Trennung - Scheidung - Wiederheirat: Der Scheidungszyklus und seine Auswirkungen auf das Kindergartenkind

Aus: Wehrfritz Wissenschaftlicher Dienst 1989, Nr. 43, S. 5-8

Ingeborg Becker-Textor und Martin R. Textor

1. Vorbemerkung

In nahezu jeder Kindergartengruppe gibt es Kinder, deren Eltern sich scheiden lassen, Kinder, die mit einem geschiedenen Elternteil leben oder einen Stiefelternteil haben. Den zweiten leiblichen Elternteil sehen sie regelmäßig, nur wenige Male im Monat, ab und zu oder gar nicht mehr. Erzieher im Kindergarten werden immer wieder mit Kindern konfrontiert, die in Teil- oder Stieffamilien leben. So ist es unabdingbar, als Erzieher über die besondere Lebenssituation und die speziellen Probleme dieser Kinder und ihrer Eltern informiert zu sein. Nur dann kann den Betroffenen im Rahmen der Kindergartenarbeit das entsprechende Verständnis und die notwendige Unterstützung und Hilfe entgegengebracht werden.

In einer Fortbildungsveranstaltung wurden deshalb wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen über den Scheidungszyklus bearbeitet. Es wurde gemeinsam mit den Erziehern überlegt, wie den betroffenen Eltern und Kindern seitens des Kindergartens geholfen werden kann.

Es stellte sich die Frage: Woran erkennen wir, dass ein Kindergartenkind von der Scheidung seiner Eltern betroffen ist? Welche Signale setzt es? Welche seine Eltern?

Signale des Kindes können sein:

  • Es kann sich in der Bringsituation sehr schlecht vom Elternteil trennen, hat Angst, dass er abends nicht wiederkommt.
  • Das Kind will abends nicht mehr nach Hause.
  • Das Kind verhält sich sonderbar, wenn ein anderes Kind von beiden Elternteilen gebracht oder abgeholt wird.
  • Das Kind erzählt beim Montagskreis nicht mehr vom Wochenende oder erwähnt nur noch einen Elternteil, erzählt Phantasiegeschichten.
  • Wenn von einer intakten Familie erzählt wird, schaltet das Kind ab oder reagiert auffällig.
  • Wenn beim Puppenspiel Trennungssituationen dargestellt werden, verhält sich das Kind dabei abwehrend, stört, hält sich die Ohren zu u.Ä.
  • Das Kind sucht besonders viel emotionale Zuwendung und Körperkontakt; es will mit der Erzieherin allein sein.
  • usw.

Signale der Eltern:

  • Ein Elternteil geht der Erzieherin aus dem Weg, hat keine Zeit für Gespräche, kommt und geht schnell wieder, besucht nicht mehr den Elternabend.
  • Nur noch ein Elternteil holt bzw. bringt das Kind in den Kindergarten.
  • Ein Elternteil holt das Kind spät ab, hält sich lange im Kindergarten auf, möchte angesprochen werden.
  • Ein Elternteil bittet um Hilfe im Umgang mit dem plötzlich so schwierigen Kind.
  • Ein Elternteil will sich mit der Erzieherin über das veränderte Verhalten des Kindes unterhalten.
  • In die Familie werden keine Kinder mehr nach Hause eingeladen, das Kind darf andere Kinder nicht mehr besuchen.
  • Ein Elternteil wirkt verstört, gestresst,
  • usw.

2. Notwendige Informationen für die Erzieherinnen

Trennung und Scheidung müssen als dynamischer und komplexer Prozess von Veränderungen verstanden werden. Meist dauert er mehrere Jahre und ist mit einer Vielzahl von Belastungen für Kinder und Erwachsene verbunden. Er umfasst die

  • Vorscheidungsphase
  • Scheidungsphase
  • Nachscheidungsphase
  • evtl. Phase der Gründung einer Stieffamilie.

