Aus: "Üben & Musizieren", Verlag Schott, Heft 5/2000
Sabine Hirler
Wer schon einmal mit geistig behinderten Menschen Kontakt hatte, weiß, dass sie trotz ihrer mentalen und kognitiven Einschränkungen unserer Gesellschaft durch ihre Spontaneität und Herzlichkeit ein Stück "Normalität" zurückgeben können. Der Ausspruch meines Sohnes (10), der mit viel Spaß an einer Veranstaltung der Lebenshilfe teilgenommen hatte, besitzt für mich trotz seiner Schlichtheit einen symbolische Aussagekraft: "Die Leute sind dort viel normaler, als die 'Normalen'!"
"Gerade der Behinderte ist ein Individualist - eine ausgeprägte Persönlichkeit" (alle Zitate, sofern nicht anders gekennzeichnet, entstammen dem Film über die heilpädagogische Arbeit der Schweizer Rhythmiklehrerin Mimi Scheiblauer, 1891-1968, "Ursula oder das unwerte Leben", Schweiz 1966, von Reni Mertens und Walter Marti. Siehe auch Nachruf auf Walter Marti in "Üben und Musizieren", Heft 3/2000).
Seit über 10 Jahren arbeite ich mit geistig und körperlich behinderten Kindern und Erwachsenen. Die große Stärke dieser Menschen ist ihre Begeisterungsfähigkeit und das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Rhythmikgruppen. Interessant sind die stark ausgeprägten Charaktere der geistig Behinderten. Durch die geringe kognitive Reflexionsfähigkeit und verursacht durch die jeweilige Behinderung treten charakteristische Eigenheiten- und -arten prägnanter hervor.
Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Kurse haben oftmals eine Kombination von verschiedenen Behinderungen. Down-Syndrom (Mongolismus), spastische Lähmungen, Epileptiker, psychische Krankheiten (Autismus), Folgeschäden von Kinderkrankheiten, Impfschäden und auch Unfälle usw. ergeben ein sehr großes Spektrum an unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten. Durch das breitgefächerte Aufgabenangebot der Rhythmisch-musikalischen Erziehung kann ihrem Verlangen nach spontanem Erleben, nach Bewegung zur Musik und nach gemeinsamen Tun entsprochen werden.
Das "Lernen" mit geistig Behinderten
"Man kann den Menschen nichts beibringen. Man kann ihnen nur helfen, es in sich selbst zu entdecken" (Galileo Galilei).
Dieser Satz entspricht im besonderen Maße dem pädagogischen Unterrichtsprinzip mit geistig behinderten Kindern und Erwachsenen. Aber welche Möglichkeiten stehen der Rhythmisch-musikalischen Erziehung im Unterricht zur Verfügung, die es normalen und geistig behinderten Kindern ermöglicht, "...es in sich selbst zu entdecken"?
Das Lernverhalten des normal entwicklungsfähigen Kindes wird durch das Wecken von Neugier und Staunen zum selbstständigen Denken (planen, sich entscheiden, zielgerichtetes Handeln usw.) angeregt und entwickelt. Dazu ist ein gewisses Maß an Intelligenz und Reflexionsfähigkeit der eigenen Handlung erforderlich.
"Der Behinderte ist ein ganzer Mensch und soll so betrachtet werden. Was braucht der Mensch? Zuwendung, Anerkennung, Geltung, sinnvolle Beschäftigung und Liebe".
Jedoch gerade Menschen, die nicht über ausreichende kognitive und mentale Fähigkeiten verfügen, um in unserer Gesellschaft eigenständig einen Platz einnehmen zu können, agieren im Rhythmikunterricht mit besonders elementarer Freude am Musizieren, Singen und Tanzen und lassen sich zu selbstbestimmten Äußerungen in Musik, Sprache und Bewegung motivieren. Lehrer beobachten im Rhythmik- und Musikunterricht mit geistig und körperlich behinderten Menschen in manchen Fällen eine erstaunliche rhythmische, musikalische und darstellerische Begabung, die bei der Schwere der Behinderung oft nicht erwartet wird.
"Wenn man ein Kind vor sich hat, das nicht versteht, muss man es in Bewegung versetzen, damit es lernt, Zusammenhänge zu begreifen". - "Ein Kind das nicht fixieren und greifen lernt, kann sich nicht entwickeln".
