nicht anders möglich ist. Ansonsten sollte Abstand genommen werden von subtilen Maßnahmen wie Vorenthaltung von Zuwendungen, Liebesentzug, aber auch Kritik oder gar Bloßstellung. Diese Interventionen erweisen sich in der Praxis als kontraproduktiv. "Man muss hier darauf hinweisen, dass eine Bestrafung des Übeltäters zu einer Verfestigung des Fehlverhaltens führen kann" (Weymann 2011, o.S.). Hier wird nicht das kindliche Verständnis für die Notsituation oder Hilfsbedürftigkeit der anderen gefördert, sondern erzeugt beim Kind negative Reaktionen wie Schuldgefühl, Trotz, Angst und Verunsicherung (vgl. Kasten 2008, S. 87). Dadurch kann erneut aggressives Verhalten entstehen.
Kleinkinder brauchen in solchen Situationen ihre Bezugspersonen als sichere Basis. Es braucht die Erfahrung, sich in emotionaler Not auf einen Erwachsenen verlassen zu können. Auf eine "Strafbank" gesetzt zu werden, verstärkt in diesem Alter nur das Gefühl des Verlassenseins (vgl. Hédervári-Heller 2011, S. 114). Bestrafungen als solche beschneiden nur das natürliche Bedürfnis nach Exploration. Das heißt aber keinesfalls, dass Fehlverhalten keine Konsequenzen haben soll. "Nur das Setzen konsequenter, aber auch einsichtiger Grenzen schafft die so wichtigen klärenden Verhältnisse, in denen ein Kind handlungs- und dadurch entscheidungsfähig wird" (Haug-Schnabel 2009, S. 134).
Wie Konflikte verhindern?
Prävention bezeichnet den Versuch, Probleme zu verhindern, und zwar bevor sie entstehen. "Prävention beschäftigt sich vorauseilend mit etwas, was noch gar nicht existiert" (Haug-Schnabel 2009, S. 64). Wenn dem Kleinkind vermittelt werden kann, dass es vorteilhaftere und wesentlich geeignetere Wege gibt als zuzuschlagen, wird sich auch sein Konfliktverhalten verändern.
Angemessene Maßnahmen zur Vermeidung von Ausschreitungen zu kennen und einzusetzen, ist wichtiges Werkzeug im Krabbelstubenalltag. Es spielt eine entscheidende Rolle, wie Konflikte gelöst werden: "Löst man [sie] einvernehmlich, sachlich oder gewinnt der Stärkere?" (Weymann 2011, o.S.). Eines scheint beim Umgang mit Aggressionen auf jeden Fall klar zu sein: Wenn Prävention vor aggressiven Ausschreitungen schützen soll, muss sie im Säuglingsalter beginnen. Möglichst frühes präventives Eingreifen ist wichtig, da von Jahr zu Jahr die Beeinflussbarkeit des Entwicklungsverlaufs abnimmt (vgl. Haug-Schnabel 2009, S. 64).
Wichtig ist Prävention aber besonders, weil sich einmal gezeigte Aggressionen als relativ stabil erwiesen haben. Frühe aggressive Tendenzen bei Kleinkindern haben auch Auswirkungen auf das Verhalten in Kindergarten und Grundschule. Großuntersuchungen bestätigen sogar, dass es über einen Zeitraum von 20 Jahren möglich ist, die Gewaltbereitschaft Erwachsener vorauszusagen (vgl. Haug-Schnabel 2009, S. 64). Dies bestätigt auch der Bielefelder Gewaltforscher Hurrelmann. Seine Untersuchungen zu Interventionsmöglichkeiten, um den Kreislauf von Gewalt unter Kindern zu durchbrechen, sprechen eine ähnliche Sprache: "Je häufiger ein Individuum bereits aggressiv reagiert hat, desto wahrscheinlicher trifft es die gleiche Wahl. Der Mensch geht von seinen Erfahrungen in der Vergangenheit aus. Überwog der Nutzen von Aggression die negative Konsequenz, führte sie häufig ans Ziel, ergibt sich ein inneres Okay" (zitiert nach Schmidt-Lack 2000, S. 113).
Um aggressive Konflikte zu verringern, sollte die Einrichtung sich einige zentrale Fragen stellen (vgl. Kain 2006):
- Ist der Betreuungsschlüssel angemessen?
- Wie ist es mit dem Platzangebot?
- Sind ausreichend Tobe- und Bewegungsräume vorhanden?
- Werden genügend Aktivitäten für alle Altersklassen durchgeführt?
- Können Rollenspiele gefördert werden?
- Gibt es Rückzugsmöglichkeiten?
- Ist die Gruppengröße angemessen?