Kinder und Erwachsene reagieren in diesen Zeitabschnitten höchst unterschiedlich. So kann in den folgenden Ausführungen nur verallgemeinert werden; die Einzigartigkeit des individuellen Kindes und seiner Familie muss in der Praxis berücksichtigt werden.

2.1 Die Vorscheidungsphase

Sie kann relativ kurz oder lang sein, beginnt mit einer gewissen Desillusionierung und Unzufriedenheit mit dem Partner. Zunächst werden Probleme verdrängt, verleugnet oder bagatellisiert. Wachsende Unzufriedenheit und Enttäuschung führen zu häufigeren Auseinandersetzungen oder zu zunehmender Entfremdung und stillem Rückzug. Die Partner führen weniger Gespräche miteinander, reduzieren Kontakte, sehen sich gegenseitig immer negativer, empfinden weniger positive Gefühle für den anderen und sind bei entstehenden Konflikten nur noch selten kompromissbereit. Außereheliche Beziehungen sind keine Seltenheit.

Diese sich so entwickelnde "emotionale Scheidung" führt die Partner zum Gedanken an Trennung. Die endgültige Entscheidung wird in der Regel erst nach längerer Zeit der inneren Konflikte, der Ambivalenz und der Angst vor der Zukunft gefällt. Spannungen und Konflikte werden vor den Kindern zu verheimlichen versucht.

Kinder haben jedoch feine "Antennen" und erspüren Zusammenhänge, über die sie nicht sprechen können. Bei Fragen an die Eltern erhalten sie oft ausweichende Antworten und beginnen dann nicht selten, an ihrer eigenen Beobachtungsfähigkeit zu zweifeln. Kinder erleben auch häufig Auseinandersetzungen der Eltern mit, werden in sie hineingezogen oder versuchen, durch ihre eigenen "Hilfsmechanismen" wie Auffälligkeiten, Ungehorsam, extreme Liebesbedürftigkeit, Krankheitssymptome usw. von den Ehekonflikten der Eltern abzulenken. Symptome, die Kinder in dieser Phase entwickeln, fallen auch im Kindergarten auf.

2.2 Die Scheidungsphase

Sie beginnt mit der endgültigen Trennung der Eltern und endet mit der gerichtlichen Lösung der Ehe. Diese Phase kann bis zu drei Jahre dauern. Bedeutsam ist die Art und Weise der Trennung: ob sie für einen Partner überraschend kommt, die Folge langer Auseinandersetzungen ist, im Streit oder in Übereinstimmung, wegen eines neuen Partners oder aus anderen Gründen erfolgt. Die räumliche Trennung bis zum Vollzug der Scheidung ist für Kinder und Eltern bedeutsam. Wenn beide Eltern im stark eingeschränkten Bewegungsraum der gemeinsamen Wohnung bis zur Scheidung leben, kann das insbesondere für die Kinder sehr belastend sein.

Ehepartner reagieren auf die Trennung höchst unterschiedlich: z.B. mit Trauer, Schmerz, Reue, Depression, Wut, Hass, Aggressivität, Verbitterung, Schuldgefühlen, Angst vor der Zukunft, Erleichterung, Verwirrung, Hilflosigkeit, Einsamkeit, Kontaktscheue, Unzufriedenheit, Befreiung, Arbeitswut, Selbstmordversuchen, psychischen Störungen, Überbehütung der Kinder, Vernachlässigung der persönlichen Bedürfnisse usw.

Häufig flüchten getrenntlebende Personen, die das Alleinleben nicht mehr gewohnt sind, in neue Beziehungen und Abhängigkeiten, während andere eine "zweite Pubertät" durchleben. Umstellungen und Probleme gibt es auch im sozialen Umfeld: die Partner verlieren Freunde, Verwandte wenden sich ab oder zeigen kein Verständnis bzw. ergreifen Partei.