Sinneseindrücke zu abstrahieren und in andere Umsetzungsformen zu transformieren (siehe z.B. weiter unten die Aufgabe "Katzenmusik"/ "Mausemusik"), ist ein hochkomplexer Prozess im Gehirn, der nur mit dem Zusammenwirken der rechten und der linken Gehirnhälften zu erreichen ist. "Zahlreiche geistigbehinderte Schüler befinden sich noch überwiegend auf der sensomotorischen und prä-operativen Entwicklungsstufe, seltener auf der abstrakten (kognitiven) Ebene. ... Lernen muss überwiegend über die verschiedenen Sensorien ablaufen, aber nicht nur aufnehmend (rezeptiv), sondern aktiv (produktiv und reproduktiv) ... durch ganzheitliche Erfahrung" (Stabe 1996, S. 114).
"Vom Fühlen zum Erkennen - vom Greifen zum Begreifen - vom Tun zum Verstehen".
Rhythmisch-musikalische Erziehung ist eine ganzheitliche Pädagogik, weil sie die "Lern"-Inhalte auf vielfältigen Sinnes- und Wahrnehmungsebenen durch die Medien Musik, Sprache und Bewegung anbietet. Durch die sensomotorische Umsetzung (Hören - Bewegen, Sehen - Bewegen, Fühlen - Bewegen usw.) wird eine wesentlich breitere Verankerung in den unterschiedlichen Gehirnbereichen ermöglicht.
Ganzheitlicher Unterricht - methodisch-didaktische Grundlagen der Rhythmik mit Geistigbehinderten
Im Rhythmikunterricht mit Geistigbehinderten steht weniger die Vermittlung von kognitiven Inhalten im Vordergrund. Er ermöglicht den Kindern vielmehr, im Unterricht entwickelte Fähigkeiten im Sozialverhalten, Konzentrationsfähigkeit, Sinnesförderung, Motorik, Fantasie und Kreativität in ihre Persönlichkeit zu integrieren.
- Im Rhythmikunterricht wird jedes Kind von seinem jeweiligen Standpunkt und Können abgeholt. Dadurch hilft der Unterrichtende jedem Kind, seine persönliche Kreativität und Fantasie in musikalischen und motorischen Ausdrucksformen hör- und sichtbar zu machen.
- Für geistig behinderte Kinder ist stressfreies Lernen und Agieren mit Spaß und Freude eine Grundvoraussetzung, um keine Aufnahme- und Lernblockaden hervorzurufen. Im Rhythmikunterricht wird keine korrekte Erfüllung einer bestimmten Leistung von den Geistigbehinderten erwartet. Das spielerische und kreative Aufgabenangebot der Rhythmik hilft den Kinder, "...es in sich selbst zu entdecken".
- Der Rhythmikunterricht ist über einen längeren Zeitraum in ein Thema eingebettet. Durch das vielfältige Spiel- und Förderangebot tauchen die Kinder kindgerecht mit allen Sinnen in das jeweilige Thema ein, und das Thema wird dadurch im Gehirn durch die komplexeren Zusammenhänge besser gespeichert und mit anderem vernetzt.
- Didaktische Inhalte, wie z.B. ein Lied oder ein Reim, werden in unterschiedlichen Aufgabenstellungen durchgeführt. Zum Beispiel wird ein Lied als Finger- oder Handgestenspiel, als Bewegungsspiel in Grobmotorik, als Tanz, als Partnerspiel, mit einfachen Instrumenten (als Klanggeschichte oder nur rhythmisch) oder mit Materialien (z.B. Seile, Stäbe, Tücher) gespielt.
- Kreativität und Fantasie werden durch Experimentierphasen mit Instrumenten/ Material oder auch mit der Stimme gefördert.
- Durch das Agieren in der Gruppe, allein und in Partnerspielen, lernen die Kinder auf spielerische Weise sich immer besser mit einer gewissen sozialen Kompetenz einzubringen und zu reagieren. Partneraufgaben, wie zum Beispiel "Führen und Folgen" sind eine typische Aufgabenstellung in der Rhythmik.
- Durch thematische Wahrnehmungsspiele werden folgende Sinne gefördert: Der Seh-, Hör-, Tast-, Spürsinn, die Tiefen- oder Eigenwahrnehmung (propriozeptive Wahrnehmung), der Gleichgewichts- und Bewegungssinn.