Am allerwichtigsten ist es aber, Bedürfnisäußerungen der Kinder wahrzunehmen. Prävention ist, den Kindern - auch wenn im Moment keine Zeit ist - zu signalisieren, dass sie verstanden werden. Greifen Erwachsene nicht ein, ist die Passivität eine zusätzliche Bestätigung für den Aggressor (vgl. Haug-Schnabel 2009, S. 71). Sie sollten also auf die Kinder eingehen und somit den Grundstock für Empathie schaffen, denn Empathie ist nicht angeboren und muss erst, bestenfalls an guten Beispielen, erlernt werden (vgl. Hédervári-Heller 2009, S. 75).
Fazit
Gerade kleine Kinder sind oft wütend und zornig und geraten in Konflikt miteinander. Dazu kommt auch noch das Trotzalter, das schon mit einem einzelnen Kind zur echten Nervenprobe werden kann. Es geht nicht darum, alle Konflikte und Aggressionen zu unterbinden. Konflikte sind etwas Alltägliches und Normales. Konfliktfähigkeit lernt man nur durch überstandene Konflikte. Das heißt aber nicht, dass Aggressionen den Alltag überlagern dürfen und Kinder unansprechbar für anderes machen. Hier muss das richtige Maß gefunden werden, indem vorteilhaftere Wege aufgezeigt werden und diese beachtet sowie belohnt werden. Schnelle, angemessene Intervention ist die beste Prävention. Bestrafung scheint nicht eine angemessene Maßnahme für Kinder in diesem Alter zu sein.
Allerdings weiß ich sehr gut aus meiner Arbeitspraxis, dass aggressive Kinder den ganzen Spielbetrieb lahm legen können. Sie verbreiten Angst und Schrecken unter den anderen Kindern und verhindern das entspannte Miteinander. Dies macht dann auch vor den Eltern untereinander nicht halt. Deshalb sind geeignete Maßnahmen nötig, damit diesen Kindern nicht zu viel Raum gegeben wird. Dies sollte aber nicht im Hinblick auf eine Bestrafung dieser Kinder, sondern eher zum Schutz der anderen erfolgen.
Untersuchungen der Frage, ob eine Entschuldigung für Aggression anderen Kinder gegenüber in so frühen Jahren schon sinnvoll ist, gibt es - soweit ersichtlich - nicht. Mir persönlich scheint nach Beachtung aller eingangs genannten Konfliktmotive "das sich entschuldigen" für Neugier, Exploration sowie Kontakt- und Erregungssuche im Kleinkindalter nicht sinnvoll. Dabei sehe ich das Erlernen des (Entschuldigungs-) Rituals durchaus als ein tragfähiges Argument, wobei sicherlich zu bedenken ist, dass eine Entschuldigung vom "Opfer" auch als weitere Bedrohung verstanden werden kann.
Literatur
Bensel, Joachim/Haug-Schnabel, Gabriele: Vom Säugling zum Schulkind - Entwicklungspsychologische Grundlagen. Kindergarten heute Spezial. Freiburg: Herder 2008
Haug-Schnabel, Gabriele: Aggressionen bei Kindern. Praxiskompetenz für Erzieherinnen. Freiburg: Herder 2009
Haug-Schnabel, Gabriele/Bensel, Joachim: Kinder unter 3 - Bildung, Erziehung und Betreuung von Kleinstkindern. Kindergarten heute Spezial. Freiburg: Herder 2007
Hédervári-Heller, Éva: Emotionen und Bindung bei Kleinkindern. Weinheim, Basel: Beltz 2011
Hessischer Bildungs- und Erziehungsplan. Kinder in den ersten drei Lebensjahren: Was können sie, was brauchen sie? Wiesbaden: Hessisches Sozialministerium 2010
Kain, Winfried/Bukovics, Maud/Edtinger, Bernadette/Reithmayr, Sandra/Scharf, Marion: KLIK - Konflikte lösen im Kindergarten. Weinheim, Basel: Beltz 2006
Kasten, Hartmut: Soziale Kompetenzen - Entwicklungspsychologische Grundlagen und frühpädagogische Konsequenzen. Berlin: Cornelsen 2008
Schmidt-Lack, Charlotte: Aggressives und gewaltbereites Verhalten kleiner Kinder. Gießen: Köhler 2000
Smith, E.E./Nolen-Hoeksema, S./Friedrickson, B.L./Loftus, G.R.; Atkinson und Hilgards Einführung in die Psychologie. Berlin, Heidelberg: Spektrum, 14. Aufl. 2007
Sommerfeld, Verena: Umgang mit Aggressionen - Ein Arbeitsbuch für Erzieherinnen, Lehrer und Eltern. Kriftel, Berlin: Luchterhand 1996
Steudel, Antje: Beobachtung in Kindertageseinrichtungen. Weinheim, München: Juventa 2008
Von Salisch, Maria: Wenn Kinder sich ärgern. Göttingen: Hogrefe 2000
Weymann, Beate: Wenn Kinder beißen, treten, schlagen. http://familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Haeufige_Probleme/s_984.html (08.03.2011)