Für Kinder ist besonders problematisch, wenn es um die Frage des Sorgerechts geht. Kinder leiden in dieser Phase sehr. Fast alle sind gegen die Trennung ihrer Eltern und reagieren auf die Abwesenheit eines Elternteils mit Schock, Schmerz, Trauer, Angst, Rückzug. Oft fühlen sie sich verraten und haben Angst, den anderen Elternteil zu verlieren oder nicht wiederzusehen.

Kleine Kinder können die Bedeutung und Ursachen der Trennung ihrer Eltern und die damit verbundenen Veränderungen nicht oder nur ansatzweise verstehen. Viele Kinder sind nach der Trennung ihrer Eltern aggressiv und zerstörerisch, während andere mit Rückzug, Depressivität, Verlust an Interessen und Apathie reagieren. Sie entwickeln leicht Schuldgefühle, weil sie sich - grundlos - für die Trennung ihrer Eltern verantwortlich halten. Unter starken Loyalitätskonflikten leidend, fühlen sie sich zwischen den Eltern hin- und hergerissen. Sie reagieren mit Symptomen wie Einnässen, Einkoten, Regression, Schlafstörungen, Trennungsangst usw. Jungen und Einzelkinder leiden unter der Scheidung ihrer Eltern zumeist mehr als Mädchen und Kinder mit Geschwistern.

Die neue Situation bringt größere Veränderungen in der Lebenswelt des Kindes mit sich, wie Umzug, Anmeldung im Kindergarten, Wechsel des Kindergartens, vom Halbtagskind zum Ganztagskind. Erschwerend kommt noch hinzu, dass viele Eltern in dieser Phase des Scheidungszyklus ihren Erziehungsaufgaben nicht genügend nachkommen können: Aufgrund ihres eigenen emotionalen Zustandes, ihrer Probleme in der Alltagsbewältigung oder des Wiedereintritts in das Berufsleben haben sie wenig Zeit für Gespräche und Spiele mit dem Kind. Durch die eigene Überforderung und Überbelastung kommt es auch zu Veränderungen im Erziehungsstil.

In dieser Phase des Scheidungszyklus verändern sich aber auch abrupt die Eltern-Kind-Beziehungen. Das Kind verliert einen Elternteil als Identifikationsfigur, Freund, Helfer und ausgleichendes Element. Besonders schwierig wird es, wenn Vater oder Mutter erwarten, dass das Kind Partei ergreift. Kinder dürfen nicht als Informant, Nachrichtenkurier, Mitwisser von Geheimnissen usw. missbraucht werden.

2.3 Die Nachscheidungsphase

In der Nachscheidungsphase wird das Familiensystem wieder stabilisiert. Gefühle des Schmerzes, der Trauer, des Selbstmitleids und der Angst verringern sich. Zumeist verbessert sich nun auch das Verhältnis zwischen sorgeberechtigten Elternteilen und den Kindern. In manchen Fällen haben die "alleinerziehenden" Elternteile aber weiterhin zu wenig Zeit für ihre Kinder und vernachlässigen sie. Sie fühlen sich aufgrund der Belastung durch Beruf, Haushalt und Erziehung überfordert, sind oft gestresst und erschöpft.

Auch ist es zu ganz verschiedenen Formen der Beziehung der geschiedenen Eltern zu ihren Kindern gekommen:

  • Beide Elternteile erziehen ihre Kinder weiterhin gemeinsam. Es gelingt ihnen, die aufgelöste Paarbeziehung von der unauflösbaren Eltern-Kind-Beziehung zu trennen. Sie stimmen ihre Erziehungsmaßnahmen aufeinander ab und respektieren sich gegenseitig als Eltern.
  • Beide Elternteile verbringen etwa gleich viel Zeit mit ihren Kindern. Die früheren Partner kommunizieren aber nur wenig miteinander und stimmen ihr erzieherisches Verhalten kaum ab. So werden die Kinder unterschiedlichen Erziehungsstilen, Regeln und Einflüssen ausgesetzt.
  • Die Kinder wohnen in der Wohnung des einen Elternteils, besuchen den anderen aber regelmäßig. Sie werden in dessen Haushalt integriert, haben z.B. ein eigenes Zimmer und eigene Spielsachen. Der Elternteil nimmt dem Kind gegenüber noch Erziehungsaufgaben wahr, verhält sich aber mehr wie ein Spielkamerad.
  • Die Kinder treffen regelmäßig mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil zusammen. Da dieser seine Wohnung aber nicht kindgemäß ausgestattet hat, behandelt er sie wie Besucher und verbringt viel Zeit mit ihnen außerhalb der Wohnung (z.B. Spielplatz, Zoo, Ausflug u.Ä.). Er kann oft wenig mit ihnen anfangen und wirkt nicht mehr sozialisierend, erzieherisch oder disziplinierend.
  • Zwischen Kindern und nichtsorgeberechtigtem Elternteil besteht nur ein unregelmäßiger und flüchtiger Kontakt.
  • Es gibt keine Beziehung mehr zwischen den Kindern und dem nichtsorgeberechtigten Elternteil. Kontakte jeglicher Art fehlen.

Generell nimmt der Kontakt zwischen dem nichtsorgeberechtigten Elternteil und seinen Kindern ab, wobei ca. 2 Jahre nach der Trennung ein besonders starker Einbruch zu verzeichnen ist.

In der Nachscheidungsphase lassen die zuvor beschriebenen Reaktionen von Kindern auf die Trennung ihrer Eltern an Intensität nach und verschwinden in der Regel. Die Anpassung an die Nachscheidungssituation fällt den Kindern leichter, wenn sie in regelmäßigem Kontakt zu dem nichtsorgeberechtigten Elternteil stehen und wenn sich die geschiedenen Partner in Erziehungsfragen einig sind. In den vielen Fällen, in denen einige Zeit nach der Trennung kein oder nur unregelmäßiger Kontakt zum nichtsorgeberechtigten Elternteil besteht, leiden Kinder häufig noch lange unter Gefühlen der Trauer und Sehnsucht. Sie erleben sich als wertlos, da sie so ganz einfach verlassen wurden. Kleinere Kinder verleugnen sogar den Elternteil und die mit ihm gemachten Erfahrungen. Einige machen ihn zur Negativfigur, andere idealisieren ihn. Es kommt auch zu Problemen mit den neuen Partnern der Eltern. Dies ist besonders dann der Fall, wenn Partner häufig wechseln oder eine längerfristige intensive Beziehung abgebrochen wird. Neue und sich wiederholende Trennungserfahrungen können dazu führen, dass Kinder keine Bindungen mehr eingehen.

2.4 Phase der Gründung einer Stieffamilie

Eine Teilfamilie, mit allen Vor- und Nachteilen der Ein-Elternschaft, hat sich nach Beendigung der Nachscheidungsphase etabliert. Oft kommt es aber auch zur Wiederheirat des sorgeberechtigten Elternteils. Die so entstehenden Stieffamilien treten in unterschiedlichen Formen auf bzw. entstehen unter verschiedensten Bedingungen:

  • Der neue Partner bringt Kinder in die Ehe ein.
  • Der neue Partner bringt keine Kinder in die Ehe ein.
  • Es kann zu einer Überlagerung verschiedener Phasen des Scheidungszyklus kommen: z.B. hat ein Partner die Nachscheidungsphase schon durchlaufen, während der andere die Trennungserfahrungen noch nicht verarbeitet hat.
  • Aber auch Phasen des Familienzyklus überschneiden sich: So können sich die Erwachsenen als Ehegatten in der Phase der "jungen Ehe" und als Eltern in dem Stadium der "Familie mit Kleinkindern" befinden.
  • Die Grenzen des Familien- und Verwandtschaftssystems sind undeutlich, z.B. hat ein Elternteil starke Bindungen an die beim früheren Partner lebenden Kinder, die häufig zu Besuch kommen und dann wie Familienangehörige der "neuen Familie behandelt werden.
  • Es können noch intensive Kontakte zu geschiedenen Partnern und früheren Schwiegereltern bestehen.
  • Selbst wenn es keinen Kontakt mehr gibt, können geschiedene Partner noch einen starken psychologischen Einfluss als Negativfigur, Idealbild oder Vergleichsmaßstab ausüben.
  • Eine neue Ehe wurde aus problematischen Motiven geschlossen, z.B. zur Scheidungsbewältigung, Flucht aus alleiniger Erziehungsverantwortung, Verbesserung schlechter materieller Bedingungen.
  • Vielfach ist die Scheidung aber auch noch nicht verarbeitet, werden Konflikte aus der ersten in die zweite Ehe mit hineingenommen.
  • Häufig besteht die Gefahr der Wiederholung pathogener Beziehungsmuster.
  • Es werden Probleme verleugnet, damit es nicht wieder zu einem Scheitern der Ehe kommt.

Bei der Gründung von Stieffamilien muss sich der neue Partner an ein bereits bestehendes Elternteil-Kind-Subsystem anschließen, in dem die Beziehungen nach der Trennung oft sehr eng geworden sind, das eine eigene Geschichte, besondere Werte, Regeln und Interaktionsmuster besitzt.

In manchen Stieffamilien bleibt die Beziehung zwischen dem leiblichen Elternteil und den Kindern stärker als die Ehedyade oder das Verhältnis zwischen Stiefelternteil und Kind. Stiefeltern müssen sich oft mit unrealistisch hohen Erwartungen auseinandersetzen. Dies führt nicht zuletzt zu starken Misserfolgsängsten.

Oft werden Stiefeltern von den Kindern abgelehnt, weil diese noch immer auf eine Versöhnung der geschiedenen Eltern hoffen. Konzentrieren sich die neuen Partner zu stark auf die Paarbeziehung, fühlen sich Kinder leicht ausgeschlossen oder abgelehnt. Es kommt für die Kinder zu einer erneuten Verlusterfahrung. Besonders wenn Kinder zum vorher alleinerziehenden Elternteil eine sehr starke Bindung entwickelt hatten, reagieren sie nicht selten mit Feindseligkeit und Widerspenstigkeit, provozieren, lehnen Annäherungsversuche ab, wehren sich gegen erzieherische Maßnahmen, zeigen sich abweisend. Erst wenn sich eine tiefere Beziehung zwischen Kind und neuem Elternteil entwickelt hat, werden dessen Erziehungsbemühungen akzeptiert.

Bringt der Stiefelternteil eigene Kinder mit in die Ehe, sind die wechselseitigen Anpassungsprozesse noch komplexer. Viele Kinder fühlen sich verraten und reagieren mit Eifersucht oder Auffälligkeiten, wenn ihre leiblichen Eltern eine positive Beziehung zu Stiefgeschwistern entwickeln. Wenn ein gemeinsames Kind der "neuen" Eltern geboren wird, reagieren viele Kinder erneut mit Verhaltensauffälligkeiten, da sie große Ängste entwickeln und glauben, dass sie nun weniger geliebt werden.

Aus den bisher gemachten Ausführungen wird deutlich, dass die Erzieher im Kindergarten nicht nur das jeweils betroffene Kind beachten sollten. Vielmehr ist es notwendig, das Blickfeld zu erweitern und die gesamte Familie und ihr soziales Umfeld einzubeziehen. Die Reaktionen aller Mitglieder stehen in wechselseitiger Beziehung und bedingen einander. Das Verhalten des Einzelnen kann nur im Kontext des Verhaltens aller Personen verstanden werden.