- Sind Kinder besonders stark in ihren Bewegungen gehandikapt (z.B. Kind mit spastischen Lähmungen im Rollstuhl), werden die Angebote auf ihren Bewegungsradius zugeschnitten. Somit hat das Kind immer das Gefühl "Ich spiele mit - ich kann auch etwas dazu beitragen".
Diese aufgeführten Inhalte und Methoden ermöglichen ein "entdeckendes Lernen". Das Zitat von Galileo Galilei trifft auf die Unterrichtsmethode der Rhythmisch-musikalischen Erziehung in besonders vielfältiger Weise zu.
"Weil der Mensch sich entwickelt, kann man ihn erziehen. Weil die Entwicklung ein Veränderungsprozess ist, kann man sie beeinflussen. Da sich ein Mensch ein Leben lang verändert, ist seine Veränderung immer beeinflussbar".
Der Aufbau einer Rhythmikstunde
Der Aufbau und die Struktur des Rhythmikunterrichtes unterscheidet sich nicht grundlegend von den Stunden mit normalen Kindern. Ein Unterschied besteht jedoch in der Altersstruktur der Gruppen. Mit den 7 bis 14 jährigen geistig behinderten Kindern unterrichte ich in Themenbereichen, die ich bei 4 bis 8 jährigen "normalen" Kindern einsetze (In modifizierter Form unterrichte ich meine Gruppen mit geistig und körperlich behinderten Erwachsenen ebenfalls mit kindlichen Themenbereichen, da sie zu "erwachsenen" Themen keinen emotionalen und auch kognitiven Zugang haben).
Ein weiterer Unterschied zu normalen Kindern ist der Umsetzung von Spielformen zu erkennen. Je nach Behinderung ist sie oftmals langsamer, mit weniger Dynamik, und bei komplexen Spielformen werden die Spielschritte in kürzeren methodischen Schritten aufeinander aufgebaut.
Von elementarer methodischer Wichtigkeit ist die Wiederholung. Denn nur in der Wiederholung bekommen die Kinder Sicherheit und haben dadurch mehr Freude an der Ausführung. Die Kinder tauchen thematisch in einen Spielkomplex ein, der über mehrere Stunden mit unterschiedlichsten Spielangeboten und deren Variationsformen durchgeführt wird.
Der inhaltliche Rahmen einer Rhythmikstunde (Dauer ca. 45-60 Minuten) mit Kindern ist eine Geschichte, die über die Medien Lieder, Bilderbücher oder Reime den Kindern vorgestellt wird.
Methodisch-didaktischer Aufbau einer Rhythmikstunde
Eine Rhythmikstunde gliedert sich in drei Unterrichtsphasen:
- Einstimmungsphase, Begrüßung und Einstimmungsspiel,
- Rhythmische Spiele zum Thema sowie
- Stundenausklang (Hirler 1999, S. 149).
Während der Rhythmikstunde ist ein möglichst vielseitiges Spielangebot anzubieten. "Aufgaben am Platz und im Raum, in großen und kleinen Bewegungen, bewegte Phasen und Ruhephasen gestalten eine Rhythmikstunde abwechslungsreich" (Hirler 1998, S. 17). "Dadurch kann die Stunde 'atmen' und hat den Charakter einer Spiel- und Spaßstunde statt zu einer dem einzigen Zweck des Lernens unterworfenen Übung, in der z.B. nur gesungen, nur auf Instrumenten gespielt oder sich nur im Raum bewegt wird" (Hirler 1999, S. 150).
Die sprachliche Führung bleibt in der bildhaften Symbolik des Themas. Der Unterrichtende sollte folgende Sätze vermeiden: "Stellt euch vor, ihr seit jetzt alle Katzen und schleicht aus dem Haus..." Kinder brauchen sich nicht vorzustellen, dass sie jetzt Katzen spielen, denn sie schlüpfen bei entsprechend kindgerechter Ansprache wie: "Die Katzen schleichen aus dem Haus..." sofort in die Rolle der Katze und ahmen die Schleichbewegungen der Katze nach (sehr wichtig ist, dass der Unterrichtende nicht am Rand steht und die Erklärungen zu den Spielen gibt, sondern mit den Kindern agiert. Sonst kann es sein, dass bei geistig behinderten Kindern und auch bei normalen Kindern keine Reaktion auf die verbale Spielaufforderung erfolgt!).
Rhythmikstunde für geistig behinderte Kinder von 7 bis 14 Jahre
Thema: "Katz und Maus"
Einstimmungsphase: Das gemeinsame Spiel mit Kreiseln
Begrüßung durch ein Stofftier (Katze oder Maus)
Einstimmungslied: "Tanz durch das Tor der Sinne", 1. Strophe
Refrain: Zwei Kinder stehen sich gegenüber und bilden mit den Armen ein Tor. Die anderen Kinder laufen hintereinander im Kreis und dabei immer durch das Tor hindurch. Ist der Refrain zu Ende, schließen die beiden Kinder das Tor über einem Kind (d.h., die Arme gehen nach unten und umschließen das Kind, das gerade dazwischen ist).
1. Strophe: Die "Torkinder" berühren das Kind mit einem beliebigen Gegenstand, Material oder einem kleinen Instrument. Das Kind im Tor rät und/oder beschreibt das Gespürte.
Refrain: wie oben
(aus: "Wahrnehmungsförderung durch Rhythmik und Musik", Herder, 1999)
Reim: "Vier kleine Füßchen"
- als Fingerspiel
- als Bewegungsspiel
Sensomotorisches Wahrnehmungsspiel (auditiver Schwerpunkt, Reaktion): "Die Mause-Falle": Die Kinder laufen als "Mäuse" durch den Raum. Der Unterrichtende spielt auf den Klanghölzchen zum Laufen der "Mäuse". Dann schlägt er die Hölzchen längs aneinander (= das Zuschnappen der Mausefalle). Hören die "Mäuse" die Mausefalle, machen sie sich rasch klein (sich zusammenrollen, in die Hocke gehen, sich verstecken). Mehrmals wiederholen.
Variante: Ein Kind spielt auf den Klanghölzchen.
Reim: "Weiche Tatze - Schmusekatze"
Übergang und Ruhephase: Die Katze ruht sich aus: Die Kinder liegen als Katzen eingerollt auf dem Boden. Der Unterrichtende improvisiert auf Metallophon-Klangbausteinen eine Ruhemelodie. Dann legt sie zu jedem Kind ein Paar Klanghölzchen. Ertönt ein Signal auf dem Becken, öffnen die Kinder die Augen.
Reim: "Vier kleine Füßchen"
- in Bewegungsspiel mit Klanghölzchen
- in Feinmotorik mit Klanghölzchen
Sensomotorisches Wahrnehmungsspiel (vestibulär, Reaktion): Das große Fressen: Die Kinder legen ihre Klanghölzchen (= Fressen) in einer Raumecke ab. Der Unterrichtende improvisiert auf Xylophon-Klangbausteinen zum Laufen der "Mäuse" im Raum. Hört er auf zu spielen, laufen die "Mäuse" schnell z.B. zum "Käse". Die Kinder legen sich ein Klanghölzchen auf die etwas nach vorne gespreizte Oberlippe und balancieren ihren "Käse" in das Mausehaus (Sitzkreis). Mehrmals wiederholen. Beim letzten Durchgang bleiben die Klanghölzchen im Sitzkreis liegen und werden eingesammelt.
Übergang: Austeilen von Tüchern
Die Kinder sitzen im Kreis. Der Unterrichtende sammelt die Klanghölzchen ein und legt dann für jedes Kind ein Tuch in die Kreismitte. Der Unterrichtende zwinkert nun jedem Kind zu. Daraufhin nimmt sich dieses Kind ein Tuch aus der Kreismitte. Wiederholen, bis jedes Kind ein Tuch hat.
Lied: "Schmi - schma - Schmusekatz"
|
Die Kinder sitzen im Kreis und haben ein Tuch oder Fell als "Katze" vor sich liegen. Sie singen und bewegen sich gemeinsam zum Lied. |
1. Ich laufe aus dem Haus hinaus
und schau nach meinen Freunden aus.
Die schwarze Katz läuft hinterher,
mit ihr zu spielen mag ich sehr. |
Aus dem Sitzkreis herauslaufen, dabei die "Katze" (Tuch/Fell) hinter sich herziehen.
Schaugeste.
Anhalten und die "Katze" streicheln. |
Refrain: Schmi - schma - Schmusekatz,
springst mir nach mit einem Satz!
Schmi - schma - Schmusekatz,
mit einem großen Satz! |
Im Liedrhythmus die "Katze" streicheln.