Die Reaktion der von Scheidung und Wiederheirat betroffenen Kinder und Erwachsenen sind sehr unterschiedlich und werden sich im Verlauf des Scheidungszyklus immer wieder ändern. Da nahezu alle Kleinkinder unter diesen Situationen leiden, brauchen sie im Kindergarten die Hilfe ihrer Erzieher. Es können jedoch keine Rezepte für den Umgang mit diesen Kindern und ihren Eltern gegeben werden - jeder Fall ist einzigartig. Seine Charakteristika können nur durch gründliche Beobachtungen und ausführliche Gespräche erfasst werden. Die Behandlungsstrategie muss den Eigenarten des jeweiligen Falles entsprechen und wird deshalb einzigartig sein.

Bevor Praxisüberlegungen, wie der Kindergarten generell Scheidungskindern und ihren Eltern helfen kann, beschrieben werden sollen, muss angemerkt werden, dass aufgrund der Vielzahl von Scheidungen, Teilfamilien und Stieffamilien die Darstellung der verschiedenen Familienformen und -ereignisse zu den allgemeinen Aufgaben des Kindergartens gehören. Die Einführung in die Lebenswelt der Kinder setzt die Verdeutlichung der Vielfalt von Lebensformen voraus. Auch fühlen sich dann Kinder, die nicht in "Normalfamilien" aufwachsen, nicht mehr als isolierter Sonderfall. Als Methoden bieten sich hier Bilderbuchbetrachtungen, Erzählungen, Gesprächskreise u.Ä. an.

3. Impulse für die praktische Arbeit mit Scheidungskindern und ihren Familien

Wenn den Erziehern im Kindergarten die Situation des Kindes und seiner Familie bekannt ist, müssen Überlegungen für mögliche Hilfsmaßnahmen getroffen werden. Bevor die Erzieherin jedoch auf die Eltern oder den Elternteil zugeht, muss sie sich selbst mit der Problematik des Kindes im Scheidungszyklus befasst und Informationen über Beratungsstellen, ganztägige Betreuungsmöglichkeiten, Hilfen verschiedenster Art u.Ä. eingeholt haben. Weiterhin muss dem Gespräch eine gründliche Beobachtung des Kindes und seiner Verhaltensänderungen vorausgehen. Es bietet sich an, wenn in der Teamsitzung des Kindergartens grundsätzlich über Hilfsmaßnahmen und weitere Vorgehensweisen diskutiert wird. Vielleicht gibt ein Rollenspiel dem einzelnen Erzieher auch Sicherheit für das Gespräch mit den Betroffenen.

Für die Arbeit mit den Eltern bieten sich folgende Möglichkeiten an:

  • Den Elternteil zum Kaffee/Gespräch einladen und ihm verdeutlichen, was im Kind abläuft. Dabei sollte auch über das Verhalten der Eltern gesprochen werden.
  • Den Eltern erklären, wie sie ihr Kind am besten über Trennung, deren Folgen und die Zukunft der Familie informieren können, dass sie die Symptome des Kindes verstehen müssen und wie sie auf auffällige Reaktionen eingehen sollten. Verhaltensauffälligkeiten können als Botschaften des Kindes interpretiert werden, als Sprache oder als Signal des Kindes.
  • Mit dem Elternteil erarbeiten, dass Grenzen gezogen werden müssen. Kinder sollten verstehen, dass Trennung Sache der Erwachsenen ist. Diese müssen das dem Kind deutlich machen, es als nicht verantwortlich erklären und ihm dadurch Schuldgefühle nehmen. Das Kind muss aus Konflikten herausgehalten werden, darf nicht sehen, wie die Eltern einander wehtun, und muss beide Elternteile weiterhin lieben können und dürfen.
  • Eltern anhalten, ehrliche Gefühlsäußerungen zuzulassen und dem Kind Zeit zum Verarbeiten von Emotionen zu geben. Eltern sollen dem Kind helfen, im Gespräch, im Spiel oder in Zeichnungen Gefühle auszudrücken. Sie müssen Sympathie und Gespür für Bedürfnisse der Kinder entwickeln.
  • Eltern empfehlen, den Tageslauf des Kindes möglichst wenig zu verändern. Dadurch bekommt das Kind das Gefühl der Sicherheit, Geborgenheit und Kontinuität.
  • Eltern anhalten, sich für das Kind, für gemeinsame Aktivitäten und Spiele Zeit zu nehmen. Sie sollten dem Kind zeigen, dass sie es als wertvoll erachten und lieben. Auch sollten sie Zuneigung durch häufigen Körperkontakt verdeutlichen.
  • Eltern sollten klare Ziele, Erwartungen und Regeln formulieren.
  • Eltern die Angst nehmen, dass das Kind generell durch die Scheidung geschädigt werden könnte.
  • Die Bedeutung des abwesenden Elternteils, zumeist des Vaters, für die Entwicklung und das Gefühlsleben des Kindes aufzeigen. Dem verbleibenden Elternteil muss klar werden, dass das Kind Beziehungen zum Expartner und zu dessen Verwandten aufrechterhalten muss, dass er keine Parteinahme verlangen darf. Über den Expartner sollte positiv gesprochen werden. Falls mit dem abwesenden Elternteil Kontakt besteht, sollte dieser aufgefordert werden, immer wieder gegenüber dem Kind zu betonen, dass er mit ihm in Verbindung bleiben wird und will.
  • Bei Bedarf den Eltern einen Ganztagsplatz im Kindergarten anbieten. Vielleicht lässt sich auch eine gemeinsame Betreuung von Kindern durch Eltern organisieren.
  • Eventuell Eltern an eine Scheidungs- oder Familienberatungsstelle verweisen.

Auch Alleinerziehende benötigen in vielen Fällen die Hilfe der Erzieher:

  • Sie haben einen erhöhten Beratungsbedarf, da kein Partner da ist. Sie tun sich mit der Gesprächsaufnahme schwerer, da sie eher glauben, dass nur sie mit dem jeweiligen Problem nicht fertig werden.
  • Sie können oft nicht zum Elternabend kommen und brauchen daher spezielle Termine.
  • Besondere Veranstaltungen, Elternabende und Freizeitaktivitäten für Alleinerziehende werden manchmal notwendig. Sie können auch am Wochenende stattfinden.
  • Der Kindergarten sollte Kontakt mit anderen Alleinerziehenden vermitteln, gemeinsame Kinderbetreuung organisieren, Austausch von Tipps ermöglichen und Hinweise auf Selbsthilfegruppen und Angebote von Verbänden am Schwarzen Brett aushängen.

Dem Scheidungskind kann geholfen werden, wenn seine Entwicklung in folgende Richtung gelenkt wird:

  • Das Kind muss die Realität der elterlichen Trennung anerkennen.
  • Das Kind soll sich aus Konflikten, Problemen, Gefühlen usw. seiner Eltern herauslösen und sich wieder auf altersgemäße Aktivitäten konzentrieren.
  • Das Kind muss Verlusterfahrungen verarbeiten.
  • Das Kind soll mit Wut, Arger, Selbstbeschuldigung und Schuldgefühlen fertig werden.
  • Das Kind muss die Endgültigkeit der Scheidung akzeptieren lernen.
  • Das Kind sollte realistische Hoffnungen bezüglich dem Qualität zukünftiger eigener Beziehungen entwickeln.