Das Tuch/Fell rasch hin- und herbewegen und bei "Satz" hochwerfen und auffangen.
Wiederholen. |
2. Verschwitzt sitz ich auf einem Stein.
Ja eine Pause, die muß sein.
Die schwarze Katze schleicht sich an -
und streichelt meine Beine dann. |
In die Hocke gehen und sich mit dem Handrücken den "Schweiß" von der Stirn wischen.
Das Tuch/Fell langsam ringsherum um die Beine ziehen. |
Refrain: wie oben |
wie oben |
3. Am Abend komm ich müde heim
und schlüpfe schnell ins Bett hinein.
Dort wartet schon die Katz auf mich,
ihr Fell ist weich und kuschelig. |
In den Sitzkreis zurückgehen und sich hinlegen.
Die "Katze" streicheln. |
Refrain: Schmi - schma - Schmusekatz,
sprang mir nach mit einem Satz!
Schmi - schma - Schmusekatz,
mit einem großen Satz! |
Die "Katze" streicheln. |
(aus: "Weiche Tatze - Schmusekatze", Aktive Musik, 1999)
Einsammeln der Tücher
Die Kinder stehen im Kreis. Ein Kind beginnt und führt sein "Lieblingsspiel" mit dem Tuch vor (z.B. das Tuch langsam heruntersegeln lassen, sich damit im Kreis drehen). Anschließend legt es sein Tuch in der Kreismitte ab. Dies wird wiederholt, bis jedes Kind an der Reihe war.
Verabschiedung durch ein Stofftier (Katze oder Maus)
Rhythmikstunde für schwer geistig und körperlich behinderte Kinder von 4 bis ca. 16 Jahre
Thema: "Katz und Maus"
Bei geistig und körperlich schwer behinderten Kindern bekommt die Rhythmikstunde "Katz und Maus" einen ausgeprägten sensorischen Schwerpunkt. Im Vordergrund dieser Stunde steht die Freude der Kinder am musikalischen Tun, da musikalische Inhalte, wie z.B. das exakte Spiel der Sprachrhythmen, oftmals nur im Ansatz zu erkennen ist.
Wichtig für die Stundenausführung sind kleine Gruppen (ca. 4 bis 6 Kinder). Je nach Behinderungsgrad sind zusätzliche Betreuer (z.B. Eltern) notwendig, die die Kinder in der Bewegungsausführung etwas unterstützen, zum Teil die Bewegung führen und mehrmals wiederholen. Diese Stunde ist für Kinder konzipiert, die nur im Rollstuhl sitzen und sich nur mit Hilfe im Raum ohne Rollstuhl fortbewegen können (außer eventuell robbend).
Einstimmungsphase: Das Spiel mit einfachen Kreiseln
Begrüßungslied und Begrüßung durch ein Stofftier (Katze oder Maus)
Einstimmungsspiel und Reim: "Weiche Tatze - Schmusekatze" als Handgestenspiel
Reim: "Vier kleine Füßchen"
Übergang und Ruhephase: Die Kinder schließen die Augen. Der Unterrichtende spielt auf einer Lotusflöte, Xylophon-Klangbausteinen oder auf Klanghölzchen eine "Mausemusik", dann auf einem Triangel, Metallophon-Klangbausteinen, kleines Becken oder Glockenspiel die "Katzenmusik". Anschließend legt der Unterrichtende zu jedem Kind eines der aufgeführten Instrumente.
Experimentierphase mit Instrumenten: "Katzenmusik", "Mausemusik": Die Kinder spielen frei auf ihren Instrumenten. Dann spielt jedes Kind alleine auf seinem Instrument und die anderen raten, ob es "Katzen- oder Mausemusik" ist (Bei schwerbehinderten Kindern ist die Fähigkeit zu sprechen oft vermindert oder gar nicht vorhanden. Deshalb muss der Unterrichtende zum Teil suggestiv fragen und die Antworten an einer Geste, einem Laut ablesen). Instrumententausch.
Reime "Weiche Tatze - Schmusekatze", "Vier kleine Füßchen" mit Instrumenten: Die Kinder legen ihre Instrumente vor sich ab. Zuerst wird der Reim "Weiche Tatze - Schmusekatze" gesprochen. Dazu nehmen alle Kinder, die "Katzeninstrumente" haben (z.B. Triangel, Metallophon-Klangbausteine, Becken oder Glockenspiel), ihre Instrumente. Der Reim wird gemeinsam gesprochen und mit den entsprechenden Instrumenten begleitet.
Die "Katzeninstrumente" werden wieder auf dem Boden abgelegt. Anschließend begleiten alle Kinder, die "Mauseinstrumente" haben, den gesprochenen Reim mit den entsprechenden Instrumenten. Instrumententausch und Wiederholung.
Anmerkung: Das Begleiten der Reime wird von schwerbehinderten Kindern z.B. als spontanes, ametrisches Spiel oder auch als monotones Schlagen auf dem Instrument ausgeführt. Deshalb verzichte ich auf eine genaue Beschreibung des Spieles mit Instrumenten.
Übergang und sensomotorisches Wahrnehmungsspiel: Katz oder Maus? Die Kinder legen ihre Instrumente vor sich auf den Boden. Der Unterrichtende spielt mit Klanghölzchen auf den Rücken jedes Kindes auf folgende Weise: schnelle Klopfbewegungen = Maus, sanfte Streichbewegungen = Katze. Die Kinder raten. Dann sammelt der Unterrichtende die auf dem Boden liegenden Instrumente ein.
Sensorischer Ausklang: Die Kinder schließen die Augen. Der Unterrichtende streicht den Kindern mit einem Fell über die Hände und dem Gesicht der Kinder.
Abschiedslied und Verabschiedung durch ein Stofftier (Katze oder Maus)
Die Reime zu den Stundenbildern
Reim: "Vier kleine Füßchen"
Aus ihrem kleinen Mäusehaus, (linke Hand bildet ein Dach auf dem linken Oberschenkel, das Mausehaus)
läuft eine kleine Maus heraus. (Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand - die Maus - sind im "Mausehaus")
II:Tipp-tipp-tipp-tippel-tippel-tipp:II (die "Maus" läuft aus dem "Mäusehaus": mit schnellen Bewegungen der Finger den linken Arm hinauf)
Das Mäuschen putzt sich nun ihr Fell, (Zeige-, und Ringfinger der rechten Hand streicheln sich gegenseitig sanft)
läuft dann nach Haus ganz flink und schnell. ("Maus" kehrt in das "Mausehaus" zurück)
Aus ihrem kleinen Mäusehaus, (die Kinder sitzen als Mäuse im Sitzkreis)
läuft eine kleine Maus heraus. (aus dem Sitzkreis laufen)
II:Tipp-tipp-tipp-tippel-tippel-tipp:II (durch den Raum laufen)
Das Mäuschen putzt sich nun ihr Fell, (Stehen bleiben und sich mit den Händen "putzen" - an beliebiger Stelle über den Körper streichen)
läuft dann nach Haus ganz flink und schnell. (in den Sitzkreis zurücklaufen)
- als Bewegungsspiel mit Klanghölzchen
Mit den Klanghölzchen begleiten sich die Kinder beim Laufen im Sprechrhythmus. Bei "Das Mäuschen putzt sich nun ihr Fell" mit den Klanghölzchen über den Körper streichen.
- in Feinmotorik mit Klanghölzchen
Die Kinder sitzen im Kreis und begleiten sich mit den Klanghölzchen im Sprechrhythmus des Reimes. Bei "Das Mäuschen putzt sich nun ihr Fell" mit den Klanghölzchen über den Oberkörper streichen.
Reim: "Weiche Tatze - Schmusekatze"
Die Kinder sitzen zu Beginn des Spieles im Kniesitz auf dem Boden. Sie sprechen und bewegen gemeinsam den Reim.
Pinka, so heißt meine Katze. (mit den Handflächen abwechselnd über die Oberschenkel streichen)
Sie hat eine weiße Tatze. (eine Hand als Tatze scheinbar "lecken")
Glänzend ist ihr schwarzes Fell. (sich mit überkreuzten Armen die Schultern streicheln)
Laufen kann die Pinka schnell. (schnell aufstehen und durch den Raum laufen)
Sucht in unserm ganzen Haus (weiterlaufen)
jeden Tag nach einer Maus. (auf allen Vieren in Lauerhaltung - Hocke - nach einer Maus Ausschau halten)
Mit den weichen Katzentatzen (abwechselnd mit rechter und linker Hand als Tatze den Boden sanft berühren)
wird mich Pinka niemals kratzen. (bei "kratzen" die Krallen - gespreizte Finger - zeigen)
Mieze - mause Schmusekatz
Springt mir nach mit einem Satz. (bei "Satz" aus der Hocke aufspringen)
Die Kinder sitzen im Kreis. Sie sprechen und bewegen gemeinsam den Reim.