Bei der Arbeit mit dem Kind haben sich folgende Grundsätze bewährt:

  • In der Trennungskrise darf nicht interveniert werden. Das Kind braucht vom allem viel emotionale Zuwendung und Körpernähe. Nur so behält es das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit.
  • Die Erzieherin muss besonders auf zurückgezogene und stille Kinder zugehen.
  • Der Erzieher muss den Kindern zuhören, auf Gefühle und Ängste sowie Probleme eingehen und Verständnis zeigen. Viele Kinder müssen beruhigt und getröstet werden.
  • Einfache, konkrete und kurze, aber informative Erklärungen sind für das Kind wichtig.
  • Den Kindern müssen Schuldgefühle genommen werden. Dies ist vor allem dann notwendig, wenn Kinder sich schon vor der Trennung ihrer Eltern als schwierig erlebt haben.
  • Scheidungskinder brauchen Sondersituationen.
  • Geschenke für den abwesenden Elternteil können im Kindergarten gebastelt werden (und auch von dort aus zugeleitet werden, wenn dies dem sorgeberechtigten Elternteil Probleme macht).
  • Dem Kind kann die eigene Geschichte, aber mit einer anderen Hauptperson erzählt werden. Am Handeln dieser Person können ihm neue Verhaltensalternativen und Lebensentwürfe indirekt vermittelt werden.
  • Nach der Trennungskrise kann auch die Arbeit mit Bilderbüchern einsetzen.
  • Bei vielen Kindern alleinerziehender Elternteile ist gegengeschlechtliche Betreuung notwendig (Rollenmodell). So ist es wichtig, auch männliche Praktikanten für den Kindergarten zu gewinnen.

4. Über die Arbeit mit Bilderbüchern mit Kindern und Eltern

Eine Vielzahl von Bilderbüchern greift die Scheidungsthematik und die damit verbundenen Probleme auf. Sie eignen sich jedoch in der Mehrzahl nicht für den Einsatz in der Kindergruppe oder gar als präventive Maßnahme. Kinder können durch die Arbeit mit derartigen Bilderbüchern nicht vor den Folgen und Wirkungen der Scheidung geschützt werden, ihnen kann jedoch bei der Verarbeitung von Gefühlen und Problemen geholfen werden. Werden sie in die Hand von betroffenen Eltern gegeben, können sie diesen verdeutlichen, was sich in ihrem Kind abspielt. In der Krisensituation sind Eltern dafür jedoch nicht zugänglich. So ist es empfehlenswert, wenn derartige Bilderbücher im Rahmen eines Elternabends vorgestellt werden und die Eltern wissen, dass diese im Kindergarten zur Verfügung stehen. Das Thema eines solchen Elternabends könnte lauten: "Erziehungshilfen in Kinderbüchern" oder "Erziehungsratgeber Bilderbuch".

Beim Blättern und Lesen in Kinderbüchern entdecken die Eltern Texte und Bilder, die teilweise ihre eigene Situation und Problemfelder aus ihrem Umkreis beschreiben und darstellen. Betroffenheit wird nicht ausbleiben. Gleichzeitig vermitteln die oft scheinbar zu positiven Lösungen in den Geschichten Hoffnung und Motivation. Nicht selten geht von Kinderbüchern eine "therapeutische" Wirkung für die Erwachsenen aus, weil direkt und klar Probleme dargestellt werden.

Es wäre daher wünschenswert, wenn mehr Erwachsene sich mit den Büchern für Kinder befassen würden, denn sie ermöglichen Eltern und anderen Erwachsenen den Einstieg in ein Stück Prävention, aber auch den Start in die Verarbeitung.

Literatur

Isolina Ricci: Meine Eltern sind geschieden. Wie Kinder dennoch glücklich bleiben. München: dtv 1984.

Peter Rowlands: Wochenend-Eltern. Intakte Elternschaft trotz geschiedener Ehe. München: Kösel-Verlag 1983.

Ingeborg Thiemann: Kinder geschiedener Eltern. Erfahrungen - Erkenntnisse - Perspektiven. Düsseldorf: Arbeitsstelle Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz 1986.

W.E. Fthenakis, R. Niesel und H.-R. Kunze: Ehescheidung - Konsequenzen für Eltern und Kinder. München: Urban und Schwarzenberg 1982.

E.B. Visher, J.S. Visher: Stiefeltern, Stiefkinder und ihre Familien. München: Psychologie Verlagsunion 1987.

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