Pinka, so heißt meine Katze. (mit den Handflächen abwechselnd über die Oberschenkel streichen = schleichen)
Sie hat eine weiße Tatze. (eine Hand als Tatze scheinbar "lecken")
Glänzend ist ihr schwarzes Fell. (sich mit überkreuzten Armen die Schultern streicheln)
Laufen kann die Pinka schnell. (mit den Handflächen abwechselnd leicht ?auf die Oberschenkel patschen = laufen)
Sucht in unserm ganzen Haus (mit den Handflächen abwechselnd über die Oberschenkel streichen = schleichen)
jeden Tag nach einer Maus. (nach einer Maus Ausschau halten)
Mit den weichen Katzentatzen (abwechselnd mit der rechten oder linken Faust sanft auf die Oberschenkel drücken)
Wird mich Pinka niemals kratzen. (bei "kratzen" die Krallen - gespreizte Finger - zeigen)
Mieze - mause Schmusekatz (Hände auf die Oberschenkel legen. "Katze" wartet ab)
springt mir nach mit einem Satz. (bei "Satz" springen beide Hände als Katze aus der Hocke)
Literatur
Bünner, G./ Röthig, P.: Grundlagen und Methoden rhythmischer Erziehung, Stuttgart, 1979
Hirler, S./ Penz, E.: "Rhythmikspiele - Hand und Fuß, die können tanzen", Seelze/ Velber, 1995
Hirler, S./ Penz, E.: "Rhythmische Spielgeschichten - mit allen Sinnen durch die Welt", Buch und CD, Seelze/ Velber, 1997
Hirler, S.: "Kinder brauchen Musik, Spiel und Tanz", Buch und CD, Münster 1998
Hirler, S.: "Wahrnehmungsförderung durch Rhythmik und Musik", Freiburg 1999
Hirler, S.: "Weiche Tatze - Schmusekatze", Rhythmisch-musikalische Lieder, Reime und fantasievolle Spiele, Igel-Records/ Aktive Musik, Dortmund, 1999
Hirler, S.: "Hämmern, Tippen, Feuerlöschen", Spielaktionen zur Berufswelt, Buch und CD, Münster 2001
Hirler, S.: "Wie tanzt der Mond? Fantastische Geschichten mit Musik, Spiel und Tanz erleben", Buch mit CD, Seelze/ Velber 2002
Hoffmann Muischneek, S.: "Wie tönt Grün?", Liestal, 1989
Jungmair, U.E.: "Das Elementare", Mainz 1992
Klöppel, R./ Vliex, S.: "Helfen durch Rhythmik", Freiburg 1992
Konrad, Rudolf: "Erziehungsbereich Rhythmik", Seelze/ Velber 1995
Krimm-von Fischer, C.: "Rhythmik und Sprachanbahnung", Heidelberg 1990
Mattmüller-Frick, F.: "Das Rhythmikbuch", Basel 1990
Neikes, J.L.: "Scheiblauer Rhythmik - orthagogische Rhythmik", Sankt Augustin 1987
Peter-Führe, S.: "Rhythmik für alle Sinne", Freiburg 1994
Ring, R./ Steinmann, B.: "Lexikon der Rhythmik", Kassel, 1997
Schärli, O.: "Werkstatt des Lebens - durch die Sinne zum Sinn", Aarau 1995
Stabe, E.R.: "Rhythmik im Elementar-, Primär- und Sonderschulbereich", Bern 1996
Tervooren, H.: "Ein Weg zur Menschlichkeit: Rhythmisch-musikalische Erziehung", Essen 1996
Anmerkungen
Der Film "Ursula oder das unwerte Leben" ist z.B. unter http://www.artfilm.ch/ zu erwerben.
Die Landesverbände der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg und der Lebenshilfe Hessen und Nordrhein-Westfalen bieten mit Sabine Hirler als Dozentin eine zertifizierte Fortbildung in "Heilpädagogischer Rhythmik" an. Informationen unter http://www.sabinehirler.de, Kontakt unter Email: info@sabinehirler.